In der Schweiz gibt es seit kurzem die „Vollgeld-Initiative“, die per Volksabstimmung eine Verfassungsänderung durchsetzen will mit dem Ziel, dass die Geldschöpfung alleiniges Privileg der Notenbank wird.
Der an der Universität von Southhampton Internationales Bankgeschäft lehrende Ökonom Richard Werner, hatte 2012 in Frankfurt in einer Umfrage unter 1000 Bürgern fragen lassen: "Wer macht und verteilt Geld?" 84% glaubten, dass Zentralbank oder Regierung Geld in Umlauf bringen. Die Frage "Würden Sie einem System zustimmen, in dem die Mehrheit der Geldmenge durch meist private, auch profitorientierte Unternehmen produziert und verteilt wird und nicht durch staatliche Organe?" verneinten 90%.
Das Ergebnis zeigt einerseits die weit verbreitete Unwissenheit über das Funktionieren unseres Geldsystems und andererseits den Wunsch, dass die Geldschöpfung staatlich autorisiert ist. Sir Mervyn King, von 2003-2013 Präsident der Bank of England, bemerkte: "Von allen Möglichkeiten das Bankwesen zu organisieren, ist die Schlechteste die, die wir heute haben." Er muss es ja wissen…
In der Schweiz produzieren die Banken nahezu 90% des in Umlauf befindlichen Geldes, in der Eurozone sind es rund 83%. Die Prozentangaben beziehen sich auf das Verhältnis von Sichteinlagen (Buchgeld) zu Bargeldumlauf, also das Verhältnis innerhalb des Geldmengenaggregates M1.
Bevor wir auf das Vollgeldsystem zu sprechen kommen, in aller Kürze die Funktionsweise des heutigen Geldsystems. Von Henry Ford stammt übrigens der Satz: „Wenn die Menschen unser Geldsystem verstehen würden, dann hätten wir eine Revolution schon morgen früh.“
Die Notenbanken schöpfen Zentralbankgeld im wesentlichen über zwei Wege. Zum einen geben sie Geschäftsbanken über sogenannte Repogeschäfte einen besicherten, kurzfristigen, verzinsten Kredit, zum anderen kaufen sie von den Geschäftsbanken Gold, Devisen oder Wertpapiere an. In beiden Fällen werden die Gegenwerte den Konten der Geschäftsbanken bei der Notenbank gutgeschrieben. Das Zentralbankgeld nimmt zu, die Liquidität im Geldsystem wächst. Das Geldmengen-Aggregat „Zentralbankgeld“, bestehend aus den Einlagen der Geschäftsbanken und dem gesamten umlaufenden Bargeld, wird als „Geldbasis“ oder als M0 bezeichnet.
Die Geschäftsbanken schöpfen Buchgeld, indem sie Kredite an Haushalte, Unternehmen oder Staat vergeben und den entsprechenden Betrag deren Konten gut schreiben. Dies erhöht die für Zahlungszwecke zur Verfügung stehende Geldmenge ebenfalls. Die Höhe der Kreditvergabe richtet sich nach Angebot und Nachfrage, beides hängt auch mit Zinsniveau, Konjunkturlage, Risikobereitschaft usw. zusammen.
Die Möglichkeiten der Geschäftsbanken, Kredite zu vergeben, wird außerdem durch die Mindestreserve beeinflusst. Die Mindestreserve wird für jede Geschäftsbank berechnet aus der Höhe bestimmter Sicht-, Termin- und Spareinlagen, die Nichtbanken bei ihr halten. Der „Mindestreservesatz“ bestimmt, wie hoch der Anteil an den Sichtverbindlichkeiten ist, die die Geschäftsbanken in Form von Zentralbankgeld halten müssen. Dieses müssen sie sich (s.o.) über Repogeschäfte bei der Zentralbank beschaffen. Der Mindestreserversatz beträgt im Eurosystem 1%, in der Schweiz sind es 2,5%.
Über die Änderung des Mindestreservesatzes kann die Zentralbank Geschäftstätigkeit und Buchgeldschöpfung der Geschäftsbanken steuern. Die Höhe des Leitzinses ist ebenfalls ein Mittel zur Steuerung, sie beeinflusst die kurzfristigen Kosten der Geschäftsbanken. Zudem werden Geschäftstätigkeit und Buchgeldschöpfung durch bankaufsichtlichen Regeln eingegrenzt. So muss eine Bank nach den Baseler Regeln (z.B. Basel lll) für jedes Risiko, das sie eingeht, in bestimmtem Umfang Eigenkapital vorhalten.
So wie die Zentralbank die Notenbankgeldmenge durch Repogeschäfte oder Ankauf von Assets ausweiten kann, kann sie diese durch Verkauf eigener Schuldverschreibungen auch wieder abschöpfen. Der Kaufanreiz für die Banken besteht darin, dass solche Schuldverschreibungen („Bills“) sicher sind und verzinst werden.
