9/11 – 11.12.

9/11“ – vor 20 Jahren, am 11. September 2001, wurden in den USA vier Verkehrsflugzeuge gekapert, zwei flogen in das World Trade Center in New York. Verantwortlich gemacht wurde eine Gruppe um Osama bin Laden. Es waren insgesamt etwa 3000 Tote zu beklagen.

Der damalige US-Präsident George W. Bush rief daraufhin den „War on terror“ aus, die Nato erklärte zum ersten Mal in ihrer Geschichte den Bündnisfall. Die US-Armee begann den Krieg gegen den Irak, der mit unwahren Behauptungen über angebliche Massenvernichtungswaffen begründet wurde. Außerdem marschierte die US-Armee in Afghanistan ein, weil man hier die Drahtzieher der Anschläge in New York ausgemacht zu haben angab. In der Folge zogen auch über 4000 Angehörige der deutschen Bundeswehr in den dortigen Krieg.

In Afghanistan ging es den westlichen Truppen nicht nur darum, Feinde auszuschalten. Man wollte auch einen demokratischen Staat errichten, so hieß es. Als ob man demokratische Werte wie Waschmittel oder Smartphones importieren kann…

Jetzt haben sich die westlichen Truppen aus Afghanistan zurückgezogen, unter Hinterlassung von umfangreichem US-Kriegsgerät. Damit ist dieses Kapitel des „War on terror“ beendet.

Der US-Politologe Francis Fukuyama zieht folgendes Resümee: Amerika habe Tausende Menschenleben geopfert und Abermilliarden Dollar aufgewendet, um sich vor einer überschaubaren Bedrohung zu schützen. Die Überreaktion auf den radikalen Islam habe zur Ignorierung der Bedrohung durch mächtigere Akteure wie Russland und China, wie auch der sich verschärfenden Probleme im eigenen Land geführt. Daraus resultiere eine Schwächung des amerikanischen Einflusses in der Welt, das sei die wichtigste Hinterlassenschaft von „9/11“.

Solche singulären Ereignisse wie die Anschläge des 11. September 2001 sind keine Ursachen für bestimmte Entwicklungen. Sie sind der zufällige Anlass, der bestimmte historische Prozesse in Gang setzt oder beschleunigt, deren Voraussetzungen bereits vorher angelegt waren.

Die Außen- und Kriegspolitik der USA war viele Jahrzehnte von der Angst bestimmt, Deutschland und die UdSSR/Rußland könnten sich zusammentun. Die hochstehende deutsche Technologie und der russische Rohstoffreichtum sowie die Größe des Landes hätten das Zeug zur beherrschenden Macht in der Welt. Das ließ das Selbstverständnis der amerikanischen Nation von ihrer Dominanz nicht zu. „America First“ ist keine Erfindung von Trump.

Mittlerweile richtet sich die Angst der USA, ihre Dominanz einzubüßen, gegen die VR China. 1980 machte das chinesische BIP zehn Prozent des US-amerikanischen aus. Mittlerweile kommt es auf 70%. Liegen beide BIPs auf gleicher Höhe, ist die VR China damit pro Kopf immer noch relativ „arm“. Das Ziel der chinesischen Politik ist aber, bis Mitte dieses Jahrhunderts auf gleiche pro-Kopf-Werte zu kommen. Spätestens dann ist es um die Vormachtstellung der USA geschehen.

11.12“ – am 11. Dezember 2001 trat die VR China der WTO (Welthandelsorganisation) bei zu asymetrischen, für das Land vorteilhaften Bedingungen. Aus US-Sicht versprach man sich davon „Wandel durch Handel“, glaubte daran, dass sich mit der Zeit die Türen für westliches Kapital von selbst öffnen würden. Damit verbunden war die Erwartung, das aufstrebende Land so kontrollieren und weiter dominieren zu können.

Aus Kosten-, bzw. aus Profitgründen ließ das westliche Kapital immer mehr in China fertigen, dabei nahm man den Knowhow-Transfer (oder „Diebstahl gesitigen Eigentums“ durch die chinesische Seite) zunächst mehr oder weniger billigend in Kauf. Und auch die Abhängigkeit, in die sich die westliche Realwirtschaft begab.

Das innenpolitische Gegenstück zu dieser Wirtschaftspolitik war die immer weiter aufgehende Schere zwischen arm und reich. Die auf die Finanzkrise folgenden Aktivitäten der Fed ließen die sozialen Unterschiede noch weiter anwachsen. Gleichzeitig wurde immer klarer, dass sich der erhoffte „Wandel durch Handel“ in Bezug auf die VR China nicht einstellte.

In dieser Situation kam US-Präsident Trump. Er versuchte eine Neuordnung des internationalen Handels insbesondere mit China, wollte ausgelagerte Produktionen wieder heim holen. Mit populistischer Taktik verschleierte er die immer weiter aufgehende Lücke zwischen arm und reich, die er durch seine Steuerreform noch beförderte.

Auf Trump folgte Biden als Präsident. Sein bisher wichtigster außenpolitischer Schritt war der Rückzug aus Afghanistan, jenem geopolitisch wichtigen Gebiet zwischen der VR China und dem Iran. Nicht nur das, das Land gilt auch als sehr Rohstoff-reich. Es wird mit diesem Schritt dem Einfluss Chinas zugänglich.

Wenn das Ziel der amerikanischen Geopolitik die Erhaltung der eigenen Dominanz ist – das Ziel wurde in den zurückliegenden 20 Jahren weit verfehlt. Fukuyama sieht die Überschätzung des radikalen Islam als Grund. Mag sein, dass das ein subjektives Moment ist, verständlich dadurch, dass sich die Weltmacht USA auf ihrem eigenen Territorium angegriffen sah.

