Populistische Tendenzen befinden sich seit längerem weltweit im Aufwind. Der Begriff „Populismus“ gefällt mir persönlich nicht – er ist politisch inhaltsleer, bezeichnet lediglich eine bestimmte Methode in der Politik. Mir erscheint „Totalitarismus“ passender – der Begriff hebt inhaltlich auf den Gegensatz zu einer Staatsverfassung ab, die auf individuellen Freiheitsrechten gründet.
Das folgende Zitat stammt von Baroness Ros Altmann, Mitglied des britischen Oberhauses: „Ein Populist ist jemand, der den Leuten sagt, was sie hören wollen, auch wenn es nicht stimmt. Ein (politischer) Führer sagt den Leuten die Wahrheit, auch wenn es nicht das ist, was sie hören wollen.“ Die Frage ist, unter welchen Bedingungen es dazu kommt, dass die Leute lieber auf „Populisten“ hören als auf Politiker mit einem klaren, aber unpopulären Bild vor Augen.
Ich habe mich hier häufig mit der Verteilung von Einkommen und Vermögen befasst (zuletzt siehe hier!). Vor kurzem hat sich Niels C. Jensen in seinem immer lesenswerten Newsletter dieses Themas angenommen und stellt eine Verbindung zur zunehmenden Bedeutung des „Populismus“ her. Die folgenden Charts entstammen seiner Arbeit, sofern nichts anderes angegeben.
Das folgende Schaubild zeigt, wie sich populistische Kräfte in den zurückliegenden 30 Jahren in Europa entwickelt haben.
Bezogen auf die zurückliegenden hundert Jahre sieht das Bild folgendermaßen aus. Eine ähnliche Darstellung findet sich in einer umfassenden Arbeit von Bridgewater („Populism: The Phenomenom“).
Die wirtschaftliche Lage ist stets Basis für bestimmte soziale und Politische Entwicklungen. Wie das folgende Schaubild zeigt, steigt der Anteil des persönlichen Vermögens, der auf die zehn Prozent Wohlhabendsten entfällt, seit gut 25 Jahren je nach Land teilweise deutlich an.
Ein ähnliches Bild zeigt sich über denselben Zeitraum auch bei der Verteilung der Einkommen. Die bekannte Elephantenkurve wurde hier vorgestellt. Sie zeigt, dass die Mittelklasse der entwickelten Welt die große Verliererin ist, ihre Lage hat sich relativ gesehen schlechter entwickelt als die der Ärmsten auf dieser Welt. Die Mittelklasse der „Emerging Markets“ hat sich deutlich besser entwickelt, die allerobersten in der weltweiten Einkommens-Rangfolge schnitten am besten ab.
Der folgende Chart zeigt anhand neuerer Daten, dass die Lücke zwischen arm und reich im globalen Maßstab aktuell sogar noch größer ist als vor zehn Jahren. Dem obersten 1% der Einkommensskala kommt 27% des gesamten Einkommenswachstums zwischen 1980 und 2016 zugute, die unteren 90% hingegen guckten zumindestens in den USA und in West-Europa in die Röhre.
Die realen Einkommen sind nach einer Untersuchung der OECD in der Zeit zwischen 2008 bis 2017 im Mittel um ca. 8% angewachsen. Deutschland und Frankreich liegen etwas über dem Durchschnitt, die USA und Spanien liegen darunter – alle immerhin noch im positiven Bereich. Großbritannien, Mexiko und Griechenland verzeichnen jedoch jeweils sinkende Reallöhne.
Bezogen auf die USA ergibt sich das folgende langfristige Bild der Verteilung von Einkommen und Vermögen. Die Darstellung stammt aus einer umfassenden Arbeit von Bridgewater („Populism: The Phenomenom“)
Die Mittelklasse gilt als Garant für wirtschaftliche und politische Stabilität. Sie stellt einen großen Teil der politisch inaktiven Masse in der Bevölkerung, die Hannah Arendt bei ihrer Analyse zum Aufkommen des Faschismus in 1920er und 1930er Jahren im Auge hatte: Demokratische Staaten funktionieren im Sinne des Mehrheitsprinzips, werden aber normalerweise von einer Minderheit dirigiert. Eine demokratische Verfassung ist auf die schweigende Duldung der politisch inaktiven Elemente in der Bevölkerung angewiesen, schreibt sie.
