Künstliche Intelligenz – Fluch, Segen oder was?

Künstliche Intelligenz (KI) – sie wird unser Leben grundlegend umkrempeln, heißt es. Die einen sagen, zum Guten, die anderen glauben, es führt in eine Katastrophe. Schon bald könnten Roboter die Menscheit drangsalieren, wird befürchtet.

Die meisten, die sich mit dem Thema beschäftigen, machen sich nicht klar, was sich hinter „KI“ verbirgt. „KI“ basiert nicht mehr und auch nicht weniger auf einem elaborierten Lernprozess mittels künstlicher neuronaler Netze. Die Grundlagen hierfür wurden bereits in den 1940er Jahren gelegt.

Ich will hier nicht die gesamte Geschichte ihrer Entwicklung nacherzählen. Letzten Endes wurde die Weiterentwicklung und der praktische Einsatz solcher, den Vernetzungen im (menschlichen) Gehirn nachempfundenen Techniken lange durch die Entwicklung der Computertechnik gehemmt. Es mangelte an entsprechend leistungsfähigen Prozessoren, sowie an großen und schnellen Massenspeichern. Und auch an in ausreichender Menge und Qualität vorliegenden digitalen Daten.

Die sogenannte „KI“ basiert auf einem Lernprozess. Sie ist nicht selbst intelligent, daher lässt sich „KI“ auch mit „keine Intelligenz“ übersetzen (siehe hier). Je größer die dem Lernprozess zugrundeliegende Menge an Daten ist, je umfassender diese das gesamte Spektrum der Möglichkeiten in Bezug auf das Lernthema abbilden, je besser kann das Ergebnis dieses Lernprozesses sein.

Wenn z.B. in der Medizin für eine automatische Diagnose von Gewebeveränderungen nur wenige Muster vorliegen und diese auch nur relativ einseitig bestimmte Ausprägungen darstellen (z.B. gut- oder bösartig), dann ist das Ergebnis einer solchen Diagnose unzureichend. Liegen hingegen sehr viele Muster vor, die sich über einen weiten Bereich in der pathologischen Einordnung erstrecken, dann kann man gute Resultate erwarten.

Wenn irgendetwas in diesem Prozess „intelligent“ ist, dann ist das einerseits die schöpferische Intelligenz der Programmierer solcher neuronaler Netze und andererseits bezogen auf das vorangegangene Beispiel die berufliche Intelligenz der Mediziner etwa bei der Auswahl und Bewertung der zu lernenden Muster. Es ist wie bei jeder Investition – der kreative Aufwand in der Entwicklung einer Anlage ist hoch, umso günstiger ist dann das damit produzierte Ergebnis im Sinne von Kosten, Quantität und Qualität.

In Zusammenhang mit „KI“ wird gerne von historischen Dimensionen gesprochen, wenn es um die Besonderheiten dieser Technologie geht. Dem kann ich folgen.

Technologie - ein kurzer historischer Abriss (Aufklappen)
Die erste Phase der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft ist am Übergang des Menschen als Jäger und Sammler zur Sesshaftigkeit mit Ackerbau und Viehzucht festzumachen. Es wurde erforderlich, zu planen und zu lagern. Das erforderte ein tieferes Verständnis der Abläufe in der Natur. Damit wurden auch Technologien wie Kalender und Dokumentation erforderlich, was die ersten Ansätze zu Symbolik und Schrift hervorbrachte.

Die nächste Etappe verbinde ich mit der Schaffung des Geldes vor rund 10.000 Jahren. Mit arbeitsteiligen Produktionsweisen entstand zunächst der einfache Tauschhandel. Demgegenüber erwies sich ein allgemein akzeptiertes Zahlungsmittel als effizienter. Dieses Warengeld erleichterte die Akkumulation von Werten, die einerseits zur Ungleichmäßigkeit der Vermögensverteilung innerhalb der Gesellschaft, andererseits dann vor rund 5.000 Jahren zu Kredittätigkeit, resp. zu Verschuldung führte. Geld begründete und festigte gesellschaftliche Macht. Sie wurde mit der Abkehr vom Warengeld zunehmend abstrakter. Warengeld unterlag noch dem Auf und Ab des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, Münzgeld oder Schuldtitel hingegen nicht.

