Die BRICS und die Entdollarisierung

„BRIC“ ist eine Schöpfung aus dem Hause Goldman Sachs. Dessen damaliger Chef-Volkswirt Jim O’Neill wollte damit in 2001 wachsende Märkte zusammenfassen, von denen er glaubte, dass sie das Potenzial haben, den Westen eines Tages zu überholen.

Bis 2008 sahen die Länder Brasilien, Russland, Indien und China keine Notwendigkeit, einen formellen Block zu bilden. Erst 2009 richtete Russland den ersten BRIC-Gipfel aus und erklärte, die globale Finanzkrise von 2008 habe deutlich gemacht, dass die wichtigsten Schwellenländer der Welt zusammenarbeiten müssten.

2008 war auch das Jahr, in dem Russland in Georgien einmarschierte, seine Abkehr vom westlichen Wertesystem verkündete und begann, seine Macht über die ehemaligen Sowjetstaaten wiederherzustellen. Die BRIC-Staaten waren aus der Sicht Russlands eine antiwestliche politische Plattform.

Inmitten des weltweiten Wirtschaftsabschwungs sah auch China die Notwendigkeit, seine Abhängigkeit von den westlichen Märkten und insbesondere vom Dollar zu verringern. Es sah in den BRIC-Staaten einen Ort, an dem es sein Handelsportfolio diversifizieren konnte. Brasilien und Indien wiederum sahen in den BRIC-Staaten eine Möglichkeit, die Weltpolitik zu beeinflussen und ihre eigenen Perspektiven zur Geltung zu bringen. Jedes Mitglied, insbesondere China und Russland, sah in Afrika den Schlüsselkontinent, durch den sie sich vom Westen absetzen konnten. Daher luden sie 2010 Südafrika ein, der Gruppe beizutreten.

Fortan nannten sie sich BRICS – nach den Anfangsbuchstaben der fünf Länder. Und richten seitdem jährlich ein Gipfeltreffen aus. Dieses findet zurzeit wieder in Südafrika statt. Alle Regierungschefs sind vertreten, nur Putin nicht. Er wird mit internationalem Haftbefehl gesucht und nimmt per Video teil.

2015 förderte China die Gründung der beiden BRICS-Wirtschaftsinstitutionen, des Contingent Reserve Arrangement und der New Development Bank, die als Alternativen zum Internationalen Währungsfonds (IWF) und zur Weltbank gedacht sind. China ist die Hauptfinanzierungsquelle für die CRA und hält 40% der Stimmrechte. Ebenfalls 2015 führte China sein eigenes, auf dem Yuan basierendes Interbanken-System ein, das sogenannte Cross-Border Interbank Payment System. Damit sollte die Verwendung des Dollar in seiner Wirtschaft reduziert und der Yuan als internationale Währung gefördert werden.

Der Fokus auf die Entdollarisierung wurde 2022 stärker – der zunehmende Handel zwischen Russland und China in Verbindung mit der Finanzierung eines Parallelhandelssystems durch Russland führte zu einem wachsenden Anteil des Yuan am russischen Finanzmarkt. Vom Westen sanktioniert, schwenkte Russland auf China um und nahm den Yuan als eine seiner Hauptwährungen für internationale Reserven, den Überseehandel und sogar einige private Bankdienstleistungen an.

Hinzu kommt, dass mit den verschärften Sanktionen gegen Russland auch zunehmend Vermögenswerte im westlichen Ausland eingefroren wurden. Damit wurde für immer mehr Länder immer offensichtlicher, dass ihre in Dollar gehaltenen Vermögenswerte nicht sicher sind. Also suchte und sucht man verstärkt nach Alternativen.

Während China der wirtschaftliche Führer der Gruppe ist, gilt Russland als ihr politischer Führer. Es liegt daher nahe, dass die BRICS jetzt, mehr als ein Jahr nach dem Beginn des globalen Wirtschaftskriegs und dem Einmarsch Russlands in der Ukraine, über das Potenzial der Einführung einer gemeinsamen Währung und die Erweiterung der BRICS diskutieren.

Aus US-Sicht ist der Rückgang der Verwendung des Dollar nicht darauf zurückzuführen, dass Russland den Yuan dem Dollar vorgezogen hat, sondern auf die Sanktions-Maßnahmen der USA, die die Verfügbarkeit des Dollar für russische Geschäfte reduziert.

Eine „Yuanisierung" kommt für die BRICS-Staaten aber nicht in Frage. Daher kann eine Entdollarisierung, die mehr ist als eine Reaktion auf westliche Sanktionen, nur erreicht werden, wenn die BRICS-Staaten eine neue gemeinsame Währung einführen – ähnlich dem Euro, der 1999 von den teilnehmenden EU-Mitgliedern aus der Taufe gehoben wurde.

