Sanktionen gegen Russland – bringt es das?

Als Reaktion auf den Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 verhängte die USA ein Füllhorn an Sanktionen, denen sich nahezu alle Länder in Europa vollumfänglich anschlossen. Die Erwartung war, dass darüber hinaus auch viele andere Länder folgen würden. Das war und ist nicht der Fall.

Die US-Finanzministerin Janet Yellen erklärte kurz danach, dass „die russische Wirtschaft als Folge dessen, was wir bereits getan haben, am Boden zerstört sein wird." Und: „Wir haben Russland finanziell isoliert. Der Rubel befindet sich im freien Fall. Der russische Aktienmarkt ist geschlossen. Russland wurde effektiv vom internationalen Finanzsystem ausgeschlossen." Erste Prognosen sahen die russische Wirtschaft in 2022 um 10% oder mehr einbrechen.

Es stimmte, der Rubel ging zunächst auf Talfahrt. Zu Jahresbeginn 2022 lag er bei 0,013 gegen Dollar, halbierte sich dann Ende Februar fast, erholte sich kurz darauf auf über 0,019 und notiert aktuell etwas über dem Stand von vor einem Jahr bei 0,014. Ein Rubel in freiem Fall sieht anders aus (Chartquelle).

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Auch sonst hat sich Yellen geirrt. Russland hat sich nicht aus der Ukraine zurückgezogen, es kam zu keinem Regimewechsel, die Wirtschaft ist nicht zusammengebrochen. Die Maßnahmen haben nicht gewirkt.

Das ist nicht ungewöhnlich – jahrelange Sanktionen unter Führung der USA haben auch in Kuba, Venezuela, Nordkorea, Iran und Syrien nicht die beabsichtigte Wirkung erzielt. Sanktionen schaden oft der Zivilbevölkerung mehr als der Regierung, aber häufig führt das dazu, dass sich die Bevölkerung mit ihrer Regierung solidarisiert. Die Erwartung, man könne die inneren Widersprüche in einem Land durch Sanktionen verschärfen, verkehrt sich oft in das Gegenteil.

Im aktuellen Fall haben die Sanktionen außerdem noch bewirkt, dass Russland näher an China, Indien, die Türkei, den Iran, Saudi-Arabien und andere Länder wie etwa Pakistan herangerückt ist. Und viele Länder Afrikas, des Nahen Ostens und Lateinamerikas haben es abgelehnt, sich an den Sanktionen zu beteiligen.

Die Sanktionen des Wertewestens umfassten auch das Einfrieren von ausländischen russischen Vermögensgegenständen und Bankguthaben. Das wiederum hat vielen Staaten auf der Welt gezeigt, wie wenig sicher ihr Vermögen im Einflussbereich des US-Dollar ist und die Tendenz verstärkt, sich in einer multipolaren Welt zu diversifizieren. Und das schwächt die Rolle des Dollar als Weltleitwährung erheblich und wird sie weiter schwächen. Das aber ist eine Gefahr für die Vormachtstellung der USA (siehe etwa hier!).

Um Europa braucht sich die USA in dieser Hinsicht keine Sorgen zu machen. Die Länder der EU haben sich dem US-Diktat sklavisch gebeugt und mit der Sprengung der Gas-Pipelines in der Ostsee haben die USA (siehe hier – Einträge vom 9.2.23!) auch vollendete Tatsachen geschaffen, die eine Rückkehr zu Energielieferungen aus Russland auf Jahre hinaus vereiteln. Der Heartland-Doktrin ist Genüge getan (siehe etwa hier und hier!).

Das russische BIP ist im dritten Quartal 2022 annualisiert um 3,7% gegenüber dem Vorjahreswert gesunken, man hatte nach –4,1% im zweiten Quartal 2022 mit schlechteren –4% gerechnet (Chartquelle).

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Damit scheint das Tal durchschritten und es wird noch Beschämender für die Befürworter von Sanktionen: Der Internationale Währungsfonds erwartet für die russische Wirtschaft in 2023 eine unerwartete Steigerung des BIP um 0,3%, für 2024 sollen es 2,1% werden. Zuvor waren –2,3%, bzw. +1,5% prognostiziert worden. Zum Vergleich: Das deutsche BIP soll in 2023 demnach nur um 0,1% wachsen, die britische Wirtschaft wird der Prognose zufolge um 0,6% schrumpfen. Das Wachstum der USA soll von 2% auf 1,4% in diesem Jahr schrumpfen. Das Wachstum der Eurozone wird von 3,5% auf 0,7% zurückgehen, so der IWF.

