Round-up: LTRO

„LTRO“ – die EZB hat in zwei Tranchen vor Weihnachten und Ende Februar insgesamt brutto mehr als eine Billion Euro in das europäische Bankensystem gepumpt.

Die LTROs haben zu einer starken, weltweiten Rallye bei Aktien beigetragen und die Zinskosten für Italien und Spanien gedrückt, die Länder der Eurozone mit dem größten Gefahrenpotenzial für den Euro-Währungsraum. Sie haben Befürchtungen vor einem Zusammenbruch wichtiger Banken oder gleich der Eurozone insgesamt abgemildert.

LTRO – die Abkürzung für „longer-term refinancing operation“: Billige Kredite zu gegenwärtig ein Prozent verzinst – Laufzeit bis zu drei Jahren, mindestens ein Jahr.

Viele Stimmen haben sich zu Wort gemeldet – sie reichen von „Schneeballsystem“ und „Schüren der nächsten Blase“ über „verdecktes QE“ bis hin zu „Zeit erkauft“ und „erfolgreiche Krisenrettungsmaßnahme“. EZB-Draghi feiert sich und seine LTROs schon mal als Erfolg. Meine Meinung dazu unter „Schlussfolgerung“.

Vorher soll untersucht werden, wie solide die EZB eigentlich gehandelt hat bei ihren famosen LTROs – mehr als "ordentlicher Kaufmann" oder mehr als "Scharlatan". Im darauf folgenden Kapitel wird untersucht, welche Auswirkungen die LTROs auf die Kapitalstruktur der europäischen Banken haben.

Die Halbwertszeit der LTROs bezüglich des Krisenherds Spanien scheint gering: Die Renditen für 10-jährige Bonds steigen schon wieder über den wichtigen Pegel bei 5,5%, der IBEX 35, der wichtige spanische Aktienindex, nähert sich seinem Krisentief von 2011.

Das (große) Land leidet an den Folgen einer großen Immobilienblase. Demzufolge ist das Bankensystem hier besonders anfällig, das Aufräumen in den Bankbilanzen dürfte gerade erst begonnen haben. Es ist sicher nicht abwegig, zu behaupten, dass die LTROs zu einem wesentlichen Teil auf Spanien abgezielt haben.

Die EZB - ein 'ordentlicher Kaufmann'?

Wenn jemand Kredite vergibt, will er die mit Zins und Zinseszins zurückhaben. Ein Kreditnehmer wird seine Schulden nur dann zurückzahlen können, wenn er wirtschaftlich „gesund“, d.h. ausreichend produktiv ist. Auch wenn ihn ein Liquiditätsproblem veranlasst hat, ein Darlehen aufzunehmen, kann ihm das gelingen – wenn er das richtige Geschäftsmodell hat. Hat ihn aber ein Solvenzproblem in einen neuen Kredit gedrängt, müssten die Zukunftsaussichten schon exorbitant gut sein, damit eine Chance besteht, überhaupt die Zinsen zahlen zu können.

Unterstellen wir der EZB, sie handelt als ordentlicher Kaufmann. Dann wird sie die enormen LTRO-Kredite in der Überzeugung ausgereicht haben, dass die Banken damit ordentlich wirtschaften. Damit die Kreditnehmer profitabel wirtschaften, brauchen sie ein tragfähiges Geschäftsmodell. Auch die äußeren Bedingungen müssen passen. Die EZB muss sicher nicht davon ausgehen, dass die Banken nach drei Jahren den Kredit vollständig zurückzahlen können und keine Refinanzierung benötigen – das wäre zu schön, um wahr zu sein. Aber die EZB muss davon überzeugt sein, dass sich für die solcherart gestärkten Banken in drei Jahren problemlos private Anschlusskredite finden.

Die Ausgangssituation war im Dezember so: Die Euro-Schuldenkrise eskalierte, die Staatsanleihen in den Bilanzen der Banken verloren drastisch an Wert. Deswegen und wegen bis zur Jahresmitte zu erfüllenden zusätzlichen Kapitalanforderungen (in Summe etwa 115 Mrd. Euro) kamen immer mehr Banken unter Druck. Die sich abzeichnende Wirtschaftsabschwächung tat ein übriges. Es drohte eine Kreditklemme, weil die Banken ihr Risiko reduzieren mussten.

