Ermächtigungsgesetz x.0?

Von der Öffentlichkeit bisher kaum registriert, wird zurzeit im Bundestag ein erst am 3. November im Eilverfahren von den Regierungsparteien CDU/CSU und SPD eingebrachter Gesetzentwurf diskutiert. Er trägt den Titel: “Drittes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite”. Das Gesetz soll noch im November beschlossen werden.

Dieses Gesetz kommt einem Ermächtigungsgesetz gleich, falls es so wie eingebracht verabschiedet wird. Es gibt der Bundesregierung freie Hand, die Grundrechte der Bürger umfassend und nachhaltig einzuschränken, wenn der Bundestag das Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite feststellt. Bundestag und Länderparlamente haben dann keine Mitsprache-Möglichkeiten mehr zu Art und Dauer von Maßnahmen.

Der Gesetzentwurf stellt nicht sicher, dass angebliche Pandemielagen von “nationaler Tragweite” nicht zur dauerhaften Aushöhlung der Grundrechte der Bürger missbraucht werden können. Insbesondere sind zukünftige Mitspracherechte von Bundestag und Landtagen nicht vorgesehen. Besonders weitreichende und damit gefährliche Einschränkungen von Grundrechten, sowie entsprechende Befugnisse von Regierung und Behörden sind zeitlich nicht befristet. Dem Missbrauch wird Tür und Tor geöffnet, wenn solche Maßnahmen ohne fallweise Zustimmung der Parlamente beschlossen oder verlängert werden können.

Zu diesen Maßnahmen zählen:

  • Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum
  • Anordnung eines Abstandsgebots im öffentlichen Raum
  • Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maskenpflicht)
  • Untersagung oder Beschränkung des Betriebs von Einrichtungen, die der Kultur- oder Freizeitgestaltung zuzurechnen sind
  • Untersagung oder Beschränkung von Freizeit-, Kultur- und ähnlichen Veranstaltungen
  • Untersagung oder Beschränkung von Sportveranstaltungen
  • Schließung von Gemeinschaftseinrichtungen im Sinne von § 33 oder ähnlicher Einrichtungen sowie Erteilung von Auflagen für die Fortführung ihres Betriebs
  • Untersagung oder Beschränkung von Übernachtungsangeboten
  • Betriebs- oder Gewerbeuntersagungen oder Schließung von Einzel- oder Großhandel oder Beschränkungen und Auflagen für Betriebe, Gewerbe, Einzel- und Großhandel
  • Untersagung oder Erteilung von Auflagen für das Abhalten von Veranstaltungen
  • Untersagung soweit dies zwingend erforderlich ist oder Erteilung von Auflagen für das Abhalten von Versammlungen oder religiösen Zusammenkünften
  • Verbot der Alkoholabgabe oder des Alkoholkonsums auf bestimmten öffentlichen Plätzen oder zu bestimmten Zeiten
  • Untersagung oder Beschränkung des Betriebs von gastronomischen Einrichtungen
  • Anordnung der Verarbeitung der Kontaktdaten von Kunden, Gästen oder Veranstaltungsteilnehmern, um nach Auftreten eines Infektionsfalls mögliche Infektionsketten nachverfolgen und unterbrechen zu können
  • Reisebeschränkungen

Mit diesem Gesetzentwurf wird das legitimiert, was bisher schon Praxis ist, nämlich dass Bundesregierung, bzw. Gesundheitsminister schalten und walten können wie sie/er will. Der Bundestag hatte im März eine solche epidemische Notlage festgestellt und dem Gesundheitsminister weitgehende Befügnisse erteilt, "bis ein Impfstoff gefunden ist".

Diese Selbstentmachtung des Bundestags soll jetzt offenbar auf eine gesetzlich festere Basis gestellt werden. Die Parlamentarier wollen mit dem Gesetzentwurf wohl auch möglichen Klagen gegen die zeitlich unbefristete Ermächtigung der Regierung zuvor kommen.

Das Grundgesetz ermöglicht eine Übertragung von Rechten eines Verfassungsorgans ausschließlich im Gesetzgebungsnotstand. Darüber hinaus verbietet es ausdrücklich das Abweichen von der Verfassung, auch wenn eine solche Mehrheit dafür stimmen würde, wie sie auch für Verfassungsänderungen erforderlich wäre. Ein Gesetzgebungsnotstand ist nicht erkennbar.

In der Weimarer Zeit gab es eine Reihe von Ermächtigungsgesetzen, das bekannteste ist das "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich". Es trat am 24. März 1933 in Kraft und führte über die Abschaffung der Gewaltenteilung zur Abschaffung der Republik und Übereignung der Macht an Hitler.

