Der S&P 500 hat knapp vor dem Bär-Markt-Terrain halt gemacht. Ein solches ist definiert als ein Rückgang von 20% und mehr gegenüber dem vorherigen Hoch. Der Index steht aktuell 18% tiefer als am 4. Januar, als er bei 4793,54 sein Allzeithoch markierte. Der NDX steht per Schlusskurs von gestern 28% tiefer als an seinem jüngsten Hoch vom 27. Dezember 2021.
Am 29. April hat der S&P 500 ein so genanntes „Death Cross“ produziert. Darunter versteht man den Schnitt der EMA50 von oben durch die EMA200. Betrachtet man statt der EMA200 die EMA250, was etwa der EMA über ein Jahr entspricht, so fand dieses „Death Cross“ am 10. Mai statt.
Das „Death Cross“, wie auch sein Gegenstück, das „Golden Cross“, hat eine gewisse Relevanz, weil solche plakativen Ereignisse (wie auch etwa das „Bär-Markt-Terrain“) eine medial-psychologische Wirkung entfalten.
Beim S&P 500 wird die Brisanz der Lage noch untermauert dadurch, dass der Index im gestrigen Tagesverlauf fast das 38er Retracement des Anstiegs seit 20. März 2020 erreicht hat. Und hinzu kommt auch noch, dass der Index wieder unter eine Abwärtslinie gefallen ist, sie vom Allzeithoch aus Anfang Januar kommt. Diese war am 2. Mai intraday touchiert worden, bevor dann der äußerst relevante Pegel bei 4160 dynamisch übersprungen und am Folgetag wieder aufgegeben wurde (Chartquelle).
Sollten überhaupt noch bullische Akteure existieren, so müssten sie heute den Pegel bei 3975 dynamisch überwinden und sich oberhalb der besprochenen Abwärtslinie festsetzen. Nach Future-Lage wird dieser Pegel aktuell (13:50) tatsächlich erreicht. Das bedeutet noch nicht viel, weil insbesondere die zurückliegenden Tage die extreme Nervosität der Marktteilnehmer gezeigt haben. Intraday-Bewegungen von zwei Prozent waren keine Seltenheit, Future-Fehlsignale auch.
Extreme Währungsentwicklungen unterstreichen die Unsicherheit. Das Währungspaar Euro/Yen zeigte sich zuletzt deutlich schwächer als Dollar/Yen. Unterstellt man Carry-Trade-Kredite als eine wichtige Ursache von Yen-Bewegungen, so weist die relative Schwäche von Euro/Yen darauf hin, dass offenbar verstärkt Yen-Kredite in Euro aufgelöst wurden. Das wiederum hat über die Beziehung Euro/Dollar=(Euro/Yen):(Dollar/Yen) für neuerliche Schwäche des Euro gegenüber dem Dollar gesorgt. Der Dollar-Index notiert mittlerweile komfortabel über 104 auf einem 20-Jahres-Hoch. Euro/Dollar notiert nun deutlich unterhalb einer Aufwärtslinie aus 1985 (siehe auch hier!).
Am Mittwoch wurden neue Daten zum US-CPI veröffentlicht. Die Inflation ist im April mit 8,22% weniger stark gestiegen als im Vormonat (8,56%), verfehlte aber die Erwartungen bei +8,1%. Gestern zeigte der PPI, dass er womöglich im März sein (zeitweiliges) Topp erreicht hat. Das sorgte schließlich dafür, dass die Befürchtungen gedämpft wurden, die Fed könnte demnächst mit einem Zinsschritt von 0,75% auftrumpfen. Außerdem hatte Fed-Chef Powell erneut bekräftigt, lediglich über 0,5% nachzudenken. Entsprechend erholten sich Aktien von den Tagestiefs (Chartquelle).
Die technische Situation bei Aktien ist unter mehreren Gesichtspunkten an einem bärischen Extrem angekommen. Die von mir verfolgten Marktindikatoren für Aktien zeigen sechs von sieben als bärisch an. (Der Chart wird täglich auf der Start-Seite aktualisiert.) Selbst „Fair PER“ ist jetzt von „bullisch“ auf „neutral“ zurückgefallen. Hier zeigt sich weiterhin, dass die „Korrekturlast“ fast ausschließlich von Aktien getragen wird. Das „faire KGV“ nach Anleihen kommt auf 35,06, nach Shiller-Cape notiert es bei 30,94. Aus diesem Blickwinkel sind Aktien jetzt nicht mehr überbewertet.
Aus Sicht der fraktalen Oszillatoren sind lineare Eigenschaften der Kursbewegung der zehn analysierten Aktienindices relevant. Dabei sind bullische Kursmuster nicht mehr existent, bärische notieren gleichauf mit der „Linearität“, die als Proxy für „Energie- bzw. Kapitalfluss“ genommen werden kann. Das erreichte Niveau liegt bei 80%, dieses wurde bisher nie signifikant überschritten. Auch wenn man „nie nie sagen soll“, so ist es doch am aktuellen Punkt extrem unwahrscheinlich, dass sich die bärische Bewegung weiter fortsetzt. (Der Chart wird täglich auf der Start-Seite aktualisiert.)
Eine andere Frage ist, wie weit eine wahrscheinliche bullische Reaktion jetzt trägt. Die Volumenverteilung an der NYSE ist klar in Distribution, allerdings seit einigen Tagen überdehnt. Das spricht ebenfalls dafür, dass eine akkumulative Gegenbewegung wahrscheinlich ist, bei der der auf steigende Aktien entfallende Volumenanteil signifikant höher ist als der auf fallende Aktien.
Was die Auswertung der Stimmung angeht, so zeigt das Verhältnis von SPX zu VIX, dass diese mittlerweile so schlecht ist wie Mitte März. Nach PCR ist die aktuelle Stimmungslage (der großen Akteure) vergleichbar mit der von Anfang Dezember. Ende Januar war sie schlechter und Mitte März war sie besser als aktuell. Ende Januar hatte der S&P 500 an der EMA50w(EMA250), bzw. am Pegel ~4300 halt gefunden, Mitte März war der Test des Pegels bei 4160 erfolgreich verlaufen (woraufhin der Index bis auf über 4600 anstieg.
Kurz und knapp: Eine Gegenbewegung des S&P 500 bis hinauf an den Pegel 4160 erscheint mir auf Sicht einiger Tage wahrscheinlich. Wenn dies entsprechend dynamisch geschieht, könnten auch noch ~4300 erreichbar sein. Das kurzfristig bullische Bild wäre annulliert, wenn auf Schlusskursbasis das 38er Retracement bei 3820 unterschritten wird (Chartquelle).
Übergeordnet sollte man allerdings an einem Szenario festhalten, wie ich es hier diskutiert hatte. Das Ziel einer harten Korrektur könnte im S&P 500 bei etwa 2650 liegen, das wäre der Bereich, in dem der S&P 500 über weite Strecken im Herbst 2018 lief. Vorgeschaltet wäre das 62er Retracement des Anstiegs seit dem "Corona-Tief". Das liegt bei rund 3200, ein Einbruch von 33% gegenüber dem Allzeithoch bei 4800 von Anfang des Jahres.
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