Im modernen „central banking“ visiert jede Zentralbank irgendein Ziel abseits der Preisstabilität an, schreibt sich wirtschaftspolitische Ziele der jeweiligen Regierungen auf die Fahnen. Das 30 Jahre gültige Mantra niedriger und kontrollierter Preissteigerungen ist ebenso gefallen wie die Unabhängigkeit der Geldpolitik.
So gibt nun die Fed als Messlatte für ihre Geldpolitik einen Referenzwert für die Arbeitslosenrate aus, die Bank of Japan wird wohl in Kürze etwas Ähnliches versuchen, die Bank of England will ihre Geldpolitik künftig an der BIP-Entwicklung ausrichten und die EZB ist für die Bankenüberwachung zuständig und greift bereits mit der Ankündigung ihres OMT-Programms massiv in die Preisbildung von Staatsschulden in der Eurozone ein.
„Heute haben die Zentralbanken wahrscheinlich mehr wirtschaftspolitischen Einfluss als jemals in ihrer Geschichte. In der Finanz- und Eurokrise hat man ihnen die Aufgabe zugewiesen, verschuldete Banken und Staaten zu retten und die angeschlagene Wirtschaft wieder auf die Beine zu stellen. In der Zeit nach der akuten Krise wird dieser erweiterte Einfluss nun konsolidiert.“ Das schreibt Thomas Mayer, ehemals Chefvolkswirt der DeuBa und jetzt u.a. ihr Berater, in der FAS vom 20.1.13 und fragt: Haben die Zentralbanken sich für die Ausweitung ihres Einflusses durch besondere Vorausschau bei der Finanzkrise qualifiziert?
Antwort: Nö! Noch im Frühjahr 2007 hatte z.B. Fed-Chef Bernanke die Probleme auf dem Markt für Immobilienkredite als lokal und sektoral begrenzt eingeschätzt. Was danach geschah, wissen wir. Mayer schreibt, just als Bernanke dieses Statement abgab, begann die Kreditblase zu platzen und leitete den Abschwung im Kreditzyklus ein.
Mayer sieht das analytische Versagen von Fed & Co in volkswirtschaftlichen „Modeströmungen“ der Nachkriegszeit. Die aufgekommenen neuen Konjunkturzyklus-Theorien ignorierten den Zusammenhang mit dem Kreditzyklus, während vor dem zweiten Weltkrieg Volkswirte von Hayek bis Keynes den Konjunkturzyklus als vom Kreditzyklus getrieben ansahen.
Claudio Borio erklärt dies im BIS Working Paper No. 395 vom Dezember 2012 damit, dass der Finanzsektor nach der Großen Depression umfassend reguliert und die Kapitalmobilität stark eingeschränkt wurde. Dadurch begannen kürzere, von unstetiger Geldpolitik ausgelöste Inflationszyklen die Konjunktur zu dominieren. Die Wirtschaftszyklen verkürzten sich. Die mit rund 30 Jahren viel längeren Kreditzyklen waren durch Regulierung und Kapitalverkehrsbeschränkungen in ihrer Entfaltung gehemmt.
Mit dem Ende des Bretton Woods Regimes 1971 wurde der Finanzsektor wieder zunehmend dereguliert, der Kreditzyklus spielte bei der Konjunkturentwicklung eine immer größere Rolle. Die Wirtschaftszyklen wurden länger, die Gefahr einer Überhitzung wuchs damit an. Borio zeigt, dass das Produktionspotenzial und die Kapazitätsauslastung unterschätzt wird, wenn der Beitrag des Kreditzyklus vernachlässigt wird. Die aktuelle Lage der Konjunktur wird dann im Konjunkturzyklus früher angesiedelt als es der Realität entspricht; das birgt die Gefahr prozyklischer Geldpolitik.
Zu eben dieser prozyklischen Geldpolitik kam es. Ab den frühen 1990er Jahren nahm die Amplitude der Konjunkturzyklen ab. Diese so genannte „Große Moderation“ hielt an bis 2008 – und erreichte mit rund 15 Jahren die typische Länge des ansteigenden Teils eines Kreditzyklus.
