Inflation – die "große Unordnung"

„Der beste Weg, das kapitalistische System zu zerstören, ist die Währung zu verderben.“ Das sagte kein geringerer als Lenin und Keynes bezog sich auf ihn, als er 1919 schrieb:

„Mit anhaltender Inflation können Regierungen still und heimlich einen bedeutenden Teil des Wohlstands ihrer Bürger konfiszieren. … Der Prozess lässt viele verarmen und bereichert wenige. … Lenin hatte sicher recht. Es gibt keinen subtileren, sichereren Weg, die bestehenden Grundlagen der Gesellschaft umzustürzen, als die Währung verderben. Der Prozess lässt alle die verborgenen Kräfte ökonomischer Gesetze auf der Seite der Zerstörung in einer Weise wirken, die kaum jemand zu diagnostizieren in der Lage ist.“ (The Economic Consequences of the Peace (1919), Chapter VI, pg.235-236)

Richard Cantillon hatte schon Jahrzehnte vor Adam Smith beschrieben, in welchen Etappen sich die Inflation durch die Wirtschaft zieht. Dabei sitzen die Profiteure einer solchen Entwicklung nahe an den Geldquellen, sie treiben mit ihrer zusätzlichen Nachfrage Preise an, das erhöht die Einkommen anderer, der Impuls geht durch das gesamte Wirtschaftssystem bis er bei den Ärmsten ankommt, die ihn durch steigende eigene Einkommen nicht kompensieren können. Das wird auch als Cantillon-Effekt bezeichnet.

SocGen Stratege Dylan Grice ist beunruhigt, dass die Zerstörung des Geldwerts erneut zu sozialer Erniedrigung und zu sozialem Chaos führt. Er führt aus, dass letzten Endes alle wirtschaftliche Aktivität auf einen Austausch zwischen Fremden hinausläuft, der auf einem bestimmten Maß an Vertrauen beruhen muss. Geld ist der Vermittler dieses Tauschs. Den Geldwert zu zerstören, bedeutet, Vertrauen zu zerstören.

Grice schreibt, es gebe in der Geschichte zahlreiche Beispiele von „großer Unordnung“, bei der der soziale Zusammenhalt durch Geldentwertung erschüttert wurde. Die nun schon mehrere Jahrzehnte anhaltende Kredit-Inflation dürfte seiner Meinung nach eine ähnlich zerstörerische Kraft entfalten und eine neue „große Unordnung“ herbeiführen. Für die aktuelle Kredit-Hyperinflation sei die anhaltende Liquiditätsflut der Zentralbanken verantwortlich.

Ironie der Geschichte: Keynes hat den Zusammenhang zwischen Geldentwertung und sozialen Unruhen früh erkannt (und u.a. aus diesem Grunde vehement, aber vergeblich dafür plädiert, Deutschland nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg nicht zu stark mit Reparationszahlungen zu belasten). Aber viele seiner heutigen Jünger sind enthusiastische Unterstützer von QE und anderen Geldfluten.

Die sozialen Verwerfungen, die die Politik der Geldentwertung mit sich bringt, sind in den USA heute schon deutlich zu erkennen (Charts: SocGen/Grice). So stagnieren die mittleren Haushaltseinkommen seit bald zwanzig Jahren und die Einkommensverteilung hat wieder Verhältnisse erreicht wie in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. (Siehe auch "Armes Amerika", "USA: Rekorde in jeder Hinsicht" und ""I had a Dream""). Auch die Bank of England hat Mitte August in einer Untersuchung bestätigt, dass QE hauptsächlich den Reichen genutzt hat.

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Mit QE3 unternimmt die Fed einen weiteren Versuch, die Inflation anzuheizen. Nach dessen Verkündung am 12. September ist die Breakeven-Rendite, also die Differenz zwischen normalen und Inflations-gesicherten Bonds, deutlich angestiegen (Chart: Bloomberg). Sie gilt als einfacher Gradmesser für erwartete Inflation. Nobel-Preisträger Krugman sagt dazu, das sei auch genau Sinn der Sache: „QE3 funktioniert so weit.“

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Mittlerweile ist die Breakeven-Rendite mit gut 2% wieder auf den Stand von Anfang Mai gesunken. Das spiegelt die seit Mitte September deutlich verschlechterte Stimmung auf den Finanzmärkten gut wider.

Deflation wird allgemein mehr gefürchtet als Inflation. Das gilt besonders für den Euroraum mit seinem aufgeblasenen Bankenapparat und dessen kurzer Eigenkapitaldecke. Der hieraus erwachsende Druck, Risikoaktiva wie etwa Kredite abzubauen, würde zu schrumpfender Geldmenge führen. Das führte letztlich zu sinkenden Preisen und Löhnen, eben zu Deflation. Kreditfinanzierte Investitionen sind dann nicht mehr rentabel, die Unternehmensgewinne sinken, werden negativ.

Die EZB wirkt dem entgegen, indem sie die Banken mit Krediten zu Sonderkonditionen, etwa den LTROs, zahlungsfähig fähig hält. Mit dem am 6. September beschlossenen OMT-Programm geschieht dasselbe auf Staatsebene. Beides führt zur Ausweitung der Basis-Geldmenge und damit zu Inflationspotenzial. Ob daraus tatsächlich Inflation wird, hängt u.a. davon ab, ob die Kreditnachfrage steigt und wie es gelingt, über den Ankauf von Staatsanleihen Geld direkt in die Realwirtschaft zu leiten.

Die Politik der Regierungen, Pleiten von Staaten und Geschäftsbanken durch Ausgabe von immer mehr Geld abzuwehren, liegt im Interesse von Großindustrie und Finanzbranche. Die gezielt herbeigeführte Inflationspolitik wird auf dem Rücken von Arbeitnehmern und Rentnern ausgetragen. Deren Einkommen steigen (wenn überhaupt) zeitverzögert zu den Preisen, sie sinken real. Und das Vermögen von Sparern wird durch Inflation direkt entwertet.

Den Euro am Leben zu halten („koste es, was es wolle“ – wie zuletzt wieder am Beispiel Griechenland zu sehen), ruiniert die unteren Einkommensschichten.

Die Gefahr der von Grice erwarteten „großen Unordnung“ ist in Europa besonders hoch.

Ergänzung: Der folgende Chart zeigt, wie der Anteil der Löhne und Gehälter am US-BIP im Laufe der Zeit abgenommen, der der Unternehmensgewinne (insbesondere die der Finanzunternehmen) hingegen deutlich zugenommen hat. Der Chart kommt damit aus einem anderen Blickwinkel zu einem ähnlichen Resultat wie die oben gezeigten, insbesondere wenn man einbezieht, dass das BIP über die Jahre deutlich angestiegen ist.

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