Ursachen deutscher Leistungsbilanz-Überschüsse

Die Leistungsbilanz der Eurozone wird in diesem Jahr knapp die Marke von 300 Mrd. Euro Überschuss erreichen. 2008 war noch ein Defizit von 97 Mrd. Dollar erzielt worden. Dafür bezieht in erster Linie Deutschland Prügel von angelsächsischen Beobachtern, früher sind sie gegen die chinesischen Leistungsbilanzüberschüsse zu Felde gezogen.

Die EU-Kommission hat eine Untersuchung eingeleitet, weil Deutschland die Marke von 6% Leistungsbilanzüberschuss bezogen auf das BIP überschreitet. Die Kritik richtet sich dagegen, dass Deutschland damit anderen Ländern Arbeitsplätze wegnimmt und zu gefährlichen globalen Ungleichgewichten beiträgt.

Nicht nur Deutschland (und die Niederlande) haben die Entwicklung zu verantworten, die Krisenländer im Süden Europas verringern ihre Leistungsbilanzdefizite durch Einschränkung der Inlandsnachfrage und größere Anstrengungen im Export.

Die Leistungsbilanz saldiert im Wesentlichen Exporte und Importe. Hohe Exporte zeigen die Wettbewerbsfähigkeit einer Wirtschaft. Der deutsche Exportüberschuss summierte sich bis Ende August auf fast 128 Mrd. Euro. Auch Irland (25,3 Mrd. Euro) und Italien (19,3 Mrd. Euro) weisen eine positive Bilanz auf. Frankreich hingegen kommt auf ein Defizit von rund 50 Mrd. Euro, Griechenland auf minus 13 Mrd. Euro und Spanien auf minus 9 Mrd. Euro.

Steht einem Export ein geringerer Import gegenüber, wird also ein Leistungsbilanzüberschuss erwirtschaftet, so ist per Identität die gesamtwirtschaftliche Ersparnis höher als die Investition. Die Leistungsbilanz ist ein Teil der außenwirtschaftlichen Zahlungsbilanz, die Gegenbuchung zu ihren Überschüssen sind Netto-Kapitalexporte.

Spiegelbildlich zum Anstieg der Überschüsse der Eurozone hat sich das Leistungsbilanzdefizit einer Gruppe von neun Schwellenländern (Indien, Brasilien, Türkei, Indonesien, Südafrika, Polen, Ukraine, Kolumbien und Mexiko) von 94 Mrd. Dollar in 2009 auf etwa 330 Mrd. Dollar in diesem Jahr erhöht.

Die Finanzierung der Defizite dieser weniger stabilen Schwellenländer könnte erschwert werden, wenn die Risikoaversion internationaler Investoren wieder ansteigt. Als Anlass sind etwa ungünstige wirtschaftliche oder politische Entwicklungen in diesen Ländern oder eine straffere US-Geldpolitik (Stichwort „QE-Tapering“) denkbar. Kommt der Kapitalfluss in die Schwellenländer ins Stocken, hätte das eine Reduktion des Leistungsbilanzüberschusses der Eurozone zur Folge. Das würde mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer erneuten Rezession führen, die Konjunktur steht hier ja sowieso auf wackeligen Beinen.

Der einzelne deutsche Bürger hat von der gewaltigen Nettoexport- und Sparleistung bisher wenig. Nach einer Studie der EZB hatten die deutschen privaten Haushalte 2010 ein mittleres Nettovermögen von etwas mehr als 50.000 Euro. Das ist weniger als die Hälfte von Frankreich, Spanien und Italien stehen im Vergleich noch besser da. Die Ergebnisse werden durch eine Untersuchung der Allianz bestätigt.

