Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes kennt in den USA seit 20 Jahren nur eine Richtung – abwärts. Sie gibt das Verhältnis des nominalen BIP zur Geldversorgung wider. Damit zeigt sie an, wie oft ein Dollar dazu benutzt wird, Waren und Dienstleistungen zu kaufen. Also gilt auch: Sinkt die Umlaufgeschwindigkeit produziert eine Währungseinheit weniger BIP.
In den 1990er Jahren war die Welt noch in Ordnung. Die Umlaufgeschwindigkeit (der Geldmenge M2) stieg in dieser Zeit deutlich an und erreichte in der zweiten Hälfte dieser Periode Werte zwischen 2,1 und 2,2. Eine Währungseinheit produzierte damals also über zwei Einheiten BIP. 2000 startete die bis heute anhaltende Abwärtsbewegung mit gelegentlichen schwachen Gegenbewegungen. Ab März 2008 ging es von 1,9 aus 18 Monate beschleunigt abwärts. Ende 2019 lag sie bei rund 1,4, stürzte Anfang 2020 ab und liegt heute bei gut 1,1.
Es lohnt auch ein Blick auf den Multiplikator der Geldmenge M2 zur Basisgeldmenge M0. Er stieg vor den beiden jüngsten Rezessionen jeweils deutlich an. Anfang 2006 lag der Wert bei 6,3. Im August 2008 erreichte er bei 6,9 sein lokales Maximum, eine Steigerung um 9,5%. In diesem Zeitraum stieg M0 um 5,4% (M0 im Nenner!). Anfang 2018 lag der Wert bei 2,7. Im September 2019 erreichte er mit 3,5 ein lokales Maximum. Von dieser Steigerung um fast 30% geht etwa die Hälfte auf das Konto der damaligen Bilanzschrumpfung der Fed (M0 im Nenner!). Es verbleibt in beiden Fällen vor den beiden jüngsten Rezessionen eine etwa gleich starke relative und insbesondere im zweiten Fall von höherer Basis aus eine starke absolute Ausweitung von M2. Offenbar jeweils ein Warnzeichen.
Die Geldmenge M2, auf die sich die hier diskutierte Umlaufgeschwindigkeit des Geldes bezieht, steigt seit Mitte der 1990er Jahre kontinuierlich an, in der Zeit zwischen 1997 und 2019 um den Faktor 4. Das nominale BIP ist im selben Zeitraum um den Faktor 2,55 gewachsen. M2 beinhaltet die Geldmengen M0 (Geldbasis) und M1. M0 umfasst das umlaufende Bargeld und die bei der Zentralbank gehaltenen Reserven der Geschäftsbanken (Wachstum im angegebenen Zeitraum um den Faktor 7,4). M1 beinhaltet zusätzlich sofort verfügbare Bank-Einlagen ohne Kündigungsfrist (Wachstum im angegebenen Zeitraum um den Faktor 3,8). M2 umfasst zusätzlich weniger liquide Assets, die aber verhältnismäßig schnell mobilisiert werden können (Chartquelle).
Bildet man die Differenz zwischen M2 und M1, so erhält man den Wert der weniger liquiden Assets („near money“ – im Chart "violett"), etwa längerfristige Spareinlagen mit Kündigungsfrist, sowie Geldmarkt-Fonds. Im angegebenen Zeitraum zwischen 1997 und 2019 ist dieser Wert um den Faktor 4,1 gewachsen, von 2,7 auf 11 Bill. Dollar. Das wirft ein Schaglicht auf die Entwicklung hin zu einer immer stärker finanzialisierten Wirtschaft.
Die aktuelle Entwicklung (August) sieht einen einen jährlichen Zuwachs der Geldmenge M2 um 13,2%, der Zuwachs von M0 kommt dank anhaltender QE-Maßnahmen der Fed auf 31,7%. M1 ist heute 20% größer, in der ersten Maiwoche 2020 hatte sie sich dank der ersten direkt an die Bevölkerung gehenden Hilfen der Regierung verdreifacht. Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes zeigte in Q2 und Q3 2020 einen kurzen Anstieg und dümpelt jetzt bei gut 1,1 dahin. Eine Währungseinheit produziert aktuell also nur noch gut eine Einheit nominales BIP. Herrscht deutliche Inflatioen wie aktuell, ist das Verhältnis in Bezug auf das reale BIP noch ungünstiger.
