Freihandel oder Selbstbestimmung

In den zurückliegenden Jahren manifestiert sich steigende Unzufriedenheit mit der in den 1970er Jahren los getretenen Globalisierung, verklärt Freihandel genannt. Das Ende des Bretton Woods Systems hatte den Weg dazu frei gemacht, indem der internationale Kapitalverkehr liberalisiert und die Wechselkurse frei gegegen wurden. Immer mehr Bürger sehen dies nicht mehr in ihrem Interesse, sie fühlen die Sicherheit ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Das machen sich Strömungen wie z.B. die von Trump in den USA angeführte, sowie die AfD hier zunutze.

Die Argumente der Verfechter eines unbedingten „Freihandels“ sind freilich schwach.

In einem mehr als naiven Kommentar versucht Patrick Welter im Wirtschaftsblog der FAZ aufzuzeigen, warum Freihandel gut ist. Er bemüht dazu das Beispiel zweier Schulbuben, die so lange Bilder von Fussballern tauschen, bis beide zufrieden sind. Und schließt dann messerscharf: „Mehr braucht es eigentlich nicht, um zu verdeutlichen, warum der internationale Handel beiden Seiten Vorteile bringt und warum Handelshemnnisse schädlich sind.“

Er stellt weiter fest, im grenzüberschreitenden Handel gehe es immer darum, dass Menschen Dinge austauschen und sich über den Preis einigen. Und fragt: „Was soll an solchem Austausch schädlich sein?“ Da ist man doch glatt versucht, „Nichts!“ zu antworten.

Der Knackpunkt liegt in der Vokabel „einigen“. Was auf dem Schulhof noch als Einigung unter Gleichberechtigten durchgehen mag, ist im internationalen Geschäft etwas völlig anderes. Hier zählt wirtschaftliche und politische Stärke und gegenseitige Abhängigkeit. Das Ergebnis einer Einigung unter ungleichen Partnern wird in aller Regel den stärkeren und unabhängigeren bevorteilen.

David Ricardo hat mit seinen Arbeiten dem Kapitalismus ideologisch den Weg bereitet. Auch er sah vor rund zweihundert Jahren im ungehinderten internationalen Handel nur Vorteile für beide Handelspartner. Jeder spezialisiert sich auf das, was er am besten kann und so wird der gemeinsame Wohlstand optimiert. Unter gleich starken Partnern mag das vielleicht gelingen. Wenn aber der Schwächere seine Spezialisierung weit genug getrieben hat, auch weil er anfänglich davon tatsächlich profitieren konnte, so gerät er im Laufe der Zeit gerade dadurch in eine abhängige Position. Dies kann (und wird) der stärkere Partner zu seinem Vorteil nutzen und über höhere Preise für vom Abhängigen dringend benötigte Güter Extraprofite erzielen, seinen Wohlstand also auf Kosten des Anderen mehren. Und so kommt es am Ende nicht zu einer Mehrung des gemeinsamen Wohlstands, sondern zu einer Umverteilung. Und zu einer ausgeprägten politisch-wirtschaftlichen Abhängigkeit des Schwächeren.

Die negative Seite der Entwicklung ist nicht zwangsläufig, aber umso wahrscheinlicher, je weniger breit die Wirtschaft eines Landes aufgestellt ist und je weniger einer Überspezialisierung entgegengesteuert wird. Hierbei spielt politische Einflussnahme von außen eine wichtige Rolle. Das hat z.B. dazu geführt, dass in vielen afrikanischen Ländern (auch über sogenannte Entwicklungshilfe) die dortige Landwirtschaft ihre Bevölkerung nicht mehr (wie früher) ernähren kann, sondern sich auf den Anbau von Futtermitteln für den Export spezialisiert hat. Im Gegenzug liefern Europa und die USA subventioniert (Abfall-)Agrarprodukte nach Afrika, die die Verbraucher in diesen Ländern nicht haben wollen. (Siehe auch hier!)

Gegen dieses Ergebnis des Freihandels wird häufig so argumentiert: Der eine Partner kann nur dann etwas verkaufen, wenn der andere etwas kaufen kann. Ein weiteres Argument der Befürworter des Freihandels geht so: Wenn der eine Partner Güter an den anderen verkauft, erhält er dafür ausländisches Geld. Das nutzt ihm letztlich nichts, es sei denn, er fragt damit direkt oder indirekt Güter des anderen nach.

