Israel: Deportation der Gaza-Bevölkerung geplant?

Am 22. September, also zwei Wochen vor der Hamas-Attacke vom 7. Oktober, stellte Israel-Premier Netanjahu bei der UN-Vollversammlung seine Vision eines „neuen nahen Ostens" vor. Dabei hielt er eine Karte hoch, die den Gaza-Streifen, das Westjordanland und die Golanhöhen als israelisches Territorium zeigt, die Palästinensergebiete existieren da also nicht mehr (Chartquelle).

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Nun zeigt ein Dokument aus dem von Netanjahus Likud-Parteifreundin Gila Gamliel geleiteten israelischen Ministerium für Nachrichtendienste, dass das offizielle Israel die massenhafte Vertreibung aller Palästinenser aus dem Gazastreifen -also von über 2 Millionen Menschen- plant. Oder, sagen wir vorsichtig, darüber nachdenkt…

Das von WikiLeaks unter Berufung auf das hebräischsprachige Portal „Sicha Mekomit" jetzt verbreitete Geheim-Papier wurde nur eine Woche nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober abgefasst.

Dort heißt es: Ein Dokument im Namen des Geheimdienstministeriums, dessen vollständiger Inhalt hier zum ersten Mal veröffentlicht wird, empfiehlt den Zwangstransfer der Bevölkerung des Gazastreifens auf den Sinai und fordert, die internationale Gemeinschaft für diesen Schritt zu gewinnen. Das Dokument schlägt auch vor, eine „spezielle Kampagne" für die Bewohner des Gazastreifens zu fördern, um sie „zu motivieren, dem Plan zuzustimmen".

Die Quelle der Nachrichtenseite sagte, dass das „Personal des Ministeriums hinter diesen Empfehlungen steht", dass sie aber „nicht auf militärischen Erkenntnissen beruhen" und nur als „Grundlage für Diskussionen in der Regierung" verwendet werden.

Die Times of Israel berichtet: Das Dokument wird vom Büro von Premierminister Netanjahu heruntergespielt als hypothetische Übung, als „Konzeptpapier".

Das Papier bestärkt die seit langem bestehenden ägyptischen Befürchtungen, dass Israel den Gazastreifen zum Problem Ägyptens machen will. Und es ruft bei den Palästinensern Erinnerungen an die Entwurzelung von Hunderttausenden von Menschen wach, die mit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 ihre Heimat verlassen mussten.

„Wir sind gegen die Umsiedlung an jeden Ort, in jeder Form, und wir betrachten sie als eine rote Linie, deren Überschreitung wir nicht zulassen werden", sagte Nabil Abu Rudeineh, Sprecher des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, zu dem Bericht. „Was 1948 geschehen ist, darf sich nicht wiederholen." Eine Massenvertreibung, so Rudeineh, wäre „gleichbedeutend mit der Ausrufung eines neuen Krieges".

Das auf den 13. Oktober datierte Dokument sieht die Umsiedlung der Zivilbevölkerung des Gaza-Streifens in Zeltstädte im nördlichen Sinai und schließlich den Bau dauerhafter Städte und die Öffnung eines humanitären Korridors vor. Der Plan fordert eine mehrere Kilometer breite 'sterile' Pufferzone innerhalb Ägyptens, um sicherzustellen, dass sich die Bevölkerung nicht an den Grenzen Israels niederlassen kann.

Laut „Sicha Mekomit“ heißt es in dem Dokument: „Die Botschaften [an die Bewohner des Gazastreifens] sollten sich um den Verlust des Landes drehen, d.h. es sollte deutlich gemacht werden, dass es keine Hoffnung mehr auf eine Rückkehr in die Gebiete gibt, die Israel in naher Zukunft besetzen wird … Das Bild sollte lauten: 'Allah hat dafür gesorgt, dass ihr dieses Land wegen der Führung der Hamas verloren habt – es gibt keine andere Wahl, als mit Hilfe eurer muslimischen Brüder an einen anderen Ort zu ziehen.’"