Bei den LTROs haben v.a. Banken aus den PIIGS angestanden. Nach Berechnungen von Analysten der UBS (via FT) ergibt sich folgende Brutto-Verteilung:

  • Italien: 260 Mrd. Euro
  • Spanien: 250 Mrd. Euro
  • Frankreich: 150 Mrd. Euro
  • Irland: 135 Mrd. Euro
  • Deutschland: 100 Mrd. Euro
  • Griechenland: 80 Mrd. Euro
  • Portugal: 50 Mrd. Euro

Spanische Banken haben im Dezember, Januar und Februar ihre Bestände an einheimischen Staatsanleihen um 38% auf 246 Mrd. Euro aufgestockt. Italienische Banken steigerten die ihrigen um 22% auf jetzt 302 Mrd. Euro (Chart von FT Alphaville). Die Zinsen insbesondere für kürzer laufende Anleihen sind als Folge davon deutlich gefallen, die Kurse entsprechend gestiegen.

Spanien hat es auch mittels der LTROs geschafft, bis jetzt 44% seiner geplanten Verschuldung für 2012 sichergestellt zu haben. Bei Italien sind es mehr als 20%. Bei manchen Auktionen sollen 95% des Bietervolumens „Einheimische“ gewesen sein.

So wurden die Refinanzierungsbedingungen der hochverschuldeten PIIGS-Länder ebenfalls erleichtert. Das nimmt heilsamen Druck von ihnen, den sie bräuchten, um in ihren Anstrengungen fortzufahren, ihre Situation zu verbessern.

Die PIIGS-Staaten gelten als überschuldet oder zumindest an der Grenze dazu – seien wir großzügig und legen die Scheidelinie zwischen Solvenz und Insolvenz auf 70 bis 100% Bruttoschulden zu BIP. Ihre Geschäftsmodelle sind zweifelhaft – jahrelang haben sie mehr im-, als exportiert, die Produktivität ihrer Wirtschaft ist zu niedrig, um im einheitlichen Währungsraum punkten zu können (permant negative Leistungsbilanz – Target2-Salden: Siehe hier). (Zum internationalen Vergleich der Verschuldungssituationen siehe auch hier!)

Bis hierhin können wir festhalten: Die ausgesprochen geringen Zinsen, die tief gehängten Anforderungen an die Qualität der zu hinterlegenden Sicherheiten und der große Umfang der LTRO-Mittel, kombiniert mit der extrem langen Laufzeit, haben die Banken zurück in Staatsanleihen getrieben, in einer Zeit, in der die Eurokrise nicht als gelöst betrachtet werden kann.

Dadurch, dass insbesondere in Italien und Spanien beachtliche LTRO-Mittel in den Ankauf von heimischen Staatsanleihen geflossen sind, haben die LTROs die Vetternwirtschaft zwischen Banken und Staaten verstärkt, beider Schicksale noch enger verzahnt. Aber selbst wenn man zwei Ertrinkende zusammen bindet, können sie deswegen noch lange nicht schwimmen.

Das eingegangene Risiko ist immens.

Die EZB hat zu viel zu billig ausgeliehen, sie hat riskante Geschäftspraktiken gefördert, sie hat bisher keine Exit-Strategie erkennen lassen. Die EZB hat nicht als "ordentlicher Kaufmann" gehandelt, die Rückzahlung der LTRO-Kredite ist gefährdet.

Kapitalstruktur europäischer Banken

Mit der Finanz- und Staatsschuldenkrise hat sich die Stellung der privaten Anleihe-Gläubiger verändert. Zuvor waren ihre Ansprüche im Pleitefalle relativ klar, sie standen weit oben auf der Liste, die regelte, wenn es etwas zu verteilen gab. Jetzt aber stehen private Gläubiger bei den Banken der Eurozone weit unten (siehe Chart!). Vor ihnen rangieren Spareinlagen, Covered Bonds und Darlehen der öffentlichen Hände. Und jetzt spielt die EZB eine immer größere, v.a. eine langfristige Rolle.

Ein ähnliche Entwicklung gibt es für Staatsanleihen. Auch hier rangieren private Bond-Halter immer weiter unten – hinter IWF, der EZB und der EIB. Die Kapitalstruktur ist zunehmend politisch dominiert. Die Rolle der Notenbanken wächst, dabei spielt es keine Rolle, ob die direkt oder indirekt (über Geschäftsbanken und LTROs) in Staatsanleihen engagiert sind.

In nicht unbeträchtlichem Umfang haben insbesondere italienische und spanische Banken eigene Anleihen nur zu dem Zweck ausgegeben, sie als Sicherheiten für LTRO-Kredite zur EZB zu tragen. Damit die EZB diese akzeptiert, mussten sie mit einer Garantie der jeweiligen Staaten versehen werden. Es geht dabei insgesamt um nicht weniger als 270,247 Mrd. Euro, mehr als 150 Mrd. Euro entfallen auf Italien und Spanien.

