Der moderne Staat oder die Perversion des Liberalismus

Die westliche politische Tradition zeichnet sich dadurch aus, die staatliche Macht zu beschränken. In dieser liberalen Tradition ist das Volk der Souverän. Das Rechtssystem westlicher Staaten enthält zahlreiche Bestimmungen, die gegen die Willkür staatlicher Institutionen und von einzelnen Personen gerichtet sind.

Die meisten westlichen Regierungen sind darüber hinaus durch Verfassungen gebunden, die ihre Macht beschränken. Diese Verfassungen gewähren eine Vielzahl von Grundrechten, nicht nur für die Bürger, sondern oft für die gesamte Menschheit. Sie teilen die Befugnisse des Staates auf – Judikative, Exekutive und Legislative sind getrennt voneinander und unabhängig. Jeder dieser Zweige kontrolliert mit seinen jeweiligen Vorrechten die Reichweite und die willkürliche Ausübung von Macht der jeweils anderen.

Dieser politische Ansatz der Gewaltenteilung hat in den zurückliegenden Jahren Schaden genommen. Covid war ein Tiefpunkt, hier wurde der eiserne antiliberale Autoritarismus offenbar, der sich im Inneren der westlichen Systeme in vielen Jahrzehnten entwickelt hat. Die westlichen liberalen Staaten verhalten sich nicht länger wie Systeme mit begrenzten Befugnissen, die ihre Souveränität vom Volk ableiten. Sie ähneln mehr und mehr totalitären Regimen, wie wir sie aus der Sowjetperiode kennen.

Hinzu kommt: Die Medien, oft als die vierte Gewalt bezeichnet, haben sich von ihrer eigentlichen Aufgabe weit entfernt, für umfassende Information und kontroverse Diskussionen zu sorgen. Die Quantitätsmedien sind heutzutage Sprachrohre der Regierungen, in funktionierenden Demokratien sind sie deren Kontrollorgane. Sogenannte Faktenchecker der Medien gebährden sich als Wahrheitsministerien.

Die Staatsmacht hat stets die Tendenz, sich von Beschränkungen frei zu machen. Der moderne Staat hat gelernt, rechtliche und kulturelle Wege zu entwickeln, um liberale Machtkontrollen zu überwinden. Moderne staatliche Politik in liberalen Systemen ähnelt so antibiotikaresistenten Bakterien in Krankenhäusern – sie ist resistent gegen verfassungsrechtliche Beschränkungen und dadurch insgesamt gefährlicher geworden, so der Blogger eugyppius.

Das Konzept der gegenseitigen Kontrolle im Rahmen der Gewaltenteilung wurde dadurch überwunden, dass das politische Establishment in den drei Säulen des Staates eine einheitliche Elitenauffassung entwickelt und umgesetzt hat. Die einstigen Rivalen arbeiten nun im Hinblick auf gemeinsame Ziele zusammen, in trauter Eintracht mit den großen Medien. Das hat sich als äußerst erfolgreich erwiesen, der Staat sieht sich von vielen alten Hindernissen in Bezug auf seine Entfaltung befreit. Zudem hat er seine Reichweite auf viele weitere Segmente der Gesellschaft ausgedehnt.

Nach liberaler Auffassung sind Grundrechte grundsätzlich vorpolitisch und unveräußerlich; Menschen sind per Geburt mit ihnen ausgestattet. Diese Grundrechte begründen die Gegen- und Abwehrposition des Individuums gegen den Staat.

Anstatt Grundrechte und individuelle Freiheiten offen zu untergraben, haben sich die Ideologen des modernen Staates ihrer in besonders perfider Art und Weise bedient. Der moderne Staat hat das Konzept der Rechte erweitert, indem er immer mehr Bürger mit einer breiten Palette neuer Rechte ausstattet.

Dieses sich ständig erweiternde Feld unanfechtbarer, heiliger Ansprüche schränkt die gemeinsame politische Meinungsäußerung des Volkes auf allen Ebenen ein und torpediert die unbequemen Grundrechte, die der Liberalismus fordert, schreibt der Blogger eugyppius. So setzt der Staat z.B. durch die -wenn auch nur implizite- Anerkennung eines Rechts auf Gesundheit die älteren Grundrechte auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung außer Kraft. Gesundheit oder Freiheit – die (unausgesprochene) Alternative während „Corona“.

Diese neuen Rechte erweitern die Macht des Staates, da sie eher positiver als negativer Natur sind; und sie sind in der Regel so gestaltet, dass sie die Passivität des Einzelnen fördern, der sie in Anspruch nimmt. Entscheidend ist, dass der Staat die Definition und Verwirklichung dieser Rechte im Namen des Einzelnen übernimmt. Mehr und mehr gewinnt man den Eindruck, dass der Einzelne gar keine Rechte besitzt. Vielmehr maßt sich der Staat das Recht an, den Sonderstatus bestimmter kollektiver Minderheiten zu definieren und zu verteidigen. Der Staat bestimmt so selbst identitäre Gruppen und deren politische Inhalte.

