Ich kenne nur noch Deutsche

Das, was seit Jahresanfang hier geschieht, kann einen eigentlich nur fassungslos zurücklassen. Manchmal hilft auch nur noch Zynismus. Das durchgehende Berliner Thema ist mittlerweile: Die deutsche Regierung erklärt sich für nicht zuständig, sie ist nicht Herr des Geschehens, stellt sich als Spielball von über uns gekommenen Ereignissen dar.

Der Herr Habeck hat es neulich auf den Punkt gebracht. Bei einem Bürgergespräch fragte ein junges Mädchen, was er machen will, wenn es im Winter kein Gas mehr gibt. Die Antwort des Ministers gipfelt in der Feststellung, am Ende hänge eben alles von den Entscheidungen von Gazprom und Putin ab.

Einen feinen Trick haben sich unsere „Oberen“ da ausgedacht: Der Ukraine-Krieg Russlands gab ihnen den Anlass, Russland den Wirtschaftskrieg zu erklären. Da sie so dumm nicht sein können, zu wissen, dass sie auf dem Glatteis der Energieabhängigkeit von Russland den Kürzeren ziehen, müssen sie auch gewusst haben, was das für die Bevölkerung hier und die Wirtschaft bedeutet.

Mit anderen Worten – die korrekte Antwort von Habeck auf die Frage des Mädchens hätte lauten müssen: Wir wollen es so, wir wollen, dass die Bürger dieses Landes die Suppe auslöffeln, die wir ihnen einbrocken. (Stimmt, Russland ist in die Ukraine einmarschiert. Aber USA/NATO haben das Land jahrelang genau dazu provoziert – siehe etwa hier oder hier!)

Die Oberen lassen die Unteren in der westlichen Welt gerne glauben, dass Russland als Reaktion auf westliche Sanktionen die Gaslieferungen nach Europa gedrosselt hat. Das ist jedoch nicht der Fall. Es gibt fünf große, nach Europa führende Pipelines für russisches Gas. Alle diese Pipelines sind derzeit außer Betrieb oder werden mit eingeschränkter Kapazität betrieben – nicht aufgrund russischer Vergeltungsmaßnahmen, sondern hauptsächlich aufgrund westlicher Sanktionen oder politischer Entscheidungen (siehe hier!).

Also, die Bürger dieses Landes sollen die Suppe auslöffeln. Mag ja sein, dass die Deutschen besonders obrigkeitshörig sind. Aber wo sind dann die Aufstände etwa der Franzosen oder von wem auch immer? Alle zittern sie mehr oder weniger gleichermaßen vor dem was mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ kommt – ein wirtschaftlicher Abschwung, privates Wohlergehen wird weggefressen von Inflation. Aufschrei und Widerstand? Fehlanzeige!

Die Corona-Diktatur der zurückliegenden Jahre hat die Bürger überall auf der Welt entmündigt. Sie haben aus staatlich geschürter Angst ihre Freiheit aufgegeben, um wenigstens ihre Haut zu retten. Statt sich von Angst kapern zu lassen, hätten sie lieber mal nachgedacht. Und jetzt treibt sie eine neue staatlich geschürte Angst vor sich her, dieses Mal ist es die Angst davor, dass Lichter und Heizung ausgehen.

Während „Corona“ haben sie, dankbar, freudig erregt oder nicht, die Spritze entgegengenommen. Heute sind sie dankbar dafür, dass „Vater Staat“ schwachsinnige und letztlich wirkungslose Hilfsprogramme in Serie auflegt, die sie angeblich vor dem wirtschaftlichen Ruin retten – den dieser aber selbst verursacht.

Wie sehr sich unsere „Oberen“ schon abgehoben haben von den „Unteren“, dafür lieferte zuletzt das Bild der Regierungskoalition im Flieger nach Kanada ein beredtes Zeugnis: Da saßen sie alle ohne Masken, während gleichzeitig das neue Infektionsschutzgesetz verabschiedet wurde, das die Maskenpflicht für die Unteren festschreibt – nicht nur im Flugzeug und in der Bahn, sondern auch nach Belieben der Bundesländer sonstwo. Verarschung nach Strich und Faden.

Wir betreiben die dümmste Energiepolitik der Welt“, das sagte kürzlich der frühere EnBW-Vorstand Utz Claassen. Die aktuelle deutsche Energiekrise sei ein hausgemachtes Problem, die Bundesrepublik sei als energiepolitischer Geisterfahrer unterwegs, dem der Rest der Welt nur noch Fassungslosigkeit entgegen bringt.

