Öl – eine komplexe Preisbildung

Der Aktienbörsen v.a. in den entwickelten Ländern setzen ihren Höhenflug fort. Seit der Entscheidung der BoJ, ihre geldpolitischen Flutungsmaßnahmen zu verstärken, kam eine Zinssenkung der PBoC und fortwährendes Gerede von EZB-Draghi hinsichtlich weiterer geldpolitischer Lockerungen.

Die Schritte der Notenbanken dürften aufeinander abgestimmt gewesen sein, genauso wie die dazu passenden Äußerungen von Draghi, die darauf hinauslaufen, dass die EZB ein reinrassiges QE in die Welt (oder in den Sand?) setzt. Wer in diesen Zeiten solche Erwartungen weckt, erreicht natürlich eine Steigerung der Risikobereitschaft der Akteure an den Finanzmärkten. Und natürlich wird er die bewusst so massiv geschürten Hoffnungen auch erfüllen (müssen).

Es liegt auf der Hand: Die globalen Notenbanken wollen die Aktienmärkte noch höher treiben und die Herde folgt bereitwillig. Die Aussage der Aktienkurse, die eine deutliche wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung "einpreist", weicht immer stärker ab den fundamentalen Gegebenheiten ab. Wir hatten uns mit dieser Thematik vor kurzem schon einmal beschäftigt. Die Entwicklung in den USA trägt diesen Erwartungen noch am ehesten Rechnung, aber auch hier zeigen sich Brüche.

Mittlerweile setzt sich der zur Jahresmitte in Gang gekommene Sturz der Ölpreise fort. Letztlich ist das durch alle Sonderfaktoren hindurch ein für die makroökonomische Verfassung der Weltwirtschaft ungünstiges Zeichen. Aber wahrscheinlich gibt es keinen Rohstoff, dessen Preisentwicklung gleichzeitig so stark von politischen (externen) Faktoren mitgestimmt wird, wie die beim Öl. Ob exorbitant steigende oder fallende Ölpreisen – beide Bewegungen zeigen zudem zunehmende geopolitische Spannungen an. Um den historischen Hintergrund zu beleuchten, zunächst der folgende Chart von Bloomberg:

Die nach der Rezession 2008/2009 schnell wieder ansteigenden Ölpreise wirkten sich in den von der Finanzkrise besonders stark betroffenen entwickelten Ländern hemmend auf das Wachstum aus. Gleichzeitig dienten sie Russland dazu, die Kriegskasse zu füllen, was Putin erst in die Lage versetzte, im Ukraine-Konflikt aufzutrumpfen. Die OPEC hat angekündigt, dass sie ihre Förderung nicht drosseln wird – ihr Tagesziel liegt bei 30 Millionen Barrel. Der globale Öl-Markt verbraucht täglich 92 Millionen Barrel, das Angebot liegt eine Million Barrel höher.

Mit weiter sinkendem Ölpreis kommt Russland allmählich in die finanzielle Klemme, der „Westen“ rechnet sich dadurch aus, dass Putin im Zaum gehalten werden kann. Gleichzeitig bedeuten weiter sinkende Ölpreise, dass das Fracking mit seinen höheren Gestehungskosten immer weniger wirtschaftlich wird. Die USA förderten Ende Oktober nahezu neun Millionen Barrel Öl pro Tag, so hoch wie zuletzt 1985, das Fracking trug dazu mit fünf Millionen Barrel bei.

Sollten sich die Verhältnisse in Lybien stabilisieren, sollten die Investitionen im Irak zum Tragen kommen, sollte das Theater um das iranische Atom-Programm beigelegt werden, so könnte das tägliche Angebot an Öl um bis zu vier Millionen Barrel ansteigen.

Gleichzeitig stottert die Nachfrage in Europa, das erneut in eine Rezession abzurutschen droht. Auch in China erlahmen die Wachstumskräfte. Der IWF hat seine Wachstumsprognose für 2014 mittlerweile zum dritten Mal in diesem Jahr auf jetzt 3,3% herunter revisiert.

Neben der durch makroökonomische Durchhänger gekennzeichneten nachlassenden Nachfrage gibt es aber auch andere Gründe, die die Nachfrage drücken. Dazu zählen billigere Alternativen, Umweltgesichtspunkte und eine verbesserte Effizienz etwa bei Verbrennungsmotoren, Heizungen und anderen Anlagen.

Zwischen 1976 und der Jahrtausendwende bewegten sich die Ölpreise in einer Spanne zwischen 12 und 40 Dollar pro Barrel. Seit der Spitze der Fahnenstange Mitte 2008 läuft der Preis von Brent Öl in einem großen „Wimpel“. Aktuell ist charttechnisch naheliegend, dass zunächst das Abwärtspotenzial bis rund 55 Dollar ausgelotet wird (dick gekennzeichnete Zone im Chart). Vermutlich wird der Preis von hier aus wieder nach oben abprallen und im großen Rahmen in dieser Wimpelformation oszillieren (Oberkante aktuell 115 Dollar).

