Aktien breit verkauft

Die deutschen Erzeugerpreise gewerblicher Produkte liegen im Juli um 37,2% höher als vor einem Jahr. Das ist der höchste Anstieg seit Beginn der Erhebung im Jahr 1949. Gegenüber Juni stiegen die Preise um 5,3%.

Wenig überraschend sind vor allem die Preise für Energie für den Anstieg verantwortlich. Sie haben sich im Jahresvergleich mehr als verdoppelt, gegenüber Juni legten sie um 14,7% zu. Kraftstoffe verteuern sich gegenüber Juli 2021 um 31,6%. Erdgas kommt auf ein Plus von 163,8%, elektrischer Strom legt um +125,4% zu. Ohne Berücksichtigung von Energie liegen die deutschen Erzeugerpreise 14,6% höher als vor einem Jahr.

Wenn man der Nachrichtenagentur Reuters glauben will, gab der Anstieg der deutschen Erzeugerpreise den Anlass für Gewinnmitnahmen bei Aktien. Vielleicht spielte auch der kleine Hexensabbat (Verfallstag) eine Rolle. Der DAX verlor weitere 1,1% und weitete damit seine am Mittwoch begonnenen Verluste aus. Auf Wochensicht kommt er auf ein Minus von 2,0%. US-Aktien wurden breit verkauft. Das Volumen an der NYSE zog leicht an, blieb aber im Rahmen der zurückliegenden zehn Handelstage unterdurchschnittlich. Der S&P 500 beendete seine Serie von vier Gewinnwochen in Folge mit einem Wochenverlust von 1,2%, er schloss bei 4228,48.

Gewinnmitnahmen hin oder her. Inflation ist nach vor eines der entscheidenden Themen an den Finanzmärkten. Bisher war man der Meinung, dass sie zunächst einmal ihr Topp erreicht hat – die Einstellung gerät gerade wieder ins Wanken. Die Renditen sind in den USA am Freitag deutlich angestiegen, und zwar über alle Laufzeiten. Die Rendite der 10yr-TNotes dürfte sich jetzt wieder oberhalb der EMA50 etablieren. Die hier diskutierte Möglichkeit einer SKS-Formation als Signal für eine obere Umkehr dürfte erst einmal vom Tisch sein.

Die Fed wird wahlweise als „Kreditgeber der letzten Instanz“ oder auch als diejenige bezeichnet, die Wall Street aus der Patsche hilft. Beides führt in der Praxis auf dasselbe hinaus. Seit drei Dekaden, etabliert von Fed-Chef Greenspan, macht die Fed nichts anderes: Wenn es eng wird, wenn es den großen Akteuren an den Finanzmärkten weh tut, ist sie zur Stelle und dreht den Geldhahn auf.

Das hat u.a. dazu geführt, dass die Verschuldung weltweit längst untragbare Größenordnungen erreicht hat. In den USA steigt die Staatsverschuldung auf rund 30 Bill. Dollar oder 125% des BIP. Das wäre zu Zeiten einer unangefochtenen Position des Dollar als Weltleitwährung womöglich ein eher geringeres Problem, aber diese Zeiten sind vorbei.

Mit der permanenten Manipulation der Geldversorgung verliert das Zinsniveau an makroökonomischer Aussagekraft, umso mehr, je mehr Liquidität bereitgestellt wird. Jahrelang fand die Inflation nur im Bereich des Finanzsystems statt. Mit Corona und den ergriffenen „Maßnahmen“ hat sich das geändert, mit den durch die Sanktionen gegen den Energielieferanten Russland wird sie weiter angeheizt.

Jetzt haben die Finanzmärkte zwar die Inflation, die die exorbitanten Schulden etwas tragbarer machen. Aber erstens regt das eher zu noch stärkerer Verschuldung an. Und zweitens muss nun die Fed in ihrer Geldpolitik nicht nur Wall Street, sondern verstärkt auch Main Street im Auge haben. Klar, dass sie letztlich die Interessen von Wall Street vertritt, wenn es hart auf hart kommt. Aber zunehmende Unruhe von Main Street ist auch nicht im Sinne von Wall Street.

Also macht die Fed das, was sie macht: Sie baut sich als DER Bekämpfer von Inflation auf und lässt sie gleichzeitig so weit laufen, wie es geht. Bei der Frage wie weit es geht, muss sie auch wieder Interessen von Wall Street berücksichtigen.

Anleihen sind nach wie vor das größte Segment der Finanzmärkte. Sie werden gekauft, wenn deren Sicherheit und Real-Verzinsung irgendwie im Einklang sind. Mit zunehmend negativen Real-Zinsen verlieren Anleihen an Attraktivität. Sie werden dann eher gekauft, wenn zu erwarten ist, dass deren Kurse steigen, also die Renditen weiter sinken. Die Fed muss über ihre kurzfristige Geldpolitik die realen Renditen so hindengeln, dass der Kursrutsch bei Anleihen abgefedert wird. Damit hat sie auch ein Interesse daran, die Inflation nicht unkontrolliert ausufern zu lassen.