Die im Dezember verhängte Preisobergrenze der G-7 für russisches Öl verpufft. Der IWF-Bericht spricht davon, davon dürften die russischen Rohölexportmengen nicht wesentlich beeinträchtigt werden, „da der russische Handel weiterhin von den sanktionierenden in die nicht-sanktionierenden Länder umgeleitet wird."

Die russischen Ölexporte waren im Januar 2023 so hoch wie seit sechs Monaten nicht und auch höher als in jedem Monat des Jahres 2021. Chinas Ölimporte aus Russland befinden sich auf einem Rekordhoch. Indien importiert jetzt 33 mal so viel russisches Öl wie vor einem Jahr. Damit ist Russland nun der führende Öllieferant für China und Indien.

Wie hier ausführlich berichtet, zeigte sich im zurückliegenden Jahr auch eine überraschende, verdeckte Handelskontinuität in Europa. Nach kurzem Einbruch lagen Mitte 2022 die Exporte nach Russland schon fast wieder auf Vorkriegsniveau. Russische Verbraucher haben mittlerweile wieder Zugang zu vielen westlichen Waren durch Parallelimporte aus Ländern, die keine Sanktionen verhängt haben. Und weiter: Der viel beworbene Exodus westlicher Unternehmen aus Russland war zum Teil eine Illusion. Ein Großteil der ausländischen Unternehmen ist offenbar in Russland geblieben. Und manches Unternehmen, das Russland verlassen hat, bestand auf einer Klausel, die es ihm erlaubt, ihre beim Exodus übergebenen Assets innerhalb der kommenden sechs Jahre zurückzubekommen.

Die folgenden beiden Charts unterlegen, dass die russische Wirtschaft insgesamt bisher nur in recht geringem Ausmaß von den westlichen Sanktionen betroffen war. Ich hatte sie in diesem Artikel bereits gezeigt.

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Der russische Staatshaushalt wies im vergangenen Jahr trotz Rekordeinnahmen ein Defizit von 47,4 Mrd. Dollar auf. Die Staatsausgaben sind im Vergleich zum Vorjahr um 26% auf 92 Mrd. Dollar angestiegen. Bezogen auf das BIP kommt das Defizit auf –2,3%, in 2020 lag es noch tiefer, bei –4%, 2009 sogar bei –7,9%. Die Staatsverschuldung bezogen auf das BIP betrug 2021 18,2%. Sie soll 2022 auf knapp 20% steigen und in 2023 21,5% erreichen. Ein Problem würde das für den Kreml nur, wenn die Einnahmen in der kommenden Zeit stark sinken bei voraussichtlich steigenden Militärausgaben. Gegenwärtig ist ein Einbruch bei den Energiepreisen jedoch kaum absehbar.

Und weil offensichtlich ist, dass die Sanktionen ihren Zweck bisher nicht erreicht haben, plant der Wertewesten zum Jahrestag des russischen Einmarschs in die Ukraine weitere Sanktionen. Aus den jahrzehntelangen Erfahrungen mit zahlreichen anderen Sanktionierungen scheint man nichts zu lernen. Oder anders: Welche Hebel hätten die USA & Co, um Russlands Einnahmen aus Energieexporten drastisch und nachhaltig einbrechen zu lassen?

Nachtrag:
(15.2.23) „Im März 2022 habe das ‚Institute of International Finance’ noch prognostiziert, dass die russische Wirtschaft bis zum Jahresende um 15 Prozent schrumpfen würde. Doch der Rückgang dürfte deutlich geringer sein, lediglich um etwas mehr als 3 Prozent. Der Internationale Währungsfonds geht in seiner jüngsten Prognose sogar davon aus, dass sich die russische Wirtschaft im Jahr 2023 geringfügig erholen werde, um 0,3 Prozent. (…) Bis Ende 2022 haben die meisten westlichen Staaten ihre Importe von Öl, Gas und Kohle aus Russland erheblich reduziert oder ganz eingestellt. Doch im vergangenen Monat erreichten die russischen Rohölexporte im Vier-Wochen-Durchschnitt den höchsten Stand seit Juni. (…) Sowohl die Finanzkrisen von 1998 und 2008 als auch die Pandemie-Rezession von 2020 verursachten schlimmere Rückgänge des realen BIP-Wachstums als die im vergangenen Jahr verhängten Sanktionen – Massnahmen, die wirtschaftlich einst als ‚nukleare Option’ angepriesen wurden.

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