Die Finanzmärkte feiern die Aussicht auf eine Lösung der Griechenland-Krise, die an diesem Wochenende hingedengelt werden soll. Das Wort „Lösung“ muss man dabei in zehn Gänsefüßchen setzen oder am besten gleich ganz streichen. Nach dem, was bisher durchgesickert ist, könnte ein Bailout-Programm geschnürt werden im Volumen von rund 50 Mrd. Euro (Laufzeit drei Jahre) gegen irgendwelche Reformpakete – dasselbe Strickmuster wie zuvor. Wie die griechische Regierung dies ihrer Bevölkerung verkaufen will, ist eine andere Sache – die hatte ja schließlich gerade in einem Referendum gegen die bisherige „Rettungs“-Politik gestimmt.
Dem Vernehmen nach soll es auch ein „Schuldenschnittchen“ geben. Das darf natürlich nicht so genannt werden, aber was sind Verlängerungen von Laufzeiten und weitere Zinskürzungen anderes? Wahrscheinlich stellen die Freunde Griechenlands, also die Gläubiger des Landes oder die „Institutionen“, wie die „Troika“ nun heißt, da noch mehr in Aussicht – ganz unverbindlich. Vielleicht wird Tsipras das seinem Volk als die große Errungenschaft verkaufen. (Es stinkt zum Himmel…)
Und so scheint alles darauf hinauszulaufen, wie dies hier schon vermutet worden war. Interessant ist, dass offenbar Frankreich bei der nun angepeilten Einigung die Strippen gezogen haben soll. In eigenem Interesse und vermutlich mit dem strategischen Ziel, die Austeritätspolitik, also in erster Linie die Politik der internen Abwertung in den Krisenländern (zu denen man getrost auch Frankreich rechnen kann) abzulösen durch eine Politik der Aufwertung, also der Inflationierung in den Kernländern.
Dies wird mittelfristig die Wettbewerbsstellung z.B. von Deutschland tangieren, insbesondere dann, wenn jetzt auch der Euro in der Hoffnung auf Entspannung hinsichtlich Griechenland nachhaltig und deutlich erstarkt. Das wird zwar noch dauern, aber man sollte, auch aus Gründen, auf die ich unten noch zurückkomme, nun sehr genau auf die Entwicklung der Inflation achten.
Die vergangenen Wochen haben wieder einmal die Worte von Stan Druckenmiller in Zusammenhang mit der in 2010 erfolgten Schließung seines Hedgefonds unterstrichen, er könne nicht in einem Markt arbeiten, in dem man wissen muss, was Bernanke zum Frühstück isst. Er spielte damit darauf an, dass die Märkte seit 2008 gesteuert werden durch Worte und Politik, immer weniger aber durch marktinterne Fakten und Entwicklungen.
Bernanke war damals Fed-Chef, vielleicht muss man bei seiner Nachfolgerin irgendetwas anderes Privates wissen… In Europa waren es Mitte 2012 die Worte "whatever it takes“ von EZB-Chef Draghi, die die Finanzwelt bewegten, im Mai 2013 war es eine kleine Bemerkung von Bernanke, die die Finanzmärkte scharf kontrahieren ließ, woraufhin er dann einige Zeit später zurückruderte. Und es ist immer wieder besonders die Eurozone, wo Worte von Politikern und EZB-Mitgliedern für „Phantasie“ oder „Frust“ sorgen, jedenfalls schwerer wiegen als wirtschaftliche Faktoren. Und diese verstehen immer besser, was die „Märkte“ hören wollen.
Kommen wir trotz allem auf ein paar harte Fakten zu sprechen, die bei der weiteren Entwicklung der Asset-Märkte eine Rolle spielen. Unterstellt, hinsichtlich Griechenland kommt das zum Tragen, was jetzt noch gerüchteweise kursiert. Dann wird dieser Punkt erst einmal in den Hintergrund treten und das wird eher für weiter steigende Aktienkurse sorgen. Der DAX hat ja mit seinen plus 5,7% in drei Tagen schon einiges vorgelegt.
Darüber hinaus müssen die folgenden Punkte besonders beachtet werden. Sie haben das Zeug, die Gewinnentwicklung der Unternehmen in den USA und in Europa zu tangieren, und die ist der wichtigste Parameter für die Entwicklung der Aktienkurse. Das dürfte auch kurzfristig eine wichtige Rolle spielen – die Saison der Quartalsberichte ist gerade angelaufen.
