S&P 500 – Bullenfalle?

Der Dow und der Nasdaq sind nun acht Wochen in Folge gestiegen. Der S&P 500 hat das fast auch erreicht, lediglich die fünfte Woche brachte einen leichten Verlust. Der Januar zeigt das absolut gesehen beste Monatsergebnis seit Start des Bull-Run im März 2009.

Was sind die Gründe? Zunächst einmal ganz „klassisch“ – der vorangegangene Dezember brachte das weitaus schlechteste absolute Monatsergebnis seit 2009. Die technische Situation war krass überverkauft, das Sentiment nach Put/Call-Ratio zeigte sich Ende Dezember 2018 mit bärischem Rekord seit Start des Bull-Run. Mitte Januar 2018 hatte es im bullischen Rekordbereich notiert, kurz darauf setzte eine erste scharfe Korrektur im S&P 500 ein. Jetzt war es eben umgekehrt.

Diese „technischen“ Gründe mögen noch etwas Momentum in der mittlerweile wieder stark überkauften Situation liefern. Ich hatte vor zwei Wochen hier geschrieben, dass der S&P 500 am 62-er Retracement der Abwärtsbewegung zwischen Ende September und Ende Dezember 2018 ein klar bullisches Signal liefern würde, wenn er diesen Pegel (2711) überwinden würde. Das hatte ich zwar für weniger wahrscheinlich gehalten, aber es folgte tatsächlich ein weiterer Anstieg bis an einen Widerstandspegel bei 2740. Die dann folgenden Tage brachten einen Re-Test des Retracements. Der verlief erfolgreich für die Bullen. Und so steht der Index mittlerweile bei 2776.

An der Obergrenze lockt die Bullen jetzt der Punkt, an dem EMA50 und EMA200 sich (erneut) schneiden. Am 10. Dezember 2018 hatte der kürzere exponentielle Mittelwert den längeren nach unten durchschnitten, jetzt fehlen zwischen beiden Zeitreihen 33 Punkte, bis ein erneuter Schnitt erfolgen könnte, der der EMA50 von unten durch die EMA200 nach oben. Das wäre die „Annullierung“ des häufig „death cross“ genannten Schnitts vom 10. Dezember und kann bei rund 2800 erwartet werden.

Fängt dann das Leben wieder an? Oder ist alles nur eine Bullenfalle in einem bärischen Kontext? Also, um im Bild zu bleiben, ein wenn auch ausgedehnter „dead cat bounce“?

Die technischen Gründe hätten vermutlich ihre Wirkung längst verspielt, wenn die Fed nicht rechtzeitig zu Hilfe geeilt wäre. So hatte sie auf ihrer jüngsten Sitzung Ende Januar einen bedeutungsvollen Schwenk vollzogen. Sie bekräftigte erneut, Geduld zu haben mit ihrer Geldpolitik, was die Mehrzahl der Beobachter gleichsetzten mit zumindest einer ausgedehnten Zinspause, wenn nicht schon mit dem Topp des laufenden Zinszyklus. Wichtiger war, dass sie abrückte von ihrer Bemerkung im Dezember, hinsichtlich der Bilanzverkürzung sei man auf „Autopilot“. Man werde die Entwicklung der Bilanz abhängig machen von hereinkommenden Daten, heißt es jetzt. Manche Beobachter sahen darin schon eine erste vorsichtige Ankündigung neuer QE-Maßnahmen.

Das brachte neue bullische Phantasie in den Markt. Die war auch bitter nötig. Für die noch laufende Q4-Berichtssaison wird eine jährliche Steigerung der Gewinne im S&P 500 um 16,2% erwartet. Das ist zwar nicht schlecht, aber schlechter als der Gewinnzuwachs im dritte Quartal 2018 mit mehr als 22%. Schlechter noch, für das laufende erste Quartal 2019 wird erwartet, dass die Gewinne um 0,5% im Jahresvergleich sinken.

Also kann man mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass im dritten Quartal ein Topp im laufenden Gewinnzyklus erreicht wurde. Mit dieser Aussicht ist ein KGV von 30,4 im S&P 500 (nach Shiller – Chartquelle CAPE) hoch – und zwar sowohl im laufenden Bull-Run als auch aus historischer Sicht. Und aus historischer Sicht selbst dann, wenn man eine lineare Regression über den gesamten Zeitraum seit Ende des 19. Jahrhunderts zugrunde legt.

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Hinzu kommen einige Warnungen von Makrodatenreihen. Der US-Einzelhandelsumsatz ist um Dezember so stark gefallen wie in keinem Monat seit Beginn des Bull-Run. Die jährliche Steigerung beträgt nur noch knapp 2,3%. Zudem fällt das US-Verbrauchersentiment im Januar deutlich. Der US-Produktionsindex sinkt im Januar den dritten Monat in Folge. Er hatte sein jüngstes Topp mit 5,66% im September 2018, aktuell beträgt der Zuwachs nur noch 3,80%. Der Preisindex der Rohstoffe (PPIACO) hatte sein jüngstes Topp im Juli 2018 mit +5,58% im Jahresvergleich, aktuell wird lediglich noch ein Plus von 0,35% erreicht, nach +2,95% im Dezember. Damit hat die Fed allen Grund, weitere Zinsschritte zurückzustellen.

Zudem kommen ungünstige Nachrichten von der wöchentlichen Entwicklung der Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe, sie steigen die dritte Woche in Folge. Sie liegen mit 239.000 immer noch unter dem Tief von 259.000 am 14. April 2000, die Trendauswertung zeigt aber Tempoverlust auf dem Weg nach unten an, was ein sehr frühes ungünstiges Omen für die Entwicklung der Arbeitsplätze und damit für die Entwicklung der Kaufkraft des Verbrauchersektors ist. Das bestätigt durch die Hintertür, dass sich die Preissteigerung in einer Toppbildung befindet, was in einer Spätphase der Konjunkturentwicklung typischerweise den Bären gedankliche Nahrung (oder "Phantasie") gibt.

