Globalisierung im Rückwärtsgang

Der Welthandel gilt seit den 1970er Jahren als Triebkraft der Weltwirtschaft. Das Credo der linientreuen Volkswirte lautet: Freie Wechselkurse sorgen dafür, dass sich jedes Land auf seine Stärken fokussiert. Das führt insgesamt dazu, dass die Kosten der weltweiten Produktion einem Optimum zustreben und der Wohlstand insgesamt steigt.

An diesem Credo kann man eifrig zweifeln. Ich hatte mich damit unter anderem hier und hier beschäftigt.

Im Folgenden soll es darum gehen, wie sich der Welthandel tatsächlich entwickelt hat. Ausgangspunkt sind die frühen 1970er Jahre. 1971 wurde das nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene System von Bretton Woods beendet (siehe z.B. hier und hier!), das eine Goldbindung an den Dollar und eine enge Kopplung der Währungen der westlichen Welt an den Dollar vorsah. Zug um Zug wurden die Wechselkurse freigegeben, die dadurch ermöglichte Beweglichkeit des Kapitals sorgte dafür, dass es Länder mit den besten Verwertungsbedingungen bevorzugte. Daraus entstand wiederum eine Konkurrenz zwischen den Nationalstaaten, die dazu beitrug, deren Gestaltungsspielraum etwa hinsichtlich sozialer Aspekte einzuengen und immer stärker an den Kapitalinteressen auszurichten.

Das ist das, was ich unter der mit dem Ende des Systems von Bretton Woods eingeleiteten Phase der finanzkapitalistischen Globalisierung verstehe. Das prägnanteste Merkmal war das Aufkommen der VR China, die nach und nach zur Werkbank der Welt wurde. Die entwickelten kapitalistischen Länder betrieben „Outsoucing“, sie verlagerten immer größere Teile ihrer Produktion nach China und in andere, weniger entwickelte Länder, wo die Kosten wesentlich niedriger waren.

Diese Globalisierung konnte sich jedoch nur mit niedrigen Transportkosten im gesehenen Ausmaß entwickeln. Dazu hofierten die westlichen Regierungen in den Ölförderländern autokratische bis reaktionäre Regimes, die vom Ressourcenreichtum ihrer Ländern persönlich profitierten ohne ihre Bevölkerungen daran teilhaben zu lassen. Diese Oberschichten waren über vielfältige Verbindungen mit dem kapitalistischen Wirtschaftsraum, insbesondere den USA, verbunden. Somit war garantiert, dass sie in der Preispolitik für ihr Öl im wesentlichen den westlichen Interessen entsprachen, die auch ihre Interessen waren.

Dieses Gerüst, das uns gut fünf Dekaden begleitet hat, gerät nun ins Wanken.

Das obere Diagramm im folgenden Chart zeigt in blau die Entwicklung des gesamten Export-Werts in Dollar, die dickere Linie zeigt den polynomischen Trend. In magenta sind die jährlichen Veränderungen dargestellt, die dickere Linie zeigt den gleitenden einfachen Mittelwert über drei Jahre.

Die höchste jährliche Steigerung stammt mit +45% aus dem Jahr 1974. Seitdem sinken die Steigerungsraten in der übergeordneten Betrachtung, wie die gestrichelte Linie andeutet. Der Welthandel zeigt also schon länger Tempoverlust. Er dürfte 2018 sein übergeordnetes Volumen-Topp erreicht haben. Zwar lag der Wert in 2021 darüber, jedoch dürfte das lediglich ein Nachholeffekt sein, nachdem es im Corona-Jahr 2020 deutlich nach unten gegangen war. Der Wendepunkt des Volumenverlaufs liegt in den frühen 2000er Jahren – siehe den oberen Chart!

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Von 18 Produkt-Kategorien der WTO haben folgende im Vergleich zwschen 2018 und 2021 im Welthandel am stärksten verloren: Treibstoffe (-37%), Treibstoffe und Minen-Produkte (-26%), Eisen und Stahl (-21%), Automobilprodukte (-17%), Transport-Ausrüstung (-16%). Am stärksten gewonnen haben in diesem Zeitvergleich: Integrierte Schaltkreise und Elektronik-Komponenten (+34%), Pharmazie-Produkte (+20%), Büro- und Telecom-Ausrüstung (+16%), Textilien (+16%).

Die stärksten Rückgänge im Welthandel in den zurückliegenden 50 Jahren fanden 1982 (-6,4%), 2001 (-4,0%), 2009 (-22,3%), 2015 (-12,9%) und 2020 (-7,2%) statt. Vier von fünf größeren Kontraktionen gab es alleine seit 2000.

Das Diagramm in der Mitte des folgenden Charts zeigt in gelb die Entwicklung des globalen BIP in Dollar, die dickere Linie zeigt den polynomischen Trend. In magenta sind die jährlichen Veränderungen dargestellt, die dickere Linie zeigt den gleitenden einfachen Mittelwert über drei Jahre. Das globale BIP hatte seine höchste jährliche Zuwachsrate 1973 mit 21,9%. Seitdem nehmen die jährlichen Zuwächse übergeordnet beständig ab, wie die gestrichelte Linie nahelegt. Eine Ausnahme stellt das Jahr 2021 dar, hier schlagen höchstwahrscheinlich ebenfalls wie beim Welthandel die Nachholeffekte aus dem Corona-Jahr 2020 zu Buche. Der Wendepunkt im Verlauf des globalen BIPs dürfte um 2010 herum liegen. Kontraktionen des globalen BIPs gab es 1982, 1998, 2001, 2009, 2015 und 2020, auch hier allein vier seit 2000.

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Setzt man den Welthandel zum globalen BIP ins Verhältnis, wie es das untere Diagramm im Chart zeigt, so ergeben sich in 2008 und in 2011 bis 2013 mit jeweils rund 25% Extrempunkte. Das lokale Maximum zuvor lag in 1980 bei 18,1%. Aus heutiger Sicht dürften die Extrempunkte um die Finanzkrise herum zugleich die Zeitpunkte sein, an denen der Welthandel bezogen auf das Welt-BIP die größte Bedeutung hatte. Seitdem lässt die Bedeutung nach.

Sollte die aktuelle geopolitische Ausrichtung ihren Weg in Richtung Entflechtung der Wirtschaftsräume entlang der Machtzentren Wahington, Moskau und Peking fortsetzen, dürfte die finanzkapitalistische Globalisierung ihren Zenith dauerhaft überschritten haben. Dabei hatte sie schon Jahre vorher Ermüdungserscheinungen gezeigt, so dass die mit dem Ukraine-Krieg eingeleitete neue geopolitische Ausrichtung eher nicht die Ursache, wohl aber eine verstärkende Wirkung darstellt.

Gleichzeitig dürfte auch die Phase eines beständig steigenden globalen BIPs zu Ende zu gehen. Dies hätte erhebliche Auswirkungen z.B. auf das Währungsgefüge und insbesondere auf die Entwicklung des Dollar. Die amerikanische Währung verliert dann an Bedeutung als weltweite Leitwährung – mit erheblichen Konsequenzen für die USA und für die Weltwirtschaft insgesamt. Ein Thema für weitere Artikel.

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