Ukraine: Krieg und Diebe

Der Krieg in der Ukraine steht seit Februar 2022 im Mittelpunkt der außenpolitischen und medialen Berichterstattung. Die wichtige Frage aber wird nicht gestellt, wer die landwirtschaftlichen Flächen in dem Land kontrolliert, das als „Kornkammer Europas" gilt.

In diesem Zusammenhang ist die höchst umstrittene Landreform von 2021 von Bedeutung, die Teil des Strukturanpassungsprogramms unter der Schirmherrschaft westlicher Finanzinstitutionen ist, nachdem nach der Maidan-Revolution von 2014 in der Ukraine eine pro-europäische Regierung eingesetzt wurde.

Der folgende Text bezieht sich auf eine Veröffentlichung des Oakland Institute, einem unabhängigen US-amerikanischen Think-Tank. Sie ist unter dem Titel „WAR AND THEFT – THE TAKEOVER OF UKRAINE’S AGRICULTURAL LAND" erschienen.

Mit 33 Millionen Hektar Ackerland verfügt die Ukraine über große Teile des fruchtbarsten Ackerlandes der Welt. Fehlgeleitete Privatisierungen und korrupte Regierungsführung haben bereits seit den frühen 1990er Jahren Land in den Händen einer neuen oligarchischen Klasse konzentriert. Rund 4,3 Millionen Hektar werden in großem Stil agrarwirtschaftlich genutzt. Mit drei Millionen Hektar befindet sich der größte Teil davon in den Händen von nur einem Dutzend großer Agrarunternehmen. Darüber hinaus wurden nach Angaben der Regierung etwa fünf Millionen Hektar, eine Fläche von der Größe der Krim, dem ukrainischen Staat „gestohlen".

Die Gesamtmenge an Land, die von Oligarchen, korrupten Einzelpersonen und großen Agrarunternehmen kontrolliert wird, beträgt somit über neun Millionen Hektar – etwas weniger als 30% der Ackerfläche des Landes. Der Rest wird von über acht Millionen ukrainischen Landwirten genutzt.

Bei den größten Landbesitzern handelt es sich um eine Mischung aus Oligarchen und einer Reihe ausländischer Interessengruppen – hauptsächlich aus Europa und Nordamerika. Darunter befindet sich auch ein Private-Equity-Fonds mit Sitz in den USA und der Staatsfonds von Saudi-Arabien. Bis auf einen sind die zehn größten Landbesitzer im Ausland registriert, hauptsächlich in Steueroasen wie Zypern oder Luxemburg. Selbst wenn sie von einem Oligarchen als Gründer geführt und noch weitgehend kontrolliert werden, sind eine Reihe von Firmen an die Börse gegangen, wobei westliche Banken und Investmentfonds nun einen einen erheblichen Anteil ihrer Aktien kontrollieren.

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Der Bericht nennt viele prominente Investoren, darunter die Vanguard Group, Kopernik Global Investors, BNP Asset Management Holding, die zu Goldman Sachs gehörende NN Investment Partners Holdings, sowie Norges Bank Investment Management, die Norwegens Staatsfonds verwaltet. Eine Reihe großer US-Pensionsfonds, Stiftungen und Universitätsfonds sind ebenfalls in ukrainischen Grund und Boden investiert, und zwar über NCH Capital, einen Private-Equity-Fonds mit Sitz in den USA. Er ist der fünftgrößte Landbesitzer. Beispielhaft im folgenden die Eigentümerstruktur des größten Landbesitzers, Kernel Holding S.A..

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Die meisten dieser Unternehmen sind in erheblichem Maße bei westlichen Finanzinstitutionen verschuldet, insbesondere bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), der Europäischen Investitionsbank (EIB), sowie der Internationalen Finanz-Corporation (IFC), dem privatwirtschaftlichen Arm der Weltbank. Zusammen sind diese Institutionen wichtige Kreditgeber für die ukrainische Agrarindustrie, wobei fast 1,7 Mrd. Dollar an nur sechs der größten ukrainischen Landwirtschaftsbetriebe vergeben wurden. Andere wichtige Kreditgeber sind eine Mischung aus hauptsächlich europäischen und nordamerikanischen öffentlichen wie privaten Finanzinstituten.