Man kann es auch so formulieren: Die gängige Auffassung von individueller Freiheit ist die, dass sie dort endet, wo andere individuelle Freiheiten beginnnen. Mit der Schaffung von immer mehr zusätzlichen individuellen Freiheitsräumen werden bestehende individuelle Freiheiten immer stärker eingeengt. Das hohe Gut des Liberalismus, der Individualismus, wird durch eine staatlich gelenkte Identitätspolitik mit immer mehr Gruppen und deren divergierenden Interessen zerstört. Zugleich wird dabei auch die Identitätspolitik pervertiert. Übrig bleibt das rechtlose Individuum.

Nirgendwo metastasieren neuartige liberale Rechte so schnell wie im Diskurs über sexuelle und geschlechtliche Minderheiten, schreibt der Blogger eugyppius. Die ständig wachsende Regenbogenkoalition, symbolisiert durch eine Flagge, die jedes Jahr neue Farben erhält, und ein rätselhaftes Kürzel, das ständig neue Buchstaben erhält (LGBTQQIP2SA scheint die neueste Version zu sein), ist eine Schneide der staatlichen Macht. Jede der in diesem Moloch zusammengefassten Identitäten ist für den Verwaltungsstaat von großem Nutzen und eröffnet den Regierungsbürokraten alle Möglichkeiten, die intimsten Aspekte der menschlichen Kultur, des Verhaltens und des sexuellen Ausdrucks zu definieren und zu regulieren. Es ist kein Zufall, dass die Regenbogenflagge zum allgegenwärtigen und wahrscheinlich auch zum heiligsten politischen Symbol in der westlichen Welt geworden ist. Sie verdrängt zunehmend die Bedeutung überkommener nationaler Symbole.

Moderne Staaten sind mächtige Gebilde, die ihrer eigenen Logik folgen und gemäß der ihnen vorgegebenen Ziele handeln. Die Technologie, insbesondere die Informationstechnologie, und der Aufstieg der Massengesellschaft im Zuge der Industrialisierung haben ihre Reichweite in nie gekanntem Maße vergrößert.

Der Liberalismus war die Antithese zur persönlichen Unfreiheit und Ungleichheit im Feudalismus des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Genau dieser Liberalismus, der auf der ideologischen Ebene dem Kapitalismus zum Durchbruch verhalf, wird von den Ideologen des modernen Staates im Stadium des extrem konzentrierten Finanzkapitalismus gekapert, um eine Gesellschaft mit tiefen inneren Gräben entstehen zu lassen, indem die Grundprinzipien des Liberalismus ins Extreme getrieben und damit pervertiert werden. Die Dialektik der Geschichte!

Der so entstandene moderne Staat hat das Prinzip von Machiavelli „Teile und Herrsche“ perfekt umgesetzt und verschleiert zugleich mit seiner Fassade der scheinbaren Freiheit für alle die tatsächlichen Machtverhältnisse und die Entrechtung der Bürger. Dies zu erkennen und sich dagegen zur Wehr zu setzen, ist viel schwieriger als in offen autoritären Staaten.

[Unter Verwendung von Material aus dieser Quelle]

Ergänzung:
Ein Mittel zum Transport der Ideologie des modernen westlichen Staates bis in die letzten Winkel der Gesellschaft ist der Wokeismus. Hiermit soll der gesunde Menschenverstand erschüttert und ersetzt werden durch Einstellungen, die den Naturgesetzen zuwiderlaufen. Mit dem Hauptthema „Diskriminierung“ soll eine pseudoakademische Gesinnungsdiktatur einer ergebnisoffenen Diskussionskultur und damit der liberalen Demokratie den Garaus machen. Siehe auch „Wokeismus – ist das links oder kann das weg?“!

Nachtrag:
Netzfund: „In Zeiten der Wokeness und eines zum wahnhaften Exzess getriebenen Kultes um ‚Selbstbestimmung’ jedoch wird das Gebot der Gleichwertigkeit fortwährend pervertiert: Jeder soll alles sein, alles können, alles tun dürfen. Leistungsunterschiede sind verpönt, Qualifikation und Eignung sind nur mehr subjektiv. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen Wollen und Können soll und darf nicht mehr unterschieden werden, denn alles andere wäre diskriminierend und traumatisch.“

Svenja Flaßpöhler: „Eine Welt, die sich komplett der Verletzlichkeit der unterschiedlichsten Individuen anpasst, kann keine freie Welt mehr sein."

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