Für die Einführung einer neuen Währung reicht es nicht aus, Banknoten auszugeben und einzusetzen. Sie erfordert eine echte wirtschaftliche Konvergenz zwischen den teilnehmenden Nationen in einem und durch einen gemeinsamen Markt. Das funktioniert schon beim Euro immer noch nicht gut, u.a. weil eine gemeinsame Fiskalpolitik fehlt. Für die BRICS ist das angesichts der großen Unterschiede zwischen ihren Volkswirtschaften, dem Fehlen einer gemeinsamen Wirtschaftsstruktur und einem gemeinsamen Regierungssystem, den großen räumlichen Distanzen und damit auch dem Fehlen gemeinsamer Grenzen noch schwieriger.

Die Entwicklung eines effizienten gemeinsamen Marktes erfordert den Aufbau einer neuen Infrastruktur, einschließlich Sicherheits- und Versicherungssystemen zum Schutz der Handelswege. Alles das macht es für die BRICS nahezu unmöglich, zumal auch keines ihrer Mitglieder angesichts ihrer Verteilung über Kontinente eine globale Seemacht ist.

Berichten zufolge hat Indien den chinesischen Yuan in einigen Fällen im Handel mit Russland verwendet. Der Yuan ist auf dem globalen Devisenmarkt nicht frei konvertierbar, seine Verfügbarkeit hängt von der Politik Pekings ab. Die russische Zentralbank muss derzeit Peking bei größeren Transaktionen in Yuan um Erlaubnis bitten. Darauf wird sich die indische Zentralbank in nächster Zeit nicht einlassen. Die andauernden Streitigkeiten zwischen Peking und Neu-Delhi in einer Reihe von Fragen erschweren eine Koordination in allen Bereichen zudem.

Das alles macht den Yuan als gemeinsame Währung technisch ungeeignet. Abgesehen davon ist klar, dass die BRICS-Länder generell nicht bereit wären, eine bestehende Währung eines ihrer Mitglieder zu übernehmen.

Sogar Russland, der größte Befürworter der BRICS, sagt, die Schaffung einer einheitlichen Währung sei ein langfristiges Ziel. Zuvor müssen die BRICS-Mitglieder ihre Differenzen beilegen und genügend Vertrauen aufbauen. Tatsächlich scheint es so, als teilten sie nicht viel mehr als das Misstrauen gegenüber dem Westen – und selbst in diesem Punkt gibt es Unterschiede.

Die Erweiterung der Mitgliederzahl ist ein weiteres Thema, bei dem die Gruppierung nach einem Konsens sucht. Die Mitglieder diskutieren seit 2017 über die Möglichkeit eines BRICS+, und China hat das Thema im vergangenen Jahr während des BRICS-Gipfels angesprochen. 23 Länder haben offiziell den Beitritt zu den BRICS beantragt, 40 weitere haben ihr Interesse bekundet – beeindruckende Zahlen. Aber ein formeller Beitritt ist kompliziert, da es bisher kein offizielles Verfahren hierfür gibt. Zurzeit müssen alle Mitgliedsstaaten gemeinsam neue einladen, so wie 2010 bei Südafrika.

Angesichts des Krieges in der Ukraine erscheint die Erweiterung jetzt dringlich. Da die westlichen Länder nicht mehr bereit sind, mit Russland Geschäfte zu machen, versucht Moskau, seinen Einfluss in Ländern auszuweiten, die sich in diesem Krieg neutral verhalten haben. Neutrale Länder haben die Früchte der Lobbyarbeit beider Seiten geerntet, indem sie Erklärungen über die Notwendigkeit einer Beendigung des Krieges abgaben und dies gleichzeitig als Gelegenheit nutzten, ihre strategischen Positionen zu verbessern.

In den zurückliegenden fünf Jahren hat der Handel zwischen Brasilien und China zugenommen. Brasilien nutzte die Handelsspannungen zwischen China und den Vereinigten Staaten, indem es seine Exporte, insbesondere von Lebensmitteln, in das BRICS-Land steigerte. Dennoch ist das Land nach wie vor stark von den USA abhängig, die ein wichtiger Absatzmarkt für brasilianische Waren mit hoher Wertschöpfung sind. Die USA sind auch der wichtigste ausländische Abnehmer für den brasilianischen Bergbausektor. Der macht 50% der Gesamtexporte des Landes aus und beschäftigt etwa 3% der gesamten Arbeitskräfte.

In der Zwischenzeit hat Russland in Indien einen wichtigen alternativen Markt (und Absatzweg) für sein Öl gefunden. Indien hat russisches Öl mit Preisnachlässen für den Eigenbedarf gekauft und ist gleichzeitig zu einer Art Durchgangsstation für russische Energieexporte geworden, die trotz der Sanktionen die westlichen Märkte erreichen. Moskaus Pläne, im Rahmen des Nord-Süd-Transportkorridors in die Hafeninfrastruktur in Indien zu investieren, sind in dieser Hinsicht hilfreich.

