Neocons – Strippenzieher im Hintergrund

Die US-Neokonservativen beeinflussen seit vier Dekaden die Außenpolitik der USA. Das gilt über alle Regierungen hinweg, gleich ob Demokraten oder Republikaner den Präsidenten gestellt haben. Was denken die Neocons? Wer sind ihre entscheidenden Köpfe?

Der US-Neokonservatismus hat sich ab Ende der 1960er Jahre zu seiner heutigen Gestalt hin entwickelt. Angesichts des verlorenen Vietnamkriegs brach der passive antikommunistische Konsens weg, der die amerikanische Außenpolitik gekennzeichnet hatte. Man wollte mehr aktive Gestaltung statt Festhalten an Vergangenem.

Die Weltsicht vieler Neokonservativer wird durch Francis Fukuyamas Theorem vom „Ende der Geschichte“ geprägt. Demzufolge hat sich die marktwirtschaftlich organisierte Demokratie westlichen Musters als gesellschaftliches Modell weltweit endgültig durchgesetzt. Folglich gehe es fortan darum, diesen Zustand aufrecht zu erhalten, ihn aktiv zu verteidigen.

Als wichtiger neokonservativer Theoretiker der Neokonservativen gilt der 1973 gestorbene Philosoph Leo Strauss, auf den insbesondere die Idee des „Mythos“ zurückgeht. Sie ist verbunden mit seinem Ansatz, das Volk müsse von der Elite belogen werden. Der politische Mythos sei zwar nicht wahr, aber eine „notwendige Illusion“. Sie sei notwendig, weil die individuelle Freiheit die (einfachen) Menschen dazu verleite, „alles“ in Frage zu stellen. Das könne die Gesellschaft insgesamt zerstören.

Die Grundzüge der Lehre des Leo Strauss
Strauss war von 1949 bis 1968 Professor für Politische Philosophie an der Universität von Chicago. Er hinterließ kein systematisches Werk, sein Fokus lag auf der Interpretation der großen philosophischen Literatur von Plato über Sokrates, Spinoza, Machiavelli und Hobbes bis hin zu Martin Heidegger. Die Rolle der Philosophie bestand für ihn in der Legitimation der Politik, sie gibt ihr ein Fundament, unterscheidet zwischen gut und böse und verleiht ihr so ethisch-moralische Gewissheit.

Wie Heidegger zog Strauss aus der Geschichte des Ersten Weltkriegs und der Weimarer Republik den Schluss, dass sich die Aufklärung mit ihrem positiven Menschenbild und Fortschrittsglauben als Illusion erwiesen hat. So wie er die Aufklärung verachtete, hielt Strauss auch den demokratischen Liberalismus für einen Sündenfall der Politik.

Strauss entwickelte in der Auseinandersetzung mit Heideggers von aller Begründung durch Moral absehenden Existenzialismus seine Theorie, dass Staaten ohne den inneren Zusammenhalt, den ein Glaube verleiht, nicht existieren könnten. Zu einer stabilen Ordnung gehöre deswegen die Religion als Bindemittel. Er gibt zu, sie sei Opium für das Volk, aber das sei ein unerlässlich als geistig-moralischer Halt.

Daraus folgt als praktische Konsequenz: Eliten haben demnach das Recht, ja sogar die Pflicht zur Manipulation der Wahrheit. Sie dürfen „fromme Lügen“ und die Wahrheit selektiv gebrauchen, ganz so wie es Platon empfiehlt.

Strauss fordert eine Rückbesinnung zur antiken platonisch-sokratischen Philosophie. Er betont die naturgegebene Ungleichheit der Menschen – Grund für die „hierarchische Ordnung der natürlichen Verfassung des Menschen“ gemäß Platon. Bei Platon finden sich auch die „Mythen“, nicht nachprüfbare Behauptungen.

Wie weit Strauss der Staatstheorie von Platon folgt, nach der u.a. auch die Fortpflanzung zum Beispiel zum Zwecke der Eugenik staatlich gelenkt werden sollte, ist nicht bekannt. Aber für Strauss ist klar: Es gibt ein Primat des Politischen, das unhinterfragten Gehorsam der Bürger gegenüber dem Staat verlangt und auch nicht durch Berufung auf Individualität und Pluralismus unterlaufen werden darf.

