Die Zinsstruktur hat recht

In der zurückliegenden Woche schwangen die Finanzmärkte wild hin und her zwischen Angst vor Verschärfung des Handelsstreits USA-China, Entspannung bei Strafzöllen, Rezessionssorgen und Hoffnungen auf Rettung durch die Zentralbanken und fiskalische Anreize.

Jedes Mal, wenn der S&P 500 dabei ist, abzustürzen, produziert die US-Regierung eine Meldung, die Entspannung im Handelsstreit signalisieren soll. So war es auch jetzt wieder – die Meldung, der Termin für den Einsatz zusätzlicher Strafzölle auf chinesische Importe werde von Anfang September auf Mitte Dezember verschoben, verschaffte Aktien am Dienstag einen kräftigen Satz nach oben. Tags darauf sah alles ganz anders aus, es ging wieder abwärts, Rezessionssorgen verstärkten den Fall. Zum Wochenschluss hin sorgten Nachrichten über geplante fiskalische Anreize in China und in Deutschland für erneuten Kurs-Auftrieb. Es bleibt im S&P 500 ein Wochenverlust von 30 Punkten.

Der von Trump vom Zaum gebrochene Handelsstreit wird gerne auf die Zoll-Frage reduziert. Nach aller Erfahrung haben aber Zölle alleine nur eine relativ geringe wirtschaftliche Bedeutung. Gravierender ist es schon, wenn an der Zollschraube nach Belieben in schneller Folge gedreht wird. Die fortlaufende Anpassung an solche Änderungen führt zu zusätzlichen Friktionen und veranlasst schließlich eine abwartende Haltung. Angesichts des im Rahmen der bald fünf Dekaden anhaltenden modernen Globalisierung erreichten hohen Grades an internationaler Arbeitsteilung liegt aber das größte Risiko darin, dass mit fortlaufenden Eingriffen in das internationale Preisgefüge und zusätzlichen politisch motivierten Beschränkungen die internationale Lieferkette reißt. Dieser Punkt ist sehr wohl geeignet, eine Rezession zu begünstigen, Zölle alleine wären dazu nicht in der Lage.

Die Zinsstruktur zeigte in der zweiten März-Hälfte erste Anzeichen von Inversion. Die Spreads zwischen der Rendite der zehnjährigen TNotes (TNX) und den 13-wöchigen TBills, bzw. den einjährigen TNotes wurde kurz negativ. Zeitgleich fiel auch der Spread zwischen der Rendite der zweijährigen TNotes und der Federal Funds Rate (eff. FFR) unter Null. Diese Rendite ist ein guter vorlaufender Indikator für die Entwicklung der US-Leitzinsen. Wenn sie niedriger liegt als die FFR, legt das nahe, dass die Leitzinsen zu hoch sind.

Wird die Rendite-Differenz zwischen den zehnjährigen und den einjährigen Treasurys negativ, ist das erwiesenermaßen ein zuverlässiges Rezessions-Omen. Dies ist seit Anfang August erneut der Fall. Gleichzeitig produziert die Rendite der 30-jährigen TBonds ein Tief nach dem anderen und markierte am Donnerstag der zurückliegenden Woche mit einem Schlusskurs von 1,98% ein Allzeit-Tief. Der vorherige Tiefenrekord war Mitte 2016 mit 2,11% aufgestellt worden.

Der Spread zwischen der Rendite der zweijährigen TNotes und der Federal Funds Rate hat auf die Senkung des US-Leitzinses Ende Juli kaum reagiert, er legt zumindest zwei weitere Zinssenkungen um jeweils 0,25% nahe. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei 48%, dass die Leitzinsen zum Jahresende sogar bei 1,25% bis 1,50% notieren (siehe hier!).

Der folgende Chart zeigt verschiedene Rendite-Spreads und den Verlauf der Leitzinsen in den USA. Verglichen mit früheren Vor-Rezessions-Episoden scheint die Fed heutzutage recht schnell auf Signale aus der Rendite-Landschaft zu reagieren (Chartquelle).