Es ist eine zynische Botschaft, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit an eine verzweifelte Bevölkerung zu verkaufen. „Der Begriff 'Zwangsumsiedlung' beschreibt die erzwungene Umsiedlung der Zivilbevölkerung als Teil einer organisierten Offensive gegen diese Bevölkerung. Es handelt sich um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) geahndet wird", so das Legal Information Institute der Cornell Law School. Der IStGH untersucht derzeit mögliche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Israel und Palästina.

Nach Ansicht von „Sicha Mekomit“ ist sich die israelische Regierung sehr wohl bewusst, dass die gewaltsame Umsetzung eines solchen Plans dem Ansehen Israels international schaden würde. Daher wird in dem Dokument so argumentiert: „Es wird behauptet, dass, wenn die Bevölkerung des Gazastreifens im Streifen verbleibt, es während der zu erwartenden Besetzung des Gazastreifens 'viele arabische Tote' geben wird, und dies wird Israels internationalem Ansehen noch mehr schaden als die Deportation der Bevölkerung. Aus all diesen Gründen lautet die Empfehlung des Geheimdienstministeriums, den Transfer aller Bürger aus dem Gazastreifen in den Sinai dauerhaft zu fördern."

Nach Angaben der Washington Post haben Ägypten und die Vereinigten Staaten über Möglichkeiten diskutiert, die palästinensische Bevölkerung vor der Vertreibung aus dem Gazastreifen zu bewahren. Laut einem Bericht des Weißen Hauses über ein Telefongespräch erörterten die US-amerikanische und die ägyptische Führung, wie wichtig es ist, das Leben der Zivilbevölkerung zu schützen, das humanitäre Völkerrecht zu achten und sicherzustellen, dass die Palästinenser in Gaza nicht nach Ägypten oder in ein anderes Land vertrieben werden.

In dem Dokument werden zwei weitere Optionen genannt, nämlich die Übernahme der Kontrolle durch die Palästinensische Autonomiebehörde im Gazastreifen, sowie die Unterstützung eines lokalen Regimes. Beide werden jedoch als problematisch angesehen, u.a. weil sie Angriffe auf Israel nicht verhindern würden.

Ägypten hat sich geweigert, die Aufnahme von Palästinensern in Betracht zu ziehen, die vor der israelischen Offensive im Gazastreifen fliehen.

Israels Regierung hat kurz nach der Hamas-Attacke eine Million Palästinenser im nördlichen Teil des Gaza-Streifens aufgefordert, in den Süden zu ziehen. Die ägyptische und die israelische Seite hatten vor einiger Zeit über die Köpfe der Palästinenser hinweg Vereinbarungen hinsichtlich der Verwertung der Erdgas-Vorkommen vor der Küste des Gaza-Streifens getroffen. Siehe „Israel, Hamas – worüber laut geschwiegen wird"!

[Unter Verwendung von Material aus dieser, dieser, dieser und dieser Quelle]

Nachtrag
(2.11.23) Eine in Tel Aviv ansässige Denkfabrik veröffentlichte einen ähnlichen Plan wie oben skizziert. In einem Weißbuch, das mehr als eine Woche nach dem von der Hamas geführten Attacke auf israelische Militärbasen und Kibbuzes veröffentlicht wurde, skizzierte das Institut für nationale Sicherheit und zionistische Strategie „einen Plan für die Umsiedlung und endgültige Wiedereingliederung der gesamten Bevölkerung des Gazastreifens in Ägypten". Jetzt habe sich eine „einzigartige und seltene Gelegenheit zur Evakuierung des gesamten Gazastreifens" ergeben, heißt es. (Siehe hier!)

(3.12.23) Es ist nicht das erste Mal, dass israelische Analysten oder Politiker Vorschläge für eine vollständige ethnische Säuberung machen. Mitten im Gaza-Krieg 2014 schickte Moshe Feiglin (damals Mitglied des Likud und stellvertretender Vorsitzender der Knesset), Netanjahu einen Sieben-Punkte-Vorschlag für die ethnische Säuberung des Gazastreifens. (Siehe hier!)

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