Die Spitze des Wimpels liegt etwa bei 2020 – möglicherweise hält die oszillierende Preisbewegung innerhalb der Formation also noch einige Jahre an. Ein Ausbruch nach oben erscheint mir nach Lage der Dinge unwahrscheinlicher als ein Duchbruch nach unten. Wenn es stimmt, dass über alles gesehen die Faktoren, die den Preis drücken, ein höheres Gewicht haben wie diejenigen, die ihn stützen, dann ist für die nächsten Jahre eher davon auszugehen, dass die Preisentwicklung bei rund 90 Dollar gedeckelt wird (rote Linie). Nicht zu vergessen auch die Tendenz, dass insbesondere sehr einseitig auf das Ölgeschäft ausgerichtete Länder ihre Produktion mit sinkenden Preisen eher ausweiten, um Einnahmeeinbrüchen entgegenzusteuern. Das wiederum drückt aber die Preise nur weiter nach unten.

Normalerweise haben sinkende Ölpreise eine wachstumsfördernde Wirkung. Der pro-Kopf-Verbrauch an Öl ist in den USA am höchsten. Ein Fall der Energiepreise stärkt die kaufkräftige Nachfrage daher hier besonders. Fallen die Benzinpreise um zehn Cent, führt das zu jährlichen Einsparungen der Verbraucher von 120 Dollar. Der Anteil der Energiekosten an den Haushaltsbudgets geringer verdienender Familen hat sich über die Jahre immer mehr vergößert. Bezogen auf ein Familieneinkommen von jährlich 50.000 Dollar und darunter lag der Anteil 2012 mit durchschnittlich 21,4% doppelt so hoch wie 2001.

Den besser gestellten Verbrauchern stehen die Verluste in der Ölproduktion gegenüber. Die Förderkosten steigen mit den schwieriger werdenden Ausbeutungsbedingungen. Die meisten großen Ölprojekte wurden geplant in der Annahme, der Ölpreis werde über 90, bzw. 100 Dollar bleiben. Das ist gegenwärtig unwahrscheinlich. Und so liegen einige Megaprojekte momentan auf Eis – sprichwörtlich z.B. die in arktischen Regionen.

Etwa ein Drittel der Investitionsausgaben im S&P500 entfällt auf den Energiesektor. Die große Mehrheit der Öl- und Gas-Firmen erzielt positiven freien Cashflow erst bei Ölpreisen von über 100 Dollar, wenn sie ihre Investitions- und Dividenden-Programme beibehalten. Das Management wird sich an die veränderte Situation anpassen müssen. Das Kürzen von Investitionen lässt sich dabei am schnellsten bewerkstelligen. Dann könnte das Abstossen von nicht zum Kerngeschäft gehörenden Assets folgen, sowie das Abschreiben unrentabler Anlagen und Projekte. Erfahrungsgemäß ziehen sich solche Anpassungen über zwei Jahre oder mehr hin.

Die Fracking-Industrie ist besonders betroffen. In den zurückliegenden fünf Jahren hat diese Industrie Milliarden Dollar an Investionen bewerkstelligt und zehntausende an gut bezahlten Jobs geschaffen. Bei aktuellen Ölpreisen ist etwa 50% der Fracking-Projekte unwirtschaftlich. Unklar ist, wie groß die Verschuldung der Cashflow-negativen Firmen ist, die solche Projekte entwickeln. Energie-Anleihen kommen auf nahezu 16% des 1,3 Billionen Dollar großen Junk-Bond-Marktes. Immerhin ist der Ölpreis, den die nordamerikanische Fracking-Industrie als Breakeven braucht, von 70 Dollar in 2013 auf jetzt 57 Dollar zurückgegangen. WTI-Öl kostet aktuell 66 Dollar, Brent kommt auf 70 Dollar.

Die OPEC-Produzenten haben einen langen Atem. Sie dürften die Fracking-Industrie gegenwärtig bewusst vorführen und testen, wie lange sie durchhält. Historisch gibt es eine Parallele, als in 1980er Jahren die Ölförderung in Alaska und in der Nordsee Gestalt annahm. Damals startete die OPEC einen Preiskrieg, in dessen Folge der Ölpreis von etwa 40 Dollar auf 10 Dollar 1986 sank.

Es gibt noch eine weitere geschichtliche Parallele: Mitte der 1980er Jahre zwang die niedrigen Ölpreise die Sowjetunion in die Knie und weitere zwei Jahre an wirtschaftlicher Stagnation ließen anschließend das System dort zusammenbrechen.

