Wokeismus – ist das links oder kann das weg?

Ein Bäcker in Heilbronn wurde von der Antidiskriminierungsstelle der Stadt abgemahnt – er verziert seine Berliner/Krapfen im Fasching mit Figuren, die neben Chinesen und Cowboys auch schwarze und indigene Menschen zeigen. Die Karnevalsgesellschaft von Ober-Mörlen schafft ihr historisches Fastnachts-Symbol „Mohr von Mörlau“ ab.

Nachrichten wie diese gibt es genug – da werden Mohren-Apotheken umbenannt, Neger-Küsse und Mohrenköpfe natürlich auch. Und so weiter und so fort. Straßen heißen plötzlich anders. Ganz schlimm wird es, wenn Bücher verschwinden, weil sie ein falsches Wort im Titel oder im Inhalt führen. Das erinnert mich an Bücherverbrennungen unseligen Angedenkens. Wenn Kulturgüter auf den Index kommen…

Mittlerweile gilt die Verfasserin der Harry Potter Romane, J. K. Rowlings, als transfeindlich. Und ein großer Teil des Quantitätsjournalismus unterstützt das. Auch die BBC lässt sich auf dieses Eis ziehen. Sie beteuert ihre Bemühungen, bei diesem schwierigen Thema fair und objektiv zu sein, habe aber keine Hinweise finden können.

„Woke" bedeutet „wach", „erwacht". Entstanden in den 1930er Jahren, war dieser Begriff ursprünglich mit der systemischen Kritik an Machtstrukturen und entsprechenden Forderungen an die Politik verbunden. Die Black-Lives-Matter-Bewegung griff ihn ab 2014 neu auf. Mit seiner Verbreitung wurde der Begriff auf ein allgemeines Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit reduziert. Die Frage nach den systemischen Ursachen sozialer Ungerechtigkeit wird nicht (mehr) gestellt.

Die heutige woke Praxis hat fatale Ähnlichkeit mit der Inquisition im Mittelalter. Was damals die Hexen (und Hexeriche) waren, sind heute weiße Männer mit heterosexueller Orientierung. Sie sind die geborenen Täter, sie haben die heutige Gesellschaft geprägt, von der schreiendes Unrecht gegen alle und jeden (m/w/d) ausgeht. Wie im Mittelalter müssen sie fürchten, jederzeit ans Licht gezerrt zu werden. Mit Glück können sie dem gesellschaftlichen Tod noch durch Selbst-Geißelung entrinnen.

Sehen wir mal davon ab, dass die Genderista genau das praktizieren, was sie ihren modernen Hexerichen unterstellen – die Verfolgung und Unterdrückung einer bestimmten Gruppe der Gesellschaft. Wenn sie als Mittel ihrer Auseinandersetzung wenigstens noch zu einer sachlichen argumentativen Auseinandersetzung kommen, so wie es in einer Demokratie sein sollte…

Stattdessen wird der autoritäre Zeigefinger gehoben, es trieft vor moralischen Belehrungen. Cancel Culture steht für Ächtung und Unterdrückung missliebiger Meinungen. Rationalität, Nachdenken, Nachforschen, Interesse an nachprüfbaren Erkenntnissen, das zählt nicht. Wünsch Dir was. Der schrillste Ausdruck dieser Haltung ist die Behauptung, es gebe mehr als zwei Geschlechter.

Macht eine pseudoakademische Gesinnungsdiktatur einer ergebnisoffenen Diskussionskultur den Garaus?
Wie ist es dazu gekommen, dass sich der Wokeismus mit seinem Hauptthema „Diskriminierung“ zu einer gesellschaftlich relevanten Bewegung entwickelt hat?

Liberalismus versus Identitätspolitik
Francis Fukuyama schrieb 1992 in „Das Ende der Geschichte“, dass sich die liberale Demokratie nach westlichem Vorbild auf der Welt durchgesetzt hat. Das politische System der liberalen Demokratie erfülle die menschlichen Bedürfnisse am besten. Fukuyama stellte dabei aber auch Frage, ob dieses System mit den gleichen Rechten für alle dem Bedürfnis des Einzelnen nach Anerkennung gerecht werden könnte.

