Tucker Carlson, Putin und die Dekadenz des Westens

Der russische Präsident Putin hat zwei Stunden lang mit Tucker Carlson gesprochen – ohne 360-Grad-Wendungen in einem Hundertausende km entfernten Land, er schien nicht vergesslich, hat auch nicht an ein Gespräch mit dem 2017 verstorbenen Helmut Kohl über den Sturm auf das Kapitol 2021 erinnert.

Carlson war der erste westliche Journalist, der Putin seit dem Ukrainekrieg interviewt hat. Der Mitschnitt des Gesprächs dürfte bis jetzt, mehr als zwei Tage nach Veröffentlichung, allein bei „X" weltweit rund 200 Millionen mal angeklickt worden sein – ein Rekord. Die Quantitätsmedien spuckten im Vorfeld Gift und Galle (siehe z.B. hier) – und danach sowieso. Die Financial Times titelte, Carlson sei Putins nützlicher Idiot.

Idiot? Wer von unseren westlichen Politikern hätte die Fähigkeit, ein solches Gespräch zu führen, ohne irgendwelche schriftlichen Unterlagen, voll konzentriert über den gesamten Zeitraum des Interviews? Ohne Absonderung „konfuser“ Bemerkungen à la Baerbock (360 Grad, hundertausende von Kilometern entfernte Länder). Oder US-Präsident Biden: Nachdem der in der vergangenen Woche erklärt hatte, auf dem G7-Gipfel 2021 mit dem 1996 verstorbenen François Mitterrand diskutiert zu haben, hat er sich auch an ein Gespräch mit dem 2017 verstorbenen Helmut Kohl über den Sturm auf das Kapitol 2021 erinnert (siehe hier!). Eine Sonderstaatsanwaltschaft kam jetzt zu dem Schluss, dass Biden wegen schuldhaft in seiner Garage aufbewahrten geheimen Dokumenten nicht strafrechtlich verfolgt wird, weil eine Jury einen „wohlmeinenden, älteren Mann mit einem schlechten Gedächtnis" nicht verurteilen würde. Dass auch andere über ein mindestens ebenso schlechtes Erinnerungsvermögen verfügen, ist ja bekannt – wenn auch möglicherweise aus anderen Gründen.

Offenbar hat Russland einen geistig äußerst fähigen Präsidenten, während man an denen im Wertewesten zweifeln kann. Frau Baerbock macht das durch Investitionen in ihre äußere Erscheinung und Photographen wett, die den Steuerzahler schon 2022 rund 300.000 Euro gekostet haben. Herr Habeck weiß nicht, was eine Insolvenz ist, arbeitet aber mit seiner Energiepolitik hart daran, das ganze Land in diesen Zustand zu versetzen.

Ja, ein geistig fähiger Mensch auf der falschen Seite ist normalerweise gefährlicher als ein Idiot. Die einfache logische Umkehr, ein Minderbemittelter sei generell ungefährlicher als ein geistig Fähiger, gilt aber auch nicht. Denn die Frage ist, wer im Hintergrund die Strippen zieht. Und für die kann es nützlich sein, so jemanden vor sich her zu schieben, damit sie ungehindert ihre Agenda verfolgen können.

Nun zu den Inhalten des Interviews – Putin hat im Kern nichts wirklich Neues gesagt. Trotzdem kurz zu den aus meiner Sicht wichtigen Inhalten. Am Anfang stand ein langer, detailreicher Monolog über die Geschichte – wie hat sich Russland über die Jahrhunderte entwickelt, wie die Ukraine. Man kann diesen Rückblick als Rechtfertigung dafür nehmen, dass Russland zumindest große Teile der Ukraine „gehören“, man kann auch argumentieren, dass Teile der West-Ukraine Polen und Ungarn zuzurechnen sind.

In den Passagen, in denen sich Putin mit der neueren Geschichte beschäftigt hat, nimmt er darauf Bezug, dass die Nato Anfang der 1990er Jahre zugesichert hat, sich nicht nach Osten auszudehnen (siehe hier!). Der Maidan-Putsch von 2014 war demnach vom Westen gesteuert und der Westen hätte nie die Absicht gehabt, die danach geschlossenen Abmachungen von Bukarest und Minsk umzusetzen (siehe hier!). Der Krieg in der Ukraine hat nach Putin 2014 begonnen, als die Regierung in Kiew mit dem Versuch begann, die Donbas-Republiken zu unterjochen (siehe hier!). [Auch der Nato-Generalsekretär Stoltenberg sieht den Kriegsbeginn in 2014]

Putin beendete diesen Teil des Gesprächs mit der Bemerkung, Russland werde nicht in Polen, nicht in Litauen oder irgendwo anders einmarschieren. Es sei denn, Polen greift Russland an.

Putin betonte mehrfach, Verhandlungslösungen gegenüber offen zu sein. Von westlichen Politikern werde demgegenüber verbreitet, er lehne Verhandlungen kategorisch ab. Putin registriert aber angesichts der gescheiterten Sanktionspolitik des Westens, sowie einer immer wahrscheinlicher werdenden militärischen Niederlage der Ukraine ein vorsichtiges Umdenken des Westens.

Putin sieht eine vor allem für den Westen ungünstige, funktionierende Allianz mit der VR China und anderen ostasiatischen Staaten, die „BRICS+“ sind für ihn ein weiteres Indiz für den abnehmenden Einfluss des Westens in der Welt. Er entwirft aber ein Modell von in friedlicher Koexistenz verflochtenen, gleichberechtigten Wirtschaftsräumen. Die Selbstschwächung des Westens ist für Putin unbegreiflich.