Die Seminare und Vorlesungen von Strauss bekamen Kult-Charakter. Persönlich scheu und zurückhaltend, wollte Strauss offenbar nur Lehrer sein und in der Kritik von Liberalismus und Relativismus von einem elitären Standpunkt aus Antworten auf grundlegende Fragen finden: Was ist Gerechtigkeit, was ist ein gutes Leben, was macht den Staat aus, wo liegen die Grenzen unseres Wissens? Im Wirbel aktueller Ereignisse fielen die Antworten schwer, aber, so Strauss, in den großen Texten der Vergangenheit, etwa bei Plato, Sokrates und Xenophon, würden sie ausführlich behandelt. Äußerungen zu Tagesfragen findet man bei Strauss kaum. (Weiterführend zur Philosopie von Strauss)

Zur gleichen Zeit wie Strauss lehrten auch Hans J. Morgenthau und Milton Friedman in Chicago. Morgenthau propagierte eine realistische Außenpolitik auf Basis einer illusionslosen Haltung gegenüber der Sowjetunion im Kalten Krieg. Henry Kissinger, Sicherheitsberater und Außenminister unter Richard Nixon (1969-1974) und darüber hinaus, war sein bekanntester Schüler. Milton Friedman, der Begründer des Monetarismus und Schüler von Friedrich August von Hayek, forderte den Rückzug des Staates aus dem Wirtschaftsgeschehen. Nach seiner angebotsorientierten Wirtschaftspolitik sollte sich der Kapitalismus dann am besten entwickeln, wenn Unternehmensgewinn und Konsum durch sinkende Steuern wachsen. Das hat bereits unter Reagan für ein rasantes Staatsdefizit gesorgt.

Die Ähnlichkeiten der Ideen von Strauss zum Machiavellismus, wie auch zu Äußerungen von Platon sind unverkennbar. Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch der Altphilologe Donald Kagan als wichtige theoretische Quelle der Neokonservativen gilt. Sein Sohn Robert Kagan plädiert heutzutage unentwegt für Amerikas Bestimmung, Ordnungsmacht der Welt zu sein. Dabei sind moralische Werte Kern seiner politischen Mythenbildung.

Die Lehren von Strauss fanden bereits in den frühen 1980er Jahren Eingang in die Politik, als sich Experten im Planungsstab des Außenministeriums eingehend mit ihnen beschäftigten. Vorher, von 1973 bis 1977, hatte Henry Kissinger als US-Außenminister seine Variante der Realpolitik praktiziert – die Koexistenz mit Autokraten oder Diktatoren, wenn es das Eigeninteresse gebietet. Das war den Neokonservativen zu wenig moralisch und auch zu sehr am Status quo orientiert. Die große Wende in der Außenpolitik gelang aber erst Ende der 1990er Jahre, der „War on Terror" unter Bush war deren deutlichster Ausdruck.

Die grundlegenden wirtschafts- und sozialpolitischen Konzepte der Neocons deckten sich häufig mit Ideen neoliberaler Theoretiker. Deregulierung, Freiheit des Unternehmertums und niedrige Steuern sind demnach wichtiger als ein wirtschaftlich aktiver Staat. Wegbereiter auf der Ebene der Wirtschaftstheorie war u.a. Milton Friedman mit seiner Lehre von der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik. Auf der Ebene der Geldpolitik ist Alan Greenspan zu nennen, der von 1987 an fast 20 Jahre an der Spitze der Fed stand. Die große Welle der Deregulierung Ende der 1990er Jahre fiel mit dem Beginn der Neuausrichtung der Außenpolitik zusammen.

Die erste Phase der „neokonservativen Revolution" fand in der Präsidentschaft von Ronald Reagan (1981-1989) statt, die zweite Phase kam unter George W. Bush (2001-2009) in Schwung. Den Neocons wird nachgesagt, sie hätten de facto die Monroe-Doktrin, mit der im frühen 19. Jahrhundert Nord- und Südamerika zur ausschließlichen Interessenssphäre der USA erklärt wurden, auf den gesamten Planeten ausgedehnt.