In seinem neuen, im Herbst 2022 erschienenen Buch schreibt Fukuyama, genau der Liberalismus, der die westliche Demokratie auszeichnet, hat eine Gesellschaft mit tiefen inneren Gräben geschaffen. Die Bedrohung des Liberalismus von innen komme davon, dass die Grundprinzipien des Liberalismus ins Extreme getrieben worden sind. Der rechte Neoliberalismus sei der eine, die linke Identitätspolitik der andere Pol. Identitätspolitik will den Bedürfnissen/Ansichten einer spezifischen Gruppe von Menschen zu Einfluss in der Gesellschaft verhelfen.

Der Liberalismus sieht die Freiheit und Autonomie des Individuums im Mittelpunkt. Jeder Mensch, jedes Mitglied der Gesellschaft hat die gleichen angeborenen und unveräußerlichen Rechte. Jedes Mitglied hat das Recht der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit. Das war die Antithese zur persönlichen Unfreiheit und Ungleichheit im Feudalismus des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Und sie war auch geschichtlich notwendig: Damit sich der Kapitalismus durchsetzen konnte, musste das Individuum persönlich frei sein, um dem Unternehmer seine Arbeitskraft verkaufen zu können.

Offenbar wird aber das Individuum nicht immer als über der Gruppe stehend gesehen. Wie das?

In der Geschichte gab es immer wieder Phasen, in denen identitäre Bewegungen eine besondere Bedeutung hatten. Im späten 18. Jahrhundert gab es die konservative Reaktion gegen den universellen Anspruch der Aufklärung mit der romantischen Verklärung der eigenen Kultur und Geschichte. So ähnlich gab es auch noch einmal im späten 19. Jahrhundert. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts war die Jugendbewegung einflussreich, die der Industrialisierung eine Hinwendung zum Naturerleben entgegensetzte. Das Aufkommen des Faschismus in den 1920er und 1930er Jahren fällt ebenfalls in die Kategorie der Identitätspolitik; in Deutschland war es der „Arier“, dessen Rolle in der Geschichte gestärkt werden sollte.

In den USA entwickelten die Afroamerikaner in den 1980er Jahren ein kollektives Bewusstsein – eine große Gruppe in der Gesellschaft forderte ihre Rechte. Es folgten andere, eher isolierte Bewegungen mit relativ geringer gesellschaftlicher Bedeutung nach. Dann kam Trump. Er war zeitweilig in der Lage, mit „America first“ zu mobilisieren, so dass er trotz klarer antiliberaler Aussagen (und späterer) Politik zum US-Präsidenten gewählt wurde. Er betrieb eine Identitätspolitik für weiße, heterosexuelle (protestantische) Männer, um deren Platz in der Gesellschaft zu sichern. Dieses Zwischenspiel brachte den Wokeismus entscheidend voran.

Der (moderne) Mensch kann nur in einer Gruppe existieren. Er ist ein gesellschaftliches Wesen. Der Liberalismus propagiert aber das Individuum als absoluten Wert. Dieser Grundwiderspruch zwischen Individuum und Gesellschaft lässt das Pendel mal mehr in Richtung „unbedingte indiduelle Freiheit“, mal mehr in Richtung „Gruppe/Gesellschaft“ ausschlagen.

Was bewirkt den Pendelschlag? Sind es die wirtschaftlichen Verhältnisse? Ich denke, die spielen die Hauptrolle, sei es auf der Ebene der gesamten Gesellschaft oder bei einzelnen Gruppen. Je mehr sich materielle Grundlagen verbessern, je eher wird der Wert der individuellen Freiheit hoch gehalten. Dies konnte man in der langen Phase der Globalisierung mit ihrer zeitweiligen Prosperität sehen. Je mehr aber die materielle Lage unsicherer wird und sich verschlechtert, je eher ist die „Gruppe“ wichtig. Sie bietet Schutz und verschafft Geltung.

