Die Griechenland-Krise wurde erfolgreich in den Hintergrund gedrängt. Sie ist von ihrem Umfang mit 320 Mrd. Euro an Staatsschulden, zu denen im Zuge der „Rettung“ des Landes noch etliche Milliarden hinzukommen werden, geradezu lächerlich im Vergleich zu dem, was gerade in China vor sich geht. Hier verbrannten seit Juni 3 Bill. Dollar an Aktienwert. Und doch verursachte die Griechenland-Krise größere Verwerfungen als die Vorgänge in China bisher. Die Akteure an den Finanzmärkten scheinen (noch) darauf zu wetten, dass der Crash am chinesischen Aktienmarkt ein lokales Ereignis bleibt oder sogar leglich eine technische Korrektur ist, die nicht einmal signifikante Auswirkungen auf die chinesische Wirtschaft selbst hat.
Genau darum geht es bei der Frage, die Scott Minerd, Global CIO bei Guggenheim Investments, aufwirft: Wächst sich die aktuelle Periode in China zu einem Desaster wie 1929 aus und wird so zum Zentrum eines Bebens an den weltweiten Aktienmärkten oder ähnelt sie eher dem „Black Monday“ des Jahres 1987.
Die bisher in China losgetretenen Interventionen zum Stoppen des Kursrutschs, scheinen sich zu einer Blamage für die gegenwärtige Führung auszuwachsen. Sie genoss bisher den Ruf einer gewissen Allmacht. Sie hatte selbst mit zahlreichen Maßnahmen dafür gesorgt, die Aktienblase los zu treten.
Angetrieben durch die Nachfrage chinesischer Kleinanleger ist der Shanghai Composite Index seit Mitte Mai 2014 bis zum 12. Juni um mehr als 150% angestiegen. Die Marktkapitalisierung der chinesischen Aktienmärkte erreichte gut zehn Bill. Dollar. Jetzt stehen die Kurse fast 30% tiefer. Trotzdem sind chinesische Aktien weiterhin krass überbewertet. Das Median-KGV liegt im Shanghai Composite Index bei rund 40 und damit mehr als doppelt so hoch wie im S&P 500. 2007 lag das KGV in China noch höher, bei etwa 70. Das Verhältnis zwischen Markt-Kapitalisierung und BIP kommt in China auf über 60%, gemittelt über die zurückliegenden zehn Jahre wurden 40% erreicht. In den USA liegt die Quote bei rund 120%.
Folgt die Entwicklung dem Drehbuch „1987“, dann schließt sich an den massiven Selloff eine volatile Phase an, in der letztlich der Boden geschaffen wird für eine Rallye, die damals bis 1989 anhielt. Die Chancen dafür stehen so lange nicht so schlecht, so lange die Kurse nicht signifikant unter das 50er Retracement des Anstiegs im Shanghai Composite Index von rund 2000 auf 5180 fallen. Insofern ist der Pegel bei rund 3600 aktuell von großer Bedeutung.
Momentan scheinen die chinesischen Führer auf das Drehbuch „1929“ zuzusteuern. Sie vertrauen wie damals auf Investorengruppen, die große Blöcke an Aktien kaufen sollen, um den Markt zu stützen und versuchen den Verkaufsrausch über Handelsaussetzungen auszubremsen. Großaktionären wurde der Verkauf ihrer Papiere verboten, Staatsunternehmen wurden zum Aktienkauf verpflichtet. Des weiteren initiierte die Börsenaufsicht CSRC ein gewaltiges Aktienkaufprogramm im Volumen von umgerechnet rund 450 Mrd. Euro (siehe hier!). Wie 1929 in den USA so wird auch gegenwärtig in China darauf verzichtet, die Geldschleusen aufzureißen.