Doch ganz gleich, wie sehr sich Russland um den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen bemüht, Indien ist ebenso wie Brasilien nach wie vor auf die Vereinigten Staaten als wichtigsten Handelspartner und strategischen Verbündeten angewiesen.

Von den USA, China und Russland umworben, sehen Brasilien, Indien und andere Länder des globalen Südens die Chance, ihre Position auf der Welt zu stärken. Ihre chronische innere Instabilität schränkt jedoch ihr Vermögen ein, die derzeitigen schnelllebigen Chancen voll zu nutzen.

Auch wenn sich die BRICS heute aktiver als in der Vergangenheit um Koordinierung bemühen, finden die meisten bedeutsamen Interaktionen zwischen den BRICS-Mitgliedern und potenziellen neuen Mitgliedern auf bilateraler Ebene statt. Wirtschaftliche, politische und sicherheitspolitische Vorbehalte begrenzen die Möglichkeit einer Erweiterung der Mitgliedschaft ebenso wie die Einführung einer gemeinsamen Währung derzeit in weiter Ferne liegt.

[Unter Verwendung von Material aus dieser Quelle]

Ergänzung
Die BRICS stellen 40% der Weltbevölkerung und haben einen Anteil von 25% am globalen BIP (mehr als G7-Industrieländer).

Nachtrag
(25.8.23) Das Gipfeltreffen der BRICS ist zu Ende. Der Staatenbund wird um sechs Länder erweitert um die zwei größten Erdöl-Produzenten Iran und Saudi-Arabien, sowie die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Äthiopien und Argentinien.
So mancher hatte erwartet, dass Schritte in Richtung einer BRICS-Währung gegangen würden. Diese Erwartungen wurden enttäuscht. Würde es dazu kommen, dann würde mit ziemlicher Sicherheit der Dollar (und der Euro) unter Druck kommen. Die USA müssten die Zinsen erhöhen, um dagegen anzugehen, was Gift für Aktien wäre. Zudem würden inflationäre Tendenzen verstärkt.
Die Spekulationen über eine BRICS-Währung werden nicht abreißen, schon deshalb nicht, weil die BRICS eine immer größere Rolle in der Weltwirtschaft spielen. So hat der Handel zwischen China und Afrika in den ersten sieben Monaten dieses Jahres um 7,4% zugelegt, das Land baut seine seit mehr als zehn Jahren bestehende Rolle als größter Handelspartner des Kontinents aus. Allein deshalb stellt sich immer mehr die Frage nach dem Sinn, den Handel in Dollar abzuwickeln. Das nützt lediglich den USA, u.a. weil es die laufende Nachfrage nach Dollar erlaubt, die eigene Verschuldung hoch zu treiben.
Weitere Details hier!
(27.8.23) Die Meinung von Peter C. Earle in „Dedollarization, the BRICS Expansion, and Sound Money": „Der US-Dollar wird wahrscheinlich für eine sehr lange Zeit eine Reservewährung bleiben: Technologie, Institutionen und Praktiken haben ihm diese Rolle verliehen. Er könnte sich diesen Platz mit einer anderen oder anderen Währungen teilen, so wie er es mehrere Jahrzehnte lang mit dem britischen Pfund tat. In der Tat könnte eine neumodische BRICS+-Währung einen Platz neben ihr oder ihnen finden, unabhängig davon, ob ihre Verwendung auf überlegene monetäre Eigenschaften oder einfach auf den Wunsch zurückzuführen ist, die Verwendung des US-Dollars zu vermeiden.
Unabhängig davon, wie lange es dauert, bis es dazu kommt, und selbst wenn es nicht dazu kommt, verändern sich die Konturen der internationalen Finanzbeziehungen rasch und vielleicht unwiderruflich. Weitaus wichtiger als verbale Feuergefechte oder unbelegte Finanzstatistiken sind zwei entscheidende Faktoren. Der erste ist das -wenn auch inkonsequente- Festhalten an den Praktiken der freien Marktwirtschaft in guten wie in schlechten Zeiten. Der zweite, noch entscheidendere, ist die Rückkehr zu gesundem Geld. Die dauerhafte Robustheit der US-Wirtschaft hängt von beidem ab – unabhängig von der Hackordnung der globalen Reservewährungen."
Zu ergänzen wäre zu dieser US-zentrierten Sicht: Weil die Rückkehr zu gesundem Geld nicht im mindesten absehbar ist und der Dollar immer stärker und offener als politisches Instrument eingesetzt wird, nimmt das Vertrauen in den Dollar immer mehr ab. Dadurch wird die Suche nach Alternativen immer dringlicher.

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