Wenn es stimmt, dass ein Zusammenhang besteht der Bedeutung identitärer Bewegungen und wirtschaftlichen Verhältnissen: Nach einer langen Phase der Prosperität im Rahmen der in den frühen 1970er Jahren eingeleiteten Globalisierung mit der Öffnung von Grenzen und Köpfen, sowie der Abwesenheit umfassender identitärer Bewegungen – wie sieht es aus mit den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen?

Kapitalismus in Problemen
Die in den frühen 1970er Jahren eingeleitete Globalisierung hat in den 2000er Jahren ihren Zenith überschritten. Das Verhältnis zwischen Volumen des Welthandels und Welt-BIP erreichte 2008 sein Topp (sieher hier!). Damit einhergehend begannen die wirtschaftlichen Wachstumskräfte nach 2000 nachzulassen.

Die Finanzkrise 2008 führte beinahe zum Zusammenbruch des Finanzsystems, das die dominierende Rolle im Wirtschaftsgeschehen übernommen hat. Die Verteilung von Einkommen und Wohlstand wird immer ungleicher, diese Entwicklung setzte sich nach 2008 beschleunigt fort. Die Realeinkommen der Mittelschicht stagnieren seit rund drei Dekaden bestenfalls.

Der Kampf um die Verteilung des erwirtschafteten Mehrprodukts wird härter, die wirtschaftlich bestimmenden Kreise sind zu Zugeständnissen nicht bereit. Auch innerhalb dieser Kreise wird mit immer härteren Bandagen gekämpft. Das färbt auf das gesellschaftliche Klima ab.

Die Gesamtverschuldung besonders in den Ländern der entwickelten Welt hat Formen angenommen, die zu zunehmender Instabilität führen. Die Finanzkrise hat diesen in den frühen 1980er Jahren begonnenen Trend nur kurz pausieren lassen.

Die gegen die Auswirkungen der zunehmenden Überschuldung gerichtete Geldflutpolitik der Zentralbanken führt zu immer umfassenderer Manipulation von Zinsen und Preisen. Das setzt das freie Spiel der Marktkräfte, das zentrale Element im Kapitalismus, immer weiter außer Kraft. Das führt zusammen mit ausufernder Bürokratie zu nachlassener Innovationskraft und abnehmender wirtschaftlich-gesellschaftlicher Initiative.

Wie in der Corona-Zeit zu sehen werden die demokratischen Rechte eingeschränkt. Mit unterschiedlichen Rechten für Geimpfte und Ungeimpfte wird verfassungswidrig die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 unterlaufen, die eine Rückkehr zu Ungleichheit und totalitärer Herrschaft verhindern soll. Es wird versucht, internationalen Organisationen Befugnisse zu übertragen, die diese über die Nationalstaaten stellen – siehe hier.

Das alles steht unter dem Stichwort „Great Reset", mit dem die für die Situation der Weltwirtschaft Verantwortlichen als moderne Rattenfänger von Hameln umherziehen, um die Massen mit der angeblich drohenden Klimakatastrophe hinter ihren Versuch zu bringen, das gesamte soziale und wirtschaftliche ihren Interessen gemäß umzugestalten. Das zeigt auch, dass den im WEF versammelten Eliten der Ernst der (wirtschaftlichen) Lage sehr wohl bewusst ist.

Ich verweise auf zahlreiche Einträge hier zur wirtschaftlichen Entwicklung, insbesondere auch zur Einkommensverteilung, zur Geldflutpolitik der Zentralbanken, zur Finanzialisierung der Wirtschaft.

Auf der geistig-geschichtlichen Ebene hatte ich mich mit dem Thema u.a. in "Die moderne Pest" und in "Evolution, Wettbewerb, Tod und Corona" beschäftigt. Siehe auch Beiträge zu „Totalitarismus"!