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Diese Schulden verschaffen den Gläubigern nicht nur eine finanzielle Beteiligung an der Tätigkeit der Agrarunternehmen, sondern auch ein erhebliches Maß an Einflussnahme. Dies zeigte sich u.a. bei der Umschuldung von UkrLandFarming, einem der größten Landbesitzer der Ukraine, an der Gläubiger wie die Export-Import-Agenturen der USA, Kanadas und Dänemarks beteiligt waren. Das führte zu wichtigen organisatorischen Veränderungen, einschließlich der Entlassung von Tausenden von Arbeitnehmern. Diese internationale Finanzierung kommt direkt den Oligarchen zugute, von denen einige des Betrugs und der Korruption beschuldigt werden. Nutznießer sind ebenfalls ausländische Fonds und Unternehmen, die als Aktionäre oder Gläubiger beteiligt sind.

In der Zwischenzeit mussten die ukrainischen Landwirte mit einer begrenzten Menge an Land und Finanzmitteln auskommen. Viele stehen nun am Rande der Armut. Die Daten zeigen, dass diese kleinen Landwirte im Vergleich zu Agrarunternehmen und Oligarchen praktisch keine Unterstützung erhalten. Der von der Weltbank eingerichtete Kreditgarantiefonds zur Unterstützung von Kleinbauern beläuft sich auf nur 5,4 Mio. Dollar – ein verschwindend kleiner Betrag im Vergleich zu den Milliarden, die an große Agrarunternehmen fließen.

In den zurückliegenden Jahren haben westliche Länder und Institutionen der Ukraine massive militärische und wirtschaftliche Hilfe zukommen lassen. Die Ukraine wurde zum größten Empfänger von US-Auslandshilfe. Dies ist das erste Mal seit dem Marshallplan, dass ein europäisches Land diesen Spitzenplatz einnimmt. Im Dezember 2022, weniger als ein Jahr nach Kriegsbeginn, haben die USA der Ukraine über 113 Mrd. Dollar zur Verfügung gestellt, darunter 65 Mrd. Dollar Militärhilfe. Das ist mehr als der gesamte Haushalt des Außenministeriums und von USAID weltweit (58 Mrd. Dollar).

Der Bericht beschreibt detailliert, wie die westliche Hilfe an ein drastisches Strukturanpassungsprogramm geknüpft wurde, das Sparmaßnahmen, Kürzungen der sozialen Sicherheitsnetze und die Privatisierung von Schlüsselsektoren der Wirtschaft umfasst. Eine zentrale Bedingung war die Schaffung eines Bodenmarktes, was 2020 unter Präsident Selensky gesetzlich verankert wurde – trotz des Widerstands der Mehrheit der Ukrainer, die befürchten, dass dies die Korruption im Agrarsektor verschärfen und seine Kontrolle durch mächtige Interessen verstärken wird.

Die Schaffung eines Bodenmarktes wird die Konzentration von Land in den Händen von Oligarchen und großen Agrarunternehmen weiter zunehmen lassen. Letztere haben bereits begonnen, ihren Zugang zu Land zu erweitern. Kernel hat Pläne angekündigt, seinen Landbesitz von 506.000 Hektar im Jahr 2021 auf 700.000 Hektar zu steigern. Ähnlich verhält es sich bei MHP – die derzeite Kontrolle über 360.000 Hektar Land soll auf 550.000 Hektar ausgeweitet werden. Berichten zufolge umgeht MHP auch die Beschränkungen für den Erwerb von Land, indem es seine Mitarbeiter bittet, Land zu kaufen und es an das Unternehmen zu verpachten.

Die ukrainische Regierung lockt über ihre Agentur UkraineInvest westliche Investoren mit „niedrigen Arbeitskosten“, „limitiertem Wettbewerb“, „billigem Strom und Gas“, „billigen Pachtkosten“ und „viel fruchtbarem Boden“ an (Chartquelle).

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Durch die Unterstützung großer Agrarunternehmen fördern die internationalen Finanzinstitutionen die Konzentration von Land, sowie ein industrielles Agrarmodell, das auf der intensiven Nutzung synthetischer Einsatzstoffe, fossiler Brennstoffer und großflächigem Monokulturanbau basiert. Das hat sich schon lange als umwelt- und sozial zerstörerisch erwiesen.