Solche schweigenden Mehrheiten sind amorph, sie existieren in jedem Lande und zu jeder Zeit, sie bleiben aber in normalen Zeiten politisch neutral und inaktiv. Dieser Zustand wird instabil, wenn diese Art Masse enttäuscht, entwurzelt oder deklassiert wird. Daraus entsteht Ablehnung und Hass gegen die früher geachteten etablierten politischen Führer.
Hier setzen totalitäre Kräfte an. Sie geben den Massen, was sie brauchen – einen Sündenbock, der verantwortlich gemacht wird für ihre Unzufriedenheit, ihr absolut oder relativ schlechteres Auskommen, die zunehmend als Bedrohung empfundene Veränderung ihrer Lebensumstände. Die totalitäre Propaganda stellt genau das ins Zentrum ihrer Agitation, was die öffentliche Meinung und die Propaganda der Parteien an wunden Punkten mit Schweigen übergeht. Damit gebährdet sie sich als Aufklärer und bietet scheinbar brillante, schlüssige und einfache Wahrheiten an.
Je mehr die ehemals politisch neutralen Massen enttäuscht und entwurzelt werden, je eher flüchten sie sich in diese Welt einfacher Erklärungen bis Lügen. Die Abwendung der Massen vom gesunden Menschenverstand ist Ergebnis einer Entwicklung, durch die sie ihren Platz in der Gesellschaft verloren haben. Mit der Auflösung stabiler, sozialer Gemeinschaften löst sich auch der Zusammenhang zwischen individuellen und Kollektivinteressen auf und das ebnet einer fanatischen, bis zum Opfertod bereiten Ergebenheit den Weg, die nichts mehr mit der Loyalität normaler Parteigänger zu tun hat.
Das, was Arendt hinsichtlich des Aufkommens der Nazis in Deutschland erarbeitet hat, lässt sich auf die heutige Situation übertragen. Die Zunahme des Totalitarismus in Europa (und anderswo) ist die Konsequenz einer finanziell bedrängten Mittelklasse, aber auch eine Folge der Krisen der zurückliegenden Jahre, als da sind die Finanzkrise von 2008 und die Serie an Problemen in der Eurozone im Nachgang dieses Ereignisses. Gravierende wirtschaftliche Probleme in Griechenland haben dazu ebenso beigetragen wie die kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten und der daraus resultierende Flüchtlingsstrom, sowie zahlreiche Terroranschläge. Auch die zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit geratende Umweltproblematik ist in diesem Zusammenhang zu nennen.
Per Saldo hat die politische, soziale und wirtschaftliche Unsicherheit in den zurückliegenden Jahren stark zugenommen, die immer größer werdende Lücke zwischen arm und reich hat zu einer breiten Unzufriedenheit bei der normalen Bevölkerung geführt.
Wenn die Mittelklasse als Garant für Stabilität sich nicht länger schweigend/inaktiv/wohlwollend verhält, besteht die Gefahr, dass die gesamte Gesellschaft in Unruhe kommt, destabilisiert wird.
Eine zunehmende Anzahl an Bürgern ist mit ihrer Situation unzufrieden, oft genug bleibt ihre Unzufriedenheit diffus. Dabei wird die etablierte Politik immer mehr als, gelinde gesagt, hilflos empfunden. Politische Führer, die diese Bezeichung verdienen, sind glatten, telegenen Darstellern gewichen, die gewöhnlich mit vielen Worten gar nichts sagen. Sie sind nicht in der Lage, der Gesellschaft als Ganzes eine klare Perspektive zu geben, verlieren sich in technischem „Klein-klein“ und scheren sich am Ende mehr um ihre Karriere als um das Wohlergehen derjenigen, die sie einmal gewählt haben. Die totalitären Kräfte profitieren davon.
Resultate sehen wir in den USA, aber auch in West-Europa. Bei den jüngsten Wahlen zum EU-Parlament haben „populistische“ Kräfte in Großbritannien, in Italien, auch in Frankreich die Mehrheit erringen können.
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