Die Eurokrise verschwindet allmählich aus dem Fokus, nachdem die EZB durch ihre Liquiditätsspritze vor Weihnachten dafür gesorgt hat, dass nun die Banken erneut anfangen, die notleidenden Südstaaten der Eurozone zu finanzieren. Ist ja auch ein glänzendes Geschäft: Die Banken leihen sich bei der EZB für 1% Geld auf drei Jahre, hinterlegen dafür Wertpapiere mit mittlerweile abgespeckten Sicherheits-Anforderungen, kaufen davon z.B. auf drei Jahre laufende italienische Staatsanleihen mit einer Rendite von über 4,8%, tragen die beim nächsten LTRO der EZB Ende Februar zur EZB, leihen sich für 1% … und so weiter. Ein Carry-Trade ohne Währungs- und sonstiges Risiko. Wenn es schief geht, soll die EZB sehen, wie sie zu ihrem Geld kommt. Außerdem hat der EU-Gipfel im Dezember beschlossen, dass es künftig keinen Haircut mehr geben wird.
Apropos Haircut. Die Verhandlungen über einen solchen bei Griechenlands Schulden laufen noch. Wahrscheinlich werden sich Banken und Regierung in letzter Sekunde doch noch einigen. Und wenn nicht, könnte die griechische Regierung einen solchen möglicherweise per Gesetz rückwirkend verordnen. Selbst wenn das Land offiziell pleite geht, erscheinen immer mehr Beobachtern die Folgen heute beherrschbar. Ganz anders noch im alten Jahr – da hielten es alle für eine Katastrophe. So schnell, wie die Stimmung jetzt in die eine Richtung geschlagen ist, kann sie auch wieder in die andere schlagen.
Die Eurokrise verliert ihren Schrecken, der DAX steigt seit Jahresbeginn um neun Prozent.
Dass die Weltbank ihre globale Konjunkturprognose aus Juni wegen der Euro-Krise kräftig gestutzt hat und die Eurozone in diesem Jahr nun statt mit 1,8% wachsen mit minus 0,3% in die Rezession rutschen sieht, interessiert erst einmal nicht. Mit 2012 habe ein „schwieriges Jahr“ begonnen, heißt es: „Das Wachstum in Industrieländern wie auch aufstrebenden Staaten könnte noch weit stärker abstürzen als während der Krise 2008/09.“
Wachstum – wozu braucht die Wirtschaft beim erreichten westlichen Lebensstandard Wachstum? Die zwei wichtigsten Gründe sind die Zinsbelastung durch Verschuldung und die durch Konkurrenz sinkende Profitrate. In einem (finanz-)kapitalistischen Wirtschaftssystem muss daher das Mantra zwangsläufig lauten: „Wachstum, Wachstum über alles“.
Dem Mantra folgend soll nachfolgend untersucht werden, wie es mit den Wachstumsaussichten bestellt ist. Dabei konzentriere ich mich auf die USA, die nach wie vor den Takt angibt – trotz allem Eurokrisen-Gerede.
Leamer hat im August 2007 auf der Jahrestagung der Zentralbanken in Jackson Hole den Einfluss des Hausbau-Sektors auf den Wirtschaftszyklus untersucht und kommt zu dem Schluss, dass dieser der wichtigste Sektor bei Wirtschaftsrezessionen ist. Der folgende Chart stellt den Zusammenhang zwischen vorlaufenden Überinvestititionen im Haussektor und Rezessionen gut dar (siehe Chart!).
Leamer leitet daraus eine allgemeine Regel ab: Der Hausbausektor zeigt bereits früh die kommende Rezession an, gefolgt von Konsumausgaben. Mit dem Start einer Rezession werden dann die Betriebsausgaben und die Beschäftigung reduziert, danach folgen mit Verzögerung die Unternehmensinvestitionen. Die Reihenfolge bei der sich anschließenden Erholung ist genau gleich.
