S&P 500 wieder über EMA200

Der S&P 500 hat am zurückliegenden Freitag einen beachtlichen Rebound hingelegt. Intraday hat er die wichtige Unterstützung bei rund 4290 ausgelotet, von dort aus sprang er 3,3% in die Höhe und schloss auf dem Tageshoch von 4432 Punkten. Der zuletzt am schwersten gebeutelte Tech-Sektor war mit 4,3% Tagesgewinner.

Der VIX, Angstmesser an Wall Street, ist extrem überkauft. Einige Tage zuvor hatte er intraday einen Pegel erreicht, an dem es seit Juni 2020 jeweils zu einer schnellen Abwärtswende, bzw. Aufwärtswende im S&P 500 gekommen war (Ausnahme September 2020). Die ADL des täglichen Verhältnisses der Anzahl steigender und fallender Aktien an der NYSE steht jetzt so tief wie im März 2020. Die Volumenverteilung ist am 20. Januar in Distribution gekippt. Das Put/Call-Verhältnis ist extrem bärisch, das zugehörige Volumen ist auf Extrem-Niveau. Das sind Indizien für eine zeitweilige Stabilisierung bei Aktien – mehr dazu weiter unten.

Ich möchte noch einmal auf die Wortmeldung von Jeremy Grantham zurückkommen, die ich vor einer Woche aufgegriffen hatte. Er warnt davor, dass es in den USA zu dem größten Vermögensverlust in der Geschichte kommen könnte. Eine Blase bei Aktien sei gefährlich, weil über den Wohlstandseffekt ein Nachfrag-Schock ausgelöst werden könnte. Paradebeispiel hierfür seit 1929 gewesen. Eine Blase im Immobiliensektor sei aber gefährlicher, insbesondere wenn der private Wohnungsbau betroffen ist. Hier gibt es dann nicht nur gravierende Nachfrage-Effekte, sondern auch direkte Auswirkungen in den Finanzbereich hinein. Als Beleg dafür bringt er einen Chart aus Japan, der zeigt, dass sich der Nikkei-Index für Aktien nur halbwegs vom Crash aus 1989/1990 erholt hat und die Immobilienpreise (hier von Gewerbeimmobilien) weiter am Boden liegen (Chartquelle).

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Wenn die Blasen bei Aktien und Immobilien zur gleichen Zeit platzen, sei das wesentlich gefährlicher als wenn nur eine von beiden kollabiert. Die wirtschaftlichen Konsequenzen dieses Ereignisses in Japan wirken immer noch, so Grantham. Die aktuelle Situation in den USA sei noch brenzliger, es gebe Blasen in allen größeren Vermögensklassen.

Heutzutage kosten Häuser nach einer Preissteigerung von 20% in 2021 bezogen auf das Familien-Einkommen in den USA mehr als in der Hauspreis-Blase von 2006, sagt Grantham. In anderen Ländern, wie etwa in Kanada, Australien, in England oder insbesondere in China ist die Übertreibung noch größer. Nach Grantham hat sich in den US-Aktienmärkten wie noch nie die Illusion festgesetzt, Aktien könnten nur steigen. Das aber ist die wirkliche Essenz einer Preisblase. Drittens haben wir in den USA und in den meisten anderen Ländern den am höchsten bepreisten Bond-Markt, bzw. was dasselbe ist, die niedrigsten Renditen. Und viertens sehen wir auf breiter Front überteuerte Rohstoffe. Gleichzeitig befinden sich die Nahrungsmittelpreise nahe ihrem Allzeit-Hoch.

Indizien für eine Blasenbildung bei Aktien liefert der folgende Chart, der den S&P 500 vergleicht mit den Verhältnis seiner Marktkapitalisierung zum Brutto-Gesamteinkommen (Chartquelle).

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Der folgende Chart zeigt, welchen Anteil Aktien am Haushaltsvermögen haben (Chartquelle).

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Wir sind nach diesem Chart mehr oder weniger wieder dort, wo wir schon einmal in der dotcom-Blase waren. Ein solch hoher Wert zeigt klar die Gefahr eines Nachfrageschocks der Konsumenten auf, wenn die Aktienblase platzt.

Wie 2008 sehen wir die Kombination von steigenden Rohstoffpreisen bei gleichzeitig beginnenden Luftablassen in anderen Blasen (etwa bei Bonds und Aktien). Das sei ein Indiz für kommende wirtschaftliche „Schmerzen“, so Grantham, und beinhalte ein größeres Potenzial für kollabierenden Wohlstand als irgendwann vorher in der Geschichte. Die Fed und die anderen großen Zentralbanken auf der Welt aber scheinen die aktuelle Situation nicht als besonders gefährlich einzuschätzen, so Grantham.

