Vor einigen Tagen hat ein Kommentar in der New York Times mal wieder die alte Geschichte aufgewärmt, dass die Fed, genauer ihre zu restriktive Geldpolitik, die Finanzkrise 2008 mitverursacht hat. Die Verfasser, David Beckworth und Ramesh Ponnuru, schreiben, die Fed habe viel zu spät auf die sich abzeichnenden Subprime-Probleme reagiert.
Diese Behauptung ist nicht neu. Dass sie gerade in diesen Tagen wieder thematisiert wird, gibt zu denken. Die Verfasser sehen offenbar die Gefahr, dass sich die Geschichte wiederholt und die Fed erneut zu spät auf sich anbahnende Probleme reagiert. Dass sich Probleme anbahnen, war zuletzt hier und in zahlreichen weiteren Artikeln angesprochen worden. Auch die Entwicklung der Target-Salden im Eurosystem sollte in diesem Zusammenhang zu denken geben.
Die Autoren schreiben, seinerzeit, im Frühjahr und Sommer 2008, habe die Fed immer wieder mit Hinweis auf die Inflation weitere Zinssenkungen unter die im Mai 2008 erreichten 2% verweigert. Da der „natürliche Zins“ mit Erlahmen der Wirtschaft aber sinke, bedeute das effektiv eine Steigerung des Leitzinses. Damals fürchtete die Fed die Inflation zu sehr und die Rezession zu wenig, es bestehe nun die Gefahr, dass ein solcher Fehler wiederholt wird, heißt es in dem Artikel.
Damit fordern die Autoren indirekt, die Fed möge von ihrem Kurs der weniger lockeren Geldversorgung abrücken und die Liquiditätssüchtigen dieser Welt erneut in billigem Geld schwimmen lassen.
Dann schauen wir mal, was die Geldflut bisher gebracht hat.
BoJ-Chef Kuroda hatte Mitte Januar festgestellt, dass die japanische Wirtschaft ein Potenzialwachstum von 0,5% oder weniger hat. Die BoJ ist die Zentralbank auf der Welt mit der meisten Erfahrung in Quatitative Easing. Ihr erstes QE-Programm wurde 2001 aufgelegt, die Fed folgte 2008, die EZB 2015. In Japan wurde im April 2014 das relativ zum BIP größte QE-Programm aller Zeiten initiiert, sein Volumen entspricht einem Viertel des japanischen BIP. Kuroda gibt mit seiner schwachen Wachsumprognose indirekt zu, dass QE-Maßnahmen kein Wachstum erzeugen können. So freimütig hat sich zu den Grenzen der Macht der Zentralbanken bisher kein Zentralbanker im Amt geäußert.
Diese Einsicht hat die BoJ offenbar vor einigen Tagen dazu gebracht, den Zins für Übernacht-Einlagen negativ zu machen. Sie folgt damit u.a. dem Vorbild der EZB. Aktien haben darauf zunächst positiv reagiert. Dann fing das Nachdenken an, die Kurse fielen erneut. Eine der entscheidenden Triebkräfte hinter der wirtschaftlichen Erholung des Landes war in den vergangenen Jahren die über das QE-Programm geldpolitisch induzierte Schwäche des Yen, die über erstarkende Exportkraft zu Rekordgewinnen vieler Großunternehmen führte. Mit den Börsenturbulenzen seit Jahresbeginn gewinnt der Yen wieder an Wert, er hat seitdem gegenüber dem Dollar rund 3% zugelegt. Im Tief stand er bei 117, etwa da, wo er vor etwa einem Jahr stand. 115 gilt als eine Art Schmerzgrenze für japanische Exportfirmen.
Die lockere amerikanische und europäische Geldpolitik der vergangenen Jahre hat dazu geführt, dass viel Geld aus den USA und Europa in die Emerging Markets und in die Rohstoff-produzierenden Länder geflossen ist. Die wiesen damals noch eine niedrige Verschuldung und ein hohes Wachstum auf. Der Kapitalzufluss in die Schwellenländer hat sich mehr als verdoppelt – von jährlich 500 Mrd. Dollar vor 2007 auf 1100 Mrd. Dollar in den Jahren 2010 bis 2013. Nun stockt das Wachstum in einer Vielzahl solcher Länder, z.B. auch China. Die Kapazitäten im Rohstoffsektor sind mit den Kapitalzuflüssen deutlich angewachsen, es ist ein Überangebot entstanden. Die Verschuldung in vielen Emerging Markets und Rohstoff-produzierenden Länder ist deutlich angestiegen – v.a. die Unternehmen sind betroffen.
Die Wirtschaft der Emerging Markets schwächt sich ab, die Fed fährt ihre geldpolitische Lockerung zurück – das hat die globalen Kapitalströme umkehren lassen. Der Aufwertungsdruck beim Dollar übt zusätzlichen Druck auf die Rohstoffpreise aus und verschlechtert die finanziellen Bedingungen in vielen Emerging Markets, die Unternehmen haben sich häufig in Dollar verschuldet. Die Probleme in den Schwellenländern tangieren die Exportwirtschaft der industrialisierten Länder. Wenn die Unternehmen in den Schwellenländern ihre Kredite nicht mehr bedienen können oder (vorzeitig) auflösen und/oder keine neuen Darlehen mehr nachfragen, wird auch die Finanzwirtschaft in den USA und in Europa beeinträchtigt.