Für Rezessionen gibt es verschiedene Auslöser. Das kann z.B. ein Ölpreisschock sein oder ein Krieg oder irgend ein anderes endogenes oder exogenes Schock-Ereignis. Auslöser können auch schnell steigende Leitzinsen sein, mit der eine Zentralbank z.B. die Inflation bekämpfen will. In all diesen Fällen erholt sich Wirtschaft aber in der Regel recht schnell wieder.
Anders bei Rezessionen, die durch Überdehnung von Schulden und/oder Investitionen veranlasst sind. Reinhart und Rogoff haben in ihrem hier schon mehrfach erwähnten Buch „This time is different“ überzeugend nachgewiesen, dass bei Rezessionen, die ihre Ursache im Finanzsektor haben, die Erholung besonders langwierig und schwierig ist. Nicht selten kommt es zu einem „verlorenen Jahrzehnt“, wie z.B. das Beispiel Japan nach 1990 zeigt. Hier kann man mittlerweile sogar schon von zwei verlorenen Dekaden sprechen.
Die zurückliegende Rezession hatte ihre Ursache zweifelsfrei im Finanzsektor, ebenso wie die der frühen 1980er Jahre. Ebenso wie damals war eine Schuldenblase entstanden, die bezogen auf den aktuellen Kontext der Gesamtwirtschaft unhaltbar groß geworden war. Damit war „an sich“ der Grundstein gelegt für eine langsame, mühe- und schmerzvolle Erholung.
Dadurch jedoch, dass die Regierungen in einer konzertierten Aktion nach 2008 Stimulus-Programme von weltweit mindestens 2,2 Bill. Dollar aufgelegt haben, wurde ein Crack-up-Boom losgetreten, der die Auswirkungen der Rezession stark abmilderte. Beobachter schätzen, dass das Wachstum in 2009, 2010 und 2011 ohne Stimulus akkumuliert 1,8% betragen hätte, mit Stimulus waren es gut drei mal so viel.
Als Optimist kann man darauf hoffen, dass mit den Stimulus-Programmen ein Impuls für selbsttragendes Wachstum erzeugt worden ist. Als Pessimist würde man das dadurch erzeugte Wachstum für lediglich vorgezogen halten und folglich in der näheren Zukunft mit einem Wachstum von deutlich unter dem Durchschnitt der zurückliegenden drei Jahre rechnen. Zumal die Staaten ihr Pulver weitgehend verschossen haben.
Genau die Sektoren, die nach dem Zyklusmodell von Leamer eine Erholung anführen sollen, sind mit dem Zusammenbruch der Immobilienblase besonders unter die Räder gekommen: Der Hausbausektor leidet noch immer unter den Nachwehen, die Konsumenten tragen immer noch an ihrer Verschuldung.
Die Frage nach der Befindlichkeit der US-Wirtschaft soll daher heute vor allem von diesen beiden Sektoren aus beantwortet werden. Die Analyse weiterer Makro-Indikatoren folgt.
Der US-Index der Hausbauaktien, der HGX, ist in diesem Jahr bisher um 13% angestiegen, der S&P 500 demgegenüber um lediglich 4,5%. Offenbar wird hier eine Erholung des Sektors gespielt.
Der Case-/Shiller-Hauspreisindex zeigt aktuell (letzter Wert aus Oktober) keine Anzeichen einer Erholung. Er befindet sich weiterhin im Bereich 33% Abbruch von der Spitze aus Mitte 2006. Im Jahresvergleich ist sogar noch ein Rückgang um 3% festzustellen (siehe Chart!).
Die Zahl der Hausbaubeginne zeigt eine Steigerung im Jahresvergleich um 24,3%, das Niveau ist aber weiter gedrückt (unter 700.000 – siehe Chart!). Immerhin zeigt hier der mittelfristige Trend aufwärts („Expand“). Der Hausbauindex HGX spiegelt diese Entwicklung also zutreffend wider.
