Es gilt mittlerweile als ausgemacht, dass die Fed Mitte März einen weiteren Zinsschritt unternimmt und die Zielrate in den Bereich zwischen 0,75% und einem Prozent hoch legt. Nach Taylor-Regel müsste der Leitzins in den USA irgendwo bei drei Prozent liegen. Mithin ist der Leitzins dann immer noch völlig „unterbelichtet“.
Hierzulande ist die Inflationsrate im Februar in den Zielbereich der EZB von zwei Prozent gestiegen. In den USA lag die Inflationsrate im Januar bei 2,5%, die von der Fed besonders beachtete Kernrate der PCE-Inflation kommt auf 1,7%. In der Eurozone insgesamt ist die Teuerung den zurückliegenden Monaten ebenfalls angesprungen. Allerdings geht sie fast ausschließlich auf die gestiegenen Ölpreise zurück, die Kernrate laviert weiterhin bei unter einem Prozent dahin (Chartquelle). Vor einem Jahr lag der Ölpreis bei 30 bis 35 Dollar, aktuell notiert er um 55 Dollar. Der Energieanteil im Eurozonen-CPI hat im Vergleich zum Vorjahr um über neun Prozent verteuert.
Jahrelang haben die Zentralbanken alles daran gesetzt, eine ausgewachsene Deflation zu vermeiden. Jetzt scheinen sie am Ziel – Inflation ist eines der zentralen Mittel im Kampf gegen die Überschuldung in der industrialisierten Welt. Sie werden nun ganz bestimmt nicht zur Tat schreiten und die Inflation mit beherzten Zinsschritten bekämpfen. Abgesehen davon liegt es ihrer Tradition – sie laufen in aller Regel der Inflation hinterher, bis sie dann irgendwann zur Zinskeule greifen. Vielfach wird behauptet, dass sie dadurch eine Rezession erst hervorrufen. Ich glaube aber, der Fehler wird eher am Ende einer Rezession gemacht, wenn die Leitzinsen drastisch nach unten übertrieben werden, um einen Kreditimpuls zu bewirken. Alles, was dann folgt ist nur Konsequenz dieser Politik. Aber das soll hier nicht Thema sein – ich hatte mich hier mit dem Thema befasst.
Klar ist meiner Meinung nach, dass die Zentralbanken die Inflation eben nicht beherzt bekämpfen werden, sondern sie zulassen – „zeitweilig“, wie sie sagen. Ob sie den Geist dann aber wieder zurück in die Flasche bekommen? Die Inflation ist wie auch die Deflation nicht nur ein ökonomisches Phänomen. Wenn sich beides als nicht kurzatmig erweist, verändert sich das Verhalten der Verbraucher. Und das können Zentralbanken nur sehr indirekt steuern.
Inflation kommt Schuldnern entgegen. Schuldner profitieren dann generell von der Entwertung ihrer Kreditbeträge. Gewöhnlich steigen die Nominalzinsen mit zunehmender Inflation – die Darlehensgeber wollen schließlich einen positiven Realzins erwirtschaften. Altschuldner sind Neuschuldnern gegenüber besser gestellt durch alte, niedrigere Nominalzinsen. Neuschuldner müssen höhere Zinsen in Kauf nehmen, sie profitieren von der Inflation nur dann, wenn sie anhält.
Die Break-even-Inflationserwartungen nach Spread zwischen nominalen und realen Renditen legen gegenwärtig überall zu. In den USA liegen sie bei den zehnjährigen Renditen bei zwei Prozent. Das hört sich noch „zivil“ an. Typischerweise wird ein Bereich der Inflationsrate zwischen 1,5 und 2,5% als für Wachstum und Aktienkurse konstruktiv angesehen.
Allerdings haben die geringen Investitionen in Verbindung mit dem Wachstum der zurückliegenden Jahre dazu geführt, dass Überschusskapazitäten mehr oder weniger aufgebraucht sind. Dieses Flaschenhalsproblem kann recht schnell dazu führen, dass die Preise unerwartet schnell weiter steigen. Ohne neue Investitionen steigt der inflationäre Wachstumsanteil besonders stark. Das mag für Schuldner gut sein, für ein gesundes Wirtschaftswachstum ist es das nicht. Siehe hier!
Es gibt wichtige strukturelle Bedingungen, die daran zweifeln lassen, dass der jetzt angelaufene Inflationstrend von Dauer ist. Da ist zunächst die Demographie – ein immer größerer Teil der Bevölkerung in den industrialisierten Ländern ist „alt“. Während das Median-Alter in den USA bei 37,8 Jahren liegt, kommt es in Deutschland auf 46,5 – gleichauf mit Japan. Mexiko gilt innerhalb der OECD mit 27,6 Jahren als jüngstes Land. Ältere Menschen geben für täglichen Konsum weniger aus als jüngere, Ausgaben für medizinische Waren und Dienstleistungen konterkarieren dies bis zu einem gewissen Grad. Zum Zusammenhang zwischen Demographie und Wachstum siehe hier! Zweitens wirken die überbordenden Schulden wachstumsbremsend. Und drittens bewegt sich der Lebensstandard der Mittelklassen seit mehr als zwanzig Jahren bestenfalls seitwärts.
Langfristig dürfte aus diesen Gründen der inflationäre Trend keinen Bestand haben. Die aktuelle Entwicklung ist eher zyklischen und anderen kurzfristigen Aspekten zuzuschreiben. Solche Effekte mag es auch künftig geben, aber das ändert nichts daran, dass die große Richtung der Preise wohl nicht aufwärts verläuft.