Die Einsicht aus den zurückliegenden zwei Jahrzehnten: Geld wandert (oder bleibt) in immer größerem Umfang in Finanzanlagen, beschleunigt offenbar vor Rezessionen (s.o.). Das bedeutet auch, dass die Liquidität, die die Fed frisch in die Wirtschaft pumpt, immer weniger dazu beiträgt, die Realwirtschaft zu stimulieren. Oder anders ausgedrückt: Es verlässt zum großen Teil den Bereich der Finanzwirtschaft erst gar nicht. Wo aber mehr Geld ist als kaufbare Dinge, in diesem Fall etwa Aktien, Anleihen und Rohstoffe, steigen die Preise. Das hatte in der Vergangenheit zu einer Inflationierung der Vermögenspreise geführt.
Fed und Regierung haben ihre „Maßnahmen“ im Gefolge der „Corona-Krise“ damit begründet, die Wirtschaft ankurbeln zu wollen. Mag sein, dass bestimmte Aktionen der Fed mit dem Beginn der Lockdowns in 2020 nötig waren, um einen Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern. Aber das Ziel der Politik von Regierung und Fed hätte eigentlich lediglich lauten dürfen, den von diesen Maßnahmen betroffenen Bürger und Unternehmen zu helfen, über die Runden zu kommen, ihnen also verlorene Einkünfte zu ersetzen. Nicht mehr und nicht weniger.
Statt dessen ließen sie die Friedmanschen Hubschrauber steigen und ließen Geld über das Land regnen. Zunächst bekam jeder Arbeitslose 300 Dollar pro Woche, zu viel für den einen, nicht genug für den anderen. Dann bekam fast jeder Bürger der USA einen Scheck, im Herbst 2020 noch einen und Anfang 2021 noch einen. Wenn mehr Geld da ist (im aktuellen Fall in der Realwirtschaft) als Güter, Waren und Dienstleistungen, steigen die Preise.
Das Ergebnis sehen wir seit einigen Monaten in der Verbraucherpreis-Inflation. Sie kommt in den USA aktuell auf 5,4%, in Deutschland sieht es ähnlich aus. Die Nachfrage-getriebene Inflation ist die Konsequenz einer verfehlten Geldpolitik und verfehlter staatlicher Anreize. Die sechs Billionen Dollar an „Hilfen" der Fed und der Regierung können nicht irren…
Statt „verfehlt“ kann man auch sagen (Achtung Verschwörungstheorie!): Ende 2019 stand das Finanzsystem der USA und anderswo erneut (wie 2008) vor dem Kollaps (siehe z.B. hier!). Corona lieferte den willkommenen Anlass (ohne dass die breite Öffentlichkeit die wahren Zusammenhänge kannte) für erneute Rettungsmaßnahmen. Anders als bei den QE-Maßnahmen nach 2008, erreichte man dieses Mal mit den getroffenen „Hilfsmaßnahmen“ der Regierung, dass es zu einem Aufflammen der Inflation in der Realwirtschaft kam. Inflation ist aber genau das, was eine hoch verschuldete Wirtschaft dringend braucht, wenn sie schon nicht aus ihren Schulden herauswachsen kann. Und dass sie nicht aus ihren Schulden herauswachsen kann, zeigt sich u.a. eben an der lahmenden Umlaufgeschwindigkeit des Geldes.
Die Krisenprogramme sind immer noch in Kraft. Die Fed kauft weiter monatlich für 80 Mrd. Dollar Staatsanleihen und für 40 Mrd. Dollar Hypothekenpapiere.
Ein wichtiger Bestandteil der Aktionen der Fed sind Kreditgarantien. Sie hat aus der Vergangenheit gelernt, dass Liquidätsinjektionen allein nicht weiter helfen, weil diese die Banken nicht mehr automatisch dazu bringen, mehr Kredite zu vergeben – der Transmissionsmechanismus der Geldpolitik funktioniert bei einer Wirtschaft in der Liquiditätsfalle nicht mehr. Also sollen Garantien helfen, die Kredittätigkeit anzukurbeln. Der Erfolg hält sich in Grenzen, die Summe der Ausleihungen liegt aktuell (August) 1,2% unter dem Wert des Vorjahres und 3,7% unter dem lokalen Maximum in Mai 2020.
