Nachdem wir hier das Pring-Modell vorgestellt haben, das Konjunkturphasen anhand von Preisen und Kursen erkennen will, gehen wir im folgenden den direkten Weg und schauen uns Konzepte an, die auf der Analyse von Makrodaten basieren.
Vorweg noch einmal die Darstellung eines idealtypischen Konjunkturverlaufs entlang einer Zeitlinie.
Die naheliegendste Art, Konjunkturzyklen zu bestimmen, ist z.B. die jährlichen Änderungen des BIP (GDP) zu plotten. Im folgenden Chart sieht man im Grunde das bestätigt, was schon zum Pring-Modell gesagt wurde: Seit den 1990er Jahren hat der Konjunkturverlauf kein ausgeprägtes zyklisches Muster mehr.
Die Ökonometrie wird dennoch nicht müde in ihrem Bemühen um eine Ortsbestimmung im Konjunkturverlauf. Häufig wird dazu eine Quadrantendarstellung gewählt, die Makro-Daten danach klassifiziert, ob sie sich ober- oder unterhalb ihres Trends bewegen (x-Achse) und ob sie dabei zu-, oder abnehmen (y-Achse).
Im Falle des Konjunkturmonitors des Statistischen Bundesamtes entspricht der erste Quadrant (über dem langfristigen Trend, zunehmend) der ersten Phase in der linearen Zyklus-Darstellung. Die zweite Phase entspricht dem vierten Quadranten (über dem langfristigen Trend, abnehmend), die dritte Phase entspricht dem dritten Quadranten (unter dem langfristigen Trend, abnehmend), die vierte Phase entspricht dem zweiten Quadranten (unter dem langfristigen Trend, zunehmend). Der Konjunkturzyklus entfaltet sich in dieser Quadrantendarstellung in Richtung des Uhrzeigersinns.
Am interaktiven Modell des Statistischen Bundesamtes lässt sich überzeugend sehen, dass die Makrodaten zwar insgesamt gut mit dem Konjunkturzyklus laufen. (Ich empfehle, das auszuprobieren.) Jedoch gibt es bei einzelnen Indikatoren erhebliche Unterschiede sowohl von Konjunkturzyklus zu Konjunkturzyklus, wie hinsichtlich ihres generellen Vor-, bzw. Nachlaufs.
Deswegen werden häufig verschiedene Makrodaten zusammengefasst, um Einzeleffekte und Ausreißer auszugleichen. Allerdings gehen dabei manchmal Abweichungen zwischen den einzelnen Indikatoren untergehen, die Hinweise auf Anomalien geben können.
Ausgehend von solchen Überlegungen haben W.C. Burns und F. Mitchell in den 1940er Jahren für das National Bureau of Economic Research (NBER) einen Konjunkturindikator ("Gesamtindikator") entwickelt. Er wurde als einfacher Diffusionsindex realisiert, der den Anteil der in die Analyse einbezogenen Zeitreihen mißt, die gegenüber der Vorperiode gestiegen, bzw. gefallen sind. Liegt der Wert des Gesamtindikators oberhalb von 50%, befindet sich die Wirtschaft in einem Aufschwung, darunter in einer Abschwungphase.
Dieser "Gesamtindikator" ist mittlerweile etwas aus der Mode gekommen. Aber die "Technik" des Diffusionsindex lebt weiter. Ein Beispiel hierfür ist der viel beachtete Stimmungsindex der US-Fertigungsindustrie, der monatlich vom "Institute of Supply Management" (ISM) erhoben wird.
Er notiert aktuell knapp an der Bruchkante von 50. Die Trendauswertung sieht den Index knapp vor Einleitung einer beschleunigten Abwärtsbewegung, der jüngste Abfall wird gerade noch als Ausreißer eingestuft. Auch hier lässt sich übrigens erkennen, dass die Konjunkturzyklik seit mehr als einer Dekade weitgehend auf der Strecke bleibt.
Der Chicago Fed's National Activity Index (CFNAI) basiert auf 85 Indikatoren aus den Bereichen Produktion und Einkommen, Beschäftigung, persönlichem Konsum und Hausbaudaten, sowie Verkäufen, Aufträgen und Lagerbestand. Er kommt damit dem Konzept des zuvor erwähnten "Gesamtindikators" nahe. (Chartquelle).