  • Spanien:  79,039 Mrd. Euro
  • Italien: 78,032 Mrd. Euro
  • Portugal: 18,225 Mrd. Euro
  • Irland: 27,707 Mrd. Euro
  • Griechenland: 67,244 Mrd. Euro (!!)

Diese Art Bilanzverlängerung macht die Banken anfälliger, bei den Banken verbleiben weniger Sicherheiten. In schwierigeren Zeiten kommt es so schneller dazu, dass sie ihre Kreditvergabe einschränken. Zudem steigen die Kosten für die Banken, sich mit ungesicherten Krediten selbst zu finanzieren. Für private Anleihegläubiger wird es da immer weniger interessant.

Die Frage der Kapitalstruktur spielt eine große Rolle. Einerseits: Je stärker und länger der öffentliche Einfluss auf Banken ist, je mehr entfernen sie sich vom Markt, die bürokratischen Einflüsse wachsen. Ihre gesamte Geschäftspolitik entfernt sich von ihrer eigentlichen Aufgabe, dem Wirtschaftsmotor das Schmiermittel zu liefern. Andererseits: Je stärker der private Sektor aus der Finanzierung der Banken herausgedrängt wird, je stärker werden die Banken am Tropf der EZB hängen, wenn die LTRO-Laufzeit zu Ende geht. Damit wird eine Situation perpetuiert, die möglicherweise in einer akuten Krisensituationen notwendig sein kann, aber keine tragfähige Grundlage für ein „gesundes“ Geschäftsmodell ist.

Es könnte schließlich sein, dass Banken die Anleihen ihrer Regierungen gerade zu einem falschen Zeitpunkt gekauft haben. Natürlich waren zu Jahresbeginn deren Kurse gedrückt, mit dem LTRO-bedingten Kaufinteresse stiegen sie dann zeitweilig. Aber seit Anfang März sinken sie wieder. Und wenn sie weiter sinken, stehen bald Buchverluste in den Bankbilanzen. Und wenn das so weitergeht, müssen sie mehr Sicherheiten für ihre eigene Finanzierung beibringen. Mit der Konsequenz, dass sie ihre Kredittätigkeit einschränken müssten, mit der weiteren Konsequenz, dass sie für privates Kapital noch weniger attraktiv werden.

Schlussfolgerung

1. In der Situation der Liquiditätsfalle, in der sich die Ökonomien der entwickelten Länder nach wie vor befinden, sind die Transmissionsmechanismen der Geldpolitik gestört (siehe auch hier). Geldpolitische Impulse werden kaum an die Realwirtschaft weitergegeben. So beißt sich die Katze in den Schwanz: Ein anhaltender wirtschaftlicher Aufschwung mit konstanten Wachstumsraten von drei Prozent real würde helfen, die Karre aus dem Dreck zu ziehen. Die Geldpolitik kann in dieser Richtung aber aktuell wenig bewirken. Keynessche Anreize wären wirkungsvoller, dem steht die überbordende Staatsverschuldung entgegen. Einen selbsttragenden Aufschwung sehe ich nicht.

2. Die LTROs fördern dadurch, dass sie das Geschäftsrisiko der Banken minimieren, Selbstgefälligkeit, Complacency. Man entfernt sich von der Realität. Die Bank-Geschäfte laufen ja wieder – da braucht man nichts zu tun. Man glaubt, das ginge so weiter. Und alsbald folgt der Selbsttäuschung der Überschwang, Exuberance. Complacency und Exuberance sind zwei „Ingredienzien“, die zur Kreditblase vor 2008 beigetragen haben.

Die LTROs treiben die Banken zu einem neuen Kredit-getriebenen Rausch – und das ist genau das, was dem offenen Ausbruch der Finanzkrise im Herbst 2008 vorausgegangen ist. Dieses Mal allerdings geht es um Schulden der eigenen Regierungen. Und das ist insofern eine besondere Qualität, weil die Staaten bisher Garanten für die Stabilität ihrer Banken waren.

3. Die EZB hat bis jetzt nicht einmal ansatzweise eine Exit-Strategie erkennen lassen. Die aber wäre nötig, um den Banken klar aufzuzeigen, wohin es gehen muss. Notwendig wären Schritte, die ihren Refinanzierungsbedarf deutlich senken (erfolgreiches Deleveraging). Die Entschuldung der Banken in geordneten Bahnen voranzubringen ist das eine. Das andere ist: Es sind gewaltige Anstrengungen erforderlich, ihre Geschäftsmodelle zu reformieren. Diese Geschäftsmodelle müssen sich wieder an der Realwirtschaft orientieren, die Banken sind ihr Diener, nicht Herrscher. Ein wichtiger Schritt dabei ist, TBTF-Banken zu zerlegen. Ein weiterer ist es, Investmentbanking vom „traditionellen“ Bankgeschäft zu trennen.

