Betrug, Betrug und nochmals Betrug

Man hört fast jeden Tag von irgendwelchen Betrügereien – sei es jetzt der Abgas-Skandal bei Volkswagen oder die Geschichte um das DFB-Sommermärchen von 2006, bei dem ein Fußball-„Saubermann“ offenbar mit einer schwarzen Kasse nachgeholfen hat. Nur zwei Beipiele – die Liste ist unendlich, kleinere Geschichten wie erschlichene Doktortitel usw. eingeschlossen.

Man stumpft irgendwie ab – auch durch die Flut an betrügerischen Emails, die einen so jeden Tag erreicht. Es regt einen kaum noch auf, man nimmt den nächsten Skandal mehr oder weniger als normal hin. Geht es Ihnen das auch so?

„Corporate Governance“ und wie diese ganzen bürokratischen Ungetüme alle heißen, ändern daran nichts. Jede neue Vorschrift ruft letztlich nur neue Methoden zu ihrer Umgehung hervor. Dagegen setzen Polit-Bürokraten dann neue Regeln, neue Kontroll-Behörden werden geschaffen. Da dieses Spiel nun schon viele Jahre läuft – offenbar nutzt das alles nichts. Auch die verhängten, teils drastischen Strafen für Einzeltäter und Unternehmen ändern daran nichts.

Da muss etwas Grundsätzliches faul sein.

Konzentrieren wir uns auf die Finanzmärkte. Auch hier sind Betrug, üble Machenschaften, Täuschung, reißerische Medienberichte und vieles mehr an der Tagesordnung: Kreditnehmern werden ungeeignete Hypotheken aufgeschwätzt, „gesunde“ Firmen werden ausgeschlachtet, Rechnungs- und Betriebsprüfer täuschen die Anleger, Geschichten von sagenhaften Reichtümern stacheln die Gier an.

Adam Smith sprach von der „unsichtbaren Hand“ der freien Märkte, durch die die Verfolgung von Eigeninteresse in solche Bahnen gelenkt wird, dass dies auch dem Gemeinwohl dient. Rückblickend scheint es so, als ob dadurch tatsächlich in historisch gesehen kurzer Zeit ein großer Wohlstand geschaffen werden konnte.

Aber warum warum lassen es die freien Märkte zu, dass wir Dinge kaufen, die weder für uns selbst noch für die Gesellschaft gut sind? Robert Shiller sieht den Grund darin, dass sich Menschen manipulieren, täuschen oder einfach nur passiv in Versuchung führen lassen.

Da ist etwas Wahres dran, aber es ist mir „zu allgemein menschlich“. Mit dieser Argumentation ist man schnell dort, dass man entweder tatenlos zusieht und auf die Zentralbanken hofft, die in der nächsten Krise erneut mit billigem Geld bereitstehen, um die Folgen abzufedern. Oder man verfällt in das andere Extrem, reguliert auf operativer Ebene in den Märkten herum, um letztlich jede noch so kleine Abweichung von einem gewünschten Soll einzudämmen.

Die Verfechter beider Wege argumentieren gewöhnlich so: Brechen die geschilderten Betrugs- und Täuschungsmanöver in bedeutendem Umfang zusammen, verlieren bei dem daraus entstechenden Abschwung nicht nur diejenigen, die sich haben täuschen lassen. Bonitätszweifel und Pleiten lösen weitere Konkurse aus, die Angst verstärkt sich. Wenn die Phase irrationalen Überschwangs zu Ende geht und die Preise von auf Kredit gekauften Assets fallen, entstehen weitere Bedrohungen. Eine Abwärtsspirale kann über Kreditverknappung die gesamte Wirtschaft einbrechen lassen. Also muss eingegriffen werden – so oder so. Beim ersten Weg Feuerwehr-, beim zweiten Kindergarten-mäßig.

Die beiden Wege sind nicht sauber getrennt – mal liegt der Schwerpunkt der Politik auf der einen, mal auf der anderen Seite, je nachdem ob gerade Keynes oder Friedman en vogue ist, ob man gerade liberal, neoliberal, klassisch oder sozialdemokratisch angehaucht ist. Vor 2000 hatte man die Finanzmärkte dereguliert und damit Tür und Tor geöffnet für Betrug und Täuschung in ganz großem Stil. Bis die Finanzkrise 2008 kam. Jetzt versucht man es andersherum – es wird geregelt, was das Zeug hält. In den USA enstand z.B. der „Dodd-Frank-Act”, ein unglaublich kompliziertes Gesetzeswerk auf 2319 Seiten, mit dem eine Wiederholung des Geschehens nach der Lehman-Pleite verhindert werden soll. Überbordende Bürokratie aber lähmt Initiative und die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung und Risiko. Alles wird zäh und zäher, die gesellschaftliche Kreativität erlahmt.

