Technokratie und Totalitarismus

In der Coronakrise sieht man im Wesentlichen zwei Lager: Diejenigen, die das Mainstream-Narrativ vom Coronavirus weitgehend für wahr halten, die „Gläubigen“, und diejenigen, die dieses Narrativ hinterfragen, die „Zweifler“.

Die Zweifler verstehen in der Regel nicht, warum so viele Zeitgenossen einem so offensichtlich falschen Narrativ aufsitzen, daran glauben, es für wahr halten. Viele Zweifler erklären das mit dem Wirken böser Mächte im Hintergrund, die ihre eigene Agenda voranbringen wollen.

Prof. Harald Walach zählt sich zu den Zweiflern, findet aber die Erklärungen, die Verschwörungs-Theorien anbieten, eher unzureichend. In dem Buch von Mattias Desmet „The Psychology of Totalitarianism“ sieht er einen wichtigen Versuch, diese Erklärungslücke zu schließen. Ich beziehe mich im folgenden zunächst im wesentlichen auf seine Rezension.

Desmet versucht also zu erklären, warum es ein koordiniertes Massenphänomen wie die große Gruppe der Gläubigen geben kann, ohne dass im Hintergrund irgendeine Gruppe von Menschen diese Bewegung orchestriert. Er benennt die herrschende Hintergundideologie, die uns nach deren aktueller Form uns selber und die Welt um uns herum nur noch als Maschine begreifen lässt. Das ist der gemeinsame Inhalt von Szientismus, mechanistischem Weltmodell und materialistischem Naturalismus.

Wenn wir uns als kleines Rädchen in einer großen Maschine begreifen, dann sehen wir konsequenterweise alle Störungen, Fehler und Krankheiten als mechanische Fehlfunktionen an, denen man wiederum nur auf derselben Ebene entgegenwirken kann. Social, political oder medical engineering ist die Folge, also sozialwissenschaftliche, politische oder medizinische Eingriffe. Es werden überall immer mehr Kontrollprozesse eingebaut, um Fehlfunktionen frühzeitig zu entdecken. Damit wird das universelle Steuern und Kontrollieren, die ingenieurtechnische Qualitätssicherung, zur herrschenden Doktrin.

Wenn wir uns als kleines Rädchen in einem riesigen mechanischen Prozess begreifen, entsteht nach Desmet Angst. Diese Angst hat aber kein Objekt, auf das sie sich beziehen kann. Das führt zu allgemeiner Frustration und Aggression. Wenn das bei einer großen Zahl von Menschen der Fall ist, dann wird sich diese Angst immer wieder ein neues Ziel suchen: Terroristen, Islamisten, Ausländer, Klimakatastrophe – oder eben Pandemie.

In einer solchen Situation greifen Selbstorganisationsprozesse, die relativ rasch zu neuen Strukturen, neuen Mustern und neuen Ordnungen führen. Desmet bezieht sich auf Beispiele aus der Chaostheorie, die zeigen, wie so etwas funktioniert. Diese Selbstorganisationsprozesse scheinen jedenfalls so gut koordiniert zu sein, dass man sich schwer vorstellen kann, wie sie von selber entstehen.

Die vormals atomisierten, in einer sinnlosen und leeren Welt vor sich hin dümpelten Individuen fühlen plötzlich einen neuen Sinn und neue Verbundenheit und Solidarität mit anderen. Alle sind darin vereint, diese neue Bedrohung zu bekämpfen. Diese Ingroup der Gläubigen fühlt sich ähnlich wie die Mitglieder religiöser Gruppierungen oder politischer Parteien nach innen gut und grenzt sich nach außen ab. Die Gläubigen sehen die Argumente der Zweifler als Bedrohung ihres neuen Weltbilds und entwerten sie. Die Zweifler finden kein Gehör mehr, dringen nicht mehr durch die Kanäle der Berichterstattung der Mainstream-Medien, sie müssen sich Nebenkanäle suchen.

Das führt zur nun sichtbar gewordenen Spaltung der Gesellschaft. Politiker haben ein gutes Gespür für Wünsche und Bedürfnisse der Massen. Sie spüren förmlich deren Wunsch nach neuen, vermeintlich Sicherheit gebenden Regularien und kommen ihm nach. Die Politiker sind also nach Desmet nicht in erster Linie Treiber, sondern Getriebene. So entstehen Lockdown, Maskenpflicht, überhöhte Hoffnung auf die Wirkung von Impfungen und von anderen Interventionen.

Die absurdesten Maßnahmen werden weitergepflegt, weil sie sich aus dem Narrativ ergeben, das nun der Welt einen neuen Sinn verleiht. So wird auch die Angst in Schach gehalten. Gegenargumente werden ausgeblendet und Gegner, die Zweifler und Skeptiker, werden entmenschlicht. Die Sprache entgleist dann sogar bei Menschen, denen das man nicht zugetraut hätte.