Führende Köpfe der Neocons
Der Neokonservatismus prägte etwa durch Paul Wolfowitz und Richard Perle die amerikanische Außenpolitik unter George W. Bush (2001-2009). Beide gelten wegen ihrer Befürwortung militärischer Konfliktregulierung als außenpolitische „Falken“ und als Architekten eines interventionistischen Unilateralismus der USA. Ziel ist es, die US-amerikanische Hegemonie in der Welt zu sichern und internationale Organisationen als Garanten des Weltfriedens entweder abzulösen oder entsprechend dieser Ziele zu transformieren. Perle war als ausgesprochener Kriegstreiber zu Zeiten der Kubakrise Berater von John F. Kennedy, er befürwortet den begrenzten Einsatz von Atomwaffen.

Ganz Straussianer haben Wolfowitz, Powell und andere, die Betreiber des Einmarschs in den Irak, Gründe für den Krieg gegen Saddam Hussein fingiert: Eliten haben das Recht, sogar die Pflicht zur Manipulation der Wahrheit.

Eine Politik der „provokativen Stärke“ durch Wettrüsten empfahl Fritz G.A. Kraemer, jüdischer Emigrant aus Essen, Jurist, US-Offizier und Absolvent, sowie Lehrer am National War College. Er war von 1951 bis 1978 Berater des US-Verteidigungs-Ministeriums und übte wesentlichen Einfluss auf Verteidigungsminister James R. Schlesinger aus. Weitere Zöglinge Kraemers waren Donald Rumsfeld und Alexander Haig. Auch der deutsche Parlamentsberater Hubertus Hoffmann berief sich u.a. in der Rechtfertigung des NATO-Doppelbeschlusses auf ihn.

Kraemers Prinzip „Frieden durch Stärke“ mit der Herausbildung einer starken Elite als Reaktion auf die von ihm als materialistisch, feige und faul bezeichnete bürgerliche Gesellschaft fand auch bei Richard Nixon Beachtung. Nachhaltige Wirkung hatte ebenfalls der aus Tschechien stammende Josef Korbel, der Vater der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright (1997-2001).

Ende der 1970er Jahre rief der Soziologe Irving Kristol dazu auf, das Klima der öffentlichen Meinung umzuformen, um den Kapitalismus zu schützen. Für diese Maßnahmen wählte er den Begriff „Corporate Philanthropy" und stieß damit auf breite Unterstützung bei Unternehmensvorständen und Lobbyisten. In den folgenden dreißig Jahren baute er ein Netzwerk von konservativen Denkfabriken, Stiftungen, Elitejournalen und Massenmedien auf.

„Philantropie“ – da klingelt es doch! U.a. ist da ein Herr Bill Gates am Apparat… Auch die Verbindungen zum Stakeholder-Kapitalismus von WEF-Schwab sind offensichtlich (siehe auch hier!).

Bezogen auf die zurückliegenden 30 Jahre gehörten, bzw. gehören zu den führenden Köpfen der Neocons Norman Podhoretz, Irving Kristol, Paul Wolfowitz, Robert Kagan (Sohn von Donald Kagan), Frederick Kagan (Sohn von Donald Kagan, politischer Kommentator), Victoria Nuland (Ehefrau von Robert Kagan, früher US-Botschafterin bei der NATO), Elliott Cohen, Elliott Abrams und Kimberley Allen Kagan (Ehefrau von Frederick Kagan).

Robert Kagan gilt als Spezialist für internationale Politik, besonders Sicherheitspolitik, Terrorismus, den Balkan, das russisch-amerikanische Verhältnis und Themen rund um die Ost-Erweiterung der Nato. Er agiert(e) als Politikberater für US-Regierungen (unter beiden Parteien) und zählt zu den bekanntesten Neokonservativen in den USA.

Als Veteran der Reagan-Administration (1981-1989) erlangte Kagan in den 1990er Jahren große Bekanntheit, als er das „Project for a New American Century“ mitbegründete, eine Denkfabrik, die sich dem Streben nach einer, wie es hesst, „wohlwollenden globalen Hegemonie" verschrieben hat.

