Verrückt

Da verkündet die VR China am zurückliegenden Donnerstag, sie wäre an Ruhe an der Verhandlungsfront hinsichtlich des Handelsstreits interessiert und will in den nächsten Tagen an den Verhandlungstisch zurückkehren. Und Trump bezwitscherte das sogleich als Erfolg seiner harten Haltung. Wahrscheinlich liegt man in Peking unter dem Tisch vor Lachen.

Die Akteure an den Aktienmärkten legten sofort ein Schippe drauf, der S&P 500 sprang mit einem Gap-up über einen Widerstandspegel und über die EMA50. Es fällt auf, dass der Index auf immer substanzlosere Meldungen reagiert. Man kann es auch so sagen: Die großen Akteure an den Aktienmärkten sind stark bemüht, die Kurse hoch zu treiben. Natürlich spielt dabei auch das Window-Dressing zum Monatsende eine gewisse Rolle, der August war für den S&P 500 der schwächste Monat seit Mai.

Mal sehen, wie es im September weitergeht, der Monat zählt statistisch gesehen zu denen mit der schwächsten Performance. Abgesehen von einer Sicht auf die nächsten vier bis sechs Wochen sieht es meiner Meinung zeitlich übergeordnet so aus:

Trump hat nur eine Chance als Präsident wiedergewählt zu werden, wenn die US-Wirtschaft bis zum Wahltermin im November 2020 weiter expandiert, insbesondere also nicht in eine Rezession fällt. Die chinesische Seite weiß das natürlich auch. Wenn Strafzölle und insbesondere die mit dem Umbau von Lieferketten entstehenden Kosten zu wirtschaftlicher Schwäche in den USA führen, riskiert Trump den Verlust der Wahl. Also wird China mit dem Ziel, Trump scheitern zu lassen, vermutlich alles tun, um den Handelsstreit weiter köcheln, aber zunächst nicht überkochen zu lassen.

Das ist die eine Seite. Die andere ist: Wenn sich der wirtschaftliche Abschwung nicht vermeiden lässt, wird Trump nach der Methode „haltet den Dieb“ alle möglichen Schuldigen ausmachen und aus vollem Rohr gegen diese schießen. Das dürfte im Inland der Fed-Chef Powell sein, den er ja schon als Feind bezeichnet hat. Auf wen er im Ausland schießen wird (und möglichweise durchaus im wörtlichen Sinne), muss sich noch zeigen. Ziele gibt es genug. Kann gut sein, dass er mit dieser Taktik sein Wahlvolk auch hinter sich bringen kann – Hauptsache, Amerika wird (anschließend) noch größer.

Es kommt noch ein Punkt dazu, der die gegenwärtige Börsensituation zu erklären hilft, in der jeder Anleger vor einem Crash zittert, aber nichts tut, um seine Schäfchen in Sicherheit zu bringen: In den zurückliegenden zehn Jahren haben die Zentralbanken die Anleger zu einem unbedingten Glauben an ihre Allmacht erzogen. Vor allem haben sie sie daran gewöhnt, dass sie immer schneller herbeispringen, wenn es irgendwo in der Wirtschaft knirscht. Die japanische Zentralbank dient als Blaupause. Sie kauft seit sieben Jahren nahezu alle neuen Staatsschulden auf und investiert zusätzlich in Aktien und ETFs, um die Finanzmärkte zu stützen. Und genau darauf spekulieren viele Anleger, wie auch darauf, dass bald staatliche Konjunkturprogramme starten. Dadurch hält sich der Verkaufsdruck bei Aktien in Grenzen. Hinzu kommt, dass man bei einer Ausweitung der Negativzinsen etwa im Euroraum davon ausgeht, dass liquide Mittel in Aktien gedrängt werden und so die Kurse stützen. Die EZB tagt in der kommenden Woche.