Im Gegensatz dazu zeigen sich die Kleinbauern in der Ukraine widerstandsfähig. Sie haben großes Potenzial, die Expansion eines anderen Produktionsmodells anzuführen, das auf Ökologie, ökologischer Nachhaltigkeit und damit der Produktion gesunder Lebensmittel beruht. Es sind die kleinen ukrainischen Landwirte, die die Ernährungssicherheit im Land garantieren. Große Agrarunternehmen sind auf die Exportmärkte ausgerichtet.

Im Dezember 2022 forderte eine Koalition aus Landwirten, Wissenschaftlern und NGOs die ukrainische Regierung auf, das Landreformgesetz von 2020 und alle Transaktionen von Land während der Kriegs- und Nachkriegszeit auszusetzen, „um die nationale und die Wahrung der territorialen Integrität des Landes zu gewährleisten". Dazu Prof. Olena Borodina von der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine (NASU): „Heute kämpfen und sterben Tausende von Bauernjungen und -mädchen im Krieg. Sie haben alles verloren. Die Prozesse des freien Landverkaufs und Kaufs werden zunehmend liberalisiert und beworben. Dies bedroht die Rechte der Ukrainer auf ihr Land, für das sie ihr Leben geben."

Diese Bedenken werden durch die schwindelerregende und wachsende Auslandsverschuldung der Ukraine im Rahmen des Strukturanpassungsprogramms noch verstärkt, was auf Kosten der Lebensbedingungen der Bevölkerung geht. Die Ukraine ist heute weltweit der drittgrößte Schuldner beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und ihre lähmende Schuldenlast wird zu zusätzlichem Druck der Gläubiger und internationalen Finanzinstitutionen führen darauf, wie die Ukraine nach dem Krieg wiederaufgebaut wird. Es wird mit Kosten von schätzungsweise 750 Mrd. Dollar gerechnet. Diese mächtigen Akteure haben bereits deutlich gemacht, dass sie ihren Einfluss geltend machen werden, um den öffentlichen Sektor des Landes weiter zu privatisieren und die Landwirtschaft zu liberalisieren.

Das Ende des Krieges sollte aber die Chance für genau das Gegenteil bieten, d.h. für die Neugestaltung eines Wirtschaftsmodells, das nicht mehr von Oligarchie und Korruption beherrscht wird, sondern Land und Ressourcen allen Ukrainern zugute kommen lässt. Dies könnte auch die Gelegenheit sein, den Agrarsektor so umzugestalten, dass er demokratischer sowie ökologisch und sozial nachhaltiger wird.

Ergänzung: Der Name BlackRock taucht in den Bericht des Oakland Institute zwar nicht auf. Mittelbar hat das Unternehmen aber seine Finger über seine mannigfachen, großen Beteiligungen überall drin.

Aber auch unmittelbar ist BlackRock auf übergeordneter Ebene engagiert: Ende Dezember 2022 gab es eine Videokonferenz zwischen dem Präsidenten der Ukraine, Selensky, und dem CEO von BlackRock, Larry Fink. Gemäß den vorläufigen Vereinbarungen, die Anfang des Jahres 2022 zwischen dem Staatschef und Larry Fink getroffen wurden, arbeitet das BlackRock-Team seit einigen Monaten an einem Projekt zur Beratung der ukrainischen Regierung bei der Strukturierung der Wiederaufbaufonds des Landes. Beide kamen überein, sich in nächster Zeit auf die Koordinierung der Bemühungen aller potenziellen Investoren und Teilnehmer am Wiederaufbau des Landes zu konzentrieren und die Investitionen in die wichtigsten und wirkungsvollsten Sektoren der ukrainischen Wirtschaft zu lenken (siehe hier!). Und zu diesen Sektoren zählt mit Sicherheit die Landwirtschaft.

Mit der Aufkündigung des Getreideabkommens zum ungehinderten Export ukrainischen Getreides (durch Russland), wie auch durch die immer stärkere Konzentration der Eigentumsverhältnisse an ukrainischem Agrarland werden die Preise für Nahrungsmittel wieder/weiter steigen und die Kerninflation hoch halten. Das trägt auch zur Ausweitung des Hungers in der Welt bei und erhöht die politische und wirtschaftliche Abhängigkeit vieler armer Länder letztlich von den großen Kapital-Institutionen.

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