S&P 500 – wo sind die Dümmeren?

Der S&P 500 steigt mit einem Wochengewinn von 0,8% weiter an. Es war die achte Gewinnwoche in Folge, das gab es seit mehreren Jahren nicht mehr. NDX und Nasdaq Composite steigen ebenfalls. Der Dow kommt auf Wochensicht mit 0,2% voran, bleibt knapp unter seinem zu Wochenbeginn erreichten Allzeithoch. Der DAX gibt weitere 0,3% ab.

Die Ölpreise steigen weiter. Auch der CRB-Rohstoffindex kommt auf die zweite Gewinnwoche in Folge. Das gilt auch für Gold und Silber.

blank

Die US-Renditen verlieren weiter. Der Dollar-Index nahe fünf-Monats-Tief, Euro/Dollar legt weiter zu. Die Währungspaare Dollar/Yen und Euro/Yen machen ebenfalls Boden gut. Die Bank of Japan behält ihre ultralockere Geldpolitik bei, das drückt den Yen.

blank

Unter der Oberfläche großer Aktien-Indices: Der KBW-Index regionaler Banken sinkt um 0,2%. Der „Globalisierungsindikator“, der Dow Jones Transport Index (DJT), steigt um 0,3%. Der „Technologieindikator“, der Halbleiterindex SOX, legt auf Wochensicht um weitere 0,4% zu.

Der Rendite-Spread am langen Ende steigt im positiven Bereich leicht an. Die Inversion der Zinsstruktur über das gesamte Spektrum ist unverändert hoch. Die negative Differenz zwischen der Rendite der 2yr-TNotes und der eff FFR vergrößert sich weiter. Die Erwartung ist ungebrochen, dass das Leitzins-Topp erreicht ist und die Fed zeitig im kommenden Jahr beginnt, die Leitzinsen zu senken.

Die von der Fed besonders beachtete PCE-Kernpreis-Inflation ist per November auf 3,2% gesunken, nach 3,4% im Vormonat. Der Rückgang war etwas stärker als erwartet, der Wert ist jetzt so niedrig wie seit März 2021 nicht mehr. Der PCE-Index einschließlich der Preise von Nahrung und Energie ist im Monatsvergleich sogar gesunken. Das US-BIP wurde mit der zweiten Schätzung für das dritte Quartal deutlich auf 4,9% revidiert – die Verbraucher-Ausgaben waren geringer, die Importe waren höher als zuvor angenommen. Das Verbrauchersentiment folgt per Dezember dem Verbrauchervertrauen mit einem kräftigen Zugewinn. Damit ziehen die Vertrauensindices jetzt in Richtung der Fundamentalindikatoren hoch.

blank

Die Kehrtwende von Fed-Chef Powell, der am Mittwoch vor einer Woche völlig überraschend sagte, man sei bereit, die Leitzinsen zu senken, dürfte noch länger nachwirken. Einige Beobachter vermuten eine Einflussnahme des Weißen Hauses angesichts der schlechten Wählerstimmung für US-Präsident Biden, andere sehen einen Zusammenhang mit der US-Verschuldung.

Die US-Verschuldung ist in den vergangenen Jahren stark angewachsen. Angesichts des niedrigen Zinsniveaus galt das lange als unproblematisch. Mit dem Höhenflug der US-Leitzinsen ändert sich das, die Zinslast dürfte jetzt deutlich ansteigen, abhängig davon, wann die Laufzeit aufgenommener Schulden-Papiere endet.

Als man im März 2022 begann, die Leitzinsen anzuheben, wollte man verhindern, dass die Entwicklung der kurzfristigen Zinsen auf die der langfristigen übergriff. Man befürchtete auch Auswirkungen auf hoch verschuldete „Zombie“-Groß-Konzerne. Also schaltete man zur Finanzierung des Staatshaushalts um und begab statt längerfristiger TNotes und Bonds immer mehr kurzfristige Anleihen, TBills, mit Laufzeiten von bis zu einem Jahr.

Demzufolge dürften Regierungsschulden in Masse zur Refinanzierung anstehen – zu einem Zeitpunkt, an dem die Leitzinsen (eff. FFR) mit 5,33% ihr Topp erreicht haben. 13wk-TBills (IRX) rentieren aktuell mit 5,38%, die Rendite der 10yr-TNotes (TNX) kommt auf 3,90%. Der Durchschnitt der TNX-Rendite über die zurückliegenden sieben Jahre kommt auf ungefähr 2,4%. Abhängig von der Fälligkeit solcher alten Papiere kommt hier mit neuen und der Refinanzierung alter Schulden eine erhebliche Zinslast zustande. Es gab Gerüchte, die von einem drohenden Kollaps des US-Anleihemarktes wissen wollten. Insofern wollten einige Beobachter von einem Verzweiflungsakt der Fed wissen.