Die Prozesse der Selbstorganisation führen auch dazu, dass die Mehrheit gegenüber Nebeneffekten blind wird, zum Beispiel den Kollateralschäden, die Abwehrmaßnahmen gegen die Infektion angerichtet haben, gegenüber den Impfnebenwirkungen. All das darf nicht einmal genannt, geschweige denn untersucht werden, wenn man seinen Stand in der Gruppe der Gläubigen nicht verlieren will. Die Unmenschlichkeit, die hier zutage tritt, wird geflissentlich übersehen.

Alle diese Prozesse laufen vor dem Hintergrund ab, dass die Gläubigen die Welt und sich selber als seelenlose Maschine und als biologischen Automaten sehen. Damit ist es nur folgerichtig, wenn die Gläubigen einer Optimierung durch Technokratie zustimmen. Und so ist der Fortbestand der Herrschaft von Experten und Technokratie und mit allem das Aufkommen des Totalitarismus die logische Konsequenz.

Das ist der Teufelskreis: Aus der Selbstsicht als fremdbestimmtes Individuum entsteht Angst. Diese richtet sich auf das nächst beste Bedrohungsgeschehnis und motiviert die politisch Handelnden zu totalitärem Durchgriff. Dieser totalitäre Durchgriff führt zu einer Verstärkung des zugrundeliegenden Denkens und damit zu einer Perpetuierung der Denkweise, die die Probleme erzeugt hat. Diese Ideologie führt also genau zum Gegenteil des Ziels eines besseren Lebens. Sie endet in einer totalitären Gesellschaft, im Totalitarismus.

Auch in einer Demokratie kann Totalitarismus entstehen. Er strebt zunächst den Durchgriff auf ein Problem an, dann aber auch auf die Bevölkerung, die bei diesem Durchgriff möglicherweise im Wege steht. Am Ende sollen alle der Ideologie untertan sein. Im Abgrenzung dazu sieht Desmet, dass es Diktatoren nur um die Festigung der eigenen Macht geht. Eine anfängliche Willkürherrschaft mündet dabei in sich ausschließlich gegen die Opposition richtende Gewalt.

Das Besondere der Corona-Krise ist es, dass es zum ersten Mal die ganze Welt in den totalitären Strudel gezogen hat, weil der Naturalismus zur dominanten Hintergrundideologie geworden ist. Die großen religiösen Erlösungsnarrative standen zumindest im Westen dem nicht entgegen, auch weil die offiziellen christlichen Kirchen im Corona-Mainstreamnarrativ gefangen waren, wie Walach anmerkt.

Desmet bezieht sich auf Hannah Arendt. Sie hat in ihrer Analyse des Totalitarismus des Nationalsozialismus gezeigt, wie vergleichsweise wenige Menschen die Massen verführen konnten. Die Anführer eines solchen totalitären Regimes sind genauso unter Hypnose wie sie die Massen hypnotisieren. In den Dikataturen von Nationalsozialismus und Stalinismus waren die totalitären Strukturen die zentralen Mechanismen. Diese Mechanismen funktionieren unabhängig von der politischen Ordnung, daher kann auch in unserer „freien, westlichen Demokratie" totalitäres Denken und Handeln Platz greifen.

Wie kann eine Lösung aussehen? Gewalt ist keine, auch nicht, mit ähnlichen sprachlichen Entgleisungen zu reagieren wie die Gegenseite. Desmet sieht die Lösung im Sprechen. Worte lösen eine Hypnose aus, Worte können sie auch wieder lösen. Reden, Schreiben, Diskutieren, ob in der Öffentlichkeit, zu Hause oder am Arbeitsplatz hilft. Desmet geht davon aus, dass ein harter Kern von vielleicht 30% der Bevölkerung zu den wirklich Gläubigen gehören. 40% bis 50% sind eher Mitläufer, die sehr wohl wissen, dass das Mainstreamnarrativ brüchig ist. Diese Gruppe kann man erreichen und durch gute Argumente überzeugen. Und wenn sich die Gruppe der Skeptiker vergrößert, dann dreht sich der Wind.

Wir haben also die Wahl: Entweder fordern wir vom Staat rundum Sicherheit und Schutz vor allen Gefahrenlagen des Lebens, oder wir lernen, mit Unsicherheiten zu leben und Gefahren zu ertragen. Im ersten Fall landen wir bei der totalitären Kontrolle. Im zweiten Fall erhalten wir uns unsere Freiheit.