Nachtrag:
(15.11.20) Zu diesem Thema hat Thomas Strapper, Düsseldorf, ein Update zu seiner Petition "Grundrechte erhalten" veröffentlicht. Mt Friedrich Schillers Worten schreibt er: "Die Großen hören auf zu herrschen, wenn die Kleinen aufhören zu kriechen" und sieht Deutschland am Scheideweg. Am Mittwoch, 18.11.2020, soll das Infektionsschutzgesetz mit sehr weitreichenden Einschränkungen der Grundrechte verabschiedet werden. Wir stehen vor der Alternative, in ein absolutes Kontrollsystem abzusinken oder eine neue Gesellschaft des Für- und Miteinanders zu gestalten, führt er aus.

(19.11.20) Die Juristin Dr. Andrea Kießling von der Ruhr Universität Bochum hatte in der Anhörung vom 12.11.20 vor dem Gesundheitsausschuss des Bundestags die geplanten Änderungen im Infektionsschutzgesetz kritisiert. Der neue Paragraph 28a genüge den Vorgaben von Parlamentsvorbehalt und Bestimmtheitsgrundsatz nicht. Die Vorschrift lasse keinerlei Abwägung der grundrechtlich betroffenen Interessen erkennen. So müsse der Gesetzgeber das Ziel bestimmen, damit die Behörden ihre Maßnahmen daran ausrichten und Verwaltungsgerichte diese überprüfen könnten. Zudem müssten die verfassungsrechtlichen Grenzen für die Exekutive aufgezeigt werden, erklärte die Juristin. Für die Behörden müsse klar sein, welche Maßnahmen nicht ergriffen werden dürften, weil sonst die Grundrechte verletzt würden. Ähnliche Bedenken äußerten auch andere Rechtsexperten. Gerichte würden die Vorschrift höchstwahrscheinlich nicht als Rechtsgrundlage akzeptieren, sagte Kießling.
Der am 18.11.20 im Bundestag angenommene Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen beinhaltet eine gesetzliche Präzisierung hinsichtlich der Eingriffe in grundrechtliche Freiheiten. In dem neuen Paragraphen 28a des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) werden mögliche Schutzvorkehrungen zur Bekämpfung der Epidemie konkret aufgeführt. Zudem werden Grenzwerte sowie Befristungen und Begründungen für Einschränkungen genannt.
Die Einschränkung von Demonstrationen oder etwa Gottesdiensten wird an besondere Auflagen geknüpft. Die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite orientiert sich an den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Festgeschrieben wird auch eine Berichtspflicht der Bundesregierung an den Bundestag.

Weiterer Nachtrag:
(23.11.20) In dem oben genannten Gesetz wurde als Maßzahl für zu ergreifende Maßnahmen u.a. „50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner pro Woche“ festgeschrieben. Wenn man schon in großem Umfang Grundrechte einschränken will, braucht man dazu gute Gründe.
Diese Kennzahl beruht auf irrigen Annahmen, wie u.a. auch hier dargelegt wird. Sie basiert auf der Unterstellung, dass man oberhalb dieses Wertes keine Rückverfolgung mehr hinbekommt. Die Rückverfolgung ist jedoch häufig schon in der täglichen Praxis auch bei relativ wenigen Vorkommnissen eine Illusion. Die Kennzahl berücksichtigt aber v.a. nicht, dass auf jeden neu infizierten Fall ein Mehrfaches an weiteren Infizierten kommt, die sogenannte Dunkelziffer. Sie wird zwischen fünf und über 20 gesehen (siehe etwa hier!). Auf der anderern Seite berücksichtigt die Kennzahl nicht, dass in vielen Fälle die sogenannten Neu-Infizierten keine oder nur geringe Sypntome zeigen (auch deshalb, weil per PCR-Test keine Infektion festgestellt werden kann).
Ein tauglicher Ansatz wäre demgegenüber die Belastung des Gesundheitssystems. Dabei stellt sich womöglich heraus, dass man statt mit bundesweit 5.000 auch mit 20.000 oder 30.000 Positivfällen pro Tag umgehen kann.
Insbesondere das Kanzleramt hat darauf gedrungen, am Kriterium der Neuinfektionen festzuhalten. Und so ist die Sieben-Tage-Inzidenz von 35 bzw. 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner gesetzlich verankert worden.
Willkür ist das Gegenteil zu gutem Grund.

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