Ob daraus geschlossen werden kann, dass auch die Zinsen langfristig seit-, abwärts tendieren? Der Zusammenhang zwischen Zinsen und Inflationsrate ist nicht in Stein gemeißelt – das statistische Bestimmtheitsmaß zeigt für die zurückliegenden hundert Jahre einen Wert von nicht einmal zehn Prozent. Zwar hatten wir in den zurückliegenden vier Dekaden hauptsächlich Inflationsraten, die höher waren als die zehnjährigen US-Renditen (türkise Linie im Chart schlägt nach oben aus).
Aber mit Blick in die Geschichte deutet einiges darauf hin, dass Phasen mit einer Outperformance der Zinsen gegenüber der Teuerung mit wirtschaftlich problematischen Situationen zusammenfallen. Das leuchtet unmittelbar ein, insbesondere, wenn gleichzeitig das reale Wachstum schwach ist (daher passt die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg bis in die frühen 1970er Jahre nicht in dieses Muster).
Aus langfristigen zyklischen Gründen sollte man ebenfalls übergeordnet mit steigenden Zinsen rechnen. 1920 hatten wir ein lokales Maximum bei den zehnjährigen US-Renditen, 1981 ebenso (siehe obigen Chart in der Mitte!). Besteht diese 60-Jahres-Zyklik fort, dürfte das Zinstief mehr oder weniger erreicht sein. Seine erste (steigende) Phase begleitet die Expansion im Kondratieff-Zyklus, die zweite die Kontraktion, in der die treibende Kraft der jeweiligen Basisinnovation abnimmt.
Mit anderen Worten: Aus solchen sehr langfristigen Erwägungen wäre zu erwarten, dass wir auf eine Zeit übergeordnet steigender Zinsen und sinkender Inflationsraten zusteuern. Wenn gleichzeitig die Wachstumsschwäche anhält – ein makroökonomisch ungünstiges Szenario.
Auf mittelfristige Sicht würde ich davon ausgehen, dass die Teuerung noch anhält. Dabei spielt eine große Rolle, wie sich die Investitionstätigkeit entwickelt. Selbst wenn diese rasch anziehen sollte, vergehen Monate, bis sich das bei den Kapazitäten bemerkbar macht. Realistischerweise wird das bis weit in die zweite Jahreshälfte dauern. Gleichzeitig rechne ich gegenwärtig nicht mit deutlich weiter steigenden Renditen, u.a. weil aktuell jeder große Player an den Finanzmärkten sinkende Bond-Kurse auf dem Schirm hat. Außerdem wird die Trump-Administration angesichts der geplanten kreditfinanzierten Infrastruktur-Projekte alles tun, um die Zinsen gedrückt zu halten. Dieses mittelfristige Szenario kann sich durchaus bis ins kommende Jahr hinein halten.
Inflation in den Anfängen, weiter relativ niedrige Zinsen – das nahezu perfekte Umfeld für Aktien-Bullen dürfte noch eine zeitlang bestehen bleiben (lassen wir die erreichten hohen Bewertungen mal beiseite). Und die Trump-Administration wird darauf achten, die positive Stimmung zu pflegen. Schließlich hat Trump die Aktienmärkte zu einer Art permanter Meinungsumfrage erklärt. Trotzdem sollte man kurzfristig mit Rückschlägen rechnen.
Dass die Zinsphantasie nun abebbt, dafür spricht auch die mit der sicheren Erwartung eines weiteren Zinsschritts aufkommende Stärke im Euro/Dollar. Außerdem hatte Trump ja verkündet, der starke Dollar "is killing us". Das Währungspaar scheint sich an das hier skizzierte Szenario zu halten. Jedenfalls hat es am zurückliegenden Freitag um ein Prozent zugelegt und notiert nun wieder über 1,06 (Chartquelle).
Apropos "Bewertung": Nach Unterlagen von Robert Shiller liegt der historische Mittelwert seines um zyklische und preisliche Effekte bereinigten KGVs (Shiller-CAPE) über die zurückliegenden mehr als 100 Jahre bei rund 17. Das ist mir jedoch im wahrsten Sinne des Wortes zu statisch, es wird der langfristigen Entwicklung nicht gerecht. Ich nehme stattdessen die lineare Interpolation als Richtschnur für einen dynamischen Mittelwert (blaugrüne Linie). Im folgenden Chart habe ich zusätzlich die 20%-Grenzen für Über- und Unterbewertung eingezeichnet. Die aktuelle Bewertung (per Februar) übersteigt die +20%-Grenze bereits deutlich, sie ist historisch die dritthöchste nach den Spitzen von 1929 und 2000.
Die überreizte Situation bei Aktien wird ebenfalls deutlich, wenn man das Shiller-CAPE durch den VIX teilt (und das Ergebnis standardisiert) (angelehnt an BCA Research, h/t Bankhaus Rott). Spitzen wurden demnach erreicht im August 2000 und im Januar 2007. Aktuell liegt der Wert gerade bei zwei, darüber lagen jeweils die beiden kurzen Rekordspitzen.
Die Inflation ist zurück in der industrialisierten Welt. Es gibt gewichtige strukturelle Gründe, warum das nicht von Dauer ist. Ein Zinsschritt der Fed für März ist eingepreist. Die Zinsen dürften übergeordnet zwar steigen, aber zunächst ist die Luft raus. Aktien zeigen bewertungsseitig Extreme.
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