Aktien konnten in der zurückliegenden Woche wieder deutlich zulegen. Der S&P 500 blickt auf die vierte Gewinnwoche in Folge zurück. Ein bullischer Katalysator war die Veröffentlichung der US-Inflationsdaten für Juli. Der CPI stieg auf Jahressicht um 8,5% nach 9,0% im Juni. Der PPI (PPIACO – Rohstoffe) zeigt im Juli +17,2% nach +22,5% im Juni und 21,5% im Mai. Solche Steigerungen bei den Rohstoffpreisen gab es zuletzt 1974/1975, der CPI markierte seinerzeit mit 11,8% ein lokales Maximum.
Neben dem Rückgang der Rohstoffpreise sind Verbesserungen auf der Angebotsseite (Lieferketten) und Anzeichen eines Nachfragerückgangs in der Gesamtwirtschaft als Gründe für die etwas nachlassende „Headline“-Inflation zu nennen. Sinkende Energiepreise trugen den größten Teil zum Rückgang der CPI-Inflation bei, die Benzinpreise fielen um 7,7%.
Geholfen haben auch die niedrigeren Importpreise – mit 8,8% gegenüber dem Vorjahr fiel die Steigerung deutlich niedriger aus als mit 10,7% im Juni. Die Kerninflation bei Gütern (ohne Fahrzeuge) schwächte sich auf 3,7% ab.
Die Mietinflation ist nach wie vor hoch, hat sich aber etwas abgekühlt. Die Mieten sind von 9,7% im Juni auf 8,8% gesunken, die Miet-Äquivalente für Eigentümer gingen von 8,7% auf 7,9% zurück. Diese beiden Kategorien tragen 2,5% zum CPI bei. Der Verlauf des ISM-Service-Index deutet ebenfalls auf eine weitere Verlangsamung der Inflation hin.
Auf der Gegenseite ist die Lohnentwicklung zu nennen. Je nachdem, welche Zeitreihe man nimmt, stiegen die Löhne per Juli um 5,2%, bzw. 6,2%. Sie hatten im März mit 5,6%, bzw. 6,7% ihre jüngsten Hochs erreicht.
Alle Daten zusammen genommen scheint die Gefahr einer weiter ausufernden Inflation aktuell nicht zu bestehen. Und das war für die Aktienkurse Grund genug, kräftig zuzulegen. Mancher ruft schon einen neuen Bullenmarkt aus. Marktteilnehmer halten alsbald eine langsamere Gangart der Fed bei den Leitzinsen für wahrscheinlich.
Fed-Offizielle tönen unterdessen, dass man noch lange nicht am Ziel sei (was auch mit den gewöhnlich trägen Auswirkungen der Lohnentwicklung begründet wird). In der Tat zeigte sich die als gutes Signal für die Leitzinsentwicklung geltende Rendite der 2yr-TNotes von den jüngsten Inflationsdaten wenig beeindruckt. Sie notiert zuletzt bei 3,257%, am Freitag der Vorwoche war sie mit den US-Arbeitsmarktdaten für Juli auf 3,218% angestiegen.
Die Renditelandschaft insgesamt deutet meiner Meinung nach übergeordnet noch auf weitere Senkungen hin. Die Spreads der Laufzeiten 10yr/13wk und 30yr/10yr liegen klar unter dem Warnpegel von 0,5%. Der Spread 30yr/13wk notiert gerade daran. Das legt eine weitere Abschwächung der wirtschaftlichen Dynamik nahe.
Die Rezessionswahrscheinlichkeit auf Basis von Merkmalen der Renditelandschaft zeigt nach meiner Auswertung bisher nur für den Spread 30yr/10yr einen statistisch signifikanten Wert an. Andere Merkmale folgen mit deutlicher Verzögerung und Abstand. Die Warnungen vor einer inversen Zinsstruktur, die eine kommende Rezession anzeigt, sind daher meiner Meinung nach verfrüht. Üblicherweise haben Warnungen von Seiten der Renditen erhebliche Vorlaufzeiten von einigen Monaten bis zu mehr als einem Jahr.