Die Entgegnung ist in beiden Fällen die gleiche: Zu welchen Bedingungen findet dieser Austausch von Gütern und Geld statt? Sind sie „fair“? Was heißt in diesem Zusammenhang „fair“? Ein Anhaltspunkt wäre, dass sich der Verkäufer beim Handel mit dem ausländischen Partner nicht besser stellt, als wenn er das gleiche Gut im eigenen Land verkauft. Wenn der Handel tatsächlich in diesem Sinne „fair“ wäre, gäbe es weniger „Freihandel“.

Datenmaterial der OECD legt nahe, dass die entwickelten Länder im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung einen immer höheren Anteil an der Wertschöpfung auf sich verbuchen können als weniger entwickelte Länder. Damit untermauern diese Zahlen weniger den Segen des Freihandels, wie von der OECD beabsichtigt, sondern zeigen eher, wer davon besonders profitiert.

Natürlich ist der Freihandel ein Fortschritt gegenüber der Kolonialisierung, weil die Abhängigen an einer längeren Leine geführt werden und ihnen etwas mehr Wohlstand zugestanden wird – eben damit diese vom „Partner“ etwas kaufen können, der wiederum das eingenommene Geld recyceln muss.

Beim Pixelökonom stand neulich in Verteidigung des Freihandels zu lesen: „Wenn die Möglichkeiten zunehmen, sich (weltweit) auszutauschen, dann nimmt der Austausch zu. Und weil dieser Austausch in offenen Gesellschaften freiwillig ist, nimmt der Wohlstand zu – sonst würde der Austausch schlicht unterbleiben.“ Sehen wir davon ab, dass die beiden Sätze einen Widerspruch beinhalten – wenn der Wohlstand nicht zunimmt, werden vermehrte Möglichkeiten zum Austauschs eben nicht genutzt.

Der Pixelökonom aber hält seine beiden Sätze für trivial, und stellt verwundert fest: „Die Zahl der Freihandelskritiker belegt, dass daraus kein Common Sense folgen muss.“ Muss es tatsächlich nicht. Verwunderung kann nur aufkommen, wenn man ihm folgend quasi als Naturgesetz unterstellt, dass Handelsaustausch in größtmöglicher Freiheit automatisch eine nachhaltige, allseitige Wohlstandssteigerung bewirkt.

Dafür bleiben die Befürworter von Freihandel und Globalisierung den Beweis schuldig. Mehr noch – die Flüchtlinge, die nach Europa strömen, sind der stärkste Gegenbeweis.

Die moderne Globalisierung erreichte zwar in ihrer ersten Phase tatsächlich eine gewisse allgemeine Steigerung des Wohlstands, gerade weil sich jedes Land in seinen besonderen Fähigkeiten spezialisierte. Diese Phase dürfte aber in den 1990er Jahren ausgelaufen sein. Seitdem steht eher der Umverteilungsaspekt im Vordergrund, in diesem Zusammenhang verliert das Volumen des Welthandels nun an Dynamik. Es hatte etwa um 2000 sein höchstes jährliches Wachstum.

Letztlich geht es bei der Frage des „Freihandels“ darum: Sollen wir das Primat der Politik aufgeben, d.h. in einem demokratischen Prozess selbst entscheiden, was wir wollen oder dies dem Spiel des (freien) Marktes überlassen? Auch jede Freiheit braucht einen weiten, aber festen (politisch gewollten) Ordnungsrahmen.

Ergänzung:
In einem Artikel der New York Times wurde vor kurzem unter dem Titel „A Little-Noticed Fact About Trade: It’s No Longer Rising“ die Schwäche des Welthandels thematisiert.

Die diversen Freihandelsabkommen, z.B. TTIP und CETA, dienen der Festigung der Rolle der internationalen Großkonzerne und Banken im internationalen Handel. Dabei wird über die Einrichtung von Schiedsgerichten die nationale Souveränität der Staaten geopfert. Man kann das als Offensive sehen oder auch als Defensive, um sich gegen die Tendenzen der Deglobalisierung und Separierung zu stemmen.

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