Friedman: Amerikas Krise kommt näher

Neben all den aktuell wichtigen Schauplätzen der Weltgeschichte ist keiner so wichtig wie die Vereinigten Staaten. Es ist das Land mit der größten Wirtschaft der Welt und einem Militär, das, wenn es voll eingesetzt wird, entscheidend sein kann.

Das schreibt George Friedman in „America Approaches the Crisis“. Er projeziert in diesem Artikel sein Zyklusmodell auf den aktuellen Zustand der USA. Sein Zyklusmodell deckt sich hinsichtlich Zeithorizont mit dem anderer solcher Modelle.

Ich greife den Text von Friedman aus drei Gründen auf. Erstens halte ich es grundsätzlich für sinnvoll, bei der Betrachtung längerer Episoden in Zyklen zu denken. Der Mark Twain zugeschriebene Spruch trifft es: „Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich." Zweitens stimme ich mit Friedman darin überein, dass nicht einzelne Personen die Geschichte bestimmen, sondern dass der Lauf der Geschichte bestimmte Personen „nach oben spült“. Und drittens denke ich auch, dass ein entscheidender Faktor ist, was in den USA geschieht und welche Rolle dieses Land in der Welt spielt.

Friedman schreibt: Einige von Ihnen erinnern sich vielleicht an unser Modell der Zyklen, das jetzt immer stärkere politische, soziale und wirtschaftliche Probleme signalisiert, die bis zu den Wahlen im Jahr 2028 andauern werden. Dann wird ein neuer Präsident gewählt, der, unabhängig von seinen Wünschen, die Richtung des Landes dramatisch verändern wird. Vor ein paar Monaten dachte ich, dass wir nicht bis 2028 warten müssten, sondern dass die Wahl 2024 den Wechsel einleiten könnte. Das ist nicht der Fall. Oder, um genau zu sein, das historische Modell des Wechsels alle 50 Jahre setzt sich fort. Die letzte Übergangsphase war die Präsidentschaft von Reagan, die vor 43 Jahren begann.

Um die bevorstehenden Veränderungen zu verstehen, ist es hilfreich, sich an den letzten Zyklus in den 1970er Jahren zu erinnern. Dieses Jahrzehnt war geprägt von einem Krieg mit erheblichen Auswirkungen auf die amerikanische Wirtschaft, verbunden mit einem Ölembargo. Präsident Richard Nixon beendete die Bindung des Dollars an das Gold [Ende des Sytems von Bretton Woods], was zu massiver Arbeitslosigkeit, dramatischer Inflation und schwindelerregend hohen Zinssätzen führte.

Exporte aus Japan schockierten die heimischen Autohersteller. Die Wut über den Vietnamkrieg führte zu sozialen Konflikten in den Vereinigten Staaten, wobei der Rassenkonflikt Ende der 1960er Jahre in Detroit in Unruhen ausartete. 1970 endeten die Unruhen an der Kent State University tödlich, als Studenten von der Nationalgarde erschossen wurden. Am Ende trat der Präsident zurück, um ein Amtsenthebungsverfahren und möglicherweise eine Gefängnisstrafe zu vermeiden.

Das Chaos wuchs in den 1970er Jahren, aber es war die wirtschaftliche Situation, die es verursachte und in der das Chaos wurzelte, wobei der Präsident versuchte, das Modell des letzten Zyklus zu verwenden, um die Probleme zu lösen. Während der Depression [der 1930er Jahre] hatte Präsident Franklin Roosevelt versucht, die Steuern für Reiche und Unternehmen zu erhöhen und den Armen Geld zukommen zu lassen. Dies, sowie der Zweite Weltkrieg und die dadurch geschaffenen Arbeitsplätze führten zur Beendigung der Krise.

Die Fortführung dieses Modells bis in die 1970er Jahre schuf jedoch ein neues Problem, einen Mangel an Investitionskapital. Die einzige Lösung bestand in einer Umgestaltung, bei der die Steuerlast von der investierenden Klasse auf die Mittel- und Unterschicht verlagert wurde, was den Umsatz der Unternehmen und die Nachfrage nach Arbeitskräften erhöhte.

Präsident Jimmy Carter und die Demokratische Partei lehnten diese Umkehrung des Roosevelt-Modells ab -was für diejenigen, die mit dem letzten Zyklus verbunden sind, normal ist- und 1980 wurde Ronald Reagan Präsident. Reagan verfolgte die einzige Option, die Umgestaltung des Steuerrechts. Das hat gut funktioniert, aber jetzt ist dieser Zyklus vorbei. Fast 50 Jahre sind vergangen, und ein Übergang zu einem neuen Modell ist unvermeidlich.

