Das BVG und die Vulnerablen

Das Bundesverfassungsgericht hat die einrichtungsbezogene Corona-Impfpflicht gebilligt. „Der sehr geringen Wahrscheinlichkeit von gravierenden Folgen einer Impfung steht die deutlich höhere Wahrscheinlichkeit einer Beschädigung von Leib und Leben vulnerabler Menschen gegenüber“, so die Begründung der Karlsruher Richter, die damit ihren vorläufigen Entscheidungen in gleicher Sache folgen.

Uwe Lipinski, Rechtsanwalt der mehr als 50 Beschwerdeführer, kritisierte das Urteil gegenüber Tichys Einblick scharf: „Der medizinische ‚Sachverstand‘ der 8 Richter scheint auch rund 26 Monate nach Ausrufung des ersten Lockdowns nicht über das bloße Wiedergeben und Zitieren der der Bundesregierung unterstehenden, weisungsabhängigen Bundesbehörden (RKI und PEI) hinauszugehen.“

Auf das Gericht ist Verlass. Merkel hatte mit dem ehemaligen CDU-Fraktionsvize Stephan Harbarth einen ihrer engen Vertrauten an die Spitze des Verfassungsgerichts gesetzt, das seitdem alles in die Tonne kloppt, was gegen die staatliche Corona-Politik klagt. Dabei wird oft nicht einmal der Anschein der Unvoreingenommenheit gewahrt.

Die wird u.a. darin deutlich, dass nach Auffassung des Gerichts im aktuellen Fall die weitere Entwicklung der Corona-Pandemie mit der Omikron-Variante keine neue Situation darstellt und somit keine abweichende Beurteilung erfordert. Es spielt also auch keine Rolle, dass immer mehr Geimpfte schwer erkranken, weil die „Impfungen“ immer mehr an Wirkung verlieren. Selbst das RKI hat kürzlich Berechnungen zur Impfeffektivität aus seinen Wochenberichten verbannt, offenbar, weil man dort die Mär von der Wirksamkeit auch mit Tricks und Zahlenspielereien nicht länger aufrecht erhalten kann.

Auch hinsichtlich Fremdschutz gibt es mittlerweile so viele gesicherte Erkenntnisse, die darauf hinauslaufen, dass bei einem Geimpften die Übertragung des Virus nicht verhindert, nicht einmal geschmälert wird. Aber gerade dieser Aspekt ist zentral, wenn man über den Schutz vulnerabler Gruppen urteilt.

Die einrichtungsbezogene Impfpflicht greife zwar in die körperliche Unversehrtheit ein, so das BVG, aber das sei verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber verfolge den legitimen Zweck, vulnerable Gruppen zu schützen. Das wiege verfassungsrechtlich schwerer als die Beeinträchtigung der Grundrechte des Pflege- und Gesundheitspersonal.

Die Argumentation mit dem Schutz vulnerabler Gruppen kann man beliebig ausdehnen. Insbesondere dann, wenn man nicht nach Verhältnismäßigkeit und sachlichen Begründungen fragt. Meiner Ansicht nach wurde vom Gericht nicht nur nicht geklärt, ob das Mittel der Impfung seinen vorgegebenen Zweck verfolgt, es wurde auch nicht geklärt, ob es nicht weniger übergriffige Möglichkeiten gibt, vulnerable Gruppen zu schützen.

Je höher man den Schutz irgendwelcher vulnerabler Gruppen hängt, je willkürlicher wird es. Im Extremfall fühlt sich eine Handvoll „Vulnerabler“ von zu viel Sonne bedroht, sie ziehen vor das BVG und verlangen, dass die Bundesregierung die Atmosphäre mit Russ anzureichert, um die Sonneneinstrahlung zu dämpfen. Sie könnten recht bekommen… Zugegeben, ein extremes Beispiel – aber mit dem aktuellen Urteil schon nicht mehr ganz so extrem…

Das Urteil zur „Bundesnotbremse“ aus dem Herbst 2021 läuft im Grunde genommen darauf hinaus, dass das Grundgesetz außer Kraft gesetzt werden kann, wenn die Regierung eine Maßnahme als geeignet erachtet, der objektive Nachweis ist nicht erforderlich.

Nehmen Sie beide Linien des BVG, die hinsichtlich vulnerabler Gruppen und die hinsichtlich des Regierungshandelns zusammen, dann kann man sich lebhaft vorstellen, was noch kommen könnte.

Ergänzung:
Was die allgemeine Impfpflicht in Deutschland angeht, so sollte man nicht glauben, dass sie mit den abgelehnten Anträgen vom 7. April diesen Jahres vom Tisch ist. Die Bundestagsabgeordneten haben an diesem Tag ausdrücklich nicht gegen eine Impfpflicht gestimmt, sondern konnten sich aus taktischen Gründen nur nicht auf einen Vorschlag einigen. Nicht zufällig kommt jetzt immer stärker die Einführung eines Impfregisters ins Spiel, die Voraussetzung dafür, dass kontrolliert werden kann, wer wann wo mit was geimpft wurde. Auch sonst ist das Corona-Regime nicht abgeschrieben, der grüne Impfpass der EU wurde gerade erst verlängert. Zudem erklärte die Vorsitzende der deutschen Gesundheitsministerkonferenz kürzlich: „Die Corona-Pandemie ist noch nicht vorbei. Wir dürfen uns nicht von den aktuell rückläufigen Inzidenzen täuschen lassen.“ Lauterbach begrüßte den Beschluss, man müsse vorbereitet sein auf die kalte Jahreszeit. Dazu gehöre ein klarer gesetzlicher Rahmen.

Nachtrag:
(22.5.22) Cicero: Jessica Hamed schreibt unter der Überschrift „Bundesverfassungsgericht: Postfaktischer Wegbereiter des paternalistischen Staates“ zum Urteil zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht, „(…) der Beschluss stellt im Ergebnis auch einen Paradigmenwechsel dar, der es dem Staat auch in künftigen Krisen ermöglicht, via Einschätzungsspielraum jede Maßnahme, deren Eignung nicht zweifelsfrei widerlegt ist, zu ergreifen – etwa im Umgang mit dem Klimawandel. Damit werden sukzessive die Grundrechte, die primär als Abwehrrechte der Bürger gegen den Staat konzipiert waren, nicht nur zu weitreichenden Schutzrechten, sondern sogar zu angeblichen Schutzpflichten umgebaut. Denn der erste Senat, der sich seit Monaten „lauterbachesk im pandemischen Panikmodus“ eingerichtet hat, hat sich sogar andeutungsweise dazu verstiegen, die einrichtungsbezogene Impfpflicht als Handlungspflicht des Staates anzusehen (Rn. 217).
Anmerkung: Zum Punkt "Klimawandel und BVG" siehe auch hier

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