Die Zentralbank erwirtschaftet durch Ausgabe von Bargeld einen Gewinn, die Seignorage. Der entsteht dadurch, dass die Geschäftsbanken zur Beschaffung von Bargeld normalerweise einen Kredit bei der Zentralbank aufnehmen müssen. Der daraus resultierende Zinsertrag fließt der Zentralbank so lange zu, so lange das Bargeld in Umlauf ist.
Geschäftsbanken sind normalerweise daran interessiert, zur Eindämmung der Risiken aus ihrer Kredittätigkeit länger laufende Einlagen einzuwerben. Je höher diese sind, je mehr Kredite können sie vergeben. In diesem Sinne stimmt es, dass Geschäftsbanken Spareinlagen benötigen, um Kredite vergeben zu können. Nach der Höhe der Sparzinsen zu urteilen, bestehen gegenwärtig aber nur geringe Anreize für Banken für eine Aufstockung solcher Einlagen.
[Zum Thema "Geldsystem" eine Schrift der Bundesbank]Insgesamt kann die Zentralbank die Geldmenge nur schwer steuern, Veränderungen des Leitzinses oder der Mindestreservesätze wirken nur sehr indirekt in einem Spektrum einer Vielzahl anderer Einflussfaktoren. Man spricht dabei auch von den Transmissionsmechanismen der Geldpolitik. Die Geldmenge ist jedoch der entscheidende Faktor in einem Wirtschaftssystem, das immer stärker Finanzsektor-zentriert ist. Dies ist in sich schon ein gravierender Bruch im System.
Damit ist klar: Der Löwenanteil unseres Geldes wird durch Verschuldung geschaffen, die nicht durch „echte Ersparnis“ gedeckt ist. Wir haben ein ungedecktes Papiergeldsystem. Noch dazu wird das Geld im wesentlichen durch private Einrichtungen erzeugt, die nur sehr indirekt von öffentlichen Instanzen kontrolliert werden können. Als dritter Punkt ist anzumerken, dass der Staat, der solche Privilegien an das Bankensystem vergibt, für die eigene Verschuldung erkleckliche Zinsbeträge bezahlen muss.
Hinzu kommt, dass Änderungen der Geldmenge eine sich selbst verstärkende Wirkung haben. Der Multiplikatoreffekt bei der Geldschöpfung und die starken Verzögerungen, die hierbei auftreten, führen zu Instabilität im Wirtschaftskreislauf, ein Eingreifen per staatlicher Konjunkturpolitik funktioniert bestenfalls unzureichend. Meist wird sogar prozyklisch agiert: Auch weil die herrschenden Politiker wiedergewählt werden wollen, wird in Aufschwungphasen staatlicherseits nicht gespart, wie es nötig wäre, um vorherige Staatsausgaben zur Abfederung von Konjunkturdellen zu kompensieren.
In einem Vollgeldsystem beträgt der Mindestreservesatz 100%. Die Banken können damit jederzeit in der Lage, ihren Zahlungsverpflichtungen vollständig nachzukommen. Die Geldmenge wird ausschließlich durch die Zentralbank gesteuert, Banken können die Geldmenge durch Kreditvergabe nicht mehr ausweiten.
In einem wesentlichen Punkt bleibt jedoch alles beim alten: Eine Geldmengenausweitung erfolgt weiterhin durch Geldschöpfung „aus dem Nichts“, in diesem Fall alleine durch die Zentralbank. Die Befürworter des Vollgeldsystems glauben, dass dies „verlässlicher“ oder „sicherer“ sei. Zudem geschehe es durch eine öffentliche Stelle.
Seit Anfang der 1970er Jahre, seit Ende des Systems von Bretton Woods, betreiben die Zentralbanken zunehmend eine Politik, die versucht, durch Geldmengen-Ausweitung jede größere Wirtschaftskrise im Keim zu ersticken. Hierdurch wurde der Prozess der „natürlichen“ Bereinigung unterdrückt, der schwache Unternehmen hätte vom Markt verschwinden lassen und Raum geben würde für neue, innovative Kräfte. Insbesondere im Bankensystem wurden so allmählich Zombies herangezüchtet, die schließlich staatlicherseits als „systemrelevant“ gerettet wurden.
Für die Annahme, die Zentralbanken würden es besser machen, wenn sie die alleinigen Schöpfer von Kredit würden, gibt es keinerlei Belege – eher gilt das Gegenteil. Es gab z.B. längere Zeit vor dem Lehman-Kollaps prominente Rufer in der Wüste im Notenbanksystem, die vor allzu lockerer Geldpolitik gewarnt haben. Insbesondere bei der Bankenrettung haben die Zentralbanken an vorderster Front mit Geldflutung agiert und so dafür gesorgt, dass untote Banken weiter machen können und sich durch diese Erfahrung ermuntert sehen, wiederum unangemessene Risiken einzugehen. Ebenso wird sich an den Gründen der eher prozyklischen Ausgabenpolitik des Staates durch Übergang zum Vollgeldsystem wenig ändern.