So wie die Wirtschaftskrise in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre zusammen mit all den anderen Kämpfen ihren Höhepunkt erreichte, so zeichnet sich das Gleiche jetzt in den 2020er Jahren ab und wird bis zu den Wahlen im Jahr 2028 seinen Höhepunkt erreichen.

Das ganze Ausmaß des Kampfes ist noch nicht klar, abgesehen von der Wirtschaftskrise, die durch die staatliche Geldschöpfung und die daraus resultierende Inflation entsteht. Wie bei Carter ist dies jedoch nicht nachhaltig. Hinzu kommt die schwindelerregende Verschuldung der Studenten, die in die Universitäten fließt und es ihnen ermöglicht, Projekte zu verfolgen, die ihre grundlegende Aufgabe untergraben und rassistische Spannungen aufrechterhalten. Das Hauptproblem ist auch hier die Relevanz des Steuersystems in einer sich verändernden Realität, aber das System ist nur die äußere Hülle einer viel komplexeren Realität.

Unabhängig davon, wer zum Präsidenten gewählt wird, wird es in der Öffentlichkeit Wut und Angst geben, wie 1980, als die Wähler einen Schauspieler wählten, dessen Feinde ihn für einen Ignoranten hielten. Aber in Wahrheit führt der Präsident den Vorsitz, er regiert nicht.

Es ist die Realität, die zum Handeln zwingt, und ein neuer Präsident wird den Druck spüren und darauf reagieren. Es ist wichtig, sich nicht auf den Präsidenten selbst zu konzentrieren, sondern das Problem zu verstehen. Auf der Suche nach einer Führungspersönlichkeit wird kein Präsidentschaftskandidat das System beruhigen. Das muss später geschehen. Ich habe schon früher darüber gesprochen, aber jetzt kommen wir der Krise näher, schließt Friedman.

Meine Meinung
Ich denke auch, dass der im November neu zu wählende US-Präsident keine solche Führungspersönlichkeit sein wird, die in der Lage sein würde, „das System zu beruhigen“, wie Friedman schreibt. Weder Trump noch Biden haben das Zeug dazu. Dabei sollte man einen weiteren Kandidaten, Robert F. Kennedy Jr., nicht völlig abschreiben. Er könnte als Zünglein an der Waage am Ende aufs Schild gehoben werden (siehe hier!). Immer mehr Wähler haben das in dogmatischer Spaltung kulminierende zwei-Parteien-System satt. Wäre er in der Lage, das Ruder herumzureißen? Letztlich sind nicht die Personen entscheidend, also muss man die Frage stellen, ob die Zeit schon reif ist. Und das denke ich nicht, wir streben eher weiteren vier Jahren mit zunehmendem Chaos zu, aus dem heraus sich dann (meist ziemlich schnell) eine Lösung entwickelt.

Friedman spricht zentrale Punkte an, um die es im Inneren der USA geht:

  • Umverteilung von arm zu reich (siehe etwa den Leser-Kommentar hier), dabei ist das Steuerrecht nur ein Teilaspekt
  • Wirtschaftskrise durch staatliche Geldschöpfung und daraus resultierender Inflation
  • Die Aufrechterhaltung rassistischer Spannungen (ich denke, Friedman meint den Wokismus – siehe z.B. hier!)

Einen weiteren zentralen Punkt erwähnt Friedman nicht explizit, die exorbitante Staatsverschuldung. Sie wird nur über den Komplex der Studenten-Darlehen gestreift. Die Probleme mit der Verschuldung gehen weit darüber hinaus, insbesondere in einer Zeit, in der die Rolle des Dollar als Leitwährung schwindet und damit die Möglichkeit für die USA, Schulden zu „exportieren“. Vielleicht ist Friedman aus einer US-imperialistischen Sicht heraus hier etwas "blind".

Was das von Friedman immer wieder angesprochene Steuersystem angeht, so ist es wichtig, festzuhalten, dass die jüngste große Änderung während der Präsidentschaft von Trump geschah und zu signifikanten Entlastungen von Unternehmen und wohlhabenden Privatpersonen führte (siehe u.a. hier und hier!). Trump hatte in diesem Zusammenhang immer wieder Bezug genommen auf Reagans Steuerreform von Mitte der 1980er Jahre. Trump hat schon angekündigt, dass er als nächster US-Präsident die Steuerreform verlängern/ausweiten würde.

Über George Friedman
George Friedman von Geopolitical Futures ist ein gut vernetzter US-amerikanischer Analytiker der Weltpolitik. Zweifel an der Rolle der USA fechten ihn nicht an. Seine Analysen sind gewöhnlich kenntnisreich und durchdacht. Es schadet nicht, eine USA-zentrierte Sicht zu kennen – das Land ist nach wie vor die bedeutendste wirtschaftliche, politische und militärische Macht auf der Welt.

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