Anfang des 20. Jahrhunderts formulierte der britische Geograph Halford Mackinder eine Theorie, die als Heartland-Doktrin die Außenpolitik Englands und später der USA bestimmte und bis heute bestimmt.
Mackinder sah in den zusammenhängenden Kontinenten Europa, Asien und Afrika die Weltinsel. Deren „Heartland“ (Herzland) ist das Gebiet Westsibiriens und des europäischen Russlands, das vom russischen Bereich und später von der Sowjetunion regiert wurde. Ausgehend von Bedürfnissen nach Sicherheit und Wohlstand sieht Mackinders Weltbild die Menschen miteinander im Wettbewerb um Territorien und Ressourcen stehen. Dabei ist die technische Entwicklung ein entscheidender Faktor.
Sollte es dem Herzland gelingen, sich mit seinem Rohstoff-Reichtum technisch und industriell auf die Höhe der Zeit zu entwickeln, so könnte es eine größere Macht ausüben und sich über die gesamte Weltinsel ausbreiten, so Mackinder. Hätte umgekehrt Deutschland seine gesamte Kraft auf die Beherrschung des Herzlandes ausgerichtet, hätte es ebenfalls die gesamte Weltinsel unter seine Kontrolle bringen können. Der Erste Weltkrieg habe das nur knapp verhindern können, so Mackinder, die Gefahr sei aber nicht für alle Zeiten gebannt.
Kurz vor dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg übernahm der US-amerikanische Geograph Nicholas J. Spykmans Mackinders Theorie: Die Sicherheit und Unabhängigkeit der USA sei nur zu garantieren, wenn eine dauerhafte Kontrolle der Weltinsel durch das nordasiatische Herzland verhindert wird. Auf dieser These beruhte auch die Containment-Doktrin, die sich im Kalten Krieg ausdrückte und die Außenpolitik etwa von Henry Kissinger, sowie die Gedanken des langjährigen außenpolitischen Beraters Zbigniew Brzeziński prägte.
Die Herzland-Theorie wirkt bis heute fort: George Friedman, Gründer und Präsident des angesehenen privaten Nachrichtendienstes Stratfor, sagte 2015, es sei das ureigene Interesse der USA, eine enge Beziehung zwischen Deutschland und Russland zu verhindern. Gemeinsam wären sie die einzige Kraft, die die USA bedrohen könnte (siehe auch hier!).
Betrachtet man die Ostsee-Pipeline Nord-Stream-2 aus diesem Blickwinkel, so wird klar, warum die USA unter verschiedenen Regierungen deren Inbetriebnahme mit aller Macht verhindern wollte und weiter will. Sie würde einerseits die Abhängigkeit Deutschlands von Gaslieferungen aus Russland verstärken, andererseits könnte sie eben die Grundlage sein, auf der sich immer engere Beziehungen zwischen den beiden Ländern entfalten. Und davon ausgehend könnte sich im Laufe der Jahre eine politische Annäherung entwickeln, die wiederum die geopolitische Machtverteilung zuungunsten der USA verschieben würde.
Nachdem die USA entgegen der im Zusammenhang mit dem Ende des Ostblocks getroffenen Vereinbarungen ihre Präsenz über die Nato immer weiter in Richtung Osten verschoben hat, will sie nun mit der Eskalation in der Ukraine eine Situation herbei führen, in der die Pipeline für immer Geschichte sein soll.
In Bezug auf die Osterweiterung der NATO haben die USA immer erklärt, sie würden Länder, die aus freien Stücken in die NATO wollten, nicht daran hindern. Ja, natürlich, wenn man sie mit Zuckerbrot und Peitsche dazu bringt, in der NATO ihre einzige Zukunft zu sehen. Wie schnell wäre dieses Argument der freien Willensentscheidung vom Tisch, wenn sich umgekehrt in Südamerika ein von Russland initiiertes Militärbündnis etablieren würde.
Natürlich ist die Pipeline nicht der einzige Grund für das Vorgehen der USA. Nachdem sie im Süden von Russland ihre Präsenz verloren haben (Afghanistan), wollen sie sich aus militärtaktischen Gründen so nah wie möglich an der Westgrenze Russlands festsetzen (siehe auch hier!).
Seit 1945 führen die USA unablässig Kriege, es sind mittlerweile mehr als 200. Die USA sehen sich als Weltpolizist, schreiben allen Ländern vor, was sie tun und zu lassen haben. Wer nicht spurt, wird finanziell ruiniert. Hilft das nicht, erfolgen militärische Aktionen. Russland nimmt sich im Vergleich dazu wie ein Waisenknabe aus.
Die deutsche feministische Außenpolitik macht sich ein weiteres Mal zum Büttel der USA. „Teile und herrsche“ war schon immer ein effektives Machtmittel. Dauerhaften Frieden und Wohlstand in Europa kann es nur geben, wenn die beteiligten Länder ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.
Ergänzung:
In welcher Währung würden Gaslieferungen durch die Pipeline abgewickelt? In Euro oder Rubel – nicht in Dollar. Das ginge ja gar nicht!
Nachtrag:
(28.2.22) Ein deutscher Kollege Mackinders, Karl Haushofer, hat dessen geopolitische Ideen vor dem zweiten Weltkrieg aufgegriffen und „…damit entscheidende Impulse für Hitlers Eroberung von ‚Lebensraum im Osten’ gegeben. ‚Ich brauche die Ukraine, damit man uns nicht wieder wie im letzten Krieg aushungern kann’, hatte Hitler im Vorfeld des Russlandfeldzugs verkündet und im Sommer 1942 schien dann der Alptraum der britischen Geostrategen Realität geworden zu sein: Das ‚Heartland’, von der Oder bis zum Don, war von deutschen Truppen besetzt. Und nach der Eroberung der Kohle und Stahlregion des Donezbeckens waren die Ölquellen des Kaukasus in Reichweite — bis die Rote Armee den deutschen Vormarsch in Stalingrad stoppte.“ (Quelle)
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