[Karrikatur von Klaus Stuttmann – mit freundlicher Genehmigung]

In der Vergangenheit erhöhten steigende Ölpreise die Wahrscheinlichkeit für militärische Konflikte. Nun könnten sinkende Ölpreise ein sogar größeres Risiko militärischer Auseinandersetzungen heraufbeschwören.

Putin hat seit seinem Machtantritt Ende der 1990er Jahre den Ausbau des Energiesektors stark gefördert, um Russland zu Wohlstand und Macht zu verhelfen. Er sieht in wirtschaftlicher Stärke die Voraussetzung für geopolitischen Einfluss. Allerdings fördert eine solch einseitige Ausrichtung der Volkswirtschaft auf die Förderung von Öl und Gas die sogenannte holländische Krankheit: Die breite technologische Entwicklung bleibt auf der Strecke, die Basis der Volkswirtschaft wird ausgehöhlt.

Russland braucht Ölpreise jenseits 100 Dollar, um seine Staatsausgaben finanzieren und die nationale Sicherheit erhalten zu können. Also wird Putin alles daran setzen, sich dem weiteren Fall der Ölpreise entgegen zu stellen. Das wird er tun entweder durch regelrechte Kriegshandlungen oder durch verdeckte wirtschaftliche Sabotage. Russland ist die achtgrößte Volkswirtschaft, nach Anteil der Militärausgaben kommt das Land aber auf Platz drei hinter den USA und China. Zwischen 2008 und 2013 ist das Militärbudget um 31% angewachsen. Das Land schickt sich an, der weltweit größte Waffenexporteur zu werden.

Putin dürfte massiv daran interessiert sein, die internationalen Spannungen zu verstärken. Das dürfte die These weiter sinkender Ölpreise am ehesten auf die Probe stellen.

Mit sinkenden Ölpreise sind die auf alternative Energieen ausgerichteten Industriezweige erheblich unter Druck gekommen. Solar-Aktien stürzen seit Jahresmitte ab. Andererseits hat sich gerade die Photovoltaik mittlerweile etabliert und kann in vielen sonnenreichen Regionen zu wettbewerbsfähigen Preisen liefern. Allerdings dürften Technologien, die sich in Frühstadien ihrer Entwicklung befinden, stark von niedrigen Ölpreisen betroffen sein. Auch die offshore-Windenergie mit ihren hohen Investitionskosten dürfte darunter leiden.

Es gibt zwischen dem Verlauf der Ölpreise und dem des Goldpreises einen engen Zusammenhang (Bestimmtheitsmaß 0,70). Rohöl repräsentiert etwa die Hälfte des Werts aller gehandelten Rohstoffe, es steht in enger Beziehung zur realen Weltwirtschaft. Gold gilt als sicherer Hafen. Wenn sich der Ölpreis (hier Oil Brent) besser entwickelt als der von Gold, kann angenommen werden, dass der Bedarf an Absicherung nachlässt, während sich die Wirtschaft in vergleichsweise gutem Zustand befindet.

In der Vergangenheit ging die Outperformance von Gold (Finanzkrise) gegen Öl Ende März 2009 zu Ende, dann nochmals Ende August 2011 (US-Schuldenkrise). Perioden nachhaltiger Outperformance von Öl endeten im Juli 2008 und im April 2011 (US-Schuldenkrise im Anzug). Zu Jahresbeginn 2013 startete Öl eine weitere Phase von Outperformance gegen Gold 2013, die im Frühjahr diesen Jahres ausgelaufen scheint. Seit September hat sich das Blatt gewendet und Gold zeigt Anzeichen, sich besser zu entwickeln (besser gesagt weniger schlecht als Öl).

[Unter Verwendung von Material aus "Stray Reflections"]

Fazit:
Die Ölpreise dürften noch längere Zeit unter Druck bleiben und vermutlich den Bereich von 90 Dollar auf Sicht einiger Jahre nicht übersteigen können. Der sinkende Anteil der Energiekosten an den Verbraucherbudgets schafft Raum für andere Verbrauchsausgaben, so dass andere Industriezweige profitieren. Der Effekt mag per Saldo leicht positiv für das Wachstum der Gesamtwirtschaft sein. Dagegen steht das Risiko, dass durch den Ölpreisverfall Assets in der Energieindustrie in massivem Umfang vernichtet werden.
Mit nachhaltig sinkendem Ölpreis steigen in der aktuellen geopolitischen Gemengelage die internationalen Spannungen. Vor allem Russland dürfte diese schüren, u.a. weil das Land dringend auf hohe Ölpreise angewiesen ist.

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