Da „Land“ als Quelle von Reichtum verstanden wurde, lag es nahe, diesen dadurch zu vermehren, dass man über die eigenen geographischen Grenzen hinaus expandierte. Das führte zur Entwicklung von Fortbewegungsmitteln, zur Entwicklung der Waffentechnik, ganz allgemein zur Entwicklung der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse vorrangig unter dem Aspekt der extensiven Produktions-Steigerung.

Mit der industriellen Revolution als dritte Etappe kam der Umbruch zur intensiven Steigerung der Produktion. Die handwerkliche Fertigung trat in den Hintergrund. Die Produktivität stieg durch Mechanisierung enorm an. Mit der Entwicklung der Fertigungstechnik ging der Anteil der körperlichen Arbeit immer weiter zurück. Die Kopfarbeit wurde immer wichtiger, es fand ein qualitativer Sprung statt.

Die nächste, vierte Etappe in der gesellschaftlichen Entwicklung des Menschen sehe ich in der Entwicklung der Informationstechnologie, resp. Mikroelektronik (hier als Synonyme gebraucht). Das gleiche Bild der Verlagerung in Richtung Kopfarbeit: Viele Köpfe erdenken die Computertechnik in Hard- und Software, vergleichsweise wenige Hände stellen sie her.

Das Besondere der Mikroelektronik: Sie liefert die technische Voraussetzung dafür, dass auch viele Tätigkeiten der Kopfarbeit durch Automaten ersetzt werden kann. Das gilt auch innerhalb der Informationstechnologie. Programme sind bisher noch häufig auf spezielle Aufgaben hin entwickelt worden. Mit der Entwicklung der KI nimmt der spezifische Anteil in und an Software ab. Kopfarbeit von Programmierern für anwendungsbezogene Software kann zunehmend durch generische Methoden ersetzt werden.

Die Entwicklungslinie der gesellschaftlichen Technologie folgt klar dem Muster, Handarbeit durch Kopfarbeit zu ersetzen. So entstand etwa mit der Sprache die Möglichkeit, gesellschaftliches Wissen zu speichern. Es blieb so verfügbar und konnte weiterentwickelt werden. Mit der industriellen Revolution und der damit in Zusammenhang stehenden Aufklärung gab es einen entscheidenden Schub in Richtung Kopfarbeit.

Von der Hand- zur Kopfarbeit - Beispiele (Aufklappen)
Die Einführung der Druckerpresse im 15. Jahrhundert war für die Gesellschaft umwälzend, es handelte sich um die erste Massenproduktion der Geschichte. Vorher gab es Tausende von Menschen, hochqualifizierte Schriftgelehrte, „Buchmaler", Künstler, die ein Kunstwerk namens Buch produziert haben. Die Kosten dafür entsprachen dem jahrzehntelangen Gehalt eines durchschnittlichen Arbeiters und waren nur für die reichsten Eliten erschwinglich. Die Druckerpresse war in der Lage, Text und Illustrationen zu so geringen Kosten zu produzieren, dass geschickte Manuskriptkopierer in weniger als einem Jahrzehnt überflüssig wurden.

Anstatt dass Heerscharen an Landarbeitern auf den Feldern arbeiteten, ist im industriellen Zeitalter eine Maschine unterwegs. Deren Entwicklung brauchte viele intelligente kreative Köpfe. Einmal erdacht konnte sie immer wieder eingesetzt und neu hergestellt werden. So sind wir von 80% der Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten, über einige Generationen hinweg auf ein Prozent gekommen.

Ein modernes Tabellenkalkulationsprogramm auf einem handelsüblichen Laptop kann die Arbeit von 1.000 Personenstunden oder mehr in wenigen Sekunden erledigen. Das Aufkommen der maschinellen/elektronischen Datenverarbeitung hatte zwei Auswirkungen. Erstens kostete es Tausende von Menschen, den damaligen „Computern", ihren Arbeitsplatz. Aber zweitens sanken die Kosten für die Datenverarbeitung extrem. Das führte zu einem massiven Aufschwung der Wirtschaftstätigkeit. Die Dinge wurden schneller, billiger und bequemer, und zwar in einem Ausmaß, das noch 1955 wie Science-Fiction gewirkt hätte.