Wie ist das Missverhältnis zu erklären?
Erstens wird die gesamtwirtschaftliche Ersparnis verlustreich angelegt. Die kumulierten Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands seit Beginn der Europäischen Währungsunion 1999 bis 2012 liegen knapp 300 Mrd. Euro über dem Zuwachs des Nettoauslandsvermögens. Das ist im wesentlichen Abschreibungen auf Anlagen im Ausland zurückzuführen.
Zweitens ist die Sparleistung und damit die Vermögensbildung sehr ungleich verteilt. Ein großer Teil der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis besteht aus einbehaltenen Gewinnen von Unternehmen, die diese zur Finanzierung von Investitionen im Ausland verwenden. Zwei Drittel der deutschen Haushalte besitzen weder Aktien noch Investmentfonds, damit sind sie am Wertzuwachs der Unternehmen nicht beteiligt. Außerdem wohnen nur 44% der deutschen Haushalte in eigenen Immobilien, viel weniger als z.B. in Spanien (83%), in Italien oder in Frankreich. Die Mehrzahl der deutschen Haushalte nimmt so auch nicht am nominalen Wertzuwachs der Immobilien teil und ist der Spardisziplin nicht unterworfen, die eine Hypothek verlangt.

Nach Einschätzung der Deutschen Bundesbank sparen die meisten deutschen Haushalte wenig, sie verlassen sich auf den Staat. Der Staat wiederum hat es versäumt, Sozialabgaben der Durchschnittsverdiener zum Aufbau von Vermögen zu ihrer Absicherung im Alter zu verwenden. Und seit Beginn der Euro-Krise hat er zudem auch einen Teil der Investitionsrisiken der vermögenden Schichten übernommen.

Vor dem Start der Währungsunion haben vornehmlich Unternehmen und vermögende private Haushalte ihre Ersparnis im Ausland angelegt. Allerdings war die Nachfrage dieser Gruppen nach ausländischen Anlagen geringer als die Nachfrage ausländischer Importeure nach deutschen Gütern. Diese relative Knappheit der D-Mark stärkte den Wechselkurs tendenziell, was den Überschuss der deutschen Leistungsbilanz auf Werte um 2% des BIP deckelte. Dieser permanente zyklische Anpassungsprozess schlug auf eine ungleichmäßige Entwicklung von Export, Industrieproduktion und Arbeitsmarkt durch. Industrie und Gewerkschaften versprachen sich von der Währungsunion einen gleichmäßigeren Verlauf.

Die Währungsunion erleichterte den Fluss deutscher Ersparnisse ins Ausland wesentlich. Für Anlagen in den Euromitgliedsländern bestand kein Wechselkursrisiko mehr. Dieses scheuen Banken und Versicherungen, weil damit ihr im Vergleich zu den Kundenvermögen geringes Eigenkapital aufs Spiel gesetzt wird. Für diese Institutionen eröffneten sich durch Einführung des Euro neue Anlagemöglichkeiten, sie profitierten von im benachbarten Ausland höheren Zinsen und Erträgen. Der Export deutscher Ersparnisse ermöglichte es, den Leistungsbilanzüberschuss gegenüber der D-Mark-Zeit zu verdreifachen.

Die hohen deutschen Leistungsbilanzüberschüsse trieben den Wechselkurs des Euro zunächst nicht hoch, weil die deutschen Ersparnisse die Nettoimporte anderer Euroländer finanzierten. Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss wurde durch die Defizite der anderen neutralisiert, die Leistungsbilanz der Eurozone insgesamt war weitgehend ausgeglichen. Und Industrie und Politik freuten sich über den Euro.

Die Empfängerländer verwendeten die deutschen Ersparnisse hauptsächlich zum Import von Konsumgütern, dem Aufbau von Immobilienvermögen und dem Ausbau staatlicher Leistungen, nicht jedoch zum Aufbau eines produktiven Kapitalstocks. Diese Fehlallokation von Kapital wurde im Zuge des Ausbruchs der Finanzkrise in den Euroländern mit besonders hohen Leistungsbilanzdefiziten offenbar – die Einführung des Euro hat das Wechselkursrisiko durch ein Kreditrisiko ersetzt.

Banken und Versicherer zogen sich in der Folge von der Finanzierung dieser Defizite zurück. Das hätte zu Insolvenz von Staaten und Banken in der Eurozone geführt, was wahrscheinlich den Zusammenbruch der Währungsunion bedeutet hätte. Daher wurden die den Defizitländern fehlenden privaten Kredite durch Kredite anderer Euroländer und des Eurosystems ersetzt; die Defizitländer konnten fällige private Kredite zu unter dem Markt liegenden Konditionen ablösen.

