Die Grundposition

Niemand geht unvoreingenommen durch die Welt, sondern ist bei allem Streben nach Objektivität vorgepolt. Mein grundsätzlicher Standpunkt ist wie folgt:

Ich halte die von Nikolai Kondratieff begründete Theorie der langen Wirtschaftszyklen für zutreffend, nach der bestimmte Basisinnovationen die Wirtschaftsentwicklung jeweils auf einen Zeithorizont von 50 bis 60 Jahren antreiben.

Wir befinden wir uns heute in der letzten Phase des aktuellen, von Elektronik und Halbleitern getriebenen Zyklus. Dieser sogenannte Kondratieff-Winter begann mit dem Börsen-Crash des Jahres 2000 und führt im Verlauf einer Reihe von Jahren zu einer allgemeinen wirtschaftlichen Kontraktion.

Zu den allgemeinen Eigenschaften dieses „Winters“ zitiere ich aus „Weltsichten – Weitsichten“ (R. Rethfeld/K. Singer; FinanzBuch Verlag 2004; S. 252): „An dessen Beginn steht die so genannte ‚sekundäre Depression’, die einen etwa drei Jahre dauernden Kollaps umfasst. Die Preise fallen, Rohstoffe, insbesondere Gold, verteuern sich jedoch. Parallel zu den sinkenden Unternehmens­gewinnen fallen die Aktienkurse. Nach diesem ersten ‚Wintereinbruch’ kristallisiert sich langsam eine rund zehn Jahre dauernde deflationäre Entwicklung heraus. Der allgemeine Wohlstand sinkt rapide, die Wirtschaftstätigkeit erlahmt auf breiter Front. Auch auf stabilem, niedrigem Zinsniveau werden Kredite in größerem Umfang nicht mehr bedient. Innovationen sind inkrementeller Natur, etablierte Technologien werden verbessert, billiger gemacht und weiter verbreitet. Konsolidierung ist das zentrale Stichwort in der Wirtschaft. Radikale Töne bestimmen im 'Winter' allmählich das politische und soziale Geschehen. Etablierte politische Bündnisse scheitern immer häufiger, und es entstehen in rascher Folge neue Konstellationen. Ein größerer Krieg hilft schließlich, die Depression zu beenden und eine wirtschaftliche Erholung einzuleiten. Die Spartätigkeit wird aktiviert, es wird Kapital akkumuliert. Neue Erfindungen werden gemacht, aber noch nicht realisiert. Gewöhnlich setzt eine letzte, milde Rezession mit sehr niedrigerer Preissteigerungsrate den Schlusspunkt hinter diese letzte Phase des Kondratieff-Zyklus.“

In Kondratieffs „Winter" geschieht auf der Ebene der Wirtschaft das, was Schumpeter mit „schöpferische Zerstörung" meint. Der aktuelle „Winter" wird durch die Geldflut der Zentralbanken stark in die Länge gezogen, die nötige Bereinigung wird hinausgezögert. Das verhindert allerdings auch, dass sich neue, langfristig bestimmende Innovationen etablieren.

Nicht nur übergeordnet sehe ich bei der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, ja eigentlich in jeder Entwicklung, das Wirken zyklischer Muster – allerdings nicht in der Form, dass diese sich stur stets in gleicher Länge, Phasenlage und Amplitude durch die Geschichte takten. Das gilt auch für das Konzept von Kondratieff, das nicht als starre Zwangsjacke verstanden werden darf. Durch Überlagerungen von Zyklen kommt es immer wieder zu teilweise „wilden“ (chaotischen) Verzerrungen. Je näher der beobachtete Gegenstand an sozialen Gebilden angesiedelt ist, je stärker können diese wahrscheinlich ausfallen. Verzerrungen zyklischer Muster sind u.a. auch durch starke Trends bedingt, wie sie sich etwa durch Herdentrieb, Moden und dgl. bilden. Der Physiker und Mitbegründer der New-Age-Bewegung Fritjof Capra kommt in seinem Bestseller „Wendezeit“ zu dem Schluss: „Geordnete Strukturen entstehen aus rhythmischen Mustern.“

Vielfalt“ ist eine, wenn nicht die wesentliche Voraussetzung für konstruktive Entwicklungen. Vielfalt ist der Vorrat, aus dem die Evolution schöpfen kann, um eine Entwicklungslinie an veränderte Umstände anzupassen. Daher darf die Darwinsche Evolutionstheorie auch nicht auf „Survival of the fittest“ reduziert werden, die Evolution würde sich so im Laufe der Zeit ihrer Grundlage berauben. Stattdessen wäre „Doom of the unfittest“ die meiner Meinung korrekte Zusammenfassung.