Kein Wunder, dass in einer solchen, nicht gerade nach wirtschaftlichem Wohlergehen aussehenden Zeit Gruppen-orientierte Bewegungen von gesellschaftlicher Bedeutung entstehen.

Die heutige Gender-Bewegung ist entstanden in einem Umfeld beständig zunehmender wirtschaftlich negativer Veränderungen. Die Sorge vor dem Zusammenbruch der Art Wirtschaft, wie wir sie kennen, ist mehr als berechtigt. Eine solche Situation befördert identitäre Bewegungen, in Krisenzeiten gewinnt die „Gruppe“ an Bedeutung. Das Individuum sucht deren Schutz, die Gruppe strebt die Stärkung ihres Einflusses in der Gesellschaft an.

Man kann natürlich fragen, was das Woke-tum mit den problematischen wirtschaftlichen Verhältnissen zu tun hat. Einen direkten wirtschaftlichen Bezug gab es aber auch bei früheren identitären Bewegungen nicht, etwa bei der romantischen Bewegung im 19. Jahrhundert. Auch der aufkommende Faschismus hatte die wirtschaftlichen Zustände selbst nicht als Kern-Idee. Bei der Bewegung der Afroamerikaner in den USA ging es vor allem um die rechtliche Lage.

Wenn man die beiden Pole von Fukuyama aufgreift (s.o.!), dann steht der eine, der Neoliberalismus, für das, was der Wokeismus bekämpft, die Dominanz des weißen Mannes. Insofern spiegelt sich die ökonomische Situation in der Ideologie der Genderista wider – wenn auch völlig verzerrt und ohne systemischen Bezug.

Wokeismus und die Neukonfiguration der Wissenschaft
Die Entstehung des Wokeismus geht mit einem sich verändernden gesellschaftlichen Konsens hinsichtlich der Rolle der Wissenschaft einher. Ich beziehe mich im folgenden im wesentlichen auf den Artikel „The Ghosts of Science Past“ – Die Gespenster der wissenschaftlichen Vergangenheit.

Während es vor 2015 noch gelegentliche Diskurse darüber gab, ob der Kreationismus wissenschaftlich besser begründet werden könnte als die Evolutionstheorie, schien es ab etwa 2015 nur ein einziges wissenschaftliches Thema zu geben, das in nennenswertem Umfang umstritten war: Insbesondere ein Teil der Liberalen propagierte die Idee, dass menschliches Geschlecht und Gender fließende, nicht-binäre Spektren sind.

Noch 2015 hätte das jeder Biologe, der sich mit der Evolution oder Entwicklung von Säugetieren auskennt, als absurd bezeichnet. Doch nach und nach wurden fließende menschliche Geschlechts- und Gender-Spektren irgendwie zu einer grundlegenden, unbestreitbaren biologischen Tatsache. Gemeinsam wurde ein falscher Konsens geschaffen. Diejenigen, die anderer Meinung waren, kamen auf die schwarze Liste.

Dann kam Covid, und damit wurden die zuvor erprobten Methoden der künstlichen Erzeugung wissenschaftlicher Unterstützung zur Legitimierung von Ideologie und Politik zur Norm. Vor März 2020 war der wissenschaftliche Konsens über Abriegelungen, soziale Distanzierung, Masken, Simulations-Modelle und Impfstoffe relativ eindeutig. Er lehnte alle die Maßnahmen ab, die von den „Follow The Science"-Anhängern gefordert und letztlich durchgesetzt wurden.

Es galt als unbewiesen, dass Abriegelungsmaßnahmen die Ausbreitung von Atemwegsviren wirksam stoppen. Die Wissenschaft hinter den Regeln zur sozialen Distanzierung galt als völlig veraltet. Der Nutzen der meisten Masken wurde bestenfalls als begrenzt angesehen, ebenso wie die Vorhersagekraft epidemiologischer Modelle. Die allgemeine Meinung über die Entwicklung von Impfstoffen war, dass sie mindestens ein Jahrzehnt dauerte. Siehe hierzu auch „Covid-19 – war alles bekannt…“!