Und so könnte sich die zunächst gefeierte (sprachliche) Umorientierung der Fed rasch ins Gegenteil verkehren. Weil sie eben im Grunde nahelegt, dass sich die Fed auf künftig stärkerem Gegenwind bezüglich der Wachstumsaussichten einstellt.

Dies dürfte so lange noch keine große Rolle spielen, so lange die Hoffnung auf eine Beilegung des Handelsstreits zwischen den USA und der VR China lebt. Immer wieder gab es in den zurückliegenden Tagen Meldungen, die von Fortschritten sprachen. Und wenn es von hier aus nichts neues gab, musste die Annäherung beider politischer Lager in den USA hinsichtlich der Vermeidung eines weiteren Shutdowns der Regierung herhalten.

Der Handelsstreit der beiden größten Volkswirtschaften auf der Welt zerfällt in zwei Komplexe. Da sind einmal die Einfuhrzölle und Gegenzölle. Die chinesische Wirtschaft befindet in einer Schwächephase. Sie hat mit ihrem enormen Kreditwachstum dazu beigetragen, die globalen Folgen der Finanzkrise abzufedern. Mehr als 60% aller neuen Kredite innerhalb der zurückliegenden zehn Jahre auf der Welt gehen auf die VR China zurück. Der folgende Chart zeigt die Entwicklung in China im Vergleich zu den anderen Emerging Markets (Chartquelle).

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Die Verschuldung der Haushalte ist mittlerweile zum größten Treiber der Gesamtverschuldung in China geworden. Neue Konsumenten-Kredite machen nun etwa die Hälfte der neuen Ausleihungen aus. Ihr Anteil am BIP kommt ebenfalls auf rund 50%. Dabei machen die Hypothekenkredite mit 59% den größten Anteil der Verschuldung der Haushalte aus.

Der folgende Chart zeigt die Entwicklung der Konsumenten-Verschuldung im Verhältnis zum BIP für verschiedene Länder auf der Welt. Dabei fällt die rapide Zunahme des Werts für China in den zurückliegenden Jahren auf. Viele Beobachter sehen negative Langzeiteffekte bei einem Wert zwischen 60 und 80%. Der könnte für China schon bald erreicht sein. Und wegen der hohen Anstiegsgeschwindigkeit ist ein kräftiges Überschießen wahrscheinlich (Chartquelle).

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Der langen Rede kurzer Sinn: China muss wegen seiner durch hohe (Immobilien-)Verschuldung getriebenes, nun aber schwächelndes Wachstum ein starkes Interesse daran haben, im Zollkonflikt zumindest einen tragfähigen Kompromiss zu finden.

Anders sieht es aus beim zweiten Komplex. Hier geht es um die Wahrung des geistigen Eigentums, letztlich aber darum, die chinesische Wirtschaft für ausländisches Kapital weiter zu öffnen. Im Rahmen des WTO-Beitritts der VR China wurden Bedingungen ausgehandelt, die den internationalen Handel mit China bis heute bestimmen. Sicher hat China auch (massenhaft) gegen das Recht auf geistiges Eigentum verstoßen, aber die Gelegenheit dazu wurde in den Bedingungen des WTO-Beitritts angelegt (und Gelegenheit macht Diebe). Der damalige US-Präsident Clinton brauchte einen außenpolitischen Erfolg, das internationale Kapital sah mit den Zugeständnissen ungleicher Handelsbedingungen die Chance gekommen, in China Geschäfte zu machen und hoffte auf Wandel durch Handel. Die Hoffnung hat sich nicht erfüllt und nun sollen es die aktuellen Verhandlungen bringen. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass in dieser Frage mehr erreicht wird als irgendwelche unverbindlichen Absichtserklärungen.

Unter diesen Aspekten erscheint viel von dem erhofften Durchbruch bei den laufenden Verhandlungen bereits eingepreist. Und daher ist es wahrscheinlicher, dass eine partielle Einigung von den Aktionären angesichts der überkauften Situation mit „Sell on the news“ beantwortet wird. Sollte in diesem Zusammenhang das 62-er Retracement des Abstiegs von Oktober bis Dezember 2018 respektiert werden (etwa in einer volatilen Konsolidierung), wäre das bullisch zu werten. Wahrscheinlicher ist aber der Rückzug auf das 50-er Retracement bei knapp 2650. Hier liegt insgesamt ein Supportcluster. Ein Durchrutschen auf das 38er Retracement bei rund 2580 ist tendenziell bärisch zu werten, ein Durchbruch darunter würde Ziele bis zunächst zum Dezember-Tief bei rund 2350 aktivieren (Chartquelle).

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Denkbar erscheint aufgrund von Verlautbarungen der amerikanischen Seite auch folgendes Szenario: Die ursprünglich auf Anfang März gesetzte Deadline für die Verhandlungen wird um zwei Monate hinausgeschoben. Das würde die Hoffnung wach halten, wäre aber vermutlich ebenfalls nicht geeignet, dem S&P 500 ein weiteres glattes Durchziehen nach oben zu ermöglichen. Dann wäre mit einer anhaltenden volatilen Seitwärtsbewegung zu rechnen.

In der von zunächst extrem überverkauften Bedingungen und dann von Verlautbarungen der Fed weiter unterstützen bullischen Bewegung seit acht Wochen steckt viel überzogene Hoffnung auf eine Lösung im Handelsstreit USA vs VR China und viel Blindheit hinsichtlich ökonomischer Bedingungen.

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