Die Geldflut hat also einen Boom in den Emerging Markets angefacht. Wie jeder Boom, so endet auch dieser im Bust. Das billige Geld hat zu gewaltiger Fehlallokation geführt. Diese muss früher oder später korrigiert werden, z.B. indem Kapital in Pleiten vernichtet wird. Wie jede schrumpfende Schuldenblase, so trägt auch die aktuelle Korrektur zu einer deflationären Entwicklung bei. Der amerikanische Ökonom Irving Fisher hatte dies 1933 in seiner Theorie der Verschuldungs-Deflation beschrieben.
Der folgende Chart zeigt die reale Entwicklung der Basisgeldmenge in den USA zwischen 1966 und September 2008 (h/t Capital Spectator). Aufgetragen sind die jährlichen Zuwächse. Deutlich ist nach 1980 jeweils ein ausgeprägter Impuls nach dem Ende von Rezessionen zu sehen. Vor Beginn einer Rezession ist jeweils auch eine Schrumpfung auszumachen, aber sie ist „mickrig“ im Vergleich zum „Startschuss“ nach Rezessionen. In diesem Diagramm ist auch schön zu sehen, dass vor 1980, genauer vor 1982, geldpolitisch eine andere Ära herrschte.
Der nächste Chart zeigt die Situation nach September 2008 bis heute. Gut zu sehen, wie sich die einzelnen QE-Programme in der jeweiligen Ausweitung der Geldmenge niederschlugen. QE1 ging von November 2008 bis März 2010, QE2 startete im November 2010 und endete im Juni 2011, QE3 ging von September 2012 bis Dezember 2013. Aktuell schrumpft die reale Basisgeldmenge leicht (per Dezember -3,15% im Jahresvergleich). Absolut liegt sie bei 3,8 Bill Dollar, im September 2008 lag sie bei 910 Mrd. Dollar.
Damit ergibt sich aus meiner Sicht: Fed & Co lösen seit den 1980er Jahren regelmäßig mit einer expansiven Geldpolitik zu Beginn eines Konjunkturzyklus einen kreditfinanzierten Boom aus, dem sie irgendwann zaghaft entgegensteuern, weil sie ihrem Mandat entsprechend handeln müssen. Die Verantwortung der Fed, der Zentralbanken insgesamt, liegt auf der Hand. Insofern haben Beckworth und Ponnuru formal recht – aber sie irren sich auf der Zeitschiene. Denn die geldpolitischen Fehler werden nicht so sehr am Ende eines Konjunkturzyklus gemacht, sondern an seinem Anfang.
Die Geldflut, genauer, die Perpetuierung einer im Einzelfall möglicherweise gerechtfertigten Notfallmaßnahme, hat nach 2008 die Folgen des Platzens von Schuldenblasen (Subprime in den USA, Staatsschulden in Europa) dadurch bekämpft, dass sie weitere aufgeblasen hat. Das liegt ganz auf der Linie der "modernen" Geldpolitik. Allerdings haben die geldpolitischen Dauerimpulse nach 2008 nur erreicht, dass das Loch, was die Finanzkrise in der Realwirtschaft gerissen hat, aufgefüllt wurde. Darüber hinaus konnte kein bedeutendes Wirtschaftswachstum initiiert werden, u.a. weil die Verschuldungsniveaus zu hoch sind. Das unterscheidet die aktuelle Situation von früheren konjunkturzyklischen Endphasen und macht sie so gefährlich depressionsanfällig.
QE-Maßnahmen haben sich als wenig tauglich erwiesen, nachhaltiges Wachstum zu induzieren. Es steht zu befürchten, dass daher auch die Fed bei anhaltendem Abschwung in den USA demnächst auf negative Zinsen einschwenken wird. Negative Zinsen aber sind die extremste Form von Preis-Manipulation. Leitzinsen, die Preise für Geld, zählen zu den wichtigsten Parametern in auf Kredit aufgebauten Volkswirtschaften. Zinsen spiegeln Zeitpräferenzen wider, sie können aufgrund der Unsicherheit über die Zukunft aus sich heraus nicht negativ werden. Manipuliert man sie dennoch dahin, hat das weitreichende Konsequenzen für das gesamte Wirtschaftsgeschehen (siehe auch "Einmal mehr: Zinsen zu niedrig"!).
Negative Zinsen sollen endlich die Kredittätigkeit anregen, ein Ziel, das QE nicht dauerhaft erreicht hat. Also ein erneuter Versuch, Blasen zu züchten. Dass Blasen nicht mit Blasen bekämpft werden können, ist spätestens seit der Ära nach 2008 klar. Weitere Fehlallokationen werden die Folge sein. Fehlinvestionen führen aber letztlich nicht zu Wachstum, sie kosten Wachstum – und das in einer Zeit, die bereits von struktureller Wachstumsschwäche geprägt ist.
Sind die Zentralbanken verantwortlich für Rezessionen? Ja, sie tragen zumindest eine nicht unwesentliche Mitschuld. Die liegt aber nicht so sehr darin, dass sie die Konjunktur durch zu straffe Geldpolitik abwürgen, sondern darin, dass sie diese am Anfang eines Konjunkturzyklus zu locker gestalten und dadurch einen kreditfinanzierten Boom begünstigen, der im Bust enden muss.
Ergänzung:
Siehe auch…
…zum Thema Geldflut und Negativzinsen von Daniel Stelter "Negativzins, Bargeldverbot und die Hoffnung auf ein Wunder"!
…zur Unterstützung der These von David Beckworth und Ramesh Ponnuru unter Bezugnahme auf die Emerging Markets: "The U.S. Dollar Has Already Caused A Global Recession And Now The Fed Is Going To Make It Worse"
…bei Wikipedia: "Kritik am Federal Reserve System"
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