Beim Thema "Reformierung des Geschäftsmodells" müsste die Politik der Eurozone die Haupt-Rolle spielen und gestaltende Rahmenbedingungen schaffen. Das, was sich in den zurückliegenden mehr als zehn Jahren eingeschliffen hat, lässt sich nicht so einfach aus der Welt schaffen. Zumal diese Welt dieselbe geblieben ist – damit meine ich dieses unsägliche Bürokratenregime in Brüssel. Die Politik der Eurozone insgesamt hat sich stets treiben lassen und wurde dadurch zum Getriebenen. Von hier aus werden meiner Meinung nach keine konstruktiven Impulse ausgehen.

4. Durch die LTROs wird die Kapitalstruktur der Banken weiter verschlechtert. Der private Sektor kommt durch das starke Engagement der öffentlichen Hände und der EZB noch weiter ins Hintertreffen. Schwer vorstellbar, dass nach Auslaufen der LTROs Bankvorstände besonders an der Finanzierung durch Private interessiert sind. Denn die stellen höhere Renditeanforderungen als die ein Prozent der EZB.

5. Ordnungspolitisch sind die LTROs so verheerend wie die Art der Bankenrettung nach 2008. Sie fördern keinen Bereinigungsprozess, sondern „moral hazard“, sie lassen die Position der Großbanken unangetastet – “too big to fail” lässt grüßen. Nachdem sich die Politik nach 2008 hat erpressen lassen, haben sich jetzt die Zentralbanken in dieselbe Position begeben.

6. Die die von den LTROs geförderte Verquickung von Staaten und Banken senkt auch den Druck auf die Staaten, Reformen durchzuführen, ihnen wird es zu leicht gemacht. Ein gesundes Staatsgebilde ist aber der wichtigste Garant für die Stabilität des Bankensystems.

Die LTROs werden das vorgegebene Ziel nicht erreichen. Mit ihnen wird Zeit erkauft, das stimmt. Zeit hätte man schon gehabt nach 2008, getan hat man nichts. Warum das jetzt anders sein soll, weiß ich nicht. Die Eurozone als politisches Gebilde handelt immer nur unter Druck und nur so lange, bis der Druck nachlässt. Konstruktive, konsequent verfolgte Initiativen gehen von dem Moloch in Brüssel nicht aus. Die schwelenden Probleme zu lösen, ist nicht in erster Linie Aufgabe der Geldpolitik. Mit den LTROS im Umfang von über einer Billion Euro brutto aber macht es die EZB eher schwerer, das Bankensystem zu reformieren, weil der Reformdruck sinkt.

Wenn sich die wirtschaftliche Lage nicht zügig verbessert, werden die Banken möglicherweise gezwungen, ihre schon nicht gerade billig eingekauften PIIGS-Bonds wieder zu verkaufen. Abgesehen von den Auswirkungen auf deren Bilanzen, die die EZB dazu bringen kann, mit ihren LTROs fort zu fahren, muss die EZB dann auch selbst wieder anfangen, Staatsanleihen zu kaufen und bekämpft damit Solvenzprobleme, als wären sie ein zeitweiliges Liquiditätsproblem.

Mir ist klar, dass es in jedem Fall ein Drahtseilakt ist, den Weg zwischen Deleveraging der Banken auf der einen Seite und ausreichenden Krediten für die Realwirtschaft auf der anderen zu finden. Aber dadurch, dass man nichts tut (oder sogar das Gegenteil – LTROs), löst man die Probleme mit Sicherheit nicht. Im Gegenteil – man erzeugt die nächste Blase.

Was muss getan werden
  • TBTF-Banken müssen zerlegt werden
  • Investment-Banking muss ausgegliedert werden, um die Risiken zu trennen
  • Die Geschäftsmodelle der Banken müssen auf die Realwirtschaft zentriert werden
  • Es ist langfristig besser und billiger, marode Banken zu schließen, als sie mit ultrabilligen Krediten am leben zu erhalten. "Marode" meint damit v.a. die Unmöglichkeit eines geordneten Deleveraging
  • Banken sollen ihr Risiko nicht verkaufen dürfen, d.h. sie sind bis zur Fälligkeit für "ihre" Darlehen verantwortlich. Dann kommt es auch nicht zum "Minsky-Moment"

Ist das utopisch?
Im Zeitalter des reifen Finanzkapitalismus – ja!
Die Mittel, um den Zielen näher zu kommen, gibt es – man müsste sie nur nutzen.


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