Israel, Hamas – worüber laut geschwiegen wird

In Krisenzeiten wird laut über vieles gestritten. Oft aber bleiben die wirklich wichtigen Punkte im Verborgenen. Das gilt auch für die gegenwärtige Auseinandersetzung.

Der Terror-Anschlag der Hamas war vor 17 Tagen. Israel beklagt bis jetzt mehr als 1.400 Todesopfer. Im Gazastreifen kamen 5.087 Palästinenser ums Leben, 15.273 wurden verletzt. Netanjahus Israel nimmt den Anschlag zum Anlass, die Hamas ein für allemal vernichten zu wollen. Ist das auch der Grund?

Im Dezember 2010 wurde das riesige Leviathan-Erdgasfeld im östlichen Mittelmeer entdeckt. Es wurde und wird von westlichen Regierungen und Medien als weithin vor der Küste Israels liegend bezeichnet. Es handelt sich um einen der weltweit größten Neufunde an marinen Erdgasvorkommen der zurückliegenden 20 Jahre (Chartquelle).

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Der Gasfund hat das Potential, Israels Außenwirtschaftsbeziehungen mit seinen Nachbarländern Türkei und Ägypten grundlegend zu ändern. Gemeinsam mit dem nahegelegenen, 2009 entdeckten Tamar-Erdgasfeld wird das südwestlich hiervon gelegene Leviathan-Gasfeld als eine Chance für Israel gesehen, zu einem signifikanten Erdgasexporteur im Mittleren Osten zu werden.

Diese Reserven sind nicht identisch mit denen, die 1999 von British Gas im Gazastreifen entdeckt wurden und zu Palästina gehören. Das Feld, das etwa 30 Kilometer westlich der Küste des Gazastreifens liegt, enthält schätzungsweise mehr als eine Billion Kubikfuß Erdgas (28 Mrd. Kubikmeter). Auch ein Teil der Leviathan-Gasfelder liegt in den Hoheitsgewässern des Gazastreifens (Hoheitsgewässer: 12 Seemeilen=22km breites Meeresband an der Küste).

Israel beansprucht diese Felder für sich, nur ein Bruchteil davon liegt aber in Israels Hoheitsgebiet. Vieles ist noch unerforscht, derzeit liegen die größten Entdeckungen im palästinensischen Gazastreifen und im Westjordanland.

Das im Mittelmeer geförderte Erdgas muss vorerst per Unterwasserleitung von Aschkelon zum Sinai nach Ägypten gepumpt werden, wo es verflüssigt und dann als Flüssiggas auf den Weltmarkt begracht wird. Im März 2021 haben sich Ägypten und Israel auf den Bau einer zweiten Pipeline direkt vom Gasfeld Leviathan verständigt. Mit diesem Bau und anderen Vorhaben sollen Israel und Ägypten in den kommenden Jahren zusammen bis zu 30 Mrd. Kubikmeter pro Jahr exportieren können. Das entspricht knapp 9% der EU-Importe von 2021.

Insgesamt lagern im östlichen Mittelmeer etwa 10.800 Milliarden Kubikmeter, auf Israel entfallen etwa 1.000 Milliarden Kubikmeter. Der Wert für Israel könnte sich vielleicht noch verdreifachen, je nachdem, was weitere Explorationen ergeben (und noch mehr, je nach territorialer Zu-, bzw. Neuordnung). Zum Vergleich: Russland hat Schätzungen zufolge mehr als 37.000 Milliarden Kubikmeter an Erdgasvorkommen.

Israel hat 2008/2009 im Rahmen der „Operation Cast Lead" den Gazastreifen besetzt, nachdem die Palästinenser dort sich in einer Wahl für eine Hamas-Regierung ausgesprochen haben. Seitdem wird seitens Israel systematisch ein Keil zwischen die Hamas-Regierung hier und die palästinensische Autonomiebehörde getrieben – u.a. im Rahmen der „Bibi-Doktrin“.

Ein Bericht der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) beschreibt im August 2019 die Lage wie folgt: Geologen und Ökonomen, die sich mit natürlichen Ressourcen befassen, haben bestätigt, dass das besetzte palästinensische Gebiet über beträchtliche Erdöl- und Erdgasvorkommen im Gebiet C des besetzten Westjordanlands und an der Mittelmeerküste vor dem Gazastreifen verfügt.