Das Wirtschaftssystem ist durch die Geldflutpolitik schon seit längerem immer fragiler geworden. Durch die Inflation und die Re-Aktionen der Fed wird der monetäre Rahmen noch instabiler. Das führt zu verschärften Auf- und Abwärts-Zyklen auch in der Realwirtschaft. Starke Stimmungsschwankungen der Marktteilnehmer in der Finanz- und in der Realwirtschaft sind die Folge. Das hin und her (auch bei der Fed mit wechselnden Priorisierungen) führt zu Stagflation und lässt die Wahrscheinlichkeit eines Betriebsunfalls in dem fragilen Umfeld steigen.

Die Fed könnte den Volcker geben, um Main Street zu dienen. Fed-Chef Volcker war ein weiser Mann. Er wurde einmal gefragt, welche Innovationen die Finanzindustrie denn in den zurückliegenden Jahrzehnten vollbracht hätte. Seine Antwort: Der Geldautomat. Volcker schaffte es in seiner Amtszeit, die Inflation von 14% im Frühjahr 1980 bis März 1986 auf 2% zurückzubringen, indem er die Leitzinsen bis auf 14% hoch schraubte.

Die Fed wird nicht den Volcker geben. Angesichts der überbordenden Verschuldung und der Fragilität der kapitalistischen Wirtschaft wird sie mit Sicherheit nicht bereit sein, so viel real-wirtschaftliche Schwäche zu tolerieren, die erforderlich wäre, um die monetäre Inflation unter Kontrolle zu bringen. Dazu müssten die US-Leitzinsen vielleicht auf acht oder neun Prozent steigen, entsprechend vielleicht vier Prozent Leitzins in der Euro-Zone. Heute undenkbar!

Waren die Aktien-Bullen bisher der Meinung, die Inflation habe ihre Spitze erreicht, so wird das nun erneut hinterfragt. Das Rendite-Niveau ist zwar manipulations-bedingt niedrig, aber die Rendite-Bewegungen geben immer noch Aufschluss über die Meinung der Anleihe-Akteure. Und deren Urteil lautet: Die Inflation hat ihr Topp noch nicht erreicht.

Und das bedeutet für die Frage, wie es mit der Geldpolitik weitergeht, eben auch: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Phase der großen Zinsschritte (0,75%) noch nicht vorbei ist, wie erhofft. Dazu kommt, dass die Fed ab September ihr „Quantitative Tightening“ auf 95 Mrd. Dollar monatlich verdoppeln wird. Das hat tiebt die Renditen tendenziell ebenfalls an.

Es bahnen sich Enttäuschungen der überaus optimistischen Erwartungen der Aktien-Bullen an, wie ich sie hier skizziert hatte.

Hinzu kommen zwei Ereignisse, die für Unsicherheit sorgen: In der kommenden Woche findet das jährliche Zentralbanker-Treffen von Jackson Hole statt. Hier steht insbesondere die Rede von Fed-Chef Powell am Freitag im Fokus. Und: Häufig findet um den Labor Day herum, dieses Jahr am 5. September, ein Klima-Wechsel an den Finanzmärkten statt. Das würde in diesem Jahr nach dem Bull-Run der zurückliegenden Wochen bedeuten, dass sich die Aktien-Bären wieder vorwagen.

Und dann ist es auch nicht mehr weit bis zum 21. September, dem nächsten FOMC-Treffen.

Mittlerweile zeigen einige Markt-Indikatoren Tempoverlust. Das tägliche Verhältnis der Anzahl der steigenden und fallenden Aktien ist nicht mehr bullisch. Tempoverlust gibt es auch beim Indikator TQUAL, der die häufig verwendeten technischen Indikatoren MACD, RSI und Stochastik bei einigen Aktienindices bewertet. Nachdem er zuletzt von Extrem zu Extrem geeilt ist, dürfte er nun eine obere Wende vollführen. Das legt nahe, dass Aktienkurse unter Druck geraten.

Die fraktalen Oszillatoren der TimePatternAnalysis zeigen ebenfalls eine wahrscheinliche Wende im Extrembereich an (siehe hier!). Der Chart wird täglich auf der Startseite aktualisiert. Interessant auch der Verlauf der Rendite der Ramschanleihen (ICE BofA High Yield). Sie ist ein zuverlässiger Risikoindikator. Vermutlich hat sie jetzt eine Aufwärtsbewegung eingeleitet, für „Ramsch“ wird eine höhere Verzinsung erwartet. Die Rendite ist übergeordnet gegenläufig zum S&P 500. Der neigt sich jetzt abwärts.

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Der S&P 500 hat zuletzt das 62er Retracement des Abwärtsimpulses aus Ende März überschritten, konnte aber den Widerstand bei 4300 nicht „knacken“. Aktuell notiert der Index wieder leicht unter dem Retracement. Wahrscheinlich ist auf Sicht der nächsten Tage eine Konsolidierung zwischen 4300 und 4150/4160 zu erwarten. Innerhalb dieses Bereichs ist die EMA200 (~4190, flach) von Bedeutung. Darunter käme die EMA50 in den Fokus (~4077, steigend) (Chartquelle).

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Ergänzung:
Hauspreise und CPI-Inflation in den USA – "Visualizing Housing Prices and Inflation"

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