Ich denke, Grantham hat in vielen Punkten recht. Mit dem möglichen Verlustpotenzial bei Aktien hatte ich mich hier beschäftigt. Das Ziel einer Korrektur könnte im S&P 500 bei etwa 2650 liegen, das wäre der Bereich, in dem der S&P 500 über weite Strecken in 2018 lief. Die Frage ist natürlich, ob damit das gesamte Korrekturpotenzial abgearbeitet ist, insbesondere, wenn es nachfolgend zu einer ausgeprägten Rezession kommen sollte.

Zum Thema der Hauspreis-Blase möchte ich folgende Daten beisteuern. Nach dem CSXR-Hauspreisindex der zehn größten Ballungsräume stehen die Immobilienpreise heute um 31% höher als im Sommer 2006, dem lokalen Maximum, von dem aus es dann um 32% herunter ging bis zum breiten Tief zwischen Mitte 2009 und Mitte 2012. Die Einkommensentwicklung nach dem „Real Disposable Personal Income“ (DSPIC – reales verfügbares persönliches Einkommen) beträgt seit Sommer 2006 +37%, nach „Disposable Personal Income“ (DSPI – verfügbares persönliches Einkommen) beträgt sie im selben Zeitraum 81%. Ich weiß nicht, auf welche Daten sich Grantham stützt, aber danach ist die Hauspreisblase nicht so aufgeblasen, wie er das annimmt.

Keine Rede ohne Gegenrede: Ed Yardeni stimmt Grantham in einigem zu, hat aber Gegenargumente. Bär-Märkte entstehen gewöhnlich in Rezessionen, die normalerweise durch Kreditklemmen ausgelöst werden. Kreditklemmen sind oft das Ergebnis einer geldpolitischen Straffung. Die Fed bewegt sich in diese Richtung, entscheidend ist aber, wie sehr. Dass dies von den Akteuren bei Aktien genauso gesehen wird, konnte man am Mittwoch nach Veröffentlichung der Beschlüsse des FOMC-Treffens beobachten. Nach Äußerungen des Fed-Chefs Powell wurden plötzlich auch fünf Zinsschritte in 2021 für möglich gehalten – und schon verkauften Aktien ihre Tagesgewinne und landeten tief im Minus.

Yardeni glaubt nicht, dass die Fed eine Kreditklemme dadurch herbeiführt, indem sie die Leitzinsen per 2021 auf 1% und per 2023 auf 2% anhebt. Wahrscheinlich beläuft sich die Überschuss-Liquidität in der Geldmenge M2 (aktuell 21,6 Bill. Dollar) gemessen am Trend vor der „Pandemie“ auf rund drei Bill Dollar (also 14% Anteil). Eine Reduktion derselben muss keine direkten makroökonomischen Auswirkungen habem. Außerdem sieht Yardeni die Inflation nicht als so unbeherrschbar an. Daher sieht er kein „Volcker 2.0“-Szenario, eine Kombination aus galoppierender Inflation und so schnell steigenden Leitzinsen, dass das eine Rezession auslöst.

Die Rezessionsfrage ist der Dreh- und Angelpunkt. Eine etwa von fallenden Aktienkursen ausgelöste, mäßige und langsam nachlassende Nachfrage muss nicht zwangsläufig darauf hinauslaufen. Sie würde heiße Luft aus der Inflationsentwicklung ablassen, mithin auch Druck von der Fed nehmen. Wenn die „Pandemie“ zu Ende geht, würde die Nachfrage nach Dienstleistungen zunehmen, was per Saldo die Nachfrage-Entwicklung abfedern würde. Zweifellos ein optmistisches Szenario, das Yardeni da entwickelt.

Und er sieht, dass bisher schon aus allen möglichen Blasen die Luft entweicht. Als Beispiel nennt er „Meme-stocks“, Kryptowährungen, SPACs. Die Tech-Giganten, von Yardeni „MegaCap-8” genannt, korrigieren ebenfalls. Seit ihrem Hoch am 27. Dezember sind sie um 14% gefallen. Mit ihrer Marktkapitalisierung von 11 Bill. Dollar kommen sie auf 50% der Marktkapitalisierung der „S&P 500 Growth stock price index“. Der Russell 2000 notiert 20% unter seinem Allzeithoch aus November, der Biotech-Sektor bringt es auf ein Minus von 30%. Also, so Yardeni, sind signifikante Teile des Marktes bereits im Bärmarkt-Terrain ohne allzu große Auswirkungen auf den Rest.