Die Überlegung hinter der überraschenden Wende von Fed-Chef Powell dürfte darin zu sehen sein, dass dies v.a. Auswirkungen auf die längeren Renditen hat. Ende Oktober lag die TNX-Rendite noch bei 5%, die für IRX hat sich demgegenüber bisher kaum bewegt. Die Hoffnung ist wohl, dass die Abwärtsbewegung bei TNX (aktuell 3,90%) anhält.

Die Frage ist aber, was die TNX-Rendite weiter drücken könnte. Ein zunehmendes Angebot solcher Papiere seitens des Staates dürfte cet. par. eher für Auftrieb sorgen, das würde seine Zinslast nur weiter steigern. In normalen Zeiten würde die Erwartung einer Rezession dafür sorgen, dass Mittel aus „riskanten“ Aktien in „sichere“ Anleihen umgeschichtet würden. Die solchermaßen steigende Nachfrage würde die Renditen drücken. Aber eine Rezession ist nach Meinung vieler Beobachter ja gar nicht in Sicht. Landauf, landab wird die Vision einer „weichen Landung“ hoch gehalten.

Ein Rätsel! Oder auch nicht. Vor zwei Wochen hatte ich mich mit dem Ausblick von Felix Zulauf beschäftigt, der etwa ab Mitte des kommenden Jahres eine Rezession der US-Wirtschaft sieht (siehe auch hier!). In der zurückliegenden Woche hatte ich David Rosenberg zitiert, der eine weiche Landung für ziemlich unwahrscheinlich hält und stattdessen rät: „Lassen Sie die Zinspause der Fed und die erste Zinssenkung links liegen (aber kaufen Sie die letzte Senkung)."

US-Fondsanleger haben ihre Investitionsquote weiter gesteigert. Sie liegt jetzt wieder auf dem Niveau von Ende Juli, danach kam eine mehrmonatige Abwärtsbewegung. Die Bulle/Bär-Differenz der US-Privatanleger (AAII) ist auf 32% angestiegen, der Anteil der Bullen ist auf Jahres-Höchststand. Wenn alle investiert oder extrem bullisch eingestellt sind, woher sollen dann noch Mittel kommen, um die Kurse weiter anzutreiben? Gut, zu Jahresbeginn kommen häufig nochmals Mittel aus steuerlichen Gründen in den Markt, aber was folgt dann?

John Hussman schreibt: Unsere zuverlässigsten Bewertungsmaßstäbe für den Aktienmarkt liegen derzeit zwischen dem 2,6- und 2,8-fachen der langfristigen Normen, die wir mit historisch üblichen S&P 500-Gesamtrenditen von 10% jährlich in Verbindung bringen. Nichts erfordert einen Rückzug der Bewertungen auf diese Normen, aber wir schätzen potenzielle Marktverluste über den gesamten Zyklus hinweg auf 42% bis 65%.

Die kleinere Zahl gilt, um die geschätzten S&P 500-Gesamtrenditen auf das gleiche Niveau wie die Rendite 10-jähriger Staatsanleihen zu bringen. Die größere Zahl kommt zustande, wenn die historisch üblichen erwarteten Renditen von etwa 10% jährlich wiederhergestellt werden.

Wir halten die Anleiherenditen für akzeptabel, so Hussman weiter, aber auch für etwas unzureichend, da sie auf einen deutlichen und anhaltenden Rückgang der Inflation, des nominalen Wachstums und der Renditen von Schatzanweisungen angewiesen sind, um ihr derzeitiges Niveau zu rechtfertigen. Wir können weder eine Verbesserung der Marktinterna noch einen „Schwenk" zu niedrigeren Zinsen ausschließen, aber beides würde derzeit auf den höchsten Bewertungsniveaus der Geschichte stattfinden. Das deutet darauf hin, dass die eventuell eintretenden Folgeerscheinungen nicht besonders dauerhaft sein dürften.