Der Mechanismus von Märkten ist auf der wirtschaftlichen Ebene am ehesten geeignet, Fortbestand und Weiterentwicklung einer Gesellschaft sicher zu stellen. Märkte sollten auch insofern frei sein, als sie auf der operativen Ebene möglichst wenig Beschränkungen unterliegen. Allerdings gehört dazu ein (sehr) fester (ordnungspolitischer) Rahmen, der sicherstellt, dass das Ergebnis dieses Abstimmungs-Mechanismus im Sinne der optimalen Verwendung von Ressourcen ausfällt. Dann stört es auch nicht weiter, wenn Marktteilnehmer z.B. von übermäßiger Gier getrieben werden – ein funktionierender ordnungspolitischer Rahmen würde das entsprechend kanalisieren. So verstanden wäre der Marktmechanismus die einer evolutionären Vielfalt am ehesten entsprechende Organisationsform der wirtschaftlichen Abstimmungsprozesse in der menschlichen Gesellschaft. Der Markt-Mechanismus kann seine Aufgabe aber nur auf der Basis objektiver Informationen erfüllen; wenn diese nicht zugänglich sind oder, schlimmer noch, bewusst und gezielt manipuliert werden, scheitert er.

Auf der politischen Ebene spielt die „Vielfalt“ ebenfalls die entscheidende Rolle. Vielfalt kann sich nicht ohne Freiheit entwickeln. Eine Staatsform muss daran gemessen werden, wie gut sie dies unterstützt. Insofern sind totalitäre Formen im historischen Kontext genauso zum Scheitern verurteilt wie solche, die sich „ohne Diktator“ zu einseitig in bestimmte Richtungen ausprägen.

"Systeme", gleich ob in der Natur oder in der menschlichen Gesellschaft, können im Laufe ihrer Entwicklung verschiedene Zustände annehmen. Im „stabilen“ Zustand können bestimmte, einfache Regeln beobachtet werden. Die Reaktionen des „Systems“ sind leicht vorhersagbar, geringe Veränderungen der Anfangsbedingungen führen nur zu kleinen Reaktionen. Rückkopplungen sind negativ und wirken dämpfend auf das Ergebnis. Dieser "milde Zufall" (Mandelbrot) lässt sich oft recht gut mit der klassischen Wahrscheinlichkeitstheorie "berechnen". Unter bestimmten Voraussetzungen können die Rückkopplungen innerhalb eines Systems positiv werden. Dann führen schon geringe Änderungen der Rahmenbedingungen zu großen Ausschlägen bei den Resultaten, der Systemzustand wird „instabil/chaotisch“. Die u.a. von Mandelbrot begründete Chaostheorie versucht aus meiner Sicht mit Erfolg, diesen "wilden Zufall" mit mathematischen Mitteln zu beschreiben.

Auf den Mechanismus der Bildung von Preisen und Kursen übertragen entspricht die zyklische Anpassung der Aktionen der Marktteilnehmer an diejenigen anderer Akteure, sowie an neue externe Umstände dem stabilen Zustand des Systems der Preisbildung, während ein zunehmend linearer Verlauf auf eine chaotische Phase hindeutet.

Finanzmärkte sind kein Ökonomen-Kongress und so ist es ganz normal, wenn sich langfristig trübe Aussichten, wie sie der Kondratieffsche Winter nahe legt, nicht zwingend und unmittelbar in aktuellen Kursverläufen widerspiegeln. Finanzmärkte reagieren manisch-depressiv: „Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt.“ Übertreibungen in beide Richtungen sind die Regel, nicht die Ausnahme.

Umso wichtiger ist es, über ein Instrumentarium zu verfügen, das hilft, die aktuelle Verfassung der Märkte einzuschätzen. Das ist der Ansatzpunkt der TimePatternAnalysis.

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