Doch der Konsens in all diesen Fragen änderte sich mit rasender Geschwindigkeit. Es gab keine stichhaltigen Beweise, die diese Kehrtwende hätten rechtfertigen können. Aber plötzlich wurde überall behauptet, die Wissenschaft habe diese Maßnahmen schon immer unterstützt. Einen Wissenschaftler zu finden, der etwas anderes behauptet, war fast unmöglich.

Eine Neukonfiguration hatte stattgefunden. Diejenigen, die nicht mit dem übereinstimmten, was nun schon immer der Konsens war, wurden schikaniert, denunziert, vertrieben, zensiert und mit rechtlichen Konsequenzen bedroht. Sie waren „Wissenschaftsverweigerer", ähnlich wie diejenigen, die die Evolution ablehnen oder den Klimawandel leugnen oder wie die, die nicht verstehen, dass Menschen einfach ihr Geschlecht ändern können.

Kommunikatoren, die sich früher damit beschäftigten, Nicht-Wissenschaftlern gute Wissenschaft zu vermitteln, übernahmen die Rolle von Marketingberatern für das öffentliche Gesundheitswesen. In Podcasts warben sie für Freiheit durch Gehorsam. Als eines der Ziele wissenschaftlicher Bildung galt plötzlich, Respekt und Pflichtgefühl zu entwickeln gegenüber den neuen Dogmen – nicht nur in Bezug auf Covid, sondern auch in Bezug auf das Klima und die Erforschung des Geschlechts.

Die Diskussion über wissenschaftliche Bildung wird seit Jahrzehnten geführt. Konsens war bisher, Wissenschaftspädagogen und -kommunikatoren sollten aufklären und vermitteln. Nicht indoktrinieren. Auf diese Weise, so die Hoffnung, würden die Menschen Verständnis für unterschiedliche wissenschaftliche Konzepte entwickeln und sich ihre eigene Meinung zu politisch oder kulturell umstrittenen wissenschaftlichen Fragen bilden.

Man muss weit zurückgehen, etwa zur Eugenik-Bewegung des frühen 20. Jahrhunderts oder zur Praxis der Wissenschaft in Sowjetrussland, um einen angemessenen Vergleich zu dem Ethos zu ziehen, das heute in Wissenschaft und Gesellschaft in Bezug auf die politisierten wissenschaftlichen Themen herrscht.

Viele derjenigen, die behaupten, die Wissenschaft zu vertreten, sind nicht mehr objektiv. Wissenschafts-Pädagogen lehren Orthodoxie. Kommunikatoren führen unverhohlene Marketingkampagnen durch. Wissenschaftliche Konsense werden je nach Bedarf hergestellt. Alle diese Komponenten der Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse und des Aufbaus von Vertrauen in die Wissenschaft sind heute Instrumente zur Förderung und Unterstützung der offiziellen Politik. Alle sind zu Geistern dessen geworden, was sie einmal waren.

Genau das beschreibt auch wesentliche Merkmale des Wokeismus: Mit Brachialgewalt werden sogenannte Erkenntnisse postuliert, die bestimmten Interessen dienen. Die Wissenschaft verleugnet ihre Prinzipien, sie verkommt zur Dienstleistung, hängt diesen sogenannten Erkenntnissen ein wissenschaftliches Mäntelchen um. Zugleich wird gefordert, dass die Öffentlichkeit diesen neuen Dogmen geflissentlich zu glauben hat. Demokratische Willens- und Wissensbildung war gestern, folgen ist heute. Dies umzusetzen ist zur vorrangigen Aufgabe der Quantitätsmedien geworden.

Heute ist dieses „woke“, morgen kann es jenes sein – angeblich wissenschaftliche Erkenntnisse wechseln wie die Mode. Wer nicht mitzieht, ist reaktionär. So wird ein heilloses Durcheinander produziert. Dieses Chaos macht schwindelig, lenkt von Wesentlichem ab. Und so lässt sich der Orientierungslose dann umso leichter am Nasenring durch die Manege ziehen.