Ich denke, die Gründe liegen tiefer.

Die überbordende dotcom-Spekulation offenbarte die Anfälligkeit des vom Finanzsystem dominierten Kapitalismus für Gier und mithin dessen Instabilität. Die Entwicklung des Welthandels im Rahmen der in den frühen 1970er Jahren gestarteten finanzkapitalistischen Globalisierung verlor an Schwung. 2000 war zwar noch ein jährlicher Rekord-Zuwachs von über 12% erreicht worden, aber im längerfristigen Trend zeichnete sich ein Tempoverlust ab. Gleichzeitig zeigten auch die Wachstumraten der westlichen Volkswirtschaften Ermüdungserscheinungen, die Schuldenberge wuchsen. In der Deregulierung des Finanz- und Bankensystems Ende der 1990er Jahre wurden diesen Institutionen zwar neue Profitmöglichkeiten eröffnet, aber gleichzeitig der Keim für eine neue Spekulationskrise gelegt, die 2008 an den Rand des Zusammenbruchs führte.

Das alles sind Hinweise auf Alterungserscheinungen des westlichen (Finanz-)Kapitalismus. Die stetig zunehmenden sozialen Ungleichheiten bilden zudem innenpolitischen Sprengstoff. In diesem Kontext erschien der WTO-Beitritt der VR China als eine neue Perspektive, und eben auch als eine Möglichkeit, die Dominanz des westlichen Kapitals und insbesondere der USA in Bezug auf China zu sichern. Diese Erwartungen haben sich nicht erfüllt.

Meiner Meinung nach lag der Fehler also nicht in der Überschätzung des radikalen Islam, sondern in der Überschätzung der Möglichkeiten des WTO-Beitritts in Bezug auf die „Einhegung“ Chinas. Wenn man die zurückliegenden 20 Jahre auf einen machtpolitischen Nenner bringen will, so hat die westliche Hemisphere eine schwere Schlappe erlitten. Mehr noch, der auf immerwährendes Wachstum und Ausdehnung der Einflusssphäre angewiesene Kapitalismus des Westens stößt immer deutlicher an Grenzen.

Der Krieg gegen den Terror hatte aber sehr wohl einen Zweck: Die westliche Bevölkerung wurde vor die Alternative gestellt: „Sicherheit oder Freiheit“. Es begann eine Phase des Abbaus demokratischer Rechte. Überall wurde alsbald die Überwachung der Telekommunikation ermöglicht, bzw. erleichtert, auf öffentlichen Straßen und Plätzen hielt die Video-Überwachung Einzug. Wer dies kritisierte, wurde als Rechtsstaat-Hysteriker verunglimpft.

Angst, in diesem Falle vor einer ausgesprochen geringen „terroristischen“ Gefahr, war schon immer ein probates Mittel, bestimmte Ziele durchzusetzen. Der Nazi-Führer Hermann Göring bekannte 1946 im Gespräch mit einem amerikanischen Psychologen zur Frage, wie man das Volk zum Mitmachen bringt: „Man braucht nichts zu tun, als dem Volk zu sagen, es würde angegriffen, und den Pazifisten einen Mangel an Patriotismus vorzuwerfen und zu behaupten, sie brächten das Land in Gefahr.“

Was 2001 langsam begann, nahm immer mehr Fahrt auf. Dann kam „Corona“ und gab den Anlass, die Angst-Politik auf wesentlich erhöhter Stufenleiter weiter zu treiben. Die Bevölkerung wurde jetzt vor die Alternative gestellt: „Gesundheit oder Freiheit.“ Die Innenpolitik der meisten westlichen Länder nahm totalitäre Züge an, die bürgerlichen Grundrechte werden massiv eingeschränkt. Als Angreifer im Sinne des Nazis Göring gilt jetzt ein Virus, die „Pazifisten“ mit mangelndem Gemeinschaftssinn sind jetzt die, die die Corona-Politik anzweifeln. Dem Kampf dagegen hat sich alles unterzuordnen.

WEF-Gründer Schwab, der Generalsekretär des Zentralkomitees der größten Unternehmen auf der Welt, propagiert in seiner Sympathie für den chinesischen Weg offen die totale Überwachung der Bevölkerung. Überwachung und Einschränkung von Grundrechten auch, um gegen mögliche soziale Unruhen als Folge weiterer Krisen gewappnet zu sein.

Die Rückabwicklung bürgerlich-demokratischer Werte ist in vollem Gange. Vereinzelung gepaart mit Kollektivismus – das ist die Richtung. Individuelles, kritisches Denken und Handeln hat keinen Platz mehr. Statt sich auf die ehemals als Triebkraft der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung angesehenen bürgerlichen Freiheiten zu besinnen, werden diese jetzt beschnitten, gelten als Bedrohung. Womöglich glaubt man im Zeitalter von „KI“ auch, darauf verzichten zu können, schließlich lässt sich ja nun alles perfekt planen.

Anscheinend ist man in den westlichen Führungseliten zu der Auffassung gelangt, man müsse die westlichen Freiheitswerte über Bord werfen, um gewinnen zu können. Nach der Fehleinschätzung, China werde sich mit „11.12“ dem Einfluss des westlichen Kapitals von selbst öffnen, ist das ist die zweite wichtige Hinterlassenschaft von „9/11“.

Aus meiner Sicht zeigt sich seit „9/11“ immer deutlicher, dass das finanzkapitalistische System des „Westens“ seine besten Zeiten hinter sich hat. Da die USA nicht tatenlos zusehen werden, wie ihre Dominanz in der Welt schwindet, sind die nächsten Fehler schon vorprogrammiert. Einer könnte eine direkte militärische Auseinandersetzung sein.

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