Die historische Wende der Zentralbanken

In die Reihe der Kommentare zu den jüngsten politischen Wendungen von Fed und EZB (auch hier) gehört auch der hier in Übersetzung folgende von Anatole Kaletsky.

Wenn einmal die Geschichte des 21sten Jahrhunderts geschrieben ist, wird der September 2012 wahrscheinlich besonders herausgehoben, schreibt Anatole Kaletsky in seinem Blog. Bernankes Versprechen, Bonds zu kaufen bis die US-Wirtschaft sich wieder der Vollbeschäftigung annähert, Merkels Unterstützung für die EZB und ihr OMT-Programm und die Entscheidung der Bank of Japan, ihr Anleihekaufprogramm deutlich auszuweiten – all das löst zwar kein Erdbeben aus wie die Lehman-Pleite 2008 und ihre Folgen. Aber die tektonischen Verschiebungen im „Central Banking“ könnten die Wirtschafts-Landschaft so dramatisch verändern wie die damaligen Ereignisse.

Bis vor vierzig Jahre galt der Erhalt von Vollbeschäftigung als Hauptziel aller Wirtschaftspolitik. Das war so seit der Großen Depression. Aber in den frühen 1970er Jahren -nach Dekaden von mehr oder weniger Vollbeschäftigung- begann „Main Street“ Inflation als größeren Feind des Wohlstands anzusehen als Depression.

Volkswirte und Politiker stellten sich dieser neuen Sicht. Milton Friedman führte eine monetaristische “Konterrevolution” gegen die Keynesianische Beschäftigungs-Besessenheit an. Der These, dass Marktwirtschaften langfristig zur Stagnation tendieren, stellte er die Vorkeynesianische Meinung entgegen, Marktwirtschaften stabilisierten sich automatisch selbst.

Die monetaristischen Modelle entwickelten zwei mächtige wirtschaftspolitische Regeln, die der keynesianischen Sicht direkt entgegengesetzt waren. Erstens bestanden die Monetaristen darauf, dass Preisstabilität, nicht Vollbeschäftigung das einzig legitime Ziel für Geld- und staatliche Wirtschaftspolitik ist. Zweitens, sollten die Zentralbanken keine Verantwortung mehr für Unterbeschäftigung übernehmen, da die Schaffung von Arbeitsplätzen ausschließlich von privaten Unternehmen abhängig ist. Vollbeschäftigung wird automatisch erreicht, wenn die Inflation besiegt und die Marktkräfte befreit sind von übermäßiger Einmischung des Staates und der Gewerkschaften.

Einige Jahre später setzen Margaret Thatcher und Ronald Reagan Friedmans intellektuelle Revolution in praktische Politik um. Das hatte gewaltige ideologische Effekte: Staatliche Wirtschaftspolitik war nicht mehr direkt verantwortlich für Arbeitsplätze, statt dessen wurde die Ursache für Unterbeschäftigung in Regulierung, Gewerkschaften, Wohlfahrtspolitik und anderen Marktstörungen gesehen.

Die Fed hat sich nun dazu bekannt, so lange Geld zu drucken, bis Vollbeschäftigung erreicht ist und ist sogar prinzipiell bereit, das Engagement noch auszuweiten . Die EZB unternimmt alles, was nötig ist, um den Euro zu retten und will mit frisch gedruckten Euros insbesondere spanische und italienische Staatsanleihen kaufen.

Fed und EZB demontieren damit nicht nur ihre früher als unverletzlich geltenden Inflationsziele, sondern brechen auch intellektuelle und politische Tabus, die das „Central Banking“ für vier Jahrzehnte geprägt haben. Diese Bilderstürmerei hat eine extreme Reaktion der einzig verbliebenen Zentralbank-Bastion des traditionellen Monetarismus hervorgerufen. Bundesbank-Präsident Weidmann hat in einer Rede das neue „Central Banking“ wörtlich als Werk des Teufels bezeichnet und auf Mephistopheles Bezug genommen, der genau diese Politik eingesetzt hat, um in Goethes Faust Chaos und Hyperinflation zu schaffen.

In der Tat – die Versuche, Geldpolitik zur Schaffung von Vollbeschäftigung einzuspannen, läuft den zwei hauptsächlichen Zielen der monetaristischen Theorie zuwider. Wird dadurch nicht tolerierbare Inflation erzeugt? Was passiert, wenn die Unternehmen auf die Geldvermehrung nicht mit der Schaffung von Arbeitsplätzen reagieren? Führt das zu weiteren, immer verzweifelteren und riskanteren Bemühungen, die Beschäftigung künstlich zu stimulieren?

Dem Hauptargument, die Schaffung von Vollbeschäftigung mittels geldpolitischen Maßnahmen löse Inflation aus, entgegnen Fed und EZB glaubhaft: So lange Arbeitslosigkeit und Kapazitätsauslastung auf den aktuellen Niveaus ist, ist eine allgemeine Inflation sehr unwahrscheinlich. Auch wenn die Preise einiger Rohstoffe wie Öl oder Nahrungsmittel kräftig steigen, wird das durch andere ausgeglichen, die fallen.

Die größere Gefahr ist, dass die Fed schlicht scheitert in ihrem Bemühen, die Beschäftigung zu stimulieren und das Wirtschaftswachstum anzuregen. Enttäuschung war schon das letztendliche Ergebnis von QE1 und QE2. Warum soll das dieses Mal anders sein, selbst wenn die Fed jetzt noch mehr Geld druckt? Auf diese bedrückende Frage hat Bernanke bisher keine Antwort gegeben.

Es könnte sein, dass das Injizieren von Geld in Banken und Anleihefonds nicht ausreicht – und zwar unabhängig von der Größenordnung. Ein richtiger wirtschaftlicher Anreiz könnte erfordern, frisches Geld direkt an Haushalte und Unternehmen zu verteilen. Die 40 Mrd. Dollar, die jetzt monatlich für Bonds ausgeben werden, entsprechen 130 Dollar für jeden US-Bürger – und das so lange Monat für Monat wieder, bis die Wirtschaft zur Vollbeschäftigung zurückkehrt.

Da das Tabu nun komplett gebrochen ist, dass Zentralbanken Verantwortung für Unterbeschäftigung haben, dürfte diese wirklich radikale Geldpolitik vielleicht nur eine Frage der Zeit sein, schließt Kaletsky.

Anmerkungen:

  • Diese "wirklich radikale Geldpolitik" hatte Milton Friedman selbst vorgeschlagen, indem er davon sprach, notfalls Dollars aus Helikoptern abzuwerfen.
  • Der Kommentar von Kaletsky stellt die historische Wende im "Central Banking" gut heraus – mit dem "Tabu-Bruch" befasst sich auch Eugenio Diaz-Bonilla.
  • Richtig auch, dass ein inflationäres Szenario keineswegs zwingend ist. Tritt es mit QE3 und OMT nicht ein, wäre das sogar der worst-case. Denn dann wird deutlich, dass die Geldpolitik ihr Pulver weitgehend verschossen hat. Die Notenbanken wären dann gezwungen, in noch viel größerem Umfang tätig zu werden. Wenn dann schließlich doch Inflation entsteht, wird sie unbeherrschbar – man wird die Geister, die man rief, nicht mehr los.
  • Interessant in diesem Zusammenhang auch: "Polleit: Papiergeldstandard in drei Jahren vielleicht schon Geschichte"

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