Der Autor der Chartquelle stellt für den Verlauf der linearen Regression des CFNAI fest, dass sie seit den Anfängen des Index in den späten 1960er Jahren abwärts zeigt. Er sieht diesen Trend in etwa zusammenfallen mit dem Übergang von einer Güter-produzierenden zu einer nach-industriellen Dienstleistungs-Wirtschaft im Informationszeitalter.
Wir betrachten bei der Makroanalyse von TimePatternAnalysis u.a. die aus unserer Sicht besonders signifikanten Makrodaten-Reihen des US-Produktions-Index (INDPRO), der Entwicklung der US-Arbeitsplätze (PAYEMS), des verfügbaren persönlichen Einkommens (DSPIC) und der Konsumauslagen (PCE) in ihrer zeitlichen Lage zueinander und fassen ihre aktuellen Bewegungsrichtungen in einer Art Diffusionsindex (rote Linie) zusammen. Der Chart ist im öffentlichen Bereich der Web-Seite (Makrodaten) frei zugänglich.
Man sieht recht deutlich, dass die wirtschaftliche Dynamik vor 2000 wesentlich größer war als danach, wobei die Höhe der Ausschläge über 50% auch in den 1990er Jahren schon geringer war als davor. Genauso sind die Phasen unterhalb von 50% seit 2000 ausgeprägter als vorher. Zudem lassen sich vor 2000, insbesondere vor 1990 mehrjährige Wellenbewegungen gut ausmachen, danach wird das schwieriger. Deutlich zu sehen ist wiederum der Crack-up-Boom nach 2008, der den Diffusionsindex nach dem Absturz im August 2008 auf weit unter 50% ab April 2010 bis zum Frühjahr 2011 darüber hob. Seit Juli 2011 notiert er wieder unter dieser Schwelle.
Die Korrelationsergebnisse zeigen mit einem Fall unter den jeweils dunkler eingefärbten Neutralbereich an, dass es "im Gebälk knirscht". Solche Divergenzen bei dem Makroindikatoren weisen auf Reibungsverluste, bzw. Ungleichgewichte hin, die wirtschaftliches Wachstumsmomentum kosten. In diesem Sinne endete zuletzt zum Jahreswechsel 2011/2012 eine Phase starker Disharmonie bei drei von sechs Korrelations-Zeitreihen. Aktuell läuft es nach dieser Analysemethode wirtschaftlich reibungslos. Schön zu sehen auch die lange Periode zwischen den frühen 1990er Jahren und 2000, in der in diesem Sinne alles glatt lief. In dieser Zeit entwickelte sich bei Aktien ein Bullenmarkt, der schließlich mit der Technologieblase des Jahres 2000 in sich zusammenfiel.
Auch wenn unsere Korrelations-Analyse gegenwärtig kein Sand im Wirtschaftsgetriebe sieht: Der Diffusionsindex der vier Makroindikatoren verläuft unterhalb von 50% und zeigt damit eine (zu) geringe wirtschaftliche Dynamik an.
Die Schwierigkeit einer Ortsbestimmung im Konjunkturzyklus ließ neben den rein auf Makrodaten, bzw. rein auf Preisen und Kursen basierenden Ansätzen zahlreiche Mischformen entstehen. Häufig beschränken sich Analysemethoden auch darauf, Rezessionen frühzeitig vorherzusagen.
Ein sehr einfaches Misch-Konzept stellt Stockcharts vor. Es besteht aus zwei Makrodaten und zwei Finanzmarkt-Angaben:
Stufe |
Volle Rezession |
Frühe Erholung |
Volle Erholung |
Frühe Rezession |
Verbraucher-Erwartungen |
Leicht steigend |
Zunehmend |
Abnehmend |
Stark fallend |
Industrie-Produktion |
Bodenbildung |
Zunehmend |
Flach |
Abnehmend |
Zinsen |
Sinkend |
Bodenbildung |
Schnell steigend |
Topp-Bildung |
Zinsstruktur |
Normal |
Steil |
Abflachend |
Flach/invertiert |
Nach diesem Modell wäre der Schluss zu ziehen, dass sich die US-Wirtschaft gegenwärtig im Bereich einer weit fortgeschrittenen "vollen Erholung" befindet (weit in Phase 1 des allgemeinen Zyklusmodells, bzw. "Stage 4" im Pring-Modell, bzw. weit im ersten Quadranten des obigen Ökonometrie-Modells).