Aus diesen Überlegungen leitet sich die Annahme ab, dass die Finanzmärkte noch eine geraume Zeit, zumindest bis weit in 2020 hinein, volatil bleiben, mit einem Bias in Richtung Oberseite. Einbrüche dürften also relativ schnell wieder gekauft werden. Und wenn die Kanonen donnern, soll man ja sowieso kaufen… (heißt es)

Tom McClellan leitet aus dem wirklich verblüffenden hundertjährigen Gleichlauf zwischen den Dow und dem um zehn Jahre nach vorne geschobenen Rohölpreis ab, dass das Hoch beim Öl im April 2011 nahelegt, dass der Dow im April 2021 ein Hoch erreichen könnte, also kurz nach Amtseinführung des neuen (oder des alten) US-Präsidenten im Januar 2021 (Chartquelle).

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Wenn man nicht ganz so sklavisch an genau zehn Jahren Zeitverschiebung festhält, sollte man allerdings auf die Idee kommen, dass die extremen Bewegungen des Ölpreises im Jahre 2008 im aktuellen Verlauf des Dow noch nicht abgebildet sind. Also könnte genau das jetzt bevorstehen (siehe meine grün markierte Bemerkung im Chart). Und wenn man an einen solchen zwar etwas obskuren, aber historisch stabilen Zusammenhang glaubt, dann sollte dieser Chart als Warnung dienen.

Und genau so würde ich auch das kurzfristige Szenario sehen: Der S&P 500 steht nicht weit unter seinem Allzeithoch, hinzu kommt die psychologisch wichtige Marke von 3000. Die Bedeutung solcher Marken ist nicht von der Hand zu weisen, der Dow hat über sechs Jahre gebraucht, um sich vom Psychopegel von 10000 abzusetzen (oder mehr als 15 Jahre, um über 1000 zu steigen). Bekommt der S&P 500 jetzt weiteren Rückenwind seitens der Handelsstreit-Thematik (sei er auch noch so lau), ist es durchaus denkbar, dass der Aufwärtsschub in einem Blow-off verraucht und dann ein scharfer Einbruch folgt. Wenn man dem Drehbuch von Öl aber weiter folgt, würde dieser Einbruch relativ zügig wieder gekauft.

Dieses kurzfristige Szenario erscheint mir nicht unplausibel, auch weil es sich mit dem saisonalen Muster deckt, das die nächsten vier bis sechs Wochen statistisch gehäuft schwach sieht. Im Detail gehe ich auf den S&P 500 hier ein.

Was die Entwicklung der US-Makrodaten in der zurückliegenden Woche angeht, so zeigt das Verbrauchersentiment per August einen deutlichen Rückgang, es fällt so stark wie seit Dezember 2012 nicht, liegt aber immer noch über der langfristigen Scheidelinie. Der folgende Chart zeigt, wie sich per zweites Quartal die Anteile der Löhne und Gehälter, sowie der Gewinne an der Netto-Wertschöpfung bei den nicht-Finanz-Unternehmen entwickelt haben (Chartquelle).

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Der Chart zeigt im aktuellen Quartal eine Seitwärtsentwicklung, nachdem im ersten Quartal der Lohnanteil deutlich gestiegen, der Gewinnanteil deutlich abgenommen hat. Daran mögen sich Hoffnungen knüpfen, dass sich die Anteile erneut auseinander entwickeln, in eine für Aktien günstige Richtung.

Die Finanzmärkte stehen vor einer saisonal schwierigen Phase. Oft gibt es nach Ende der Sommerpause mit dem „Labor Day“-Feiertag eine Neuorientierung. Gut möglich, dass es bei Aktien zu einem Blowoff kommt, weil keine Käufer mehr herbeieilen, um die großen US-Indices nachhaltig über ihre Allzeithoch hinaus zu treiben. Dann dürfte eine Serie von Gewinnmitnahmen einsetzen und zu einer Korrektur des Anstiegs der Aktienkurse seit Jahresbeginn führen. Übergeordnet dürfte es trotz sich mehrender Rezessions-Anzeichen zunächst zu einer volatilen Seitwärtsbewegung kommen.

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