Nun sind die deutsche Bundesregierung und stärker noch die deutsche Bundesbank die größten Gläubiger der Defizitländer. Das ifo-Institut hat ausgerechnet, dass Hilfskredite von 1,2 Bill. Euro zugesagt wurden, davon rund 745 Mrd. Euro durch das Eurosystem. Die deutsche Regierung haftet dafür in Höhe von 431 Mrd. Euro. Über das Interbanken-Zahlungssystem der Eurozone „Target2“ hat die Bundesbank per Oktober 561 Mrd. Euro an die EZB zur Weiterleitung an die Defizitländer verliehen.

Jetzt werden Maßnahmen zur Verringerung der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse gefordert, entweder durch Auflegung kreditfinanzierter staatlicher Ausgabenprogramme oder durch Richtlinien zur Erhöhung der Löhne (bezüglich des zweiten Punkts zeigt der Vertrag der großen Koalition Ansätze). Eine Anpassung wird aber auch schon durch Marktkräfte eingeleitet, die Überschüsse der Leistungsbilanz der Eurozone haben zur Aufwertung des Euro geführt. Das drosselt vor allem in den schwächeren Euroländern den Export und drückt die Preise.

Daraus entsteht Deflationsgefahr und das hat die EZB bewogen, die Zinsen zu senken und mehr Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Dies soll Löhne und Preise in Deutschland nach oben treiben. Die notwendige Anpassung der internen realen Wechselkurse im Euro-Innenverhältnis soll nun vor allem durch erhöhte Inflation in Deutschland bewirkt werden.

Dies wird den deutschen Leistungsbilanzüberschuss wohl verringern, aber wahrscheinlich nicht eliminieren. Die Wirtschaftspolitik kann den Anpassungsprozess unterstützen, wenn sie dafür sorgt, dass die deutschen Überschussersparnisse dauerhaft gewinnbringend angelegt und so der deutsche Sparer vor der schleichenden Enteignung durch Inflation geschützt wird.

Damit begründen Daniel Gros, Direktor des Centre for European Policy Studies (CEPS), und Thomas Mayer, bis zur ersten Jahreshälfte 2013 Chefvolkswirt der Deutschen Bank, ihren Vorschlag eines deutschen Vermögensbildungsfonds etwa nach dem Vorbild Norwegens. Im Grund genommen bestehe ein solcher Fonds bereits, schreiben sie, denn die mit deutscher Staatsgarantie vergebenen Kredite „sind der Natur nach ein Staatsfonds zur Anlage deutscher Überschussersparnisse im Ausland“ – allerdings gegenwärtig mit geringer Verzinsung und hoher Konzentration auf finanzschwache Staaten und Banken der Eurozone.

Das muss nicht so bleiben, schreiben Gros und Mayer…
…und wir kommen auf ihren Vorschlag noch zurück.

[Unter Verwendung von Material aus "Ein Vermögensbildungsfonds für Deutschland"]

Gros und Mayer skizzieren in ihrer Hinleitung zu ihrem Vorschlag eines deutschen Vermögensbildungsfonds sehr gut, wie die deutsche Wirtschaft eine zeitlang von den Geburtsfehlern der Eurokrise profitiert hat. Nun ist Deutschland der Hauptgläubiger dieses Abenteuers namens Euro. Die Früchte der wettbewerbsfähigen Realwirtschft des Landes sind im Ausland schlecht angelegt. Die private Investitionstätigkeit im Land ist vergleichsweise gering, wodurch künftiges Wachstum gefährdet ist, die (schwachen) öffentlichen Investitionen bieten hierzu keinen adäquaten Ersatz.

Ergänzung:
"Das Einmaleins der schädlichen Exportüberschüsse" wird bei "Never Mind The Markets" gut beleuchtet.

Der folgende Chart zeigt die Entwicklung der deutschen Leistungsbilanz seit 1990 und im Vergleich dazu die von Spanien. Klar zu erkennen, der Schnitt mit der Einführung des Euro.

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