Das Ergebnis ist in beiden Fällen gleich – freie Märkte hören auf, zu existieren. Im ersten Fall geschieht das nicht ganz so offensichtlich, aber letztlich zieht die Geldflut so viele „Sachzwänge“ nach sich, dass über die Verzerrung bei der Zinsbildung alle Preise einer Volkswirtschaft manipuliert werden. Man schafft damit das ab, was mal die Bedingung für eine erstaunliche wirtschaftliche Entwicklung war.

Gegen die Shillersche „menschliche Unvollkommenheit“ könnte man einiges tun – mit Bildung und einer wirklich freien Presse. Aber sie ist eigentlich nur ein hinzukommender, passiver Faktor, der sich unter bestimmten Bedingungen besonders gravierend auswirken kann. Die Frage ist, was aktive Manipulation, Täuschung und Betrug fördert.

Welche Bedingungen sind das?

Zum einen müssen Haftung und Risiko wieder zusammen kommen. Derjenige, der ein Risiko auf sich nimmt, um besondere Gewinne zu erzielen, muss sein Handeln auch voll verantworten. Insbesondere dürfen Finanzinstitutionen nicht darauf vertrauen können, dass sie „gerettet“ werden, wenn sie schief liegen. Zum Thema „Too big to fail“ ist schon viel geschrieben worden, es ist aktueller denn je. Dies dient auch dazu, die oben beschriebenen Kettenreaktionen einzudämmen, also zu verhindern, dass vom Betrug einzelner am Ende alle betroffen sind.

Ich will aber auf etwas anderes hinaus. Durch die immer größere Schuldenblase besteht der Zwang, dass aus der laufenden Wirtschaftsleistung ein tendenziell steigender Teil in den Schuldendienst geht. Das deshalb, weil die Schuldenblase langfristig zu exponentiellem Wachstum neigt (u.a. wegen der Zusammenhänge, die Minsky beschrieben hat). Dem entgegen wirkt ein seit den 1980er Jahren sinkendes Zinsniveau, hingegen stützt die spätestens seit der Jahrtausendwende aufgekommene Wachstumsschwäche den Trend.

Die Realwirtschaft wird über die Dominanz der Finanzindustrie immer stärker in diese Zusammenhänge eingespannt. Überzogene Anforderungen an Finanzergebnisse sorgen zusammen mit kurzatmiger Quartalszahlen-Arithmetik dafür, dass die Substanz der Firmen ausgehöhlt wird (siehe z.B. hier!). Dadurch reduziert sich das Potenzial, aus dem letztlich auch die Finanzergebnisse generiert werden.

Wenn eine Gesellschaft immer stärker von dem bestimmt wird, was an den Finanzmärkten geschieht, nimmt die distributive wirtschaftliche Aktivität zu, die kreativen Aktivitäten nehmen ab. Es findet eine Umverteilung gesellschaftlichen Wohlstands statt, neuer wird nicht geschaffen. In einer solchen Situation klaffen Ansprüche und Möglichkeiten, Anforderungen und Rahmenbedingungen immer weiter auseinander. Die Versuchung steigt, durch Täuschung, Betrug und Bestechung Ergebnisse vorzuweisen, weil sie anders nicht zu erzielen sind. Produktive Initiative wird durch kreative Buchführung ersetzt.

Letztlich pflanzt sich das, was an der wirtschaftlichen Basis geschieht, durch die gesamte Gesellschaft fort. Es entsteht ein „distributives“ Klima, eine gesellschaftliche Mentalität, in der jeder versucht, auf Kosten anderer durchzukommen. Der Aspekt, gemeinsam am gesellschaftlichen Rahmen zu bauen, um die Zukunft des Gemeinwesens zu sichern, tritt immer mehr in den Hintergrund.

Die Abschaffung von Wettbewerbs-Märkten wirkt als beschleunigender Faktor für die beschriebene Entwicklung (oder ist das Ergebnis hiervon). Solchen Gesellschaften wird die Basis für eine effiziente Wertschöpfung entzogen, die Tendenz zu Betrug und Täuschung nimmt eher weiter zu als ab. Es ist dabei unbestritten, dass freie Märkte einen festen Ordnungsrahmen brauchen, damit Smiths unsichtbare Hand wirken kann. Aber dieser Rahmen soll gerade das freie Spiel der Kräfte sicherstellen, nicht darin klein-klein-bürokratisch eingreifen.

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