Wenn wir nicht aufpassen, macht eine pseudoakademische Gesinnungsdiktatur einer ergebnisoffenen Diskussionskultur den Garaus.

Zentrales Thema der Gender-Bewegung ist die „Diskriminierung“. Alles und jedes ist in unserer Gesellschaft in beliebiger Hinsicht diskriminiert. Immer kleinere vermeintliche Opfergruppen werden identifiziert, um dann die Schnittmenge „Unterdrückung“ herauszuarbeiten. Darin spiegelt sich in gewisser Weise zwar einerseits das liberale Ideal des Individuums mit dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wider. Dies erfolgt aber in einer völligen Übersteigerung und Verzerrung, die darauf hinausläuft, die materiellen und gesellschaftlichen Zusammenhänge zu negieren, denen alle Individuen unterworfen sind.

So lenkt der Fokus der Genderista-Identitätspolitik ab von gesellschaftlichen Aspekten, z.B. vom dreißig Jahre währenden Trend in den meisten liberalen Demokratien hin zu immer größerer sozioökonomischer Ungleichheit. Er lenkt ab von den großen Herausforderungen, vor denen wir mittlerweile mit der Finanzialisierung der Wirtschaft stehen. Das ist ganz entscheidender Aspekt.

Als Olaf Scholz noch Kanzlerkandidat war, behauptete er, er sei „intersektionaler Feminist“. Die traditionelle Wählerschaft der SPD kann mit diesem Geschwurbel nichts anfangen. Aber diesem Funktionär einer Partei, die sich immer noch als Vertretung des „kleinen Mannes“ sieht, war ein Kniefall vor den Kulturkämpfern des „Wokeismus“ wohl ein besonderes Anliegen.

Noch schlimmer treibt es „Die Linke“, der Sahra Wagenknecht vorwirft, dem woken Wahnsinn zu frönen, anstatt sich ernsthaft um die materiellen Lebensumstände der „kleinen Leute“ zu kümmern. Der Niedergang klassischer linker Parteien fällt nicht zufällig zusammen mit dem identitätspolitischen Eifer ihrer Funktionäre: Wer seiner potenziellen Wählerschaft unentwegt erzählt, irgendwelche Geschlechter seien die eigentlichen Herausforderung unserer Gesellschaft, braucht sich über zunehmende Bedeutungslosigkeit nicht zu wundern, wenn diese gleichzeitig erleben muss, dass ihre materielle Situation immer unsicherer wird.

Mittlerweile hat der mediale Hype um Sex und Gender ein für viele nicht mehr nachvollziehbares Ausmaß erreicht. Sie sind vom permanenten Regenbogen-Bekenntniskitsch genervt und wollen sich nicht einreden lassen, dass es mehr als zwei biologische Geschlechter gibt.

Je unsinniger und jeder Vernunft widersprechend eine „woke“ Argumentation wird, je unversöhnlicher ist der Auftritt der Protagonisten. Da wird dann jemandem das Recht abgesprochen, seine Meinung zu sagen, weil er privilegiert oder nicht-diskriminiert ist. Es wird eine Art endzeitlicher Ausnahmezustand herbeigeredet und damit ein aggressives Auftreten gerechtfertigt.

Der woke moralische Absolutheitsanspruch will Widerspruch dauerhaft unterbinden, insofern trägt er auch totalitäre Züge. Das fängt bei der verordneten Gendersprache an Universitäten an und erfasst zunehmend auch Behörden und öffentliche Einrichtungen. Es endet schließlich am Abgrund kontrafaktischer Regelungen wie dem geplanten „Selbstbestimmungsgesetz“. Danach soll jeder Mensch in Deutschland künftig sein Geschlecht selbst festlegen und in einem einfachen Verfahren beim Standesamt ändern können soll. Und das ab 14 ohne Zustimmung der Eltern.

