Vorbemerkung: Zu diesem Thema existieren neuere Artikel – bitte suchen Sie nach "Baltic Dry"!
Die beiden wichtigen Indices für Frachtraten, Harpex und Baltic Dry, sind „tief“. Was kann daraus gefolgert werden?
Der Baltic Dry gibt die Frachtraten für „Schüttgüter“ wider. Mithin hat er eine gewisse Aussagekraft für den Bedarf an Rohstoffen wie Kohle, Erz, Öl usw. Er notiert in einer Art Abwärtsdreieck nicht mehr weit weg vom Tief aus dem Frühjahr 2009. Er hatte sich just in dem Moment im August 2011 aufgeschwungen, als Aktien weltweit den Weltuntergang spielten. Im Oktober startete eine konsolidierende Pause, seit Mitte Dezember geht es stark abwärts. Dem Tief aus dem Frühjahr 2009 (ca. 900) ist ein Tiefpunkt vorgeschaltet bei rund 1050 (aus Anfang März 2011). Der Index notiert aktuell bei 1105 (Chart von Bloomberg).
Die Aussage des Baltic Dry wäre hinsichtlich Frachtbedarf bei Schüttgütern so zu interpretieren: Der Bedarf lässt stetig nach, ein Ende dieser Bewegung ist noch nicht in Sicht. Ein Test des Tiefs aus März 2011 ist wahrscheinlich. Bietet dieser Pegel bei 1050 keinen Halt, kommt ein Test des Tiefs aus dem Frühjahr 2009 in Betracht. Dieser Zeitpunkt ist relevant, weil damals erwartet wurde, dass die ergriffenen staatlichen Anreizmaßnahmen gegen die Auswirkungen des offenen Ausbruchs der Finanzkrise im Herbst 2008 greifen würden. Wenn dieser Pegel jetzt gebrochen würde, würde das vielfach als Zeichen gewertet, dass es mit dem Crack-up Boom vorbei sein könnte.
Der Harpex gibt die Frachtraten aus dem Containerbereich wider – er hat damit eine gewisse Aussagekraft hinsichtlich des Bedarfs an verarbeiteten Gütern (Halbfertig- und Fertigprodukte). Dieser Index hatte im April 2011 ein Hoch bei 900 Punkten gebildet und kennt seitdem nur eine Richtung – abwärts. Zuletzt nimmt die Dynamik dieser Bewegung ab, es ist sogar eine leichte Gegenreaktion auszumachen. Der Index notiert mit aktuell rund 400 Punkten über dem zuletzt markierten Tief bei 275 (erstes Halbjahr 2009 – Chart von Harper Petersen & Co).
Die Aussage des Harpex ließe sich (mit etwas Konjunkturoptimismus) so interpretieren: Die Nachfrage nach Containerfracht bildet einen Boden und könnte sich in nächster Zeit wieder beleben.
Der Baltic Dry hat hinsichtlich Konjunkturindikation Vorlaufcharakter gegenüber dem Harpex. Wenn man beide zusammensieht, könnte man als Konjunkturoptimist sagen: Der Baltic Dry wird in den nächsten beiden Monaten das bisherige Tief bestätigen und dann nach oben abdrehen. Der Harpex wird noch einige Monate seitwärts laufen und dann dem Baltic Dry folgen.
Realistisch betrachtet, ist es sicherer, zunächst einmal abzuwarten, wie sich der Baltic Dry am Tief bei 1050 verhält. Wird das respektiert, dürfte das ein für die Konjunktur positives Signal sein. Ansonsten muss der Test der Basislinie bei rund 900 abgewartet werden. Ein Bruch hätte eine sehr negative Indikation.
Berücksichtigt werden muss bei diesen beiden Indices immer auch das Angebot an Frachtkapazität. Informationen hierzu liegen meist nur rudimentär vor. Da der Neubau von großen Frachtschiffen einige Zeit in Anspruch nimmt, ist es nicht ungewöhnlich, dass erhöhtes Angebot just in dem Moment auf den Markt kommt, wenn der Konjunkturzyklus abflacht. Das drückt dann die Frachtraten zusätzlich zum Effekt durch die nachlassende Nachfrage.
Die Frachtraten-Indices sollte man in Zusammenhang mit wichtigen anderen Makrodaten betrachten. Das gilt insbesondere dann, wenn sich die Konjunktur nicht an zyklischen Extremen befindet. Insbesondere an unteren Wendepunkten der Konjunktur ist die Aussagekraft der Frachtraten recht hoch. Das gilt im übrigen für viele andere Makrodaten und Sentiment-Indikatoren genauso.
Nachtrag:
(19.1.2012) Das Tief der zurückliegenden fünf Jahre liegt beim Baltic Dry Anfang Dezember 2008 bei unter 700 Punkten. Ich habe die Marke von 950/900 deshalb als "Referenz" angegeben, weil sie aus dem Frühjahr 2009 stammt, als die Aktienbörsen wieder Tritt fassten.
(27.1.12) Der BDI notiert mittlerweile mit 753 nicht mehr weit entfernt vom Tief aus Dezember 2008. Unter dem folgenden Link kann auf eine mathematisch-statistische Arbeit mit dem Titel "The Baltic Dry Index as a Predictor of Global Stock Returns, Commodity Returns, and Global Economic Activity" zugegriffen werden. Die Verfasser von den Universitäten Maryland und Georgetown schreiben: "The goal of this paper is to show that the growth rate of the Baltic Dry Index (BDI) has predictive ability for a range of stock markets, which is demonstrated through in-sample tests and out-of-sample statistics." Dies deckt sich mit der früher hier schon geäußerten Meinung, dass es bei der Analyse auf die Schnelligkeit der Bewegung des Index ankommt.
(2.2.12) Eine kanadische Internet-Seite zeigt auf, dass der Rohstoff-Boom der Jahre 2006 bis 2008 eine Bestell-Welle bei Schiffen ausgelöst hat, die jetzt fertig gestellt sind. Da sie aktuell nicht wirklich gebraucht werden, drückt die zusätzliche Frachtkapazität auf die Frachtraten. Möglicherweise ist die Botschaft des beständigen schnellen Falls des Baltic Dry Index aber auch eine Botschaft hinsichtlich China. Das Land ist bekanntermaßen volatil in seinem Beschaffungsverhalten. Vielleicht steckt jetzt mehr dahinter, nämlich ein drohender Abschwung der Wirtschaft dort. Denkbar aber auch, so die Kanadier, dass der Bedarf nach Frachtkapazität in der nächsten Woche wieder sprunghaft ansteigt, wenn die chinesischen Neujahrsfeiern vorbei ist.
Das könnte Sie auch interessieren:
- S&P 500 – kocht er oder kocht er nicht? vom 07.12.2024
- S&P 500 – weiterer Tempoverlust vom 16.03.2024
- Wenn alle (zu) optimistisch sind, geschieht etwas anderes vom 07.12.2024
Schreibe einen Kommentar