Banker und Anwälte gehen davon aus, dass der Markt für Fusionen und Übernahmen im Jahr 2024 wieder anziehen wird, nachdem er in diesem Jahr den niedrigsten Stand seit zehn Jahren erreicht hat, da sich die Inflation und die Zinssätze verbessern. „Die Pipeline ist derzeit robuster als zu irgendeinem Zeitpunkt im letzten Jahr", sagte Jim Langston, Co-Leiter des Bereichs US M&A bei Cleary Gottlieb Steen & Hamilton. „Wenn ich heute hier stehe, hat der Markt begonnen, sich zu beschleunigen, sowohl in Bezug auf das Vertrauen in den Führungsetagen und Vorstandsetagen als auch in Bezug auf die Zahl der Unternehmen, die sich in einem aktiven Dialog über Transaktionen befinden.“

Richard Barwell, Leiter der Makroforschung bei BNP Paribas Asset Management: Die Märkte feiern die Fortschritte bei der Abkühlung der Inflation, aber die Anleger riskieren immer noch, die nächsten Schritte falsch einzuschätzen: „Angesichts der restriktiven Zinssätze stellt sich zunehmend die Frage, ob sich der zugrunde liegende Inflationstrend in den kommenden Monaten weiter abkühlen wird. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Inflation bald zu niedrig ist, um sich zu beruhigen. In diesem Fall unterschätzen die Anleger immer noch, wie viele Zinssenkungen noch kommen werden."

Der folgende Chart zeigt sehr schön die überbordende bullische Stimmung bei den Aktienanlegern. An einem einzigen Tag, dem Tag der Wende von Fed-Chef Powell, flossen über 20 Mrd. Dollar in den SPY-ETF (S&P 500). Das ist historischer Rekord. Ende 2019 gab es schon einmal eine halb so hohe Spitze. Vorausgegangen war die plötzliche Wende der Fed, die im Oktober 2019 völlig überraschend fadenscheinig begründet mit robusten QE-Maßnahmen begann (die sie nicht so nannte). Ich will nicht unken: Damals war es die dynamische Verlängerung der Fed-Bilanz, heute ist es die völlig überraschende Wende in der Zinspolitik… Beides läuft auf das Gleiche hinaus – Zufuhr von Liquidität. Ist da was im Busch?

blank

Tom McClellan: Hochverzinsliche Anleihen werden in der Regel eher wie Aktien als wie Staatsanleihen gehandelt. Hinzu kommt, dass „Junk"-Bonds sehr empfindlich auf Liquiditätsbedingungen reagieren. Wenn Geld so reichlich vorhanden ist, dass selbst die geringwertigsten Anlagen etwas davon abbekommen können, ist das ein Zeichen dafür, dass die Liquidität für alle Arten von Aktien eine Zeit lang reichlich vorhanden sein wird. Und wenn die Liquidität zu versiegen beginnt, sind diese hochverzinslichen Anleihen meist die ersten Opfer.

blank

McClellan weiter: Jetzt sehen wir wieder eine große Stärke der A-D-Linie für Junks-Bonds, die in einem sehr steilen Winkel Schritt hält mit den Kursgewinnen des SP500 Schritt. Die Botschaft ist, dass die Liquidität reichlich vorhanden ist und dies auch noch eine Weile so bleiben dürfte. Es gibt noch keine Anzeichen für eine Divergenz, und ich gehe davon aus, dass wir eine Divergenz mit den Kursen sehen werden, bevor es zu wirklichen Problemen kommt.

Der unvergleichliche Albert Edwards: Wenn ich vor einem seismischen Schock im Jahr 2024 warnen müsste, der die Anleger in ihren Grundfesten erschüttern würde, dann ist es nicht die Frage, ob die USA oder China in eine Rezession geraten oder nicht, oder ob die Inflation und die Zinssätze ein wenig höher oder niedriger als erwartet ausfallen. Nein, die größte Überraschung, die eine Schockwelle durch die Portfolios schicken könnte, ist das Platzen der Blase auf dem US-amerikanischen IT-Markt, was den gesamten US-Markt in einen Einbruch stürzen würde (Chartquelle).

blank

Die Spitze des Jahres 2000 ist fast wieder erreicht. Und die Flut hebt alle Boote – fragt sich nur wie lange.

Auch 2024 wird geprägt sein von der Entwicklung der Liquidität. Steigt sie so schnell, dass die Zinslast der US-Verschuldung tragbar erscheint, dann dürften Aktien weiter steigen. Falls nicht, nützt die zunehmende Liquidität den Aktienkursen jedenfalls nichts, im Gegenteil. Aber selbst wenn Aktien zunächst profitieren könnten, geschieht das vor dem Hintergrund extremer Bewertungen und hoher Schuldenstände auch bei den Unternehmen. Hussmann warnt zu Recht davor, dass die eventuell positiven Folgeerscheinungen der Liquiditätsentwicklung nicht besonders langlebig sein könnten.