Wie 1929 wird diese Art der Intervention nicht dazu beitragen, die fundamentalen Probleme in Chinas Aktienmärkten zu lösen. Die Kurse haben sich massiv von den makroökonomischen Gegebenheiten abgekoppelt, angetrieben von Schulden-finanzierter Gier kleiner Anleger. Das Verhältnis zwischen Margin Debt und Marktkapitalisierung wird für China auf knapp 10% geschätzt. Diese offizielle Schätzung dürfte zu tief sein, weil sie die Aktivitäten des chinesischen Schattenbanken-Systems außen vorlässt. Gegenwärtig beträgt die Margin-Debt-Quote in den USA unter 3%, 1929 kam sie kurz vor dem Kollaps auf 12%, etwa dem heutigen Schätz-Niveau für China.
Operative Eingriffe in Aktienmärkte wie die aktuell in China durchgeführten machen nur dann Sinn, wenn ein externer Schock auf eine ansonsten halbwegs gesunde Marktstruktur trifft. Ansonsten lassen sich damit Abverkäufe zwar kurzfristig aufhalten, aber nur zu dem Preis, dass sie nach Ende der akuten Interventionen umso heftiger weitergehen. Zwischenzeitliche Stabilisierungen und Erholungen werden zum massiven Verkauf genutzt.
Welche Auswirkungen ergeben sich aus dem Crash chinesischer Aktien?
Die chinesische Regierung hatte im November das Programm „Stock Connect“ gestartet, bei dem ausländische Anleger über Hongkong Aktien an der Börse in Shanghai kaufen können. Die Aktivitäten der ausländischen Käufer sind allerdings über eine Quote begrenzt, die nach und nach angepasst werden soll. Seit den Turbulenzen ziehen internationale Anleger Gelder wieder aus dem chinesischen Festland über die Börse in Hongkong ab. Weil die Abschottung der inner-chinesischen Finanzmärkte erst langsam aufgehoben wird, schlagen die Turbulenzen nur abgeschwächt auf internationale Börsen durch.
Chinesen sparen fleißig, investieren aber nur einen kleinen Teil ihres Geldes in Aktien. Es ist von rund fünf Prozent die Rede. Überhaupt besitzen weniger als zehn Prozent der Chinesen ein Aktiendepot. In den USA hatten 2013 53% der Privathaushalte Aktien, ein Drittel der Ersparnisse war seinerzeit dort an den Börsen investiert.
Die chinesischen Aktienmärkte dienten zuletzt verstärkt der Kapitalbeschaffung chinesischer Unternehmen, nachdem die Bank-Finanzierung aufgrund eines hohen Schuldenstandes schwieriger geworden war. Diese Quelle ist zunächst versiegt.
Ein enger Zusammenhang zwischen Aktien und "Wohlstand" der breiten Bevölkerung scheint in China nicht zu bestehen. Daher sollten sich von dem Crash aus auch keine allzu negativen direkten Einflüsse auf den chinesischen Verbraucher ergeben. Wie stark der Crash den "Finanzierungseffekt" beeinträchtigt, ist schlecht abzuschätzen. Der Effekt dürfte aber schwerer wiegen. Die Stimmung bei Verbrauchern und Unternehmen dürfte in jedem Fall zumindest eine zeitlang Schaden nehmen.
Die chinesischen Makrodaten waren zuletzt immer schwächer geworden. Stellvertretend wird nachfolgend der Verlauf der Industrieproduktion gezeigt.
Schon vermuten Beobachter, das der Crash in China eine Rezession dort signalisiert. Ruchir Sharma, Schwellenländer-Chef bei Morgan Stanley, sieht, dass eine anhaltende Abkühlung in China das Weltwirtschaftswachstum in den nächsten Jahren unter zwei Prozent drücken könnte. Üblicherweise stellt die Marke von rund 3% Wachstum der Weltwirtschaft die Grenze zu einer weltweiten Rezession dar.
