Friedman: VR China – Ende des Export-Booms?

George Friedman von Geopolitical Futures ist ein gut vernetzter US-amerikanischer Analytiker der Weltpolitik. Zweifel an der Rolle der USA fechten ihn nicht an. Nichtsdestotrotz (oder deswegen) ist seine Meinung interessant – in diesem Fall zur VR China.

Friedman hatte 2004 eine umfassende, langfristige Prognose erstellt, für die er keine Daten angegeben hat. Sie konzentrierte sich auf die Entwicklung der wirtschaftlichen Kräfte in der VR China. Nachfolgend bringe ich eine Übersetzung eines kürzlich erschienenen Artikels, in dem Friedman diese Prognose aufgreift und fragt, wo das Land heute steht.

China stand eindeutig am Beginn einer Periode dramatischen Wachstums. Ich ging davon aus, dass dieses Wachstum zu erheblichen sozialen und politischen Problemen führen würde, sowohl im Inland als auch im Ausland. Ausländische Mächte würden sich Chinas Wachstum widersetzen, und interne Ungleichheit würde zu Spannungen führen.

Peking tat alles in seiner Macht Stehende, um die verschiedenen Teile Chinas bei Laune zu halten. Der Schwachpunkt Chinas ist das Landesinnere, der ärmste Teil des Landes. Die Führung versucht, Ressourcen in das Landesinnere zu verlagern, ohne dass es zu Widerständen in den Küstenregionen kommt. Ich prognostizierte, dass dies zu einer wirtschaftlichen Verlangsamung führen wird, die durch den Widerstand gegen chinesische Exporte und die Unterkapitalisierung der Küste verursacht wird. Es gibt strukturelle Grenzen für das chinesische Wachstum.

Ich habe absichtlich keine Daten angegeben. China hatte begonnen, schnell zu wachsen, und wie lange es wachsen würde, hing von der Weltwirtschaft und der internen Stabilität ab. Das konnte ich nicht vorhersagen. Angesichts der anfänglichen Aufregung über Chinas Wachstum hielt ich es jedoch für sinnvoll, darauf hinzuweisen, dass China als Exportland nicht schnell genug oder lange genug wachsen kann, um mit den Vereinigten Staaten gleichzuziehen.

Die Methode, mit der ich zu dieser Schlussfolgerung gelangte, bestand darin, die Entstehung und den Niedergang anderer exportabhängiger Volkswirtschaften zu modellieren, die unter Wachstumsdruck stehen.

Das erste Beispiel waren die Vereinigten Staaten, deren Wirtschaft nach dem Bürgerkrieg zerrüttet und deren Binnennachfrage begrenzt war. Um 1890 verlagerten sich die bestehenden Hersteller auf den Export. Um 1910 produzierten und exportierten die USA etwa 50% der weltweiten Industriegüter. Der Erste Weltkrieg erschütterte die europäischen Volkswirtschaften, legte die US-Exporte lahm und führte um 1929/30, 40 Jahre nach dem Beginn des Wachstums in den USA, zur Großen Depression.

Etwas Ähnliches geschah mit Japan. Vom Ende des Zweiten Weltkriegs erschüttert, wandte es sich in den 1950er Jahren mit großem Erfolg dem Exportmarkt, insbesondere den USA, zu. Ende der 1970er Jahre setzte in den USA ein wirtschaftlicher Abschwung ein, der schließlich die japanischen Exporte einbrechen ließ und in den 1980er Jahren das so genannte verlorene Jahrzehnt auslöste. 1990 waren die japanischen Banken am Boden zerstört und das Wirtschaftswunder war vorbei. Dies geschah 40 Jahre nach dem Beginn des japanischen Exportwunders.

China ist ein weiteres Beispiel für eine exportabhängige Wirtschaft, eine Geisel der Fähigkeit und Bereitschaft anderer Länder zu importieren. Ich vermied die Annahme, dass es dem 40-Jahres-Zyklus folgen würde, da ich nur zwei frühere Beispiele hatte, den Zeitzyklus nicht verstand und es als Zufall abtat. Jetzt gibt es ein drittes Beispiel, das ich zwar immer noch nicht verstehe, aber nicht leugnen kann. Chinas wirtschaftlicher Aufstieg begann in den 1980er Jahren, und jetzt, 40 Jahre später, in den 2020er Jahren, steht das Land vor einem ähnlichen wirtschaftlichen Abschwung wie Japan.

Nach der Großen Depression und dem Zweiten Weltkrieg erlebten die Vereinigten Staaten einen großen wirtschaftlichen Erfolg, ebenso wie Japan nach seinem wirtschaftlichen Scheitern. Das Scheitern des chinesischen Wirtschaftsmodells ist sehr schmerzhaft, bedeutet aber keineswegs das Ende der chinesischen Geschichte. Dies hängt natürlich davon ab, wie die chinesische Öffentlichkeit auf die wirtschaftliche Fehlentwicklung reagiert. Das ist eine Prognose, die noch zu erstellen ist.

So weit der Text von Friedman, der sich bewusst auf qualitative Aussagen beschränkt. Ich ordne das nachfolgend quantitativ ein.

Der Chart des Verhältnisses von Leistungsbilanz und BIP legt nahe, dass der chinesische Exportüberschuss 2007 sein Topp bezogen auf die Zeit von 1980 bis heute erreicht hat. Aktuell liegt er so hoch wie um 2000 herum.

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Der Verlauf des jährlichen Wachtumsraten des BIP zeigt seit 2007 ebenfalls Tempoverlust. Seinerzeit bei 15%, werden aktuell noch knapp 5% erreicht.

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Die Staatsverschuldung im Vergleich zum BIP steigt seit etwa 2010 beschleunigt, sie hat sich seitdem mehr als verdoppelt auf nunmehr rund 80%. Gemeinhin geht man davon aus, dass eine Staatsschuldenquote bei entwickelten Ländern oberhalb von 90% wachstumsdämpfend wirkt, bei Entwicklungsländern liegt diese Schwelle bei 60% (siehe etwa hier und hier!). Die VR China liegt irgendwo dazwischen, aber eine Schuldenquote von 80% (sie wird eher nach unten geschönt sein) dürfte bereits Wachstum kosten.

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Nach diesen Daten (und mit den Entflechtungsrufen im Wertewesten) ist es durchaus plausibel, dass die VR China am Ende ihrer exportgetriebenen Phase angekommen ist. Mit anderen Worten, Friedman könnte mit seiner Prognose recht haben. Natürlich hat er hierbei vor allem im Auge, ob bzw. wann die VR China die USA als größte Wirtschaftsmacht überholen könnte. China sieht hierfür eine Jahreszahl von vor 2050. Friedman scheint der Meinung zu sein, dass das nicht passieren wird.

Die BIP-Zuwächse der USA schwingen sich gegenwärtig bei etwa 2% p.a. ein und liegen damit weniger als halb so hoch die der VR China. Ein Vergleich des BIP der beiden Länder (bitte die unterschiedliche Skalierung der y-Achsen beachten – links China, rechts USA) legt nahe, dass die VR China die USA nach 2040 eingeholt haben könnte. Wenn es stimmt, dass der Export mehr und mehr ausfällt, müsste das Land andere Wachstumsquellen erschließen, um sein Ziel zu erreichen.

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[Die Charts stammen aus dieser Quelle]

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