Was bei dem Versuch heraus kommt, den Kampf gegen die Diskriminierung über alles zu stellen, zeigt sich auch an der grünen Familienministerin Lisa Paus. Sie will ein breites Bündnis gegen „Sexismus in der Gesellschaft” schaffen. In der Gesellschaft brennt es woanders. So wäre es eine Kernaufgabe ihres Amtes, mit aller Macht die verheerenden Auswirkungen der Corona-Politik auf Kinder und Familien anzugehen. Stattdessen hat Paus Nebenkriegsschauplätze wie Männerwitze, anzügliche Bemerkungen oder sexistische Werbung im Auge.

Das Perfide am Gender-Sprachgebrauch ist meiner Meinung nach, dass damit vorgegeben wird, man vermeide alle Ungleichheit und Diskriminierung. Damit wird auch der Eindruck erweckt, es gäbe so etwas in der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht. Oder es kommt darin der Glaube zum Ausdruck, die Realität würde sich der Sprache anpassen. Beides trägt dazu bei, die tatsächlichen Missstände zu perpetuieren.

Letztlich ist die woke Bewegung gegen die Aufklärung gerichtet. Die Aufklärung liefert uns den gemeinsam anerkannten rationalen Rahmen, in dem sich unsere Gesellschaft, die Politik unseres Staatswesens, die Bewertung von Zuständen und Maßnahmen, der Blick auf die Wirklichkeit bewegt. Die Genderista untergraben diese gemeinsame gedankliche Basis unserer Gesellschaftsform und ersetzen sie durch Wunschdenken und Willkür. Sie bewegen sich in einem eingebildeten Raum, mit wenig Bezug zur Wirklichkeit.

Die woke Ideologie weist durchaus Parallelen zu romantischen Bewegungen früherer Jahrhunderte auf. Hier liegen vermutlich auch die ideologischen Wurzeln für die immer wieder zu erkennende Industriefeindlichkeit.

Zurück bleibt geistiges Chaos und Spaltung der Gesellschaft. Hinzu kommt die Ablenkung von, sowie die politische Untätigkeit bei (existentiellen) Themen, die die gesamte Gesellschaft betreffen, wie etwa die ungleichmäßige Verteilung von Wohlstand und Einkommen und insgesamt die immer fragilere wirtschaftliche Basis. Hier kommt das mit der "Klimahysterie" und der daraus abgeleiteten absurden Wirtschaftspolitik der Dekarbonisierung der Energieproduktion zusammen.

Wem nutzt das? Jede Spaltung der Mehrheit der Bevölkerung, die nicht zu den großen Eignern an Produktionsmitteln dieser Gesellschaft gehört, jede Ablenkung von den systemischen Ursachen nutzt eben diesen. „Teile und herrsche“ hat schon Machiavelli als Rezept der Herrschenden vorgeschlagen. Die eigentlich Herrschenden im Kapitalismus, das sind großen Eigner an Produktionsmitteln. Die Verfechter des Wokeismus besorgen in Zeiten sich verstärkender wirtschaftlicher Krisenzeichen deren Geschäft.

Und damit bin ich auch bei der Frage: Was ist links am Wokeismus? Antwort: Nichts. Links ist all das, was im Interesse der arbeitenden Bevölkerung ist. Wer Gender-Gaga, Wokeismus oder wie man auch immer dazu sagt, als links bezeichnet, betreibt die Spaltung linker Politik.

Und noch etwas: Woke Kulturkämpfer haben oft einen akademischen Hintergrund. Das alleine ist kein Qualitätsmerkmal. Intelligenz, politische Haltung und Weltanschauung haben wenig miteinander zu tun. Intelligenz ist ein wertfreies Werkzeug, man kann sie für mannigfache Zwecke gebrauchen. Das war schon immer so, siehe z.B. auch viele führende Köpfe der Nazis.

Wokeismus – ist das links oder kann das weg? Ist nicht links und kann weg.

[Unter Verwendung u.a. von Material aus dieser, dieser und dieser Quelle; andere Quellen sind im Text verlinkt.]

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