Ein wesentlicher Effekt der Politik des billigen Geldes im allgemeinen und des Kaufs von Hypothekenpapieren durch die Fed im besonderen zeigt sich im Hausbaubereich. Die Preise sind übers Jahr um mehr als 10% gestiegen (nach CSXR in zehn großen Ballungsräumen sogar +19%). Mittlerweile werden 25% der Häuser von Rendite-suchenden Fonds gekauft, die diese dann vermieten. Wenn Anleihen eine negative reale Rendite abwerfen, suchen Investoren eben nach etwas anderem. Die so stark belebte Bautätigkeit dürfte zu einem nicht geringen Teil auch verantwortlich sein für die Lieferketten-Probleme, die wir momentan haben. (Denken wir auch daran, dass die Holzpreise bei uns deshalb so deutlich steigen, weil Bauholz zu einem großen Teil zu hohen Preisen in die USA exportiert wird.) Und: Materialien für Hausbau sind sperrig, sie beanspruchen viel Transportkapazität. Die Kapazität (etwa bei Contanern) steht dann anderen Materialien und anderen Gütern nicht zur Verfügung. Und führt zu starken Preissteigerungen bei den Frachtraten.
Und es kommt noch etwas hinzu: Die Bauindustrie ist im Vergleich zu anderen Branchen wenig produktiv. Eine starke Bautätigkeit drückt die gesamte Produktivität, es werden vergleichsweise mehr Beschäftigte gebraucht, um dieselbe Werteinheit zu schaffen. In einem angespannten Arbeitsmarkt treibt das die Löhne und führt zu Knappheit an Arbeit, bzw. zu offenen Stellen. Das wiederum belastet die BIP-Entwicklung. Am Ende könnte auch das ein Stagflations-Szenario begünstigen (siehe etwa hier oder hier!).
Alle diese Faktoren tragen dazu bei, dass sich in kurzer Zeit ein jahrelanger Trend umgekehrt hat. Es gibt einen Run auf Güter, insbesondere auch auf dauerhafte Güter. Lag die jährliche Preisentwicklung für Dienstleistungen vor „Corona“ mit gut 2,5% in der Regel höher als die für Güter, so sehen wir jetzt eine jährliche Preissteigerung bei Gütern von mehr als 9%, bei Dienstleistungen sind es knapp 3%.
Die Aussichten für die BIP-Entwicklung sind alles, nur nicht rosig. Rechneten Ende Juli Beobachter noch mit einer Steigerung des realen BIP von im Mittel um die 7%, so sind es jetzt weniger als 4%. Die „GDPnow"-Schätzung der Fed von Atlanta zeigt aktuell 0,5%, vor drei Monaten ging sie noch von 6% aus (Chartquelle).
Der warme Regen der Corona-Maßnahmen hat auch dazu geführt, dass viele Amerikaner sich noch mehr Aktien aufgeladen haben und darüber hinaus mit Derivaten spekulieren. Der Global Wealth Report der Allianz liefert hierzu einen interessanten Einblick in das persönliche Anlageverhalten in den USA. Das ist ein eher destabilisierender Faktor für die Finanzmärkte. Der S&P 500 mit frischem Allzeithoch, die Gewinnerwartungen in der laufenden Berichtssaison für Q3 mit rund 33% im Jahresvergleich weit überdurchschnittlich hoch, die Aussichten für die BIP-Entwicklung mies, die Inflation ist gekommen, um (zunächst) zu bleiben, die realen Bond-Renditen negativ, die US-Regierung vor der Verabschiedung von zwei Anreizpaketen im Umfang von rund 3 Bill. Dollar für Infrastruktur und weiterem, der Bevölkerung direkt zugute kommendem Geldregen, die Fed in der Zwickmühle. Eine extrem divergente Lage – wie wird sich das Spannungsverhältnis auflösen?
Das könnte Sie auch interessieren:
- Was andere Medien sagen vom 03.12.2024
- Geldumlauf als Indikator für die Realwirtschaft vom 20.06.2024
- S&P 500 – die Bären, eine bedrohte Art vom 26.10.2024
sehr guter Artikel