Mittlerweile mehren sich die Stimmen, die von der Führbarkeit eines Dritten Weltkriegs raunen. Sie sind noch leise, niemand will sich da zunächst zu weit aus dem Fenster lehnen. Aber die Stimmen sind unüberhörbar, vor allem aus den USA. Bei diesem Geraune geht es in der Regel auch um den Einsatz taktischer Nuklearwaffen.
Kennen Sie Stanislaw Petrow? Er starb vor fünf Jahren, am 19. Mai 2017. Der russische Oberstleutnant hatte in der Nacht vom 25. auf den 26. September 1983 Dienst, als das russische Frühwarnsystem den Start einer amerikanischen Interkontinentalrakete meldete. Ihm blieben weniger als 30 Minuten, um die Lage einzuschätzen. Er kam zu dem Schluss, dass es sich um einen Fehlalarm handelte, dem sogar weitere folgten. Als Ursache hierfür stellte sich viel später eine äusserst seltene Konstellation von Sonne und Satellitensystem heraus. Vermutlich stand die Welt nie so unmittelbar vor einem alles vernichtenden atomaren Weltkrieg. Der Film „The Day After“ zeigt in beklemmender Deutlichkeit, was das bedeutet hätte. Petrow hat dazu beigetragen, eine solche Apokalypse zu verhindern.
Von nuklearen Interkontinentalraketen oder Atomwaffen hoher Sprengkraft wird (vorerst?) nicht geredet. Aber wer einen Krieg mit taktischen Atomwaffen auch nur als realistische Möglichkeit in Betracht zieht, überschreitet eine Schwelle, die den Rückweg versperrt.
Vorbereitet wird das alles schon im bisherigen Umgang mit der Ukraine-Krise. Kritische Fragen liegen auf der Hand, sie werden aber sofort deligitimiert als „Putinversteher“, „Verharmlosung des Angriffskrieges“, „Befürwortung von Folter und Vergewaltigung“. Das in der Corona-Krise wiederentdeckte einfache, linear-bürokratische, autoritäre Durchregieren schließt Fragestellungen, zum Beispiel zur Strategie (Russland besiegen?), zu den Gefahren, auch zum Pazifismus kategorisch aus. Erneut drängt sich wie bei „Corona“ der Verdacht auf, dass weite Teile der Gesellschaft und der Politik der Verlockung der groben Vereinfachung unterliegen: Je mehr Waffen, umso mehr Frieden, umso weniger Ungerechtigkeit – eine wahrhaft ahistorische, unterkomplexe Vorstellungswelt. Prof. Schrappe hat in einem lesenswerten Beitrag bei Cicero Parallelen zwischen dem linear einfachen Agieren der Politik bei „Corona“ und beim Ukraine-Krieg gezogen.
Ja, die Welt ist komplex, das Glaubenbekenntnis der Globalisierung vom „Wandel durch Handel“ hat zu einer engen wirtschaftlichen Verflechtung der unterschiedlichen Machtblöcke geführt. Wie einfach war doch die Welt vor 1990 – da gab es den Eisernen Vorhang mit den Guten auf dieser Seite und den Bösen dahinter. Weil es aber den „Guten“ danach nicht gelang, die ehemaligen „Bösen“ wirtschaftlich so zu unterwandern, dass man sie und ihre Ressourcen vereinnahmen konnte, kehrt man nun zur alten Einfachheit zurück.
Ohne wirtschaftliche Entflechtung entlang der Macht- und Militärblöcke ist eine effektive, über einen längeren Zeitraum durchhaltbare umfassende Kriegsführung nicht möglich. Das eklatanteste Beipiel mag die Abhängigkeit vieler europäischer Länder von russischen Erdgas sein. Aber es ist beileibe nicht das einzige. Nun ist also gerade die in der finanzkapitalistischen Globalisierung geschaffene wirtschaftliche Verflechtung hinderlich, mit der die „Guten“ versucht hatten, ihre Herrschaft weltweit auszudehnen.
Die Führbarkeit eines Dritten Weltkriegs ist daher aktuell nicht so sehr eine militärische Frage. In diesen Tagen ist sie vor allem eine ökonomische. In diesem Sinne sind die Vorbereitungen zur Führbarkeit eines Dritten Weltkrieges in vollem Gange, schreibt Gabor Steingart in „Dritter Weltkrieg: So soll er führbar gemacht werden“.
Die Machtblöcke um Washington, Moskau und Peking sind dabei, ihre vielfach verknoteten Abhängigkeiten zu entflechten und in Politik, Militär und Wirtschaft mit dem neuen bei „Corona“ eingeübten linear-autoritären Denken eine Frontstellung zu etablieren.
Die USA haben ihre Aufgaben im Bereich der Energiepolitik längst gemacht – sie sind mehr oder weniger Selbstversorger und produzieren mehr Gas und Öl als irgendein anderes Land auf der Welt. Trump hat die Entkopplung eingeleitet, Biden führt sie fort. In diesem Sinne war auch der eilige Rückzug aus Afghanistan konsequent.
Im Hochtechnologiebereich ist die Zusammenarbeit von US- mit chinesischen Unternehmen de facto verboten. Das gilt auch für die sogenannten Partner der USA. Die Abhängigkeit von China wird in den USA durch erhebliche staatliche Finanz-Mittel reduziert, die in den Ausbau wissenschaftlicher Forschung und Produktion von Spitzentechnologien fließen.
Russland arbeitet daran, sich aus westlichen Kreisläufen herauszulösen mit eigenem Internet, eigenem Zahlungsverkehr und Wirtschaftsbeziehungen außerhalb der nordamerikanischen und der europäischen Hemisphäre. China befürchtet westliche Sanktionen und trifft Vorberitungen, wie man Auslandsguthaben des Landes schützen kann.
War die finanzkapitalistische Globalisierung bisher geprägt von der Frage, wo der Wertewesten am günstigsten und zuverlässigsten einkaufen konnte, so verliert das Thema Outsourcing nun an Gewicht. „Unbequeme Abhängigkeiten in den Lieferketten müssen vor dem Hintergrund der geopolitischen Entwicklungen neu bewertet werden“, heißt es dazu in einer aktuellen Studie der Deutschen Bank.
Mit der handelspolitischen Entflechtung wird der Dritte Weltkrieg möglich. Ob er tatsächlich stattfindet, das hängt vor allem von der Bevölkerung in den einzelnen Machtblöcken ab.
Nachtrag:
(19.5.22) Der Welthandel dürfte 2018 sein übergeordnetes Volumen-Topp … lesen Sie bitte hier weiter!
(22.5.22) Siehe zum Thema des UkraineKriegs auch einen Artikel in der New York Times in der deutschen Zusammenfassung!
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