Die geplante Gasumlage von 34 Mrd. Euro geht zu einem nicht geringen Teil auch an Unternehmen, die bisher hervorragend an den steigenden Gaspreisen verdient haben, und auch an welche aus dem Ausland (siehe hier!). Und über die Rettung von Uniper durch die deutschen Staatsbürger in Höhe von 12 Mrd. Euro kann sich vor allem einer freuen, der Mehrheitseigner Fortum. Der befindet sich Mehrheits-Besitz des finnischen Staates. Eine geordnete Abwicklung von Uniper wäre das, was man in einem „normalen“ Kapitalismus erwarten würde. Aber heute bittet man da den Steuerzahler zur Kasse. Soll der zahlen, wenn es schief geht, aber die Gewinne steckt man doch lieber in die eigene Tasche. Uniper beansprucht übrigens mehr als die Hälfte der kommenden Gasumlage (siehe auch hier!).

Die Strompreise folgen den Gaspreisen. Auf dem Spotmarkt werden mittlerweile mehr als 700 Euro pro Megawattstunde gezahlt (siehe z.B. hier!). Kein Wunder, wird doch ein mittlerweile nicht mehr unbedeutender Teil des Erdgases zur Stromerzeugung verwendet. Französische Versorger stehen unter extremem Druck. Ihnen fehlt Strom aus ihren Kernkraftwerken, die gewartet werden oder zu wenig Wasser für ihre Kühlung haben. Um ihre Lieferverpflichtungen zu erfüllen, müssen sie sich eindecken, koste es was es wolle. Und das kostet es dann auch den deutschen Stromverbraucher.

Es ist längst nicht nur die Inflation im Energie-Sektor. Die Lebensmittelpreise sind nach UN-Angaben in diesem Jahr um mehr als 20% gestiegen. Nach Angaben des Welternährungsprogramms sind gleichzeitig etwa 345 Millionen Menschen von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen, verglichen mit 135 Millionen vor der Covid-19-Pandemie. Und wer verdient? Die weltweit größten Getreidehändler: Cargill meldet für das abgelaufene Geschäftsjahr einen Umsatzanstieg von 23% auf einen historischen Rekord von 165 Mrd. Dollar. Archer-Daniels-Midland erzielte im zweiten Quartal den höchsten Gewinn seiner Firmengeschichte. Louis Dreyfus meldete einen Gewinnanstieg von mehr als 80% gegenüber dem Vorjahr. Auch Bunge registriert deutlich steigende Gewinnmargen (siehe hier!).

Früher galten als Ursache von Armut Fehler dieser oder jener Regierung. Die wurde dann häufig abgewählt. Manchmal hat sich dann etwas geändert, meistens aber nicht. Jedenfalls nichts Grundsätzliches an der Verteilung von Einkommen und Wohlstand. Die wurde in den zurückliegenden Jahrzehnten immer ungleicher, aber immerhin war die Lage noch so, dass diese gravierenden Unterschiede in der tagesaktuellen Realität weitgehend unbemerkt und ohne Wirkung blieben. Nun aber, mit der gerade erst angelaufenen Inflationierung ändert sich das. Immer mehr „einfache“ Leute machen sich zu recht Sorgen, wie sie sich und ihre Familie finanzieren können.

Heute kommt die Ursache der Armut von außen daher – Putin ist schuld. So wollen es uns die Oberen der Ampel weismachen. Da nutzt es dann natürlich auch nichts, die aktuelle Regierung abzuwählen. Im Gegenteil, man muss zusammenstehen. Glaubt man gewissen Umfragen, könnte Habeck bald der nächste Kanzler sein. Kein Wunder, die Opposition scheint die Hoffnung auf irgendwelche nächsten Wahlen schon aufgegeben zu haben.

Und so können es sich die Regierenden einfach machen und alle Bürger, ob Gewinner oder Verlierer der Krise, zu einer Notgemeinschaft zusammenrufen. Das war schon immer ein Trick der Herrschenden. Ich bin gespannt, wann jemand von denen auf einen Balkon tritt und wie Wilhelm II 1914 ausruft: „…, ich kenne nur noch Deutsche.“

Was damals dann kam, wissen wir. Viele Jahre später rief ein anderer: „Wollt Ihr den totalen Krieg?“ Wenn man sich die Kriegshetze der US-Regierung und bei uns so anhört, braucht es keine Jahrzehnte vom „einig Deutschland gegen Putin“ bis zum nächsten Schritt.

Wieder kommt es darauf an, ob wir mitmachen.

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