Und KI: Es ist konzeptionell nicht schwierig, mit Hilfe der Verarbeitung natürlicher Sprache alle möglichen Wortfolgen für Dokumente zu erstellen, die von Haikus (Haiku gilt als die kürzeste Gedichtform der Welt) bis zu riesigen Bänden reichen. Die Speicherung und Indexierung dieses Fundus in physischer Form wäre vielleicht nicht möglich, ist aber auch nicht zwingend nötig – wozu gibt es digitale Massenspeicher.

Und so gibt es vielleicht bald nichts mehr zu schreiben. Alles, was wir brauchen, ist, den richtigen Text aus der Universalbibliothek zu verwenden. Also werden viele, die ihren Lebensunterhalt mit Schreiben verdienen, künftig überflüssig. Das gilt zumindest für Routineaufgaben.

Die Entwicklung von Wissenschaft und Technik dient im Großen und Ganzen dazu, die Existenzbedingungen der menschlichen Gesellschaft zu verbessern und abzusichern. Das ist im Interesse der Mehrheit. Auf einer größeren Zeitskala sehen über Jahrhunderte hinweg im Falle vieler neuer Technologien immer dasselbe: Handarbeit wird durch Kopfarbeit ersetzt. Dieser Prozess nutzt dem Ziel, die Existenzbedingungen zu verbessern. Auch dadurch, dass gesellschaftliches Wissen immer preiserter verfügbar wird.

Die Interessen derjenigen, die über die Produktionsmittel der Gesellschaft verfügen, sehen die Produktion hingegen immer stärker von einem Verwertungsinteresse aus. Die Sicherung der existentiellen Grundlagen der Gesellschaft steht aus dieser Sicht nicht im Fokus. Gleichgültig wie, Hauptsache, die eigene Macht wächst immer weiter an, gestützt auf Geld und Kapital.

Beruhte in der ersten Phase der gesellschaftlichen Entwicklung Autorität (Führung) noch weitgehend auf „Weisheit“ hinsichtlich des Verständnisses natürlicher Abläufe, so fusst sie mit der Schaffung des Geldes und darauf folgend des Kredits in der zweiten Phase immer stärker auf abstrakter geldlicher Macht.

Das war der entscheidende politische Umbruch in der menschlichen Gesellschaft – es entstanden zwei Klassen. Die eine besitzt die Produktionsmittel der Gesellschaft, die andere ist gezwungen, ihren Lebensunterhalt als Abhängige zu verdienen. Dieser Weg führte von der direkten körperlichen Abhängigkeit über Zwischenstufen zum freien Lohnarbeiter des Kapitalismus, frei von Produktionsmitteln und persönlich frei zum (erzwungenen) Verkauf seiner Arbeitskraft.

Die Technologie der KI ist wie jede andere Technologie an sich wertfrei. KI zählt zu den Produktionsmitteln, die beherrschende Minderheit der Gesellschaft verfügt darüber genauso wie über andere Produktionsanlagen auch. Das bedeutet, der Einsatz der KI wird von deren Interessen gesteuert. Und da hört die Wertfreiheit jeder Technologie auf.

Bisher war die große Linie in der Entwicklung der Technologie der Ersatz von Hand- durch Kopfarbeit. Mit KI existiert nun eine Technologie, die das Potenzial der Mikroelektronik ausschöpfen und in großem Maßstab Kopfarbeit durch Automaten ersetzen kann. Das ist für mich das historisch Besondere von KI.

Zunehmend dürften Arbeiten, für die früher Spezialisten gebraucht wurden, durch Automaten ersetzt werden. Spezialisten sind weiter nötig, aber nicht mehr so sehr im Tagesgeschäft, sondern in der Entwicklung von KI-Systemen. Letzten Endes übertragen sie ihr Wissen im Rahmen des Lernprozesses in eine KI-gestützte Anlage. So werden im Laufe der Zeit immer weniger Spezialisten benötigt. Gleichzeitig wird deren Wissen immer breiter und billiger verfügbar.