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Die jüngste Entwicklung bei Makrodaten unterlegt Bremsspuren in der US-Wirtschaft. So ist der Index der Industrie-Produktion im Juli leicht gesunken und weist nur noch eine Steigerung von 0,48% gegenüber dem Vorjahr auf. Im September 2018 hatte die jährliche Steigerung noch 5,41% betragen. Der auf Basis der Industrieproduktion (INDPRO), Stellenzahl im non-farm-Bereich (PAYEMS), verfügbarem Einkommen (DISPC) und persönlichen Verbrauchs-Ausgaben (PCE) gebildete Diffusionsindex (rote Linie am unteren Chartrand) hatte im November noch bei 100% notiert, mittlerweile liegt er bei 50%; alle vier Makroindikatoren stimmen mit ihrem längerfristigen Trendverhalten nur noch „neutral“ ab. Auch das unterlegt den wirtschaftlichen Tempoverlust. Zudem hat sich das Verbrauchersentiment nach vorläufigen Zahlen im August von 98,4 auf 92,1 ermäßigt.

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Makro-Datenreihen sind naturgemäß nachlaufend und unterliegen zudem nachträglichen Revisionen. Die oben erwähnten Datenreihen zeigen alle per heute lediglich das Fehlen von Expansion, aber keine kontraktive Entwicklung an. Auch das Verbrauchersentiment gibt bisher kein Warnsignal. Anders beim ISM-Index, der die Stimmung im verarbeitenden Gewerbe widergibt und basiert auf unterschiedlichen Sub-Indices u.a. für Preise, Aufträge, Beschäftigungund Lagerhaltung. Als Diffusionsindex liegt seine Scheidelinie bei 50%. Auf diese strebt er mit hoher Dynamik zu, nachdem er im August 2018 ein Hoch bei 61,30 erreicht hatte. Die Trendauswertung zeigt, dass er sich seit April unter dem mittelfristigen Trend entwickelt, also in dynamischer Hinsicht kontrahiert, während er sich statisch gesehen mit 51,20 per Juli noch im expansiven Bereich befindet.

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Die Finanzpresse vertont mehrheitlich, die Makrodaten signalisieren alles andere, nur keine Rezession. Und mit dem alten Argument „dieses Mal ist es anders“ wird versucht, die Aussagekraft der Zinsstruktur zu diskreditieren. Ich würde der Zinsstruktur eine sehr viel höhere Bedeutung bei der Frage zu messen, ob wir uns einer Rezession nähern.

Ich hatte wiederholt den folgenden Chart gezeigt, der die Häufigkeitsverteilung von mehreren Merkmalen der Zinsstruktur auswertet und daraus berechnet, wie wahrscheinlich eine Rezession ist. Dieser Indikator hatte zum ersten Mal Ende Mai 2018 signalisiert, dass es innerhalb der nächsten vier bis sechs Quartale zu einer Rezession kommt. Dieses Signal ist aktuell nicht mehr aktiv. Wie der Chart zeigt, kam es bei den zurückliegenden Rezessionen kurz danach jeweils zum Einsatz einer Rezession. Im aktuellen Fall würde ich damit rechnen, dass dies gegen Jahresende der Fall sein dürfte.

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Der US-„Echtzeit-BIP-Indikator“, gebildet aus dem Produkt der Anzahl der Arbeitsstellen und der Wochenarbeitszeit, zeigt gegenwärtig eine deutliche Abschwächung. Das gilt insbesondere auf Grundlage der Arbeitszeit im Fertigungsbereich. Um den Dienstleistungbereich scheint es noch besser bestellt zu sein. Das ist ein Effekt, der auch lange verdeckt hat, dass der deutsche Produktionssektor bereits seit Mitte 2018 kontrahiert; die deutsche Gesamtwirtschaft kontrahiert erst mit dem zweiten Quartal 2019 (Chartquelle).

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Die kommende Woche dürfte spannend werden – die Protokolle der jüngsten Sitzungen von Fed und EZB werden veröffentlicht, es gibt die Flash-PMIs für die USA und die Eurozone, sowie weitere Makrodaten aus den USA, Europa und aus Japan. Außerdem kommen in Kürze die Zentralbänker zu ihrer Jahrestagung in Jackson Hole zusammen. Diese dürfte in diesem Jahr besondere Beachtung finden.

Dieses Mal ist es auch nicht anders – die Makrodaten laufen hinterher und sind als frühzeitiges Rezessions-Omen ungeeignet. Die Zinsstruktur sendet mittlerweile ernst zu nehmende Signale aus, die vor dem Einsatz einer wirtschaftlichen Kontraktion warnen.

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