Für Putin ist klar, dass die USA für die Zerstörung der Nord Stream Pipelines verantwortlich sind (siehe hier!). Dass dieser beispiellose, gegen die zivile Infrastruktur gerichtete Terrorakt in Europa unter den Teppich gekehrt wird, ist für ihn ebenso unbegreiflich. Er zeigt sich nach wie vor bereit, russisches Erdgas nach Deutschland zu liefern. Dies könnte auch Teil einer Friedenslösung werden. Ökonomisch hätte Russland eine solche Wiederbelebung nicht nötig, das Land exportiert mehr Gas und Öl als vor der Sprengung.

Die Darstellung von Putin erscheint in vielerlei Hinsicht mehr an Fakten als an Fiktionen orientiert. Im Westen ist es umgekehrt. Das Interview unterlegt für mich an vielen Stellen die Dekadenz des Westens und die eingebildete moralische Überheblichkeit seiner Führer. „Moralische Empörung ist die Strategie von Idioten, sich selbst Würde zu verleihen“ (Marshall McLuhan). Politische Entscheidungen sollten immer auf einer objektiven Analyse beruhen, nicht auf Fiktionen, Vorurteilen oder Hass. Dazu gehört, dem Gegner zuzuhören und ihn zu verstehen. Ansonsten landet man in einer Phantasiewelt. Die Realität gewinnt am Ende immer. „Die Frage ist nur, zu welchem Preis“.

Putin wird mit dem Interview nicht zum Heiligen. Er ist und bleibt ein Diktator, der politische Gegner unterdrücken, einsperren oder töten lässt, er bleibt gerade auch in seiner persönlichen Kälte ein gewissenloser Geheimdienstoffizier. Er ist mit diesen Eigenschaften aber auch berechenbarer als z.B. wild um sich schlagende Ertrinkende. Und ja: Das russische Regime hatte auch vor Putin Blut an den Händen, das Wohlergehen der russischen Bevölkerung war nie Maxime dieses Staates.

Nun gelten aber dieselben Attribute auch für die westliche Seite. Julian Assange wird seit Jahren unter Folter-ähnlichen Bedingungen eingekerkert, weil er US-Verbrechen auch gegen das Völkerrecht aufgedeckt hat. Im Westjordanland verkleiden sich Soldaten als Ärzte, um gezielt mutmaßliche Terroristen zu töten. Die israelische Regierung strebt die Vertreibung der Palästinenser aus dem Gaza-Streifen an (siehe hier!) und der internationale Gerichtshof sieht konkrete Anhaltspunkte und Absichten Israels für genozidale Handlungen. Die USA betreiben seit 1948 durchgängig imperialistische Aktivitäten (siehe hier!). Und Verteidigungsminister Pistorius fordert, Deutschland müsse kriegstüchtig werden (das ist noch einmal etwas ganz anderes als „verteidigungstüchtig“).

Warum war unser Vergesslicher kürzlich in Washington beim „wohlmeinenden, älteren Mann mit einem schlechten Gedächtnis“? Vielleicht hat er den Befehl entgegengenommen, angesichts andauernder Blockaden der Republikaner im US-Kongress in die Bresche zu springen und weitere Milliardenbeträge an Waffenlieferungen in der Ukraine zu versenken. Oder sollen wir noch direkter in den Krieg hineingezogen werden?

Inzwischen gilt der Pazifismus hier im Wertewesten als Feindbild. Das war z.B. vor 1939 im rechten Nazi-Deutschland auch schon mal so. Daran sollten alle die denken, die sich jetzt zu Hundertausenden von Regierung und Medien vor den Karren „gegen rechts“ spannen lassen. Kommt die Gefahr von rechts also vielleicht von wo ganz anders her?

Wo sind wir hingekommen? Eine kaputte Logik, dass nur noch mehr Waffen verhindern, dass noch mehr Menschen umkommen (siehe hier!). Und in zunehmender Schwäche und Dekadenz um sich zu schlagen, ist der Weg ins Verderben.

Die einzig vernünftige Frage ist die, wie Kriege beendet und verhindert werden können. Vielleicht versuchen wir es mal mit Gesprächen, Verhandlungen in gegenseitiger Achtung und Respekt. Bevor wir es nicht mehr können, weil wir alle mausetot sind.

Ich möchte übrigens nicht neben Frau Strack-Zimmermann begraben werden.

Ergänzung
Ich empfehle, sich ein eigenes Bild über das Gespräch zu machen. Das Original gibt es hier, mit deutschen Untertiteln kann man es hier sehen, eine englische Transkription von Auszügen gibt es hier, eine gute englische Zusammenfassung ist hier verfügbar.

Nachtrag
Die Nachdenkseiten haben eine deutsche Textfassung des Interviews online gestellt.
Petra Erler, Nachrichten einer Leuchtturmwärterin, hat in „Das Putin-Interview und der Bundeskanzler“ die Rolle der deutschen Politik detailliert beleuchtet, imsbesondere auch in Zusammenhang mit den Gesprächen in Istanbul im Frühjahr 2022. Sollte Putin nicht schwindeln, würde das die Liste der deutschen politischen Verfehlungen weiter verlängern, schreibt sie.

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