Inflation vernichtet verrottete Regierungen

Der jüngste weltweite Anstieg der Inflation erzwingt politische Veränderungen und erinnert uns daran, wie effizient dieses alte wirtschaftliche Problem Regierungen stürzen kann. In Demokratien hängt der Ausgang von Wahlen oft von der Preisentwicklung ab. Aber die Auswirkungen auf Autokratien sind nicht weniger ausgeprägt, denn die Inflation untergräbt den impliziten sozialen Pakt, auf den sie ihre Autorität stützen.

Das schreibt Prof. Harold James in „Inflation Destroys Rotten Governments“. Er arbeitet sich dabei an Russland ab, aber was er schreibt, ist ohne viel Mühe auf die Länder des Wertewestens übertragbar. Ich gehe darauf weiter unten noch ein. Nachfolgend bringe ich zunächst eine Übersetzung des Textes von James.

In Argentinien kann die Wahl des radikalen Anarchokapitalisten Javier Milei zum Präsidenten als unmittelbare Folge der Unfähigkeit des amtierenden peronistischen Regimes verstanden werden, die Inflation in den Griff zu bekommen, die eine Jahresrate von 143% erreicht hat. Mileis wichtigstes Wahlversprechen war die Wiederherstellung der Preisstabilität durch die Abschaffung der Zentralbank und die Ersetzung des argentinischen Peso durch den Dollar.

Die Beendigung der geldpolitischen Autonomie ist natürlich ein kühnes und riskantes Experiment, das den Handlungsspielraum der Regierung stark einschränken wird. Aber genau das ist der Punkt. Da die vorherige Regierung versucht hat, zu viel zu tun, und offensichtlich gescheitert ist, haben die Wähler nun das Gefühl, dass alles besser wäre als noch mehr Misswirtschaft.

Auf den ersten Blick sieht Russland im Vergleich dazu erstaunlich stabil aus. Die jährliche Inflationsrate stieg kürzlich von 6% auf 7%, während selbst die USA und die Eurozone im vergangenen Jahr kurzzeitig mit einer zweistelligen Inflationsrate kämpften. Aber die USA, die Eurozone und das Vereinigte Königreich haben die Inflation auf unter 5% gesenkt, während Russland sich in die entgegengesetzte Richtung bewegt.

Hinzu kommt, dass die russische Inflation 2022 nach der vollständigen Invasion in der Ukraine ebenfalls in die Höhe schoss – genau wie 2014 nach der anfänglichen Eroberung der Gebiete auf der Krim und in der Ostukraine. Ab April 2022 ging die Inflationsrate dann ein ganzes Jahr lang zurück, und es sah fast so aus, als würde sie sich bei respektablen 2,5% einpendeln.

Doch diese Stabilität erwies sich als Illusion. Nach dem gescheiterten Putsch des Anführers der Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin, kehrte die Inflation in diesem Sommer zurück und stellt nun die größte unmittelbare Gefahr für das Kriegsregime des russischen Präsidenten Wladimir Putin dar.

Die Moskauer Stadtregierung spricht offen über diese Quelle der Angst, und selbst Putin, der es im Allgemeinen vermeidet, Schwächen einzugestehen, äußerte sich kürzlich zur Inflation und ihrer Bedrohung für die russischen Familien. Die russische Zentralbank hat daraufhin ihren Leitzins auf 15% erhöht – fast dreimal so hoch wie der US-Leitzins.

Wie Putin wohl weiß, ist die Unzufriedenheit über die Preise oft das erste Anzeichen dafür, dass ein autoritäres Regime die gesellschaftliche Unterstützung verliert. Die Bürger können sich zwar nicht offen über die Regierung beschweren (um nicht verhaftet oder hart bestraft zu werden), aber sie können sich über die Preise beschweren und tun dies auch, vor allem, wenn die Inflation eine direkte Folge der erhöhten Staatsausgaben für einen Krieg ist.

Das Problem ergibt sich nicht nur aus den höheren Militärausgaben oder den Versorgungsengpässen infolge der Sanktionen, sondern auch, weil der Kreml versucht hat, sich die Unterstützung der Bevölkerung zu erkaufen. So verdienen Soldaten heute mehr als das Zweieinhalbfache des Durchschnittsgehalts, und ihre Familien werden üppig entschädigt – sie erhalten fünf Millionen Rubel (57.000 Dollar) -, wenn sie an der Front fallen.

Die verräterischen Anzeichen der daraus resultierenden Inflation machen sich überall bemerkbar. Durch den Exodus von 800.000 bis 900.000 jungen Menschen, die nicht bereit waren, Wehrpflicht und Mobilisierung zu riskieren, hat sich der russische Arbeitsmarkt zum Schlechten verändert. Es mangelt an Fachkräften, und die Arbeitgeber mussten viel höhere Löhne anbieten, um Arbeitskräfte zu gewinnen. Das mag für eine kurze Zeit funktionieren, doch schon bald merken die Menschen, dass sie mit ihrem höheren Gehalt immer noch nicht das bekommen, was sie brauchen oder wollen.