Thema China. Alle Welt schaut auf den Aktiencrash, dem eine Kombination aus dummer Gier und gezielter Aufstachelung durch die Regierung vorausging. Also doppelte Dummheit? Ja und nein. Die Regierung hatte versucht, durch Aufblasen der Aktienblase von einem anderen Problem abzulenken. Die Chinesen stecken relativ wenig Geld in Aktien, wahrscheinlich weniger als 15% ihres Vermögens. Der Anteil der Chinesen, die Immobilieneigentum haben, liegt bei 90%, egal wie groß ihr „Heim“ auch immer ist. Das ist sogar mehr als Spanien, wo die Quote bei etwa 80% liegt. Durchschnittlich stecken etwa 75% des privaten chinesischen Vermögens in Immobilien, in den USA sind es rund 28%. Hier, im Immobiliensektor, wurde die wirkliche Blase aufgepumpt, in Shanghai sind die Immobilienpreise seit 2000 um das 6,6-fache angestiegen.
Der gesamtchinesische Preisindex von Neubauten hatte Anfang 2014 die Marke von 10 erreicht, aktuell liegt er bei –5,7. Das ist eine signifikante Absenkung, obwohl ich weitere Einzelheiten hierzu momentan leider nicht liefern kann, daher geben diese Werte mehr ein Gefühl für die Richtung, weniger jedoch für das Ausmaß der Preisbewegung. Noch ein Detail: In 2014 lag der Anteil der Chinesen an den Immobilien-Käufern mit einem Volumen von rund 22 Mrd. Dollar bei 24%. Sollten die platzenden Blasen in China eine Rezession dort auslösen, hat das z.B. auch über diese Verkopplung deutliche Auswirkungen auf die globale Wirtschaft. Die aktuelle Schwäche bei den Rohstoffpreisen wird durch den Tempoverlust der chinesischen Wirtschaft bereits deutlich geprägt, was zwar wie ein Konjunkturprogramm wirken und die Unternehmensgewinne stützen kann, aber auch nur so lange, wie die Situation in China keine globale Nachfrageschwäche bewirkt. Zur Beachtung: Die jährliche Zuwachsrate des chinesischen Einzelhandels kam zu Beginn 2011 noch auf 20%, aktuell werden rund 10% gemeldet.
China – die Lokomotive der Weltwirtschaft verliert also an Schwung. Sollte das Land in eine Rezession fallen, gäbe es vermutlich heftige Rückwirkungen auf die globale Wirtschaft, wobei ein Teil des Tempoverlusts der chinesischen Wirtschaft schon aus dem nicht gerade überbordenden Wachstum in den industrialisierten Ländern herrührt.
Die Bewertung der US-Aktienmärkte ist elaboriert. So lange die großen Marktteilnehmer noch Raum für die Gewinnentwicklung sehen, sind die Kurse dennoch recht gut nach unten abgesichert. Ein Bullenmarkt stirbt gewöhnlich nicht an Altersschwäche, sondern erst, wenn die Bewertung abenteuerlich geworden ist – entweder in Bezug auf historische Vergleichsmaßstäbe oder eben in Bezug auf das, was aus aktueller Sicht noch als Potenzial gesehen wird.
Für das zweite Quartal wird geschätzt, dass die US-Unternehmens-Gewinne im Jahresvergleich um 3,1% geschrumpft sind. Das wird hauptsächlich dem starken Dollar zugeschrieben, aber auch den schwachen Rohstoffpreisen, die die Kurse der in den Indices stark vertretenen Rohstoff- und Energie-Unternehmen drücken, wobei das eine, die Rohstoffpreise, auch mit dem anderen, dem festen Dollar zusammenhängt.
Vier Faktoren sind zu beachten: China, wie dargestellt, die Zinsentwicklung, die Rezessionwahrscheinlichkeit und der Außenwert des Dollar. Der könnte mit der Entspannung hinsichtlich Eurozone nun allerdings an Bedeutung verlieren. Der Dollar-Index zeigt im Wochenchart den Bruch einer steilen Aufwärtslinie (rot). Euro/Dollar hat sich von unten am Freitag intraday an die von den jüngsten Tiefs ausgehende Aufwärtslinie herangearbeitet. Beides zusammen zeigt gegenwärtig eine "angespannte" Wartesituation – "Griechenland" dürfte hier die nächsten richtungweisenden Impulse geben.
Da Aktien auf die Zukunft hin gehandelt werden, könnte sich bald alles darauf ausrichten, dass der Dollar schwächer wird, was die Gewinnsituation der US-Multis stützt. Europäische Aktien dürften zunächst ebenfalls von diesem Entspannungsimpuls profitieren, so dass aktuell die Chancen für eine Wiederaufnahme des Bull-Run in Aktien größer sind als das Gegenteil.