Im Februar 2016 sprach sich Kagan vehement gegen Donald Trump aus und verließ die Republikanische Partei. Er kritisierte Donald Trumps „Faschismus" und erklärte, Hillary Clinton unterstützen zu wollen, um das Land zu retten.

Im in den ersten Monaten des zweiten Irakkriegs veröffentlichten Werk „Paradise and Power" argumentierte Kagan, dass die USA „mit zweierlei Maß messen müssen": Sie müssten eine auf Regeln basierende Ordnung verkünden, aber das Monopol auf Vertragsbruch und Gewalt aufrechterhalten, um den menschlichen Fortschritt voranzutreiben.

Im Jahr 2012, als nach der Finanzkrise der US-Interventionismus in die Brüche gegangen zu sein schien, argumentierte Kagan in „The World America Made", dass sich Amerika nicht im Niedergang, sondern in der Verweigerung befinde. Für ihn gilt: Wenn Amerika nicht da ist, dann -so der Titel von Kagans letztem Buch– „wächst der Dschungel nach" (The Jungle Grows Back).

Robert Kagan hat immer wieder Variationen eines, seines, Themas gesponnen: Amerikas Bestimmung ist es, die Ordnungsmacht der Welt zu sein. Dieses Sendungsbewusstsein verdanke es tief verwurzelten amerikanischen Idealen, die Hauptbedrohung für diesen Willen zur Vorrangstellung kommt nicht von außen, sondern von innen.

Hier gibt es auch einen Bezug zu den Gründervätern der USA. Sie sahen die Nation als „Herkules in der Wiege". Thomas Jefferson schwebte ein riesiges „Reich für die Freiheit" vor. William Seward erklärte, Amerikas Ziel sei es, „den Zustand der Menschheit zu erneuern". Jahrzehntelang hat Robert Kagan versucht, seine Landsleute davon zu überzeugen, ihr geopolitisches Geburtsrecht nicht zu verspielen.

Nachfolgend gehe ich ausführlicher auf die neueste Buch-Veröffentlichung von Kagan ein. Damit soll deutlich werden, wie sich die jüngere Geschichte aus Neocon-Sicht darstellt.

Robert Kagan - Der Geist auf dem Fest
Kagan arbeitet an einer Trilogie zur jüngeren Geschichte der USA. Der erste Band, „Dangerous Nation“ (2006), konzentrierte sich auf die USA des 19. Jahrhunderts, die ihren eigenen Kontinent in Ordnung bringen. Im Januar 2023 ist der zweite Band erschienen. In „The Ghost at the Feast“ (Der Geist auf dem Fest – Amerika und der Zusammenbruch der Weltordnung, 1900-1941) zeichnet Kagan die Chronik der Außenpolitik der USA nach – von der Explosion der U.S.S. Maine in Havanna Harbor, Kuba, im Jahr 1898 bis hin zu Pearl Harbor im Jahr 1941.

Als sich das 19. Jahrhundert dem Ende zuneigte, schreibt Kagan, „hatten die Amerikaner keinen großen internationalen Plan und keine klare Richtung". Andere Nationen waren erstaunt darüber, wie wenig die amerikanische Macht in ihrer Welt wahrgenommen wurde – „das Gespenst auf all unseren Festen", wie der britische Diplomat Harold Nicolson sagte.

Der Spanisch-Amerikanische Krieg gilt in der Geschichtsschreibung häufig als die imperiale Wende Amerikas, als es seine erste Kolonie erwarb und gegen einheimische Rebellen in Übersee kämpfte. Die Wirtschaftsinteressen in den USA waren gegen diesen Krieg. Kagan will zeigen, dass Amerikas frühe Abenteuer im Ausland keine elitären Verschwörungen waren, sondern moralische Unternehmungen mit breiter Unterstützung der Bevölkerung. Außerdem, so Kagan, wären die Philippinen ohne das Eingreifen der USA früher oder später entweder von Deutschland oder Japan übernommen worden.