Die damals vorherrschende Orientierung der Geldpolitik an Konsumenteninflationszielen hat diesen Fehler nicht verhindert. Allerdings hat Greenspan seit Beginn seiner Amtszeit auf dem Chef-Sessel der Fed ab 1987 fast durchgängig höhere CPI-Jahreszuwäche als 2% zugelassen. Diese Schwelle wird aber seit langem als Grenzwert angesehen wird, oberhalb davon besteht die Gefahr einer Verselbstständigung der Preisbewegung.
Wie auch immer: Dem hauptsächlich auf der Konsumentenseite (Immobilienkredite) erfolgten Aufblasen des Kreditzyklus wurde seitens der Notenbanken nichts entgegengesetzt, die Entwicklung mehr oder weniger negiert (siehe Bernanke oben!). Dabei wäre sie leicht zu erkennen gewesen.
Jetzt gehen die Notenbanken den Weg, von den Preiszielen abzurücken und stattdessen wirtschaftspolitische Ziele auszugeben. Damit aber verlieren sie den Kreditzyklus, dessen Platzen für die Finanzkrise verantwortlich war, vollständig aus dem Blickfeld. Das lässt Schlimmes befürchten.
Einige Charts, die das oben Gesagte am Beispiel der USA untermauern:
Der Kreditzyklus wird in folgendem Bild deutlich (gestrichelte dicke beige-farbene Linie im oberen Chart). „Peak“ bezeichnet hier den Beginn des Aufschwungs eines Kreditzyklus, „Trough“ den Beginn des Platzens der Kreditblase. Gut zu erkennen, das jede Phase des Kreditzyklus ungefähr 15 Jahre andauert.
Im unteren Chart des gezeigten Bildes (Debt – Total Credit Market Outstanding, violette, dicke Linie) wird deutlich, dass das Platzen der Kreditblase in 2008/2009 zwar begonnen hatte, aber mittlerweile eine erneute Ausdehnung stattfindet – dies jedoch im Unterschied zu den frühen 1980er Jahren in einem Umfeld geringer Wachstumraten.
Das verdeutlicht auch der untere Chart im nächsten Bild (Debt-composition and GDP-share); dabei wird das Aufblasen des Schulden-Ballons hauptsächlich getrieben von der Staatsverschuldung.
Schließlich zeigt der folgende Chart die Entwicklung der beiden Preisindices CPI und PPI. Klar zu erkennen, dass der CPI ab etwa 1981 zusammen mit der Kontraktion des Kreditzyklus zunächst schneller anstieg als der PPI. (Das dürfte die Unterschätzung der Kapazitätsauslastung in den USA wohl eine zeitlang bestärkt haben – ab 2002 allerdings kehrten sich die Verhältnisse um und der PPI stieg schneller als der CPI.)
Die Preisentwicklung war dennoch wegen der Konsumfreude des US-Verbrauchers über weite Strecken „gesund“, wie die relative Stärke des CPI verdeutlichte. Woher kam das? Ab Mitte der 1990er Jahre begann der Anstieg der Immobilienpreise in den USA. Der Zeitpunkt fällt mehr oder weniger mit dem Start einer neuen Kreditexpansion zusammen (s.o.), die Entwicklung führte alsbald zu Wohlstandseffekten. Der Anstieg der Immobilienpreise beschleunigte sich ab Januar 2000. Die Preisspitze kam Mitte 2006, die Korrekturbewegung beschleunigte sich ab Juli 2007, zum Jahreswechsel 2009/2010 zeigten sich erste Anzeichen einer Stabilisierung.
Unter dem Strich: Die Notenbanken (die Fed, aber auch andere) hätten die Kreditblase leicht erkennen können (wenn sie gewollt hätten). Andere, z.B. Nouriel Roubini, haben früh vor einem Zusammenbruch des Finanzsystems gewarnt. Anzeichen gab es genug.
Die Notenbanken ziehen aus den Folgen der platzenden Kreditblase den Schluss, sich wirtschaftspolitische Ziele zu verordnen. Damit bleibt der Kreditzyklus für sie ein blinder Fleck.
