Wie hatte Außenminister Maas noch vor zwei Monaten im Deutschen Bundestag so vorausschauend klug gesagt? Er nehme nicht an, dass die afghanischen Taliban in wenigen Wochen das Zepter in der Hand haben.
Die Taliban haben in „wenigen Wochen“ Afghanistan unter ihre Kontrolle gebracht. Der afghanische Präsident hat sich nach Tadschikistan abgesetzt.
US-Politiker haben vehement widersprochen, als die aktuelle Situation in Afghanistan mit der in Vietnam von 1975 verglichen wurde. Das sei „kein Saigon-Moment“, als seinerzeit verbliebene US-Amerikaner vom Dach der US-Botschaft in Saigon geholt werden mussten.
Erinnern wir uns: Die Anschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001 gaben den Anlass für die USA, den „War on Terror“ auszurufen. Mit einem Haufen Lügen wurde gerechtfertigt, im Irak und anschließend in Afghanistan einzumarschieren.
Die Anschläge lieferten darüber hinaus den Anlass dafür, die demokratischen Rechte überall in der Welt einzuschränken. „Sicherheit oder Freiheit“ – die Völker der Welt entschieden sich für die Sicherheit in Gestalt von um sich greifenden Überwachungsmaßnahmen im Reiseverkehr, in der Telekommunikation, in der Öffentlichkeit – und damit gegen einen Teil der Freiheitsrechte (siehe hier!). Zwei Jahrzehnte später sollte die Alternative „Gesundheit oder Freiheit“ folgen und den Rest besorgen.
Wer hat versagt in Afghanistan? Versagt hat die Meinung im kapitalistischen Westen, allen voran in den USA, man könne mit militärischen Mitteln sogenannte westliche Werte durchsetzen. Kuba, Vietnam, Iran, Irak, Angola, Nicaragua, Venezuela (kommt noch) – alle sind Belege dafür. Und sie sind Belege dafür, dass als Reaktion darauf oft Herrschaftsformen entstehen, die den Interessen und Werten des „Westens“ erst recht nicht entsprechen.
Jetzt heißt es überall, wir hätten die Afghanen verraten. In Steingarts Morning Briefing steht dazu: „Viel schlimmer: Wir haben uns selbst verraten. Nicht dadurch, dass wir gehen, sondern dadurch, dass wir im Militärrock gekommen sind.“ Unsere demokratischen Werte ließen sich nun mal nicht vorgehaltener Maschinenpistole durchsetzen.
Stimmt, demokratische Werte lassen sich nicht exportieren wie Waschpulver und Smartphones. Schon gar nicht in Länder, die vom Stand ihrer kulturellen Entwicklung her mit dem vergangenen Feudalismus unserer Breiten vergleichbar sind. Wir sind auch nicht in Kapitalismus und bürgerliche Staatsverfassungen hineingebombt worden.
In Kuba, Vietnam, Iran, Irak, Angola, Nicaragua, Venezuela, in Afghanistan geht es allerdings meiner Meinung nicht vorrangig um irgendwelche ideellen Werte. Es geht um Macht und Einfluss. Afghanistan liegt zwischen dem Iran und der VR China. Diese Lage macht das Land strategisch bedeutsam, es liegt „mittendrin“ (Chartquelle).
Möglicherweise haben sich die USA irgendwann nach ihrem Einmarsch in Afghanistan auf die Lehre aus dem Vietnam-Krieg besonnen: Ein Krieg kann in einem solchen Land mit westlichen militärischen Mitteln und Strategien nicht gewonnen werden. Jedenfalls blieben die militärischen Aktionen begrenzt, schienen eher darauf angelegt, das Gesicht nicht zu verlieren.
Die militärische Intervention in Afghanistan im Rahmen des „war on terror“ kostete den amerikanischen und den deutschen Steuerzahler denn auch „lediglich“ gut eine Billion Dollar und 3.600 Menschenleben. Zum Vergleich: Im Vietnam-Krieg fielen 58.000 US-Soldaten, die budgetierten Kosten des Krieges wurden auf 424,3 Mrd. Dollar veranschlagt (entspricht etwa 2 Bill. Dollar heute).
Lernt der von den USA angeführte „Westen“ aus dieser erneuten Erfahrung? Ich fürchte, nein. Eher im Gegenteil. Die Phase der mit der Finanzkrise begonnenen, unter den US-Präsidenten Obama und Trump betriebenen "Nabelschau" dürfte vorbei sein.
Nachtrag:
(18.8.21) Peking dürfte sich freuen, Afghanistan ist reich an Rohstoffen. Hier befindet sich die größte Kupfermine der Welt und auch das größte Ölfeld; hinzu kommen rund eine Million metrische Tonnen an Seltenen Erden sowie Uran, das in der Provinz Helmand vermutet wird (Handelsblatt).
(26.8.21) "Zielt die Niederlage in Afghanistan darauf ab, Russland und China zu behindern?"
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Die Taliban haben (mit langem Atem) doch nur darauf gewartet, dass die Besatzer abziehen. Nun ist es ihnen, noch bevor diese vollständig abgezogen sind, fast schon in Windeseile gelungen große Teile Afghanistans (inkl. Kabul) zu erobern.
Bleibt eines zu hoffen. Die Taliban behaupten von sich selbst, dass sie nicht mehr die Taliban von vor 20 Jahren wären. Sie wollten mit der Bevölkerung in Frieden leben.
Warten wir es ab.
Übrigens sollen die Taliban von radikalen Kräften massiv aus Pakistan heraus unterstützt worden sein.
Und wie der Herr Singer bereits schreibt, die Chinesen reiben sich schon die Hände. Die ersten Schürfrechte scheinen die sich schon gesichert zu haben.