KI trägt wie jede technologische Entwicklung dazu bei, die Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit zu steigern. Dieser Aspekt kann zeitweise einen positiven Beitrag zum wirtschaftlichen Wachstum und Existenzsicherung leisten. Im Endeffekt führt sie aber wie jede andere Innovation auch aufgrund der Machtverhältnisse im Kapitalismus v.a. zu einer Steigerung privater Gewinne, bzw. der zeitweiligen Kompensation tendenziell sinkender Margen.

Es werden also immer weniger Hände und mit KI tendenziell auch weniger Köpfe gebraucht, um die materielle Basis der Gesellschaft zu erzeugen und zu sichern. Aber genau diese Hände und Köpfe sollen die hochautomatisiert hergestellten Produkte kaufen, mit deren Erlösen die Minderheit der Gesellschaft, diejenigen, die über deren Produktionsmittel verfügen, ihre geldliche Macht erhalten und ausbauen.

Die KI verschärft wie jede Steigerung der Produktivität das Grundproblem des Kapitalismus, den tendenziellen Fall der Profitrate. Die KI hat ein besonders großes Rationalisierungspotenzial, was dazu führen dürfte, dass rasch immer weniger, auch ehemals hochbezahlte Menschen in auskömmlicher Lohn-Arbeit sind. Das verschärft den Grundwiderspruch des Kapitalismus und verstärkt die Wahrscheinlichkeit gesellschaftlicher Auseinandersetzungen.

In diesem Zusammenhang kann KI in Verbindung mit entsprechenden Sprachmodellen und Suchmaschinen auch eingesetzt werden, um Zensur auszuüben und so die herrschenden Verhältnisse stabilisieren. Denn sie agiert wie ein menschlicher Autor mit einem Bias in Richtung der Ideologie der Herrschenden. Ich hatte mich hier mit dem Thema beschäftigt. Und, klar: KI findet flächendeckenden Einsatz in der Gesichtserkennung – wozu gibt es überall Kameras? Niemand soll mehr unerkannt unterwegs sein. Aber das ist ja zu unserer eigenen Sicherheit (Weihnachten ist vorbei…).

KI kommt gerade recht, um schwachen wirtschaftlichen Perspektiven etwas entgegenzusetzen. Auf längere Sicht verschärft sie aber die inneren Widersprüche im Kapitalismus. Deshalb die Kameras überall, niemand soll unerkannt unterwegs sein – dank KI-gestützter Gesichtserkennung. Deshalb liefert KI in Suchmaschinen die ultimative herrschaftstaugliche (Miss-)Information.

Es ist mehr als fraglich, ob durch KI in Summe mehr Arbeitsplätze entstehen als wegrationalisiert werden. Wird KI auf mittlere Sicht insbesondere zu einer Entlassungswelle im Tech-Bereich führen, wenn Anwendungsprogrammierer zunehmend durch generische Methoden ersetzt werden?

Bedeutet der Einsatz von KI auch, dass wir als Gesellschaft dem Schreiben weniger Wert beimessen werden? Ich denke ja. So lange sich das auf Routine-Aufgaben bezieht, ist das noch kein wirkliches Problem. Es würde aber eines, wenn diese Haltung übergreift auf kreatives Schreiben, auf wissenschaftliche Abhandlungen, letztlich auf alles, was mit menschlicher Kreativität zu tun hat.

KI steht als Abkürzung auch für „keine Intelligenz“. Das Problem für uns als Gesellschaft ist, wenn wir KI und ihre Ergebnisse als die letzte Wahrheits-Instanz ansehen.

[Unter Verwendung von Material aus „ChatGPT is a Calculator; Deal with It“ und „KI: Die Chance wahrnehmen oder in schwere Krise schlittern“; anderes ist im Text verlinkt]

Siehe auch „Neural Network: A Complete Beginners Guide“!

Aufgeschnappt
Die Maschine schreibt besser als der Mensch. Aber KI hat ein hohes Risiko für Fehler, Missverständnisse und „halluzinatorisches“ Verhalten. Will heißen: Der Mensch denkt besser als die Maschine. Prof. Dr. Franz Rothlauf, Johannes Gutenberg Universität Mainz, sagt: „Maschinen wissen nicht, sondern raten statistisch.“

Nachtrag
Vegane Handgranaten (und andere Deep Truths)
Der Künstler Snicklink verunsichert mit Deep Fakes das Establishment. Dabei steht künstliche Intelligenz erst am Anfang.

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