Ein Vollgeldsystem würde die Bevorteilung der Banken beschneiden. Banken können im existierenden Schuldgeldsystem Assets gleich welcher Art im wesentlichen mit selbst geschöpftem Geld erwerben. Investitionen von Banken rentieren sich so schneller als bei anderen Unternehmen. Das hat die Verlagerung der Geschäftsmodelle weg vom Kreditgeschäft hin zum Investmentbanking angetrieben. Große Banken sind gegenüber kleinen im Vorteil, weil ihr Geschäftsfeld umfassender ist und damit ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass der Zinsgewinn aus der Geldschöpfung im eigenen Bereich bleibt. Zudem gelten Großbanken wegen der impliziten Staatsgarantie („too big to fail“) als sicherer, ihr Ausfallrisiko ist begrenzt. Daher können sie günstigere Kredite aufnehmen als die kleineren Mitbewerber.
Wenn Banken nur noch das Geld verleihen können, das sie erwirtschaften, sind sie mit Unternehmen der Realwirtschaft gleichgestellt, die ihren Einkauf ja auch nicht mit selbst geschöpftem Geld bezahlen können. Das würde einerseits die Banken wieder zu Mediatoren werden lassen, die Gelder für die Realwirtschaft vermitteln. Andererseits würde der verstärkte Wettbewerb der Banken untereinander ihre Dienstleistungen günstiger und kundenorientierter machen.
Das Vollgeldsystem würde die Art zu wirtschaften vermutlich näher an eine Planwirtschaft heranrücken, wenn die Notenbanken (oder irgendeine andere staatliche Instanz) die Möglichkeit haben, an der „Geldschraube“ zu drehen. Das wäre so ziemlich die schlechteste Art, wie gesamtwirtschaftliche Nachfrage und Angebot in Einklang zu bringen sind. Im besten Fall ändert sich nichts gegenüber dem heutigen Zustand – nur dass Gründe und Verantwortung für „Boom“ und „Bust“ bei der Zentralbank alleine liegen.
Ich sehe keine Alternative zu einer Wettbewerbswirtschaft mit festem Ordnungsrahmen. Die geldpolitische Grundlage hierfür wäre meiner Ansicht nach in einer starren Verzahnung von Güter- und Geldmenge zu sehen, die u.a. eine aktive zentralplanerische Geldpolitik der Zentralbank verhindert. Hierzu sind verschiedene Modelle denkbar, die in späteren Beiträgen diskutiert werden sollen. Das Vollgeldsystem ist hierbei ein unzureichender Ansatz.
Ich weiß, dies alles ist gegenwärtig völlige Utopie. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Kapitalanforderungen bei Banken drastisch angehoben würden. Der letztjährige Wirtschaftsnobelpreisträger Eugene Fama fordert z.B., dass Banken mindestens 25% Eigenkapital halten sollen. Auch Niklaus Blattner, von 2003 bis 2007 Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank, fordert, auf die Suche nach immer feineren Systemmethoden der risikogewichteten Regulierung zu verzichten und die Banken stattdessen zu verpflichten, zum Beispiel 20% der Bilanzsumme an Eigenkapital zu halten. Lehman Brothers hatte kurz vor dem Kollaps eine risikogewichtete Eigenkapitalquote von 11%.
Nachtrag:
(7.7.14) Von Thomas Jefferson, dritter US-Präsident und einer der Autoren der Unabhängigkeitserklärung von 1776, stammt der Satz: "Ich glaube aufrichtig, dass Banken, mit dem Recht Geld herauszugeben, gefährlicher für die individuellen Freiheitsrechte sind als eine stehende Armee."
(21.7.17) Martin Wolf hat sich kürzlich in der Financial Times dafür ausgesprochen, den Geschäftsbanken die Lizenz zur Geldschöpfung zu entziehen. Es hält dieses Privileg für systemdestabilisierend und spricht sich deshalb dafür aus, entweder die Eigenkapitalquote der Banken massiv hoch zu setzen oder das Monopol der Geldschöpfung dem Staat zu übertragen (Vollgeldsystem).
Verteidiger des aktuellen Geldsystems versteigen sich bis zu der (technisch falschen) Behauptung, die Geldschöpfung sei kein Vorrecht einer exklusiven Finanzelite, sondern ein zutiefst volksnaher Vorgang, auf welchem unsere individuelle Freiheit zum Wirtschaften basiert. Die Möglichkeit der individuellen Geldschöpfung sei wichtiger als das Recht, alle vier Jahre seine Stimme für im Prinzip austauschbare Parteien mit austauschbaren Inhalten abgeben zu dürfen.
Nachtrag:
(2.10.14) Lesenswerte Artikel zum Geldsystem auf der Web-Seite von Norbert Häring: "Über das Geld"
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