Im Gegenteil: Der Kreditzyklus wird aktuell künstlich verlängert – im Unterschied zu den frühen 1980er Jahren in einem Umfeld geringer Wachstumraten.
Damit ist vorgezeichnet: Auch diesmal werden die Notenbanken wieder versagen und eine Kreditblase von noch viel größerem Ausmaß zulassen. Deren Platzen ist unausweichlich, die Konsequenzen dürften die der Finanzkrise 2008 in den Schatten stellen.
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Geldpolitik
Preis (P) = Geldmenge (G) x Umlauffrequenz (fu) / Warenmenge (W)
Die Währungspolitik kann den Faktor G durch Mehrausgaben oder Einzug von Geld regulieren. Mindestens nach oben kann man die Geldmenge begrenzen. … Allerdings kann man nicht verhindern, dass Teile der ausgegebenen Geldmenge gehortet werden. Man hat auch die effektive Umlauffrequenz (fu = BIP / Zentralbank-Geldmenge) nicht in der Hand. Nur wenn man die Kaufkraft des Geldes ständig pendeln lässt (Währungspfusch), kann man darauf einen Einfluss nehmen. Die Umlauffrequenz folgt nämlich in der Regel der Preisbewegung nach. Steigende Preise reizen die Kauflust, fallende lähmen sie. Die Kauflust ihrerseits ist der wesentlichste Motor der Umlauffrequenz des Geldes.
Erreicht man also durch Veränderung von G eine Bewegung von P, so ändert sich fu entsprechend. Dieser – im Übrigen nicht ungefährliche, leicht zur Schraube ohne Ende werdende – Mechanismus versagt aber bei stabiler Kaufkraft, die doch das Ideal sein sollte. … Eine Währungspolitik, welche die Preise in leichter Aufwärtsbewegung hält (schleichende Inflation), hat sich als recht erfolgreich erwiesen. Wie das kommt, wird am ehesten klar, wenn man vom Gegenteil, der allmählichen Preissenkung, ausgeht. … Alle Käufe, die nicht dem dringlichen Bedarf dienen, werden bei sinkenden Preisen verzögert in der Hoffnung, durch Ausnutzung des Preisfalls Gewinne zu erzielen. Das hat Absatzstockungen und Arbeitslosigkeit zur Folge. Die Wirtschaftsgeschichte hat das erwiesen. … So populär die Forderung nach Preissenkung ist, so nachdrücklich muss eine verantwortungsbewusste Wirtschaftspolitik sie gerade im Interesse der Arbeiterschaft ablehnen. Erhält man die Preise stabil, so kann einem die Hortbarkeit des Geldes leicht einen Streich spielen. … Sie wird einsetzen, sobald bei Sättigung des Kapitalmarktes der Zins sinkt.
…
Nun kann man die Hortung ausgleichen durch Ausgabe neuen Geldes an Stelle des gehorteten. Das wird aber in dem gleichen Augenblick gefährlich, wenn durch irgendwelche Einflüsse das gehortete Geld zum Vorschein kommt. Dann laufen die Preise leicht davon, bevor man durch Geldeinzug die Entwicklung bremsen kann. Leicht ansteigende Preise aber halten den Geldumlauf in ständiger Bewegung. Der allmähliche Kaufkraftverlust vertritt beim Geld den Lagerverlust der Waren und unterwirft das Geld wie die Ware dem Angebotszwang. Der Nachteil aber ist, dass dieser Kaufkraftverlust nicht nur das Geld betrifft, sondern auch alle auf Geld lautenden Schuldverträge (langfristige Geldansprüche). Dadurch wird langfristiges Sparen behindert, sodass besondere Maßnahmen zur Förderung der Investition nötig werden. Außerdem widerspricht es der Gerechtigkeit, dass Schuldverträge später mit einem minder kaufkräftigen Geld erfüllt werden.
Stehen wir hier vor einem ausweglosen Dilemma der Marktwirtschaft?
Geldtheorie