Die inzwischen zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt trug laut Morgan Stanley im vergangenen Jahr 38% zum weltweiten Wachstum bei nach 23% in 2010. Das Land ist weltgrößter Importeur von Kupfer, Aluminium und Baumwolle und wichtiger Handelspartner für viele Emerging Markets. Der IWF hat unter Verweis auf eine Konjunkturschwäche in den USA vor kurzem seinen weltweiten Wachstumsausblick für 2015 auf 3,3% gesenkt nach 3,5% im April. Für China blieb die Prognose unverändert bei 6,8%, das wäre das geringste Wachstum seit 1990. Es gebe größere Schwierigkeiten beim Übergang des Landes zu einem neuen Wachstumsmodell, das sei ein Risiko für die globale Konjunkturerholung, heißt es. Sharma verweist auf den hohen Schuldenstand in China, weswegen sich die Wirtschaft weiter abkühlen werde. Schwächt sich das Wachstum um zwei Prozent ab, könnte das die Weltwirtschaft in eine Rezession führen, sagt er.
Beobachter raten der chinesischen Führung anstelle des eingeschlagenen markt-interventionistischen Weges zu einer anderen Form der Intervention. Die PBoC sollte die chinesischen Märkte mit Geld fluten und den Reminbi abwerten lassen. Genau das erscheint aber aktuell problematisch. Denn im November will der IWF über den Status des Renminbi hinsichtlich Sonderziehungsrechten entscheiden, eine nach unten manipulierte Währung würde dabei wohl nicht gut geheißen. Sie ist wegen der Kapitalabflüsse sowieso schon unter Druck, weswegen die PBoC zur Stützung genötigt sein könnte, US-Treasurys im Volumen von 300 bis 500 Mio. Dollar zu verkaufen. Eine deutliche Abwertung der chinesischen Währung würde die Wettbewerbsstellung des Landes auf den Weltmärkten verbessern und so helfen, die konjukturelle Delle in China abzufedern, so die Verfechter der geldpolitischen Intervention. Nur so ließe sich das "Drehbuch 1929" vermeiden, heißt es.
Neu wäre, dass die USA bei einem solchem, von China ausgehenden globalen Abschwung gute Chancen hätten, sich einer Schrumpfung der eigenen Wirtschaft weitgehend zu entziehen, schreibt Minerd. Geht nämlich die Wachstumsverlangsamung in China weiter, bringt das die Preise für Rohstoffe, Gas und Öl weiter unter Druck. Davon könnten die US-Konsumenten über geringere Energiekosten und die US-Unternehmen über steigende Gewinne profitieren. Dies dürfte bis zu einem gewissen Grad auch auf Europa zutreffen, allerdings ist insbesondere die exportlastige deutsche Wirtschaft von dem, was in China vor sich geht, stärker betroffen. Die lässt sich z.B. an den schwachen Kursen der Autobauer gut ablesen.
Selbst wenn eine mögliche weitere Konjunkturabkühlung in China in ihren globalen Auswirkungen eingegrenzt werden kann, so dürfte die Volatilität an den internationalen Finanzmärkten zunächst erhöht bleiben. „Risk-off“ dürfte die Nachfrage nach Staatsanleihen eher stützen und die Rendite der 10yr-TNotes womöglich wieder unter 2% treiben (aktuell 2,2%). Kredit-Spreads würden wohl eher weiter steigen (siehe hier!). Niedrigere Zinsen und sinkende Energiekosten dürften aber die Aktivitäten auf dem Hausbausektor in den USA und wohl auch in Europa anheizen. „Risk-off“ dürfte die US-Währung tendenziell stärken, wenn die globale Kreditexpansion stockt, bzw. wenn sich wegen der Aussicht auf Verschiebung des Beginns eines neuen Zinszyklus der Fed das Zinsdifferential zwischen USA und Eurozone langsamer entwickelt als erwartet (Stichwort Euro-„Carry-Trades“). Mancher Gold-Bulle hofft darüber hinaus, dass sich chinesische Anleger nun verstärkt Gold zuwenden, nachdem sie von Aktien enttäuscht wurden.
