Ich bin ein Chinese

Immer wieder bringen unsere Medien Berichte über China. Uns soll dabei ein Bild vermittelt werden, was dort alles aus der hiesigen Sicht im Argen liegt. Wenig hört man darüber, wie die Chinesen auf uns hier in Europa und Deutschland blicken.

Dazu ist heute im „Cicero“ ein interessanter Artikel erschienen, der nach einer Schilderung der Annäherung des Landes an den Westen auf diesen Punkt zu sprechen kommt.

China war lange davon überzeugt, dass die europäischen Staaten als souveräne Partner anzusehen seien, heißt es da. Zusehends wandelt sich aber das Bild, das junge Chinesen haben, von einem verklärten Sehnsuchtsort mit Rechtssicherheit, Lebensstandard, Kulturvielfalt und Bildungsreichtum zu einer als zunehmend riskant und krisenhaft erlebten Weltregion.

Befremdung macht sich breit über die zivilgesellschaftlichen Widersprüche, über politischen Rechtsruck, endlose Genderdebatten und soziale Krisensymptome. Europa wird wahrgenommen als orientierungslos, mit sich selbst und marginalen Problemen beschäftigt. Europa stellt sich den wahren globalen Herausforderungen nicht und flüchtet sich aus der Realität.

Viele Chinesen, so heißt es in dem Artikel weiter, konstatieren einen Niedergang der europäischen und deutschen Kultur, nicht nur im ästhetischen, sondern auch im politischen Sinn. „Historisch geschulten Chinesen fällt zum heutigen Europa, und zuallererst zu Deutschland, ein wenig schmeichelhafter Begriff ein, Dekadenz.“

Europa hat von sich selbst ein wesentlich positiveres Bild als der Rest der Welt – die eigene Unpopularität erklärt man sich mit einer Art höherem Respekt. Der Konflikt um die Ukraine hat aber deutlich gemacht, dass Europa keine eigene souveräne Position einnehmen kann, unabhängig von amerikanischen Interessen.

Kaum versucht jemand wie Macron jüngst eine eigene Meinung anzudeuten, wird er zurückgepfiffen: Die Europäer müssten stärker werden, aber nicht gegen, sondern mit den USA. Jene USA also, die mit sehr hoher Evidenz dafür gesorgt haben, dass es ein Zurück zu Gaslieferungen aus Russland nicht mehr geben kann. Stattdessen hängt Deutschland nun am Tropf US-amerikanischer LNG-Lieferungen. So geht man dort heute mit angeblichen Freunden um.

Europa ordnet sich aus einer Position der Schwäche den USA unter. Das ist das Bild, was sich nicht nur in China, sondern auch in vielen Ländern des globalen Südens entwickelt, wie z.B. auch in Brasilien. So jemand wie die feministische deutsche Außenministerin hat da gerade noch gefehlt. Wie sagte ihr chineischer Kollege kürzlich bei ihrem Besuch: Das letzte, was China braucht, sind Belehrungen westlicher Politiker.

China hat eines vom Westen gelernt: Die Akzeptanz des politischen Systems und seiner Repräsentanten beruht auf dem in der Breite ankommenden materiellen Wohlergehen. Die Chinesen dürften sich jeden Tag mehr wundern, dass dieser Grundatz in Europa offenbar nicht mehr gilt.

In dieses Bild von Hochmut und Dekadenz passen auch die jüngsten Exzesse der Berliner Politik. Unter Missachtung aller realen Umstände und Machbarkeiten wird in autoritärster Manier eine Maßnahme, das Gebäudeenergiegesetz (GEG), beschlossen, die Energie unbezahlbar macht und Bürger in die Pleite treibt. Hauptsache, man ist Vorreiter beim „Klimaschutz“.

Der Verkauf der Climate Solution Sparte von Viessmann an das US-Unternehmen Carrier Global ist in diesem Sinne ein Fanal. Viessmann hat zum richtigen Zeitpunkt verkauft. Das Familienunternehmen hätte aufgrund des kurzen Zeithorizonts, den das GEG setzt, an dem abzusehenden Boom bei Wärmepumpen nur mit einem enormen Aufwand an Organisation und Kapital partizipieren können. Das hätte die eigenen Kräfte überstiegen.

Und so verdienen nicht nur asiatische Wärmepumpenhersteller an Habecks Erlass, wie Tichys Einblick schreibt, sondern auch amerikanische Börsenfirmen: „Bezahlt werden die Gewinne, die Carrier Global und asiatische Firmen künftig in Deutschland machen, mit der grünen Zwangsverelendung und der grünen Zwangsenteignung der deutschen Bürger.“

Die deutsche Heizungspolitik ist vor allem ein Segen für Amerika und Asien. Der Ampelkoalition scheint das egal zu sein. Dieser Verkauf steht beispielhaft für ein weiter verbreitetes Phänomen. Viele Unternehmer, vor allem aus dem Mittelstand, sehen ihre Zukunftsaussichten in Deutschland düster, schreibt Thomas Mayer.

Denn die von Scholz ausgerufene „Zeitenwende“ betrifft nicht nur die Außenpolitik, sondern sie stellt auch das bestehende Geschäftsmodell der deutschen Wirtschaft in Frage. Das bestand darin, Können und Wissen mit Fleiß und kostengünstiger Energieversorgung so zu verbinden, dass daraus Weltmarktführer wurden (siehe auch hier!).

Ich bin ein Chinese: Hochmut kommt vor dem Fall, nach und nach wird von der aktuellen Politik hier alles zerstört, was einmal etwas zählte. Und die besinnungslose Unterordnung unter die geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen eines Hegemons, dessen beste Tage bereits verflossen sind, hat etwas von morbider Dekadenz.

Ergänzung:
Auch wenn ich (als Deutscher) den Blick auf West-Europa in den hier geschilderten Aspekten teile, so bin ich doch keineswegs der Meinung, dass wir uns die Verhältnisse dort, in Fern-Ost, zum Vorbild nehmen sollten. Dazu vielleicht irgendwann einmal mehr.

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