Die Geschichte lehrt uns hier viel. Die Inflation war die zentrale Dynamik, die in den 1910er Jahren den Sozialpakt der zaristischen Autokratie mit dem russischen Volk zerbrach. Während des Ersten Weltkriegs war das Russische Reich nicht in der Lage, seinen Haushalt auszugleichen, und griff zur Druckerpresse. Da Russland in den Jahren vor dem Krieg ein großer Getreideexporteur gewesen war, konnten die russischen Bauern ihr überschüssiges Getreide zunächst an die militärischen Beschaffungsstellen verkaufen, die bereit waren, höhere Preise zu zahlen.

Doch Ende 1916 beschleunigte sich die Inflation, und die Bauern merkten, dass sie mit ihren Papierrubeln nicht mehr viel kaufen konnten. Anstatt ihr Getreide weiter zu verkaufen, verfütterten sie es an ihr Vieh. Das damalige Papiergeld erinnerte direkt an die Zarendynastie – Peter der Große auf dem 500-Rubel-Schein und Katharina die Große auf dem 100-Schein. Plötzlich sahen diese großen historischen Persönlichkeiten nicht mehr so großartig aus. Die Scheine mit ihren Gesichtern waren wertlos geworden, und die Bauern weigerten sich, sie als Zahlungsmittel anzunehmen.

Als die Getreideversorgung zusammenbrach, führte die daraus resultierende Lebensmittelknappheit zu Unruhen in den Städten, die in der Doppelrevolution von 1917 gipfelten. Die Soldaten hörten auf zu kämpfen, weil sie sich von ihrem Sold nichts mehr kaufen konnten. Sie zogen es vor, nach Hause in ihre Dörfer zu gehen, wo sie wenigstens etwas zu essen finden konnten.

Nach ihrer Machtübernahme mussten die frühen Bolschewiki etwas Dramatisches tun, um die Preisstabilität wiederherzustellen, und so kamen sie auf die Idee, im Namen der neuen Währung einen ausdrücklichen Bezug auf Gold herzustellen: Tschervonets (Goldmünzen). Sie ließen sogar einige Goldmünzen prägen.

In der russischen Währungsgeschichte ist ein außergewöhnliches Maß an Kontinuität festzustellen. Der aktuelle 500-Rubel-Schein, der 1997 entworfen wurde, zeigt erneut Peter den Großen (diesmal als Statue im Hafen von Archangelsk). Und sie könnte ähnlich in Verruf geraten.

Die Menschen wenden sich gegen Regierungen, die ihre Versprechen gebrochen haben, und Geld ist eines der ältesten derartigen Bündnisse. Die russischen Währungsmanipulationen sind heute eines der greifbarsten Anzeichen für ein System, das nicht halten kann, was es versprochen hat. Es ist ein System, das schließlich ersetzt werden wird, weil es das Vertrauen der Menschen gebrochen hat.

Über den Autor
Harold James ist Professor für Geschichte und internationale Angelegenheiten an der Princeton University. Er ist Spezialist für deutsche Wirtschaftsgeschichte und Globalisierung,

Die Inflation als Bruch des Gesellschaftsvertrags zwischen arm und reich – gut gesprochen, Prof. James!
Aber wie sieht es denn in den Ländern des entwickelten (Finanz-)Kapitalismus aus? Wird die Inflation, die nun zunächst abzuklingen scheint, nicht bald wieder aufflammen? Und zwar aus demselben Grund wie in Russland, der zunehmenden Kriegswirtschaft. Wobei ich den Kriegs-Begriff zusätzlich zum Krieg in der Ukraine und in Nah-Ost ausdehnen möchte auf den Krieg gegen das angeblich menschengemachte CO2. Dieser spezielle Krieg verteuert über die steigenden Energiepreise und über die mit der Dekarbonisierung der Energierzeugung einhergehende Deinstrialisierung alles.
Das Wort von der „verrotteten Regierung“ lässt mich an Deutschland und eine Regierung denken, die mit ihrer Haushaltspolitik gegen die Verfassung verstossen hat und dafür keine Verantwortung übernimmt. Im Gegenteil – die Reaktionen führender Vertreter zielen eher darauf, wie die Verfassung in Zukunft geschickter umgangen werden kann (siehe z.B. hier!). Und zur Inflation – denken Sie an die Verteuerung der Autobahn-Maut für LKWs, die Anhebung des CO2-„Preises“ und andere Maßnahmen (z.B. das Hochsetzen der Mehrwertsteuer in Gaststätten (trotz anders lautendem Versprechen von Scholz)).

Das könnte Sie auch interessieren:

Bewertung: 5.0/5
Please wait...
blank
Schlagwörter: ,