Das mit der Zahl der Hausbaubeginne steigende Angebot drückt tendenziell das Hauspreisniveau CSXR. Ob und wie sehr, darüber entscheidet u.a. auch der Verlauf des verfügbaren realen Einkommens DSPIC (siehe Chart!). Dieses ist im Jahresvergleich unverändert geblieben, der mittelfristige Trend weist mit geringer Dynamik eher abwärts. Das dürfte die Hauspreisentwicklung nicht fördern.
Die Konsumausgaben PCE sind im Jahresvergleich um 4,3% angestiegen. Die kurzfristige Entwicklung weist nach oben, zuletzt ging jedoch Dynamik verloren (siehe Chart!). Maßgeblich für die im Vergleich zu DSPIC stärkere Entwicklung ist die abnehmende Sparquote. Sie hat im Jahresvergleich um über 31% nachgegeben auf 3,5% im November. Es liegt auf der Hand, dass eine im Vergleich zum Einkommen stärkere Ausweitung des Konsums auf diese Art wenig nachhaltig sein kann.
Dass DSPIC „aus der Reihe tanzt“, wird auch am folgenden Bild deutlich. Die hier gezeigten Korrelationsergebnisse geben Aufschluss, inwieweit die betrachteten Makroindikatoren zusammen laufen. Eine stabile wirtschaftliche Entwicklung würde über das Korrelationsfenster von 12 Monaten hinweg einen Gleichlauf, zumindest keine ausgeprägte Asynchronität, zeigen. In denjenigen Kombination, die DSPIC beinhalten, zeigt sich jedoch, dass es etwa ab Jahresmitte 2011 zu „knirschen“ begonnen hat – Reibungsverlust im Wirtschaftsgetriebe. Im selben Chart zeigt die untere rote Linie eine Art Diffusionsindex, der die Entwicklung der Makroindikatoren zusammenfasst. Er zeigt seit August 2011 „Kontraktion“. Generell fällt auf, dass sich dieser Index seit der Jahrtausendwende nur noch wenig im Expansionsbereich befunden hat – für mich ein Zeichen anhaltender struktureller Probleme.
Die Fed von San Francisco geht in ihrem Monatsbericht vom Dezember davon aus, dass das US-BIP in den ersten drei Quartalen 2012 unter 2% bleiben wird (siehe Chart!).
Als weiteren Blickwinkel möchte ich die Häufigkeitsverteilung verschiedener Merkmale der Zinsstruktur einführen. Dieser Indikator hat die zurückliegenden Rezessionen mit einem Vorlauf von vier bis sechs Quartalen zuverlässig angezeigt. Demnach ist ein Rückfall in eine Rezession zunächst nicht zu erwarten (siehe Chart!).
Eher ist damit zu rechnen, dass die Fed demnächst weitere geldpolitische Anreize startet. Das ergibt sich aus einigen Merkmalen der Zinsstruktur und aus der Tatsache, dass die Preisindices der USA zuletzt deutlich an Aufwärtstempo eingebüßt haben. Das gibt der Fed Spielraum, den sie mit Sicherheit nutzen wird.
Aufschwung 2012? Von Seiten der eine wirtschaftliche Erholung früh begleitenden Sektoren Hausbau und Konsumausgaben ist mit einer Fortdauer der moderaten wirtschaftlichen Erholung zu rechnen. Das ist vor dem Hintergrund einer weiterhin hohen Gesamtwirtschuldung der Wirtschaft keine günstige Nachricht. Die Wachstumsrate bleibt hinter dem zurück, was für frühere nach-Rezessions-Phasen galt. Sie ist zu gering, um ohne schmerzhafte Deleveranging-Maßnahmen auszukommen und sie macht anfällig für endogene und exogene Schocks. In diesem Zusammenhang sollte die Situation in China beachtet werden.
Aufschwung 2012 – Teil 2: In den nächsten Tagen werden Preisindices und weitere Makrodaten ins Kalkül einbezogen, um das Bild zu vervollständigen.
Zur Entwicklung des US-Haus-Sektors ein lesenswerter Beitrag im Big-Picture-Blog
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