Die Vereinigten Staaten wurden 1898 zwar nicht zu einer Weltmacht, so Kagan, aber die Nation sei sich da ihrer Fähigkeiten stärker bewusst geworden. Frisch nach dem Sieg über Spanien galten die USA gegenüber den europäischen Großmächten noch als nicht existent, obwohl sie schon die größte Wirtschaftsmacht waren. Im Inland gab es eine starke antiimperialistische Lobby gegen die amerikanische Besetzung der Philippinen. Die Befreiung Kubas von der spanischen Kolonialherrschaft hingegen galt im gesamten politischen Spektrum aber als populär.

Der Erste Weltkrieg war Kagans Ansicht nach eine weitere verpasste Chance für Amerikas imperiale Wende. Moderne Darstellungen „haben den Konflikt seines moralischen Inhalts beraubt", schreibt Kagan, anstatt anzuerkennen, dass der Schrecken eindeutig vom kaiserlichen Deutschland ausging. Kagan zeigt einen zögerlichen US-Präsidenten Woodrow Wilson, der versucht, sein Land aus dem Krieg herauszuhalten. Doch Deutschlands Exzesse erwiesen sich als zu grausam. Also fügte sich Wilson der historischen Notwendigkeit und schloss sich den Alliierten an, um die Welt „sicher für die Demokratie" zu machen, so Kagans Interpretation.

Diese „moralische" Sicht spiegelt zwar die ursprüngliche Version der alliierten Sieger von 1919 wider. Aber objektiv betrachtet war das kein Krieg für die Demokratie, sondern ein Konflikt zwischen Imperien, in dem es den älteren Akteuren, Großbritannien und Frankreich, gelang, ein empor kommendes Deutschland zurückzudrängen, das die koloniale Ausbeute in Afrika und Asien erst spät für sich beanspruchen konnte. Dabei ist auch höchst umstritten, ob Großbritannien demokratischer war als Deutschland.

Nach Darstellung Kagans schreckten die Amerikaner im weiteren Verlauf der Geschichte zunächst vor einer tiefen Verstrickung in das Weltgeschehen zurück und sahen in den nächsten zwei Jahrzehnten zu, wie sich Faschismus und Tyrannei unkontrolliert ausbreiteten und schließlich die liberale Weltordnung zum Einsturz brachten.

Die daraus schließlich resultierende Intervention Amerikas im Zweiten Weltkrieg markierte den Beginn einer neuen Ära, für die USA und für die Welt – die imperiale Wende.

Kritik von Bruce Fein: Die Kalamität der göttlichen Mission der USA
Die Kernaussage von Kagans neuem Buch, schreibt Bruce Fein, lautet in etwa so: Die Amerikaner sind mit einem unverhältnismäßig hohen Prozentsatz an engelhafter, altruistischer DNA ausgestattet, verglichen mit anderen, die nicht ausgewählt wurden. Einzigartig unter den Nationen wollen die USA andere Menschen glücklicher, freier und wohlhabender machen, indem sie gegen Korruption und Tyrannei im Ausland kämpfen. Außerdem sei die Emanzipation fremder Nationen aus dem finsteren Mittelalter der optimale Weg zu optimaler Demokratie, Freiheit und Wohlstand im eigenen Land.

Es sei, so Fein, schwer zu erkennen, welchen Nutzen die USA durch den Spanisch-Amerikanischen Krieg Kuba oder den Philippinen oder sich selbst gebracht haben. Die USA zwangen Kuba den unbefristeten Pachtvertrag für den Marinestützpunkt Guantanamo Bay auf. Sie haben sich jahrzehntelang chronisch in die inneren Angelegenheiten Kubas eingemischt. Sie förderten die militärisch-politischen Geschicke des Diktators Fulgencio Batista, bis er sich 1959 der kommunistischen Revolution von Fidel Castro beugte. Es folgten das Fiasko in der Schweinebucht und die Kubakrise, die die Welt an den Rand des Abgrunds brachte. Kuba sei auch heute noch eine verarmte Militärdiktatur, so Fein.

Den Philippinen erging es nicht besser. Die USA unterdrückten die philippinische Selbstbestimmung im Philippinisch-Amerikanischen Krieg (1899-1902) mit Waterboarding, Massakern, 200.000 toten philippinischen Zivilisten und der Tötung von 20.000 philippinischen Kämpfern, die die Kühnheit besaßen, sich zu den in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung verkündeten universellen Prinzipien zu bekennen.