 
Die von Walach dargelegten Gedanken zum Buch von Desmet entsprechen in mancherlei Hinsicht denen von Prof. Michael Esfeld. Auch Esfeld sieht den Totalitarismus als Ergebnis eines Prozesses, der zu allumfassender sozialer Kontrolle führt, einer uneingeschränkten Regulierung des Lebens der Menschen durch eine politische Autorität im Namen eines vermeintlichen Gemeinwohls. In der Charakterisierung des Totalitarismus sind sich beide Autoren ähnlich.

Den Weg dahin sehen beide Autoren unterschiedlich. Desmet stellt auf Prozesse einer massenpsychologischen Selbstorganisation ab, die einmal angestossen, vor dem Hintergrund eines naturalistisch-mechanistischen Weltbildes wirken. Esfeld sieht dagegen die Revidierung der Aufklärung als Grund an. Desmet dürfte womöglich in einigen Aspekten der Aufklärung Parallelen zu dem sehen, was er als herrschende „schädliche“ Hintergrund-Ideologie bezeichnet.

Esfeld misst der aktiven Rolle der Politik eine größere Bedeutung zu, Desmet hält sie eher für von den Bedürfnissen der Massen getrieben (eine Ansicht, die ich nicht teile). Desmet stellt auf die psychischen Folgen der herrschenden Ideologie ab, die Angst. Interessanterweise kritisiert er die technokratisch-mechanistische Ideologie und erklärt das Zustandekommen des Totalitarismus mit genau solchen quasi automatisch ablaufenden Ordnungsprozessen.

Eine weitere Erklärung zu dem, was heute geschieht und zu der Rolle, die Politiker in diesem Zusammenhang spielen, hat Wilhelm Reich geliefert mit seiner Theorie der „emotionellen Pest. Nach Reich sind emotionell pestkranke Charaktere als politische Akteure zwar selten, sie haben aber einen unverhältnismäßig großen und tragischen Einfluß in der menschlichen Geschichte. Es braucht nur einen hochenergetischen und gewieften Menschen, um die unterdrückte Wut und Destruktivität in den Massen neurotisierter Menschen zu erschließen und zu organisieren, so Reich.

In allen drei Theorien steckt (ein Teil der) Wahrheit. Die autonomen massenpsychologischen Prozesse von Desmet verstärken und organisieren den Einfluss, den emotionell Pestkranke auf das politische Geschehen bekommen können. Esfeld hat recht, indem er an Vernunft und Wissenschaft appelliert und anklingen lässt, dass es einen engen Zusammenhang zwischen politischen, wirtschaftlichen und medialen Akteuren und deren Interessen gibt.

Ich bin sehr wohl der Auffassung, das es Kräfte gibt, die ihre eigene Agenda im Auge haben und auch über die Macht verfügen, diese voranzutreiben. Letztlich sind diese Kräfte im Großkapital und in der Finanzindustrie, sowie in ihren privaten und staatlichen Institutionen zu suchen. Ein Aushängeschild in dieser Richtung ist Schwab mit seinem WEF (World Economic Forum – „Great Reset“). Diese Kräfte bedienen sich bestimmter Ideologien und kapern Medien, Politik und Staaten. Sie bedienen sich bestimmter Szenarien einer „gemeinsamen“ Bedrohung, etwa Terrorismus, Pandemie oder Klimakatastrophe, um die Bevölkerung in Angst vor einer allumfassenden Bedrohung verhaftet zu halten.

Ich habe versucht, die Zusammenhänge zwischen ökonomischer Basis und ideologischem Überbau im Artikel „Die moderne Pest“ darzustellen und dabei auch zu zeigen, vor welcher historischen Entwicklungsstufe des Kapitalismus das aktuelle gesellschaftliche Geschehen abläuft.

Letztlich hängt es von jedem Einzelnen ab, wie sich die Geschichte entwickelt. Die angerissenen Theorien erklären Aspekte der gesellschaftlichen Entwicklung, zeigen aber keine Zukunft auf. Wenn genügend Leute sich den Vorhaben von Kräften wie Schwab & Co verweigern, werden diese nicht weiterkommen. Und das fängt beim Sprechen an, wie Desmet schreibt.

Unter anderem deshalb gibt es diesen Blog.

Ergänzung:
Prof. Walach sieht die Lektüre des Buches von Desmet als extrem nützlich an: „Und ich würde es vor allem all jenen ans Herz legen, die glauben, die eine oder andere Verschwörungstheorie erklärt ihnen die Welt. Sie werden hier eine andere Form der Verschwörung am Werk finden: die einer mächtigen Ideologie gegen das kulturelle Selbstverständnis, das im Abendland und im Westen noch bis vor Kurzem gegolten hat."

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