Wenn die Aktionäre jetzt darauf wetten, dass die Serie der Leitzinssteigerungen eher früher als später endet, haben sie damit auf jeden Fall recht – alleine schon deshalb, weil die Wirtschaft durch die permanenten Zinsmanipulationen so fragil geworden ist, als dass es die Fed wirklich darauf ankommen lassen kann. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass die Zinsen am längeren Ende des Laufzeitenspektrums so weit sinken, dass eine Inflation von 2% (das angebliche Ziel der Fed) realistisch wird. Abgesehen davon – erhöhte Inflation ist in einer hoch verschuldeten Wirtschaft willkommen.
Die Fed wird bei ihrem Versuch, eine weiche Landung hinzubekommen, also eine nicht akzeptable wirtschaftliche Kontraktion wie auch nicht akzeptable Inflation zu vermeiden, vermutlich mehrfach ihre Prioritäten ändern. (Abgesehen davon hat es die Fed noch bei keiner Rezession geschafft, eine weiche Landung hinzubekommen.) Sie wird mit Sicherheit nicht bereit sein, so viel real-wirtschaftliche Schwäche zu tolerieren, die erforderlich wäre, um die monetäre Inflation unter Kontrolle zu bringen. Am Ende kommt dabei sehr wahrscheinlich eine längere Phase der Stagflation heraus.
Die Aktienbullen gehen aber gegenwärtig davon aus, dass die kurzfristigen Zinsen nach einem Anstieg bis auf gut 3% (und einer Verkürzung der Fed-Bilanz um mehr als 400 Mrd. Dollar) sinken und dass dies reichen wird, um die Inflation auf 2,5% zu senken. Und das soll auch noch bei stabilem Wachstum und ohne Gewinneinbußen vonstatten gehen. Die Gewinnerwartungen für das zweite Quartal liegen aktuell bei 9,7% y/y (nach 6,2% Anfang Juli).
Dieses Szenario würde ich als extrem optimistisch bezeichnen. Realistischer ist eine bevorstehende deutliche Abschwächung des Realwachstums bei einem weiter hohen Inflationsniveau – also eben Stagflation. Die Rendite von Vermögenswerten hängt (auch) davon ab, wie sich die realen Bedingungen im Verhältnis zu den Erwartungen entwickeln. Damit ist früher oder später eine herbe Enttäuschung der Erwartungen wahrscheinlich mit entsprechenden Reaktionen bei den Asset-Preisen.
Was ist, wenn die Stagflation länger anhält und einen zweiten Straffungszyklus erforderlich macht? Dieses Szenario wird bisher nirgendwo als realistische Möglichkeit gesehen. Wenn das eintreten sollte, dürfte eine extreme Kontraktion bei Aktien und Anleihen die Folge sein. Aber so weit sind wir noch nicht.
Apropos Erwartungen versus Realität: Wie immer spielt bei Erholungsbewegungen bei Aktien die Eindeckung von Short-Positionen eine große Rolle. Viele haben Mitte Juni offenbar mit einem weiteren Kurssturz gerechnet (und sich entsprechend positioniert). Der trat nicht ein. Der folgende Chart zeigt, wie die Short-Positionen seit dem Juni-Tief bei Aktien kollabiert sind (Chartquelle).
Es ist davon auszugehen, dass es nicht mehr viele Short-Positionen gibt, die eingedeckt werden. Damit geht aber auch ein Teil des Treibstoffs für die Aktienmärkte verloren.
Die Volumenverteilung an der NYSE ist seit einigen Tagen in überdehnter, Mitte Juli gestarteter Akkumulation. Das würde ebenfalls nahelegen, dass gegenwärtig nicht mehr viel Kapital an der Seitenlinie steht. Zudem sind die großen Indices deutlich überkauft. Bisher gibt es jedoch bei den von mir beachteten Indikatoren (noch) kaum Umkehrsignale, so dass es durchaus sein kann, dass der FOMO-Effekt noch etwas wirkt (Fear of Missing out).
Der S&P hat mit dem Schlusskurs vom Freitag (4280,15) das 62er-Retracement des Abwärtsimpulses aus Ende März überschritten. Er notiert auch über der EMA200. An der Oberseite kommt bei 4300 ein Widerstand in Sicht, der nächste Pegel kommt erst bei 4513. Das alles sollte den Bullen etwas Durchhaltekraft geben. Wahrscheinlich ist auf Sicht der nächsten Tage eine Konsolidierung zwischen 4300 und 4150 (Chartquelle).
[Unter Verwendung von Material aus "On My Radar: Odds Favor Stagflation That Could Last For Years"]Das könnte Sie auch interessieren:
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