Der "Weekly Leading Indicator" (WLI) des ECRI-Instituts fasst u.a. Makrodaten zu Geldmengen, Industrie-Preisen, Hypothekenanträge, Anleihe-Spreads, Spannweite der Qualität von Anleihen, Aktienkurse, Anleihen-Erträge und Arbeitslosigkeits-Daten zusammen.
Das ECRI weist selbst auf folgendes hin: Der WLI ist keine unfehlbare, stand-alone Prognose-Maschine für Rezessionen, er muss im Kontext mit anderen eigenen Indikatoren und einem eigenen Signal-System gesehen werden. Trotzdem hat der Indikator für die zurückliegenden Dekaden seine Qualität als Warninstrument eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Der WLI selbst warnt aktuell noch nicht vor einer Rezession, das ECRI sieht jedoch im Kontext der anderen eigenen Indikatoren eine solche "unvermeidlich" heraufziehen: Es warnte bereits Ende vergangenen Jahres vor einer Rezession in den USA, die im ersten Quartal oder spätestens im Sommer 2012 beginnen sollte. Die Warnung wurde zuletzt öffentlich am 15. März 2012 wiederholt.
Eine ausführliche Untersuchung zum WLI des ECRI finden Sie hier.
Hier und im Detail hier wird ein ausgeklügeltes Konzept mit dem Namen "Recession Forecasting Ensemble" (RFE) vorgestellt, das nach eigener Darstellung die jüngsten sieben Rezessionen in den USA korrekt und ohne Fehlsignal vorhergesagt hat (hätte). In sachlichem und personellem Zusammenhang hiermit steht ein offenbar ähnliches Konzept. Die Ergebnisse des "The Shadow Weekly Leading Index Project" sind im Unterschied zum vorhergehenden zeitnah öffentlich zugänglich. Danach ist die Rezessionswahrscheinlichkeit gegenwärtig sehr gering. Das Modell lieferte allerdings im August 2010 und Dezember 2011 falsche Warnsignale.
Die offizielle Definition einer Rezession ist nach NBER, dass die Wirtschaft in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen schrumpft. Einen solchen langen Nachlauf kann sich ein aktiver Investor nicht leisten. Daher wird versucht, Indikatoren zu bauen, die zwischen zwei und sechs Monaten im Voraus warnen. Diesen Anspruch haben der WLI, der RFE und der "Shadow WLI", sowie ein eigener Indikator, der in einem späteren Artikel vorgestellt wird.
Eine Rezession wird bisher, vom ECRI-Warnruf abgesehen, nicht angezeigt. Klar ist aber, dass die wirtschaftliche Dynamik nach dem Crack-up Boom nach Herbst 2008 abebbt, die US-Wirtschaft also -wenn sie denn in ein Zyklusmodell gepresst werden soll- am Ende der Phase 1 des idealen Zyklusmodells (s.o.) angelangt ist, nach Pring-Modell in Stufe 4, bzw. schon im Übergang zu Stufe 5. Nach Quadrantenmodell des Statischen Bundesamtes befindet sich der größte Teil der Indikatoren für die deutsche Wirtschaft im Übergang vom vierten zum dritten Quadranten (Phase 2 und 3). Das unterstreicht, dass Europa auf dem Weg in den Abschwung vorangeht.
Wie gesehen, steuern Wirtschafts- und Finanzpolitik "gesunden" zyklischen Korrekturen in den zurückliegenden ein bis zwei Dekaden verstärkt frühzeitig entgegen. Das hat zur Konsequenz, dass eine Bereinigung ausbleibt und große, marode Unternehmen, v.a. Banken, entstehen, die dann gerettet werden müssen, weil sie als "systemrelevant" gelten. Die Staaten stossen wegen ihrer Verschuldung hier mittlerweile allerdings an Grenzen. Gleichzeitig wird wegen des Fiat-Geldsystems eine immer höhere Geldflut gebraucht, um das System vor dem Kollaps zu bewahren.
Diese Situation ist in höchstem Maße instabil – systemtheoretisch prägen immer mehr Eigenschaften einer positiven Rückkopplung das Bild: Bereits kleine und kleinste Impulse können dann bewirken, dass ein solches System in den chaotischen Zustand übergeht. Daraus beziehen die Verfechter des bestehenden Systems ihre Argumente für den Kurs von Liquditätsschwemme und Bankenrettung, während die Kritiker (zu recht) argumentieren, dass damit nur die Grundlage für eine noch chaotischere Entwicklung gelegt wird.
Weitere aktuelle Makro-Indikatoren?
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