Das gilt auch unter zyklischen Aspekten. Wir haben seit Ende April bezogen auf die Volumenverteilung an der NYSE die längste Distributionsphase zumindest der zurückliegenden beiden Jahre gesehen. Momentan verliert sie an Dynamik, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sich in Kürze Akkumulation ausprägt, was per se bullisch für Aktienkurse ist.
Im Zusammenhang Aktien zu Zinsen und Staatsanleihen ist zu beachten: Auf Basis der Gewinnschätzungen für das nächste Jahr liegt die geschätzte EPS-Rendite aktuell bei 6,2%, das ist attraktiv im Vergleich zu Verzinsung der amerikanischen 10yr-Treasurys von gegenwärtig gut 2,4%. Der Spread zwischen beiden kommt auf 3,8%, abzüglich historisches Mittel von rund 3% bleiben 0,8% „Vorteil“ für Aktien.
Der folgende Chart zeigt den Zusammenhang, wobei hier der Kurs des S&P 500 und die invertierte Rendite (TNX) gegenübergestellt werden (beide standarisiert über eine längere Zeitspanne). Liegt der Kehrwert der Rendite signifikant höher als der Aktienkurs hat das „bärische“ Implikationen für Aktien (siehe rote Zeitreihe oben im Chart!). Aktuell ergeben sich hier eher bullische Einflüsse.
Zu berücksichtigen ist auch hier, dass die Zinsen durch die Niedrigzinspolitik manipuliert sind, was sich nicht bis in alle Ewigkeit durchhalten lässt. Dies vorausgeschickt – was passiert, wenn die TNX-Rendite z.B. auf 3,5% hoch schnellt, sei es durch einen Fehler der Fed (sie sagt ein falsches Wort oder hebt die Zinsen zu schnell zu stark an) oder durch einen deutlichen Inflationsimpuls? Inflation ist ja das, worauf die Notenbanken im Interesse der Schuldner seit Jahr und Tag hinarbeiten. Sie kommt auch eines Tages (vermutlich noch nicht so bald). Dass es dann so geschieht, wie Thomas Mayer in „Die neue Ordnung des Geldes“ schreibt, ist nicht unwahrscheinlich: Die Zentralbanken klopfen so lange auf den Boden der Ketchup-Flasche, bis der gesamte Inhalt auf einmal auf dem Teller landet. Der Spread zu Aktienkursen würde dann im historischen Kontext neutralisiert, und stützte die relative Bevorzugung von Aktien gegen Bonds nicht mehr. Wenn die Bond-Kurse dann einen Boden finden und für Neuengagements attraktiv aussehen, dürfte das die Entwicklung bei Aktien belasten.
Der vierte Punkt, der beachtet werden muss, ist die Rezessionwahrscheinlichkeit. Über den Zusammenhang mit China hatten wir schon gesprochen. Es gibt verschiedene Wege, die Wahrscheinlichkeit einer Rezession einzuschätzen. Gegenüber den hier gemachten Ausführungen hat sich wenig geändert. Der "Macro Market Risk Index" (MMRI) bewegt sich allerdings weiter auf seine Vorwarnschwelle zu, worin sich vor allen die Schwäche der Ölpreise wiederspiegelt, da die Entwicklung über die zurückliegenden 12 Monate zugrunde gelegt wird. Auch hier würde eine Bodenbildung bei Rohstoffen (die durch einen schwächeren Dollar begünstigt würde) helfen, dass der Index nicht in „gefährliches“ Fahrwasser gerät.
Nun wieder Risk-on an den Finanzmärkten? Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, insbesondere dann, wenn "Griechenland" aus den Schlagzeilen verschwindet. Wichtig ist, dass der mehr für die vordergründige Stimmung zuständige Crash chinesischer Aktien, zunächst zum Halten kommt, sich aber v.a. die Meinung durchsetzt, die schwache wirtschaftliche Entwicklung in China bleibt eingegrenzt. Wichtige Fingerzeige dürfte der Dollar geben, bzw. Euro/Dollar. Schwäche beim ersten und Stärke beim zweiten geben expansive Signale. Dennoch bleibt in der Sommer-Phase die Volatilität, also auch die Anfälligkeit für externe Meldungen und Ereignisse, erhöht.
Anmerkung:
Dieser Beitrag war zunächst unter dem irreführenden Titel "Finanzmärkte: Nun wieder Risk-off?" veröffentlicht worden.
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