Das US-BIP ist in Q2 nach erster Schätzung um 2,3% angestiegen, für Q1 wurde es auf +0,6% hochrevidiert (von –0,2% aus) (Quelle). Der Zuwachs wurde von den Verbraucherausgaben getragen. Zusätzlich entwickelten sich die realen verfügbaren Einkünfte mit 3,7% im Quartalsvergleich deutlich stärker als in Q1 (+1,8%), was erwarten lässt, dass dies auch das dritte Quartal stützt. Die Entwicklung legt nahe, dass die sinkenden Energiekosten allmählich in steigende Konsumausgaben umgesetzt werden.
Ein unmittelbares Rezessionsrisiko besteht für die US-Wirtschaft gegenwärtig nicht, wie sich u.a. am Verlauf des „Makro Market Risk Indicator“ (Hintergrund hier!) ablesen lässt. Höhenflüge sind allerdings auch nicht zu erwarten. Zu dieser Einschätzung kommt man auch, wenn man den „Leading Indicator Index“ analysiert.
Die Perspektive der Aktienmärkte war hier zuletzt anhand des S&P 500 diskutiert worden. In der Auswertung des Linearitätsmaßes ist eine Abwärtsbewegung festzustellen von 96% im Dezember auf 94% im Juni und jetzt aktuell auf 91%. Eine kritische Grenze liegt bei 90%. Wird sie unterschritten, muss zumindest mit dem Einsatz einer deutlichen Korrektur gerechnet werden. Die Volumenverteilung an der NYSE ist mittlerweile wieder in Akkumulation gestolpert, was tendenziell für die bullische Seite bei Aktien spricht. Allerdings ist die Dynamik dieser Entwicklung nach wie vor gering, sprich nicht allzu überzeugend.
Die Gewinnerwartung im S&P 500 steht aktuell für Q2 bei +0,9% y/y (nach–1,9% vor zwei Wochen, –3% Anfang Juli und +5,9% zu Jahresbeginn). Die Umsätze werden mit –3,3% erwartet (nach -4% vor zwei Wochen und damit so niedrig wie seit fast sechs Jahren nicht). Das ist zumindest keine sich verschlechternde Entwicklung, so dass sich von dieser Seite her erwarten lässt, dass der im S&P 500 vorherrschende Seitwärtsbereich zwischen 2045 und 2131 wohl zunächst Bestand hat. Katalysatoren für einen Ausbruch nach oben muss man wahrscheinlich vorrangig in China suchen, z.B. wenn sich die PBoC dazu entschließen sollte, die Geldschleusen aufzureißen. Und umgekehrt: Falls der Crash dort unvermindert weitergeht und insbesondere das oben genannte Retracement durchbrochen wird, dürfte ein erneuter Test der unteren Begrenzung der Handelsspanne anstehen.
Too much? Der feste Dollar tangiert die Gewinne der US-Multis, fallende Ölpreise lassen die Kurse der im S&P 500 stark vertretenen Energiewerte einbrechen, „Griechenland“ zeigt erneut die Fehlkonstruktion der Eurozone auf, vom Kurssturz in China ausgehend wird vielfach mit einer Abkühlung der Weltwirtschaft gerechnet. Das sind nur einige der Belastungsfaktoren, die auf die Finanzmärkte wirken. Hinzu kommt die elaborierte Bewertung der Aktienkurse.
Makroökonomisch ist in den USA aktuell keine unmittelbare Rezessionsgefahr auszumachen. Ob sich die US-Wirtschaft allerdings einer von China ausgehenden Rezession entziehen könnte? Sie dürfte wohl besser davonkommen als z.B. die Wirtschaft in Europa, aber eine gute Nachricht für Aktionäre wäre auch das nicht.
Die technische Auswertung des Kursverlaufs des S&P 500, des Welt-Leit-Index für Aktien, zeigt eine zunehmend angespannte Lage, aber noch keine unmittelbare Korrekturgefahr. Und so besteht das Risiko, dass es auf mittlere Sicht bald "zu viel" wird für Aktienbullen.
Das könnte Sie auch interessieren:
- Was andere Medien sagen vom 06.12.2024
- Stimulus in der VR China vom 10.10.2024
- S&P 500 – kommt ein Blowoff? vom 11.05.2024
Schreibe einen Kommentar