Die Preisentwicklung von Energie und Rohstoffen sieht Yardeni im Rahmen der Nachfrageerholung nach den „Pandemie“-Tiefs. Er sieht keinen spekulativen Exzess. Auch die Immobilienpreise würden nicht durch Spekulanten hoch getrieben, sondern durch ein knappes Angebot. Bei Bonds teilt Yardeni die Ansicht von Grantham, aber die niedrigen Renditen beunruhigen ihn nicht besonders. Was die Preisentwicklung bei Rohstoffen angeht, so kann man der Meinung von Yardeni vielleicht gerade noch folgen. Weitere Zuwächse wären aber mit Sicherheit Blasen-verdächtig.

Zwei Ansichten – Grantham sieht Aktien auf 2500 abstürzen, nach Yardeni dürfte es wohl eher zu ausgeprägter Sektorrotation (aus „Growth“ in „Value“) kommen bei volatiler Seitwärtsbewegung des Gesamtmarktes. Beide sind sich einig, dass entscheidend ist, ob das Platzen von Preisblasen v.a. bei Immobilien und Aktien eine Rezession auslöst.

Das US-BIP ist in Q4/21 um annualisiert 6,9% angestiegen. Das ist der höchste Wert seit Q3/20. Zusammen mit der BIP-Entwicklung sind jetzt auch die Zeitreihen anderer wichtiger Makrodaten auf ihre Dezemberwerte hin aktualisiert worden. Das Ergebnis sieht man im folgenden Chart.

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Per 29.1.22 zeigt das rechte obere Teilbild bei der kurzfristigen Tendenz Tempoverlust (zum Vergleich das Teilbild links daneben vom 26.1.22 mit Makrodaten aus November), während der langerfristige Trend stabil ist. Die „Macro Recession Probability“ (Chart in der Mitte) wird seit März 21 bei eins von drei Stufen gesehen (zuvor auf Stufe zwei). Ein unmittelbares Ausbrechen einer Rezession dürfte nicht anstehen, allerdings ist ein klarer makroökonomischer Dynamikverlust festzustellen. Die Stimmungindikatoren sind indifferent, sie laufen gewöhnlich vor. Also kommt es jetzt v.a. darauf an, wie sich diese entwickeln. Ich vermute, sie werden sich in der nächsten Zeit schwächer präsentieren.

Die Analyse des Verlaufs der Kreditentwicklung zusammen mit dem Renditespread zwischen 3m-TBills und 10yr-TNotes zeigt seit längerem eine Rezessions-Wahrscheinlichkeit von zwei (von vier Stufen). Eine Gegenüberstellung von S&P 500, Bonds, Gewinnrendite und Dividendenentwicklung zeigt sich unauffällig. Die Rezessionswahrscheinlichkeit aus Sicht einer statistischen Auswertung von Merkmalen der Zinsstruktur lässt ebenfalls keine unmittelbare Rezessionsgefahr erkennen (siehe Chart).

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Zusammengefasst kann man also feststellen, dass eine Rezession vermutlich nicht gleich um die nächste Ecke kommt. Aber beobachten sollte man den Dynamikverlust auf der Makroseite genau.

Im folgenden Chart des S&P 500 sieht man, dass sich der Index mühsam oberhalb von 4300 stabilisiert. Er hat am zurückliegenden Freitag auch über der EMA200 geschlossen. Das ist im Sinne einer längerfristigen Entwicklung positiv zu werten, zumal die EMA200 aktuell noch nicht abwärts tendiert. Hier waren „Techniker“ am Werk… Erstes wichtiges Ziel der Bullen dürfte der Pegel bei ~4540 sein. Auf der Unterseite muss weiterhin der Bereich bei ~4300 halten. Falls nicht, kommt der Bereich bei ~4100 in den Fokus (Chartquelle).

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Übergeordnet hängt viel davon ab, ob die EMA50 (aktuell bei ~4585, abwärts) zügig zurückerobert werden kann. Manche Marktindikatoren befinden sich auf sehr bärischem Niveau, insgesamt ist die Markttechnik angeschlagen. Unterhalb der EMA50 verläuft bei ~4540 ein wichtiger Widerstand. Ich bezweifele, ob die Bullen leichtes Spiel haben und so ohne weiteres nach oben durchbrechen können. Womöglich kommt es erst einmal zu volatilem Herumgezerre zwischen Bullen und Bären im Bereich zwischen 4380 und 4540. Ganz kurzfristig würde ich eher noch „aufwärts“ erwarten.

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