2021 wurde in einem von der Palästinensischen Autonomiebehörde abgesegneten Memorandum of Understanding zwischen Ägypten und Israel zur Entwicklung des Gasfeldes vor der Küste des Gaza-Streifens festgehalten, dass Israel den Beginn der praktischen Maßnahmen zur Gasförderung aus den Gaza-Feldern für Anfang 2024 verlangt, um seine eigene Sicherheit zu gewährleisten. (Al-Monitor vom 22. Oktober 2022).

Ein israelisches Abkommen über die Förderung von palästinensischem Gas könne dem Gazastreifen lange Jahre der Ruhe garantieren, da die Unterstützung seiner Wirtschaft eines der wirksamsten Mittel ist, um die Hamas davon abzuhalten, Raketen auf Israel abzuschießen – so die offizielle Argumentation.

Der zivile Arm der Hamas-Regierung im Gazastreifen wurde in Bezug auf die Explorations- und Erschließungsrechte für die Gasfelder nicht einbezogen. Die Einnahmen aus dem Export von palästinensischem Gas sollen in die Kasse der Palästinensischen Autonomiebehörde fließen, wobei ein Teil zur Unterstützung der Wirtschaft des Gazastreifens verwendet werden soll.

Tatsache ist: Die Besetzung des Gaza-Strefens durch Israel hinderte die Palästinenser viele Jahre daran, ihre Energiefelder selbst zu erschließen, um davon zu profitieren und diese natürlichen Ressourcen zur Deckung des Energiebedarfs zu nutzen und die eigene sozioökonomischen Entwicklung selbstständig zu finanzieren.

Immer wieder wird klar, dass Israel einen Keil zwischen die Hamas und die palästensische Autonomiebehörde treibt. Mit den Worten von Netanjahu bei einem Treffen der Knessetmitglieder seiner Likud-Partei im März 2019 (Haaretz, 9. Oktober 2023): „Jeder, der die Gründung eines palästinensischen Staates vereiteln will, muss die Hamas unterstützen und Geld an die Hamas überweisen … Das ist Teil unserer Strategie, die Palästinenser in Gaza von den Palästinensern im Westjordanland zu isolieren."

Die Times of Israel schreibt am 8. Oktober 2023 zur Strategie von Netanjahu: „Die Hamas wurde als Partner zum Nachteil der Palästinensischen Autonomiebehörde behandelt, um Abbas daran zu hindern, einen palästinensischen Staat zu gründen. Die Hamas wurde von einer terroristischen Gruppe zu einer Organisation befördert, mit der Israel über Ägypten verhandelte und der es erlaubt wurde, Koffer mit Millionen von Dollar aus Katar über die Gaza-Übergänge zu erhalten."

Wenn das Israel Netanjahus wirkliches Interesse an einer friedlichen Entwicklung vor seiner Haustür gehabt hätte, wäre das letztlich der Schlüssel gewesen: Den Palästinensern im Gaza-Streifen die Möglichkeit zu geben, ihre Wirtschaft selbst zu entwickeln. Dass der terroristische Teil der Hamas dabei nicht untätig zugesehen hätte, ist klar. Aber der gegangene Weg Israels hat dazu beigetragen, diese Elemente direkt (s.o.) stark zu machen und über die Verelendung der Bevölkerung indirekt zu unterstützen.

Nachdem Netanjahu die Gründung eines Palästinenserstaates u.a. durch Spaltung innerhalb der Palästinenser systematisch hintertreibt – ist es angesichts der explodierten Energiepreise und der Ressourcen im östlichen Mittelmeer so abwegig, zu glauben, dass für ihn der Punkt gekommen ist, sich Gaza samt den Milliarden-schweren Erdöl- und Erdgas-Ressourcen vollständig einzuverleiben? Mit der Aufforderung an eine Million Bewohner des nördlichen Teils des Gaza-Streifens, in den Süden zu ziehen, könnte zudem der erste Schritt zu einer Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung gedacht sein.

[Unter Verwendung von Material aus dieser Quelle, andere sind im Text verlinkt]
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