Der S&P 500 hat am zurückliegenden Freitag bei 4754,63 geschlossen. Der Einbruch vom zurückliegenden Mittwoch ist zwar intraday, aber nicht per Schlusskurs ausgebügelt, es fehlen 14 Punkte. Dieser Einbruch zeigt, wie schnell es gehen kann. (Chartquelle).

blank

Auf der Unterseite ist zunächst die EMA14 (4685, steigend) zu nennen, dann der Pegel bei 4600 (Hoch aus Ende Juli). Darunter verläuft bei rund 4550 ein kurzfristiger statischer Pegel.

Da aber der S&P 500 nur noch knapp von seinem Allzeithoch entfernt ist und u.a. saisonale Faktoren weitere Stärke begründen, dürfte der Index die Zone von 4800+ vermutlich bald erreichen. Sein Allzeithoch von Anfang Januar 2022 liegt bei intraday 4819. Dort wird es dann spannend – wird es ein großes Doppeltopp?

Die Marktindikatoren zeigen sich per Saldo im Wochenvergleich abnehmend bullisch. Die Volumenverteilung ist in Akkumulation, mit anhaltendem Tempoverlust. Die Markbreite nach TRIN, der Quotient der bärischen zu bullischen Durchschnittsvolumina, ist jetzt bärisch. Das Verhältnis von SPX zu VIX ist extrem. Seine Instabilität nimmt zu, sie ist jetzt so hoch wie Ende Juli. Es herrscht „Greed“ (Gier). Der TQUAL-Indikator (Auswertung der viel beachteten Stochastik, RSI und MACD bei verschiedenen großen internationalen Aktienindices) zeigt auf sehr bullischem Niveau jetzt eine bärische Tendenz.

Der VIX, Angstmesser an Wall Street, notiert etwas oberhalb von 12,75, ein Pegel, der zuletzt zwischen November 2019 und Januar 2020 unterschritten wurde. Die Wahrscheinlichkeit eines Volatilitätsausbruchs nimmt zu.

Die fraktalen Oszillatoren der TimePatternAnalysis sehen bei der Entwicklung der Aktien eine zunehmende Bedeutung linearer Eigenschaften. Weit überwiegend liegen bullische Merkmale vor, sie hatten kürzlich 80% erreicht. Wendet man das Pareto-Prinzip an, so steigt der Aufwand, die Entwicklung über 80% hinaus zu treiben, stark an. Aktuell liegen sie wieder leicht unter dieser Schwelle. Bärische Merkmale kommen auf einen Anteil von rund fünf Prozent, er nimmt leicht zu.

Aus dieser Sicht spricht einiges dafür, dass die bullische Bewegung aktuell zumindest pausiert. Die Prognose der TimePatternAnalysis für den S&P 500 zeigt übergeordnet weiterhin eine Abwärtsbewegung bis an 4500 heran. Allerdings ist die Plausibilität für ein solches Szenario nach wie vor unsicher, das Zyklusgerüst hinter dem Kursgeschehen ist instabil.

Die Charts der aggregierten Marktindikatoren und der fraktalen Oszillatoren der TimePatternAnalysis werden börsentäglich auf der Startseite aktualisiert.

Ohne Zweifel mehren sich die Risse sowohl bei den Marktindikatoren als auch bei den fraktalen Oszillatoren. Solche Risse können immer noch mal in Übertreibungsphasen zugekleistert werden, wenn sich der Herdentrieb selbst befeuert. Nach der „greater fool“-Theorie muss es dann aber immer noch Dümmere geben, die bereit sind, zu kaufen.

Für die nächsten paar Tage ist die Marke bei 4775 entscheidend. Der Einbruch vom zurückliegenden Mittwoch zeigt, wie fragil die Veranstaltung mittlerweile ist. Gewinnmitnahmen sind jederzeit möglich, niemand will sich jetzt noch auf dem falschen Fuß erwischen lassen. Auf der anderen Seite möchten die großen Akteure das Jahr auf einem Hoch beschließen – Werbung, resp. Marketing eben. Und das dürfte wohl den Ausschlag geben.

Das könnte Sie auch interessieren:

Bewertung: 5.0/5
Please wait...
blank