Die USA beherrschten die Philippinen bis 1946 als Kolonialbesitz und verpatzen ihnen so die Möglichkeit, politisch zu reifen. Die USA unterstützten die Diktatur und die Ausplünderung des philippinischen Diktators Ferdinand Marcos im Tausch gegen die Marinestützpunkte Subic Bay und Clark Air Force Base. Der Hass, den Marcos im philippinischen Volk erweckte, führte 1986 zu seinem Sturz. Heute werden die Philippinen von Marcos' Sohn regiert, der der Demokratie wenig Spielraum lässt.

Fein schreibt weiter in seiner Kritik an Kagan: Der Bedarf, menschliches Elend und rassistische Verfolgung im eigenen Land zu lindern, war zu Zeiten des Kriegs gegen Spanien weitaus größer als ein glaubwürdiges Angebot der Nation an Altruismus oder Großmut für die Welt.

Die weiße Vorherrschaft im eigenen Land war übermächtig. Die straffreie Lynchjustiz gegen Schwarze war nach der Reconstruction gang und gäbe. Schwarze wurden de facto oder de jure unterdrückt, die abscheuliche „Getrennt- aber gleich"-Doktrin war Verfassungsrecht.

Verträge mit Indianerstämmen wurden so routinemäßig gebrochen wie der Auf- und Untergang der Sonne. Das Massaker von Wounded Knee in Süd-Dakota war seinerzeit noch nicht einmal zehn Jahre alt. Und der Chinese Exclusion Act mit der unbarmherzigen Diskriminierung japanischer und chinesischer Einwanderer bei der Vergabe von Arbeitsplätzen, Beruf und Grundbesitz war eines Charles Dickens-Romans würdig.

Frauen waren Bürgerinnen zweiter Klasse, und ihnen wurde das Wahlrecht oder das Geschworenenamt verweigert. Joseph Bradley, Richter am Obersten Gerichtshof, urteilte in Bradwell vs Illinois (1873): „Die vorrangige Bestimmung und Aufgabe der Frau ist es, die edlen und gütigen Ämter der Ehefrau und Mutter zu erfüllen. Dies ist das Gesetz des Schöpfers."

Fein fragt: Wie könnten die Vereinigten Staaten im Ausland jemals Dr. Jekyll sein, wenn sie zu Hause Mr. Hyde sind?

Tod durch unstillbaren Machthunger
Kagan verschließt sich nach Bruce Fein der Vorstellung, dass alle Imperien und selbsternannten Auserwählten wie etwa die USA Kriege um des Krieges und des 'amour propre' willen führen. Sie handeln nicht aus echter nationaler Sicherheit oder aus Wohlwollen gegenüber der Menschheit. Jeder nicht der Selbstverteidigung dienende Krieg stelle die Legalisierung von Mord ersten Grades dar. Das wird normalerweise mit dem Tod bestraft.

Der Wirtschaftswissenschaftler Joseph A. Schumpeter hatte recht, so Fein, als er das Römische Reich als Sinnbild für alle Reiche beschrieb, die sinnlose Kriege um der Herrschaft und Kontrolle willen führen: „Es gab keinen Winkel der bekannten Welt, in dem nicht irgendein Interesse angeblich in Gefahr war oder tatsächlich angegriffen wurde. (…) Wenn es völlig unmöglich war, ein solches Interesse zu erfinden – nun, dann war es die nationale Ehre, die beleidigt worden war."

Senator Albert Beveridge aus Indiana fasste die Essenz von Kagans Denken über die USA als weißer Ritter in einer Rede vom 9. Januar 1900 zusammen, in der er die amerikanische Eroberung der Philippinen verteidigte: „Und von unserer ganzen Rasse hat er [Gott] das amerikanische Volk als die von ihm auserwählte Nation bezeichnet, die schließlich bei der Erneuerung der Welt die Führung übernehmen soll. (…) Wir sind Treuhänder des Fortschritts der Welt, Hüter ihres gerechten Friedens."

Die von Beveridge vertretene Orthodoxie des auserwählten Volkes, die von Kagan -wenn auch in tieferen Oktaven, so Fein- aufgegriffen wird, ist im heutigen Amerika nach wie vor aktuell. In der zweiten Antrittsrede von Präsident George W. Bush hieß es zum Beispiel: „Das große Ziel, der Tyrannei [in der Welt] ein Ende zu setzen, ist das konzentrierte Werk von Generationen. Die Schwierigkeit der Aufgabe ist keine Entschuldigung dafür, sie zu vermeiden.“

Alle Imperien, auch das amerikanische, sterben an ihrem unstillbaren Machthunger, wie etwa Napoleons fataler Fehler zeigt, im Winter nach Moskau zu marschieren und die Stadt in Brand zu setzen. Die Epitaphien der Imperien sind alle gleich: „Hier liegt ein auserwähltes Volk." Kagan sei blind für das verhängnisvolle Ziel, das er dem amerikanischen Volk aufdrängt – so beschließt Bruce Fein seine Kritik an Kagans neuem Buch und damit auch an den Neocons.

Die Ideologie der Neocons ist der von Herrenmenschen wahrlich nicht im mindesten unähnlich… Die USA sind demnach der alleinige Motor des Fortschritts und des Wohlergehens. Sie haben eine „natürliche" Führungsrolle. Nur sie wissen, was gut ist für den Fortbestand der menschlichen Rasse. Anders als andere Herrenmenschen handeln sie aber aus moralischen Beweggründen – meistens, manchmal, gar nicht.

Bleibt zum Schluss die Frage in Bezug auf den sogenannten Strauss'schen Lügen-Mythos (s.o!): Glauben Kagan und die Seinen an das, was sie sagen und schreiben oder sind das lediglich schöne Märchen für die Massen? Sie sind nicht mal schön, eingedenk der Millionen Toter, Opfer all der völkerrechtswidrigen Kriege, die die USA nach dem Zweiten Weltkrieg angezettelt haben.

Der Krieg in der Ukraine ist der Höhepunkt der Aktivitäten der amerikanischen neokonservativen Bewegung in den zurückliegenden Dekaden. Die Neocons beeinflussen seit Jahrzehnten in jeder Regierung die US-Außenpolitik. Sie waren und sind mitverantwortlich für die ständigen Provokationen in der Ukraine und gebrochenen Zusagen in Richtung Russland (siehe etwa hier!). Hervorzuheben sind in Zusammenhang mit dem Maidan-Putsch 2014 auch die Aktivitäten von Neocon und Kagans Ehefrau Victoria „Fuck the EU“ Nuland (siehe z.B. hier!). Darüber hinaus haben sich die Neocons für die Kriege der USA in Serbien (1999), Afghanistan (2001), Irak (2003), Syrien (2011) und Libyen (2011) stark gemacht. Sie endeten allesamt in einem Desaster.

Kann die außenpolitische Richtung der USA der zurückliegenden Dekaden mit der Rechtfertigung der Neocons legitimiert werden, die USA müssten „mit zweierlei Maß messen" und eine auf Regeln basierende Ordnung verkünden, aber das Monopol auf Vertragsbruch und Gewalt aufrechterhalten, um den menschlichen Fortschritt voranzutreiben?
Wenn es den eigenen Interessen dient, ist auch Terror gegenüber den Verbündeten recht – siehe unten!

[Unter Verwendung von Material aus Wikipedia, sowie von dieser, dieser und dieser Quelle; andere Quellen sind im Text verlinkt.]

Ergänzung:
Die Sabotage des Großen Bruders und die gar nicht klammheimliche Freude der Victoria Nuland – „Bei einer Anhörung des Ausschusses für auswärtige Beziehungen des Senats Ende Januar sagte sie zu Senator Ted Cruz: 'Wie Sie bin ich, und ich denke, auch die Regierung, sehr erfreut zu wissen, dass Nord Stream 2 nun, wie Sie sagen, ein Haufen Metall auf dem Grund des Meeres ist.'" Präsident Biden, so der Artikel [von Hersh] weiter, und sein außenpolitisches Team — der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan, Außenminister Tony Blinken und Victoria Nuland, die Unterstaatssekretärin für Politik — hatten